Protokoll der Sitzung vom 10.11.2016

(Dr. Joachim Paul [PIRATEN]: An sechster Stelle!)

An sechster Stelle inzwischen. Danke, Joachim!

Sich jetzt hier hinzustellen und kleinkrämerisch aufzuführen, dass uns das Geld kostet, dazu möchte ich

auf den Kollegen Dr. Wolf verweisen. Er hat in einer der Verhandlungsrunden einmal ganz klar aufgezählt, wie viel Personen das kostet. Wir kommen hier noch nicht einmal auf 20 zusätzliche Bedienstete.

(Hans-Willi Körfges [SPD]: Das kommt auf die Regelung an!)

Es kommt auf die Regelung an, völlig richtig. Aber bei der Regelung, die wir hier anstreben würden und die Konsens war – ausgenommen die CDU, die es, glaube ich, nicht gelesen hat –, kommen wir, glaube ich, noch nicht einmal auf zwei Dutzend neue Mitarbeiter oder Mitarbeiter, die nach Münster abgeordnet werden müssen. Das muss sich ein Land wie Nordrhein-Westfalen mit fast 18 Millionen Einwohnern leisten können, ansonsten brauchen wir nicht zu sagen, wir wären ein Rechtsstaat.

(Vereinzelt Beifall von den PIRATEN)

Ich komme jetzt zu dem Punkt, den Frau Kollegin Hanses angesprochen hat. Wenn wir so eine Regelung hätten – Herr Kollege Körfges und Herr Kollege Dr. Wolf sagten es gerade, je nach Regelungsgeschichte –, dann würden bis zu 95 % der Fälle, die an das Landesverfassungsgericht herangetragen würden, vorab quasi heraussortiert werden – wie das bei der Regelung in Brandenburg der Fall ist –, weil sie die entsprechende Berechtigung gar nicht hätten.

Jetzt kann man sich auf die 95 % konzentrieren. Ich möchte mich auf die 5 % konzentrieren, die dann funktionieren würden, die einen funktionierenden Rechtsschutz in diesem Land hätten. Das wäre sinnvoll.

Lassen wir uns doch da das Positive sehen. Es ist nicht zu teuer. Für unser Land müsste es absolut eine Selbstverständlichkeit sein. Ich werbe dafür, den Mut aufzubringen, dafür zu stimmen. Ich möchte mich bedanken, dass Sie den Ausfluss aus der Verfassungskommission aufgenommen haben.

Übrigens noch eine kleine Anmerkung zu Herrn Kamieth. Ich möchte, dass das im Protokoll richtig vermerkt ist. Herr Kamieth, Sie haben eben die Popularklage genannt – auch wichtig –, sie ist aber keine Individualverfassungsbeschwerde. Großer Unterschied. Fachlich schon ein bisschen peinlich, finde ich. Allerdings, Popularklage finde ich auch klasse. Wir haben eigentlich vor, sie im Frühjahr zu bringen. Vielleicht können wir Sie davon auch überzeugen.

Herr Dr. Wolf, zu dem, was Sie eben gesagt haben: Ich wünsche uns allen bei allen diesen Verfassungsänderungsvorschlägen, die jetzt im Raum stehen, und der einfachgesetzlichen Regelung, die die FDPFraktion hier eingebracht hat, den Mut zur Gestaltung bei jedem einzelnen Thema. Lassen Sie uns das noch einmal ernsthaft angehen, damit wir in dieser Wahlperiode auch etwas für die Menschen schaffen. Dann wäre diese Verfassungskommission noch nicht gescheitert. – Vielen Dank.

(Beifall von den PIRATEN)

Vielen Dank, Herr Kollege Sommer. – Nun spricht zu uns der fraktionslose Abgeordnete Herr Schulz.

Sehr geehrter Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen, Zuschauerinnen und Zuschauer im Saal und daheim! Die Gesetzesinitiative der FDP-Fraktion unterschreibe ich vollumfänglich. Besser hätte man das wahrscheinlich gar nicht hier einbringen können als geschehen. Die kleinen Änderungen, die auch Frau Kollegin Hanses angesprochen hat, die vielleicht wünschenswert wären, dürften möglicherweise im Rahmen der Ausschussberatungen eingebracht werden – nachträglich – oder eingebracht werden können.

Ich möchte mit einem Zitat aus der Sitzung dieses Hohen Hauses von 5. Oktober von Herrn Prof. Dr. Bovermann im Rahmen der Berichte über die Verfassungskommission beginnen. Da hat er gesagt:

„Ja, auch ich hätte mir mehr gewünscht – vor allem im Interesse der Bürgerinnen und Bürger. Ebenso wäre es wünschenswert gewesen, die Landesverfassung würde aus dem Schatten des Grundgesetzes heraustreten und mehr Beachtung finden.“

(Beifall von der FDP – Hans-Willi Körfges [SPD]: Guter Mann!)

