Protokoll der Sitzung vom 25.01.2017

(Armin Laschet [CDU]: Er hat von Kleinkrimi- nellen geredet!)

Herr Laschet, Sie müssen lauter schreien, damit ich Sie hier vorne verstehen kann – auf eines grundsätzlich hinweisen: Ausländerrecht ist kein Substitut für Strafrecht.

(Armin Laschet [CDU]: Wenn der WDR kommt oder der NDR!)

Es kann das Strafrecht nicht ersetzen oder stattdessen hilfsweise angewandt werden. Abschiebungshaft dient nicht der Verhinderung von Straftaten.

(Lutz Lienenkämper [CDU]: War voriges Jahr auch da!)

Sie hat zurzeit nur einen Zweck: die Sicherung der Abschiebung.

(Armin Laschet [CDU]: Sie haben selbst die Ministerpräsidentin auflaufen lassen!)

Um einen Haftrichter von der Anordnung einer Abschiebungshaft zu überzeugen, braucht es immer zwei Voraussetzungen, Herr Laschet: Es bedarf eines Haftgrundes,

(Fortgesetzt Zurufe von der CDU – Gegenruf von Mehrdad Mostofizadeh [GRÜNE]: Das hat er nicht gesagt!)

und die Haft darf nicht unzulässig sein. Die Anforderungen sind hoch; denn Haft ist ein massiver Eingriff in die Freiheit einer Person.

Meine Damen und Herren, Haftgründe lagen in der Rückschau im Fall Amri zweifelsfrei vor. Wer wie

Amri unerlaubt seine Wohnorte wechselte und über seine Identität täuschte, kann wegen Behinderung der Abschiebung oder Fluchtgefahr in Sicherungshaft genommen werden.

(Zuruf von Jochen Ott [SPD])

Dies wurde auch nie in Abrede gestellt. Da sagt auch das Gutachten der FDP, Herr Stamp, nichts Neues.

Die Haft war jedoch unzulässig. Das will ich kurz erklären. Bei der Beantragung von Abschiebehaft muss die Ausländerbehörde zwingend eine Prognose zur Durchführbarkeit der Abschiebung vorbringen. Aus dieser Prognose muss für einen Richter erkennbar werden, dass die Abschiebung innerhalb der vom Gesetz geforderten Dreimonatsfrist durchführbar ist.

Der BGH fordert in mehreren Entscheidungen für eine Haftanordnung den Nachweis, dass die vom Gesetz geforderte zeitnahe Abschiebung üblicherweise innerhalb der sogenannten Dreimonatsfrist durchgeführt werden kann. Dazu hätte man einem Haftrichter Fälle nachweisen müssen, in denen die tunesische Regierung Passersatzpapiere innerhalb von drei Monaten ausgestellt hat.

(Dr. Joachim Stamp [FDP]: Das stimmt nicht! – Armin Laschet [CDU]: Sie sind ein Jurist! Ein schlauer Jurist!)

Maßgebend für die Prognose ist dabei der Zeitpunkt der Haftanordnung.

Zum damaligen Zeitpunkt, Herr Laschet, lag für Amris Heimatland Tunesien jedoch kein Referenzfall von unter drei Monaten vor. Allein durch die überlangen Bearbeitungszeiten verstreichen dann mehr als die vom Gesetz vorgesehenen drei Monate.

(Marc Lürbke [FDP]: Nein!)

Das dauert in der Regel und erfahrungsgemäß bei Tunesien sechs bis 14 Monate. So war es auch im Fall Amri, meine Damen und Herren.

(Dr. Joachim Stamp [FDP]: Aber im Septem- ber war das schon ein halbes Jahr her!)

Dass Interpol in Tunis die Identität Amris im Oktober 2016 gegenüber dem BKA bestätigt hat, ändert rechtlich daran nichts. Man kann daraus nicht, wie der Gutachter der FDP, den Schluss ziehen, es sei nunmehr damit zu rechnen, dass die Passersatzpapiere innerhalb von drei Monaten einträfen, womit dann eine Abschiebung von Amri möglich gewesen wäre. Das trifft nicht zu.

Denn die tunesische Regierung hatte nur wenige Tage vor der Auskunft durch Interpol Herkunft und Identität von Amri bestritten, obwohl ihr alle Informationen und Belege zur Person vorlagen. Die Mitteilung von Interpol ersetzt nämlich nicht die Erklärung der für Hoheitsangelegenheiten zuständigen tunesischen Behörden.

Die Annahme, jetzt sei eine erfolgreiche Abschiebung binnen drei Monaten zu erwarten, basiert auf einer bloßen Hoffnung.

(Dr. Joachim Stamp [FDP]: Sie haben es doch nicht mal versucht!)

Ein Haftrichter fragt aber nicht nach Hoffnung. Er fragt nach Belegen, Herr Stamp. Und diese Belege gab es nicht. Im Gegenteil: Die Zentrale Ausländerbehörde Köln hat mit Tunesien langjährige Erfahrungen und weiß, wie schwierig das Geschäft der Passersatzpapierbeschaffung ist. Sie konnte keinen Fall angeben, in dem auch bei der Vorlage von Belegen eine Abschiebung nach Tunesien innerhalb der Dreimonatsfrist möglich gewesen wäre. Auch darauf nimmt Ihr Gutachter, Herr Stamp, keinen Bezug.

Bei den Ausführungen zu einer möglichen Ausweisung fehlt das entscheidende Element. Der Gutachter betrachtet rein rechtstheoretisch die Frage, ob die Voraussetzungen für ein besonders schwerwiegendes Ausweisungsinteresse hätten begründet werden können. Dabei lässt er ein entscheidendes Kriterium völlig außer Acht: Die gerichtsverwertbaren Erkenntnisse

(Beifall von Hans-Willi Körfges [SPD])

hinsichtlich der Gefährdung lagen nicht vor, Herr Stamp.

(Zuruf von der SPD: Genau so ist es!)

Im Übrigen war eine Ausweisungsverfügung zu diesem Zeitpunkt weder als Grundlage für die Abschiebung noch für die Abschiebungshaft erforderlich. Amri war bereits vollziehbar zur Ausreise verpflichtet. Fluchtgefahr als Haftgrund lag vor. Das entscheidende Hindernis für die Abschiebungshaft war die Tatsache der Durchführbarkeit der Abschiebung in sein Herkunftsland Tunesien innerhalb der vom Gesetzgeber geforderten Dreimonatsfrist.

Meine Damen und Herren, die Erfahrungen im Fall Amri zeigen: Hier besteht eine gesetzgeberische Lücke. Hier besteht gesetzgeberischer Handlungsbedarf. – Das haben auch der Bundesinnenminister und der Bundesjustizminister erkannt und daher gemeinsam einen Vorschlag vorgelegt, die Dreimonatsfrist zu ändern.

Herr Minister, gestatten Sie eine Zwischenfrage von Herrn Kollegen Biesenbach?

Nein.

(Zurufe von der CDU: Oh!)

Meine Damen und Herren, der Gutachter wirft dem LKA NRW vor, es habe in der …

(Marc Lürbke [FDP]: Jetzt ist jede Frage er- laubt!)

Nein. Ich habe ein begrenztes Zeitkontingent. Es sind viele Fragen gestellt worden,

(Unruhe – Glocke)

die ich jetzt beantworten werde.

(Zuruf von Armin Laschet [CDU])

Meine sehr verehrten Damen und Herren, der Gutachter wirft dem LKA NRW vor, es habe …

(Unruhe – Glocke)

Herr Minister, entschuldigen Sie bitte die Unterbrechung. – Kolleginnen und Kollegen, ich muss das einmal deutlich machen: Wir haben hier eine Unterrichtung. Man hat sich darauf verständigt, dass das so behandelt wird wie immer. Das heißt, dass Fragen möglich sind. Aber es ist genauso möglich, dass der Redner sagt, er wolle jetzt keine Fragen beantworten.

Ich bitte einfach um Verständnis und um ein bisschen Ruhe. Lassen Sie doch den Redner in Ruhe sprechen

(Zuruf von Armin Laschet [CDU])

und gehen dann in Ihren Beiträgen darauf ein. Es sind weitere Rednerinnen und Redner angemeldet. Ich möchte darum bitten, dass wir das hier dem Anlass und dem Ernst der Lage angemessen miteinander beraten.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Ich finde es sehr unruhig. Das haben wir hier oben alle so festgestellt. Ich bitte einfach um Ihr Verständnis. Bleiben Sie, auch wenn es schwerfällt, in der Sache ruhig, damit wir das hier miteinander beraten können und vor allen Dingen auch diejenigen, die außerhalb des Saales zuhören wollen, Gelegenheit haben, die Beiträge der einzelnen Rednerinnen und Redner auch wirklich zu verfolgen. – Danke schön.

Danke, Herr Präsident. – Eine Vielzahl von Sachverhalten und Fragen ist vorgetragen worden, auf die ich im Rahmen meines Zeitkontingents auch im Einzelnen eingehen möchte.