Zitat Ende.

Mit der Initiative der FDP-Fraktion besteht die Möglichkeit, jetzt außerhalb der Verfassungskommission dieser Landesverfassung die notwendige Beachtung zu schenken, die ihr gebührt.

Ja, es ist richtig, dass sich die Landesverfassung bewährt hat, wie dies in der erwähnten Sitzung vom 5. Oktober von einigen Rednern betont worden ist.

Dabei führte Herr Kollege Körfges zum Beispiel richtig aus, dass die Landesverfassung einen wesentlicher Punkt der Identifikation der Menschen in unserem Land und mit unserem Land darstellt. Dies hat auch Herr Prof. Dr. Voßkuhle, Präsident des Bundesverfassungsgerichtes, im Rahmen des Symposiums und haben auch andere Experten im Rahmen der Anhörung der Verfassungskommission eindeutig bestätigt.

In einem Bundesland, welches landesspezifische Grundrechte in seine Verfassung aufgenommen hat, die nicht im Grundgesetz geregelt sind, und welche die grundgesetzlichen Normen teilweise auslegen, teils erweitern und dementsprechend normieren, bedarf es einer Individualverfassungsbeschwerde. Dies gilt gerade für Nordrhein-Westfalen.

Exemplarisch seien genannt das Recht auf Arbeit in Art. 24 der Landesverfassung, das Recht auf qualifizierte Mitbestimmung in Art. 26 und, wie Herr Kollege Sommer gerade ausführte, auch die Regelung zum Kleingartenwesen. Zu nennen wäre überdies die Rechtsschutzlücke bezüglich des Wahlrechts in Nordrhein-Westfalen. Auch hier ist eine Notwendigkeit für die Individualverfassungsbeschwerde eindeutig gegeben. Insofern folge ich auch an dieser Stelle dem Antrag der FDP.

(Beifall von der FDP)

Bereits Herr Prof. Dr. Voßkuhle – und das sollte für uns alle die Richtschnur sein – wies auf die Identitätsstiftung einer Individualverfassungsbeschwerde hin, die für das weitere Verfahren und seinen Abschluss zielführend sein sollte. Darüber hinaus halte ich die Einführung der Individualverfassungsbeschwerde zur Stärkung und Betonung der Eigenstaatlichkeit des Landes Nordrhein-Westfalen für unerlässlich.

Vielleicht ist es sogar möglich – und ich glaube, diese Gesetzesinitiative hat wirklich diesen Anspruch –, ein verkürztes Verfahren ohne langwierige Ausführungen und Anhörung durchzuführen – schließlich hat diese bereits im Rahmen der Verfassungskommission stattgefunden –, jetzt im Rahmen der einfachgesetzlichen Regelung mit kleinen Änderungen voranzuschreiten und vielleicht sogar noch dieses Jahr dieses Verfassungsinstrument, welches ich als sinn- und identitätsstiftend ansehe, abschließend zu beraten und am Ende auch vorteilhaft und erfolgreich zu beschließen. – Vielen Dank für die Aufmerksamkeit.

(Beifall von der FDP – Vereinzelt Beifall von den PIRATEN)

Vielen Dank, Herr Kollege Schulz. – Für die Landesregierung spricht Herr Minister Kutschaty.

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Die Beschäftigung mit der Frage der Reform der Verfassung und die Kompetenzzuweisung von bestimmten Aufgaben an Verfassungsorgane sind ureigenste Aufgaben des Parlaments. Gestatten Sie mir deswegen an dieser Stelle nur ganz wenige Anmerkungen seitens der Landesregierung.

Ich glaube, die gerade geführte Diskussion hat noch einmal sehr deutlich gemacht, dass es durchaus Argumente dafür und auch Argumente dagegen gibt, eine Individualverfassungsbeschwerde auch für Nordrhein-Westfalen einzuführen.

Auf der einen Seite stellt sich die Frage, die auch gerade noch einmal aufgeworfen wurde: Kann das bevölkerungsreichste Bundesland es sich leisten, seinen Bürgern zu verwehren, sich mit der Behauptung

einer Grundrechtsverletzung an ein eigenes Verfassungsgericht zu wenden, und bietet vielleicht auch die Möglichkeit der Individualverfassungsbeschwerde eine Chance, unsere Verfassung insgesamt in der Öffentlichkeit vielleicht etwas bekannter und publik zu machen?

Auf der anderen Seite ist natürlich auch die Gegenfrage berechtigt, meine Damen und Herren: Besteht unter rechtsstaatlichen und verfassungsprozessualen Gesichtspunkten denn überhaupt ein Bedürfnis für die Einführung einer Individualverfassungsbeschwerde? Besteht derzeit eine Rechtsschutzlücke?

Die im Landtag im Rahmen der Verfassungskommission hierzu angehörten Sachverständigen waren sich auch in dieser Frage nicht einig. Die nordrheinwestfälische Landesverfassung rezipiert, wie Sie wissen, die Grundrechte des Grundgesetzes. Die vom Verfassungsgerichtshof und vom Bundesverfassungsgericht angewandten Maßstäbe weichen nicht in grundsätzlicher Art voneinander ab. Über die Globalverweisung in Art. 4 unserer Landesverfassung auf das Grundgesetz hinaus garantiert diese weitergehende Grundrechte. Hierzu gehört beispielsweise Art. 24, der sich mit Arbeit, Lohn und Urlaub befasst.

Aber ist es für die normative Durchschlagskraft dieser Grundrechte erforderlich, dass sie im Wege der Individualverfassungsbeschwerde geltend gemacht werden können? Eine solche Durchschlagskraft kommt den Grundrechten schon im Rahmen der Normenkontrolle zu, und – das ist vorhin schon einmal gesagt worden – natürlich hat jedes nordrheinwestfälische Gericht die Werte unserer Verfassung bei jeder individuellen Entscheidung zu berücksichtigen. Rechtsschutzdefizite sind hier offensichtlich zunächst einmal nicht erkennbar.

Insofern müssen wir uns schon die Frage stellen: Welche konkreten Vorteile kämen den Bürgerinnen und Bürgern des Landes Nordrhein-Westfalen durch die Einführung einer solchen Rechtsschutzmöglichkeit zu? Welche Nachteile müssten sie gegebenenfalls auch in Kauf nehmen? Ist ihnen tatsächlich mit der Entscheidung des Verfassungsgerichtshofs für das Land Nordrhein-Westfalen geholfen, die vielleicht Gefahr läuft, mit der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts in Widerspruch zu geraten? Wiegen die zeitlichen und inhaltlichen Friktionen, die dies nach sich zöge, nicht schwerer als der mögliche Rechtsschutzgewinn, der sich vielleicht auch nur auf ganz bestimmte Konstellationen beschränken ließe?

Meine Damen und Herren, zumindest eines wurde in der Verfassungskommission, wie ich finde, sehr deutlich: Zu berücksichtigen wäre bei der Einführung einer solchen Beschwerdemöglichkeit auch die praktische Folgenwirkung, die dies nach sich zieht. Die Richter am Verfassungsgerichtshof üben diese Tätigkeit derzeit nicht als einzige Tätigkeit aus. In der

Anhörung der Verfassungskommission standen, basierend – zugegeben – auf den Zahlen von Berlin, ca. 1.000 Verfahren pro Jahr in Rede. Das heißt, man müsste sich auch darüber unterhalten, wie dieser Mehraufwand aufgefangen werden kann.

Auch die rechtlichen Konsequenzen sind zahlreich. Dies gilt zum Beispiel für die Fragen nach einem gesonderten Annahmeverfahren oder vielleicht auch der Einführung einer Missbrauchsgebühr bzw. nach der Ausgestaltung einer möglichen Subsidiaritätsklausel.

Sie sehen, meine Damen und Herren, man kann eine ganze Menge darüber diskutieren. Es ist auch nicht die Aufgabe der Landesregierung, hier heute eine abschließende Bewertung zu diesem Vorschlag vorzunehmen. Deswegen sieht die Landesregierung den Beratungen in den Ausschüssen mit Interesse entgegen. – Vielen Dank.

(Beifall von der SPD)

Vielen Dank, Herr Minister Kutschaty. – Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor.

Damit kommen wir zur Abstimmung. Der Ältestenrat empfiehlt die Überweisung des Gesetzentwurfs Drucksache 16/13113 an den Hauptausschuss – federführend – sowie an den Rechtsausschuss. Wer stimmt dem so zu? – Gibt es Gegenstimmen? – Enthaltungen? – Das ist beides nicht der Fall. Damit haben wir einstimmig so überwiesen.

Ich rufe auf:

3 Gesetz zur Änderung der Verfassung für das

Land Nordrhein-Westfalen (Absenkung des Wahlalters)

Gesetzentwurf der Fraktion der SPD, der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der Fraktion der PIRATEN Drucksache 16/13313 – Neudruck

erste Lesung

Ich darf auf Folgendes hinweisen: Die Fraktion der Piraten hat den Gesetzentwurf Drucksache

16/13301, „Gesetz zur Änderung der Verfassung für das Land Nordrhein-Westfalen – Absenkung der Altersgrenze für das aktive Wahlrecht auf 16 Jahre“, dessen erste Lesung unter Tagesordnungspunkt 3 vorgesehen war, zurückgenommen. Hierüber hat die Präsidentin des Landtags mit der Drucksache 16/13418 unterrichtet.