Wir sind uns auch einig, dass eine Strafe, die von Gerichten ausgesprochen wird, irgendwann beendet ist. Dann ist es für einen guten Vollzug wichtig zu sehen: Wie kann man den Menschen, der diese Strafe bekommen hat, resozialisieren?
Vor diesem Hintergrund war es für mich auch wichtig, dass ich zur Vorbereitung dieser Rede in die Leitlinien für den Strafvollzug in Nordrhein-Westfalen geschaut habe. Darin steht ganz klar, dass wir in Nordrhein-Westfalen einen Behandlungsvollzug haben und auch haben wollen, den wir mit dem Resozialisierungsgedanken absichern.
Es ist ein aktivierender Strafvollzug, für den die SPDFraktion steht, der das verfassungsrechtliche Resozialisierungsgebot mitnimmt. Wir wollen nämlich die Gefangenen befähigen, nach ihrer Entlassung straffrei zu leben. Nach unserer Meinung ist ein solcher
Wir wollen nämlich gerade nicht – deshalb sind wir die Anhänger dieses offenen Vollzugs –, dass die Gefangenen nach Ende ihrer Strafhaft möglicherweise mit einem Koffer vor dem Gefängnistor stehen und nicht wissen, wohin sie gehen müssen. Wir wollen nicht, dass Langstrafige nicht wissen, wie sie dorthin kommen, wenn sie denn noch Anhaltspunkte in ihrem bürgerlichen Leben haben.
Das ist wiederum der Grundstein für diesen wirksamen Behandlungsvollzug und der Gegensatz zu einem Verwahrvollzug. Leider Gottes habe ich von Ihnen nicht intensiv gehört, dass wir diese Resozialisierung in den Vordergrund stellen wollen. – Wir wollen einen Vollzug, der auf das Leben in der Gesellschaft nach der Haft vorbereitet. Wir glauben, dass dies bis jetzt immer fraktionsübergreifend im Rechtsausschuss übereinstimmende Auffassung gewesen ist.
Richtig ist, Herr Kollege Kamieth, dass wir in Nordrhein-Westfalen im offenen Strafvollzug – deshalb ist es wichtig, diese Daten zu nennen – mit dem Stand von März 2017 knapp 4.300 Haftplätze haben. Sie haben in Ihrer Einleitung gesagt, dass es etwas mit Nordrhein-Westfalen und mit Berlin zu tun habe. Unsere 4.300 Haftplätze im offenen Vollzug sind ungefähr 23 % der knapp 19.000 Gesamthaftplätze des Landes.
Wenn wir in die statistischen Unterlagen zur Situation im Bund schauen, stellen wir fest, dass es im gesamten Bundesgebiet ungefähr 7.500 Gefangene im offenen Vollzug gibt. Wenn wir dann sehen, dass allein in Nordrhein-Westfalen darauf 3.320 entfallen, wissen wir schon, dass das natürlich der größte Anteil ist, denn das sind knapp 45 %. Dann weiß man auch, dass wir hier eine bundesweite Vorreiterrolle einnehmen.
Auch deshalb ist es wichtig, darauf hinzuweisen, dass wir in unserem Vollzug versuchen, die Menschen, die in diesen offenen Vollzug kommen, so weit vorzubereiten, dass sie wieder in die Gesellschaft integriert werden können. Das machen wir – das wissen Sie auch, Herr Kollege Kamieth – mit vielen Fallkonferenzen, zu denen auch externer Sachverstand hinzugezogen wird, um zu sehen, ob die Menschen im offenen Vollzug wirklich bereit sind, ihren Platz in der Gesellschaft finden zu können.
Meine sehr geehrten Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen, wir haben diesen offenen Vollzug in den letzten Jahren meiner Tätigkeit im Rechtsausschuss immer wieder parteiübergreifend beschworen.
Deshalb ist es aus meiner Sicht nicht richtig, so ein schwarzes Bild zu malen, wie Sie es gemacht haben, Herr Kollege Kamieth, dass es in Nordrhein-Westfalen um große Besorgnisse gehe. Denn klar ist: Auch Sie als Mitglied der Vollzugskommission – ohne dass ich über Interna dieser Kommission rede – wissen, dass der Vollzugskommission keine Fälle genannt worden sind, in denen eine Entweichung eines Gefangenen aus dem offenen Vollzug zu einer besorgniserregenden Eskalation in Nordrhein-Westfalen geführt hätte.
Lassen Sie mich zum Schluss noch eines sagen: Oftmals sind im offenen Vollzug Menschen, die von keinem Richter dieser Welt zu einer Freiheitsstrafe verurteilt wurden. Denn wir wissen alle, dass häufig die Ersatzfreiheitsstrafen von denjenigen, die zu einer Geldstrafe verurteilt worden sind, aufgrund von Mittellosigkeit im offenen Vollzug enden. Niemals hat ein Richter in seinem Urteil angeordnet oder sich auch nur vorgestellt, dass dieser Mensch in Haft kommen soll. Deshalb hat er die Geldstrafe verhängt, und nur vor dem Hintergrund der Mittellosigkeit des Angeklagten kam es dann zu einem offenen Vollzug. Da kann man aus meiner Sicht überhaupt nicht davon reden, dass das eine Gefahr für Nordrhein-Westfalen sei.
Vor diesem Hintergrund zeigt diese Aktuelle Stunde aus meiner Sicht nur eines: nämlich, dass die Justizaufgaben in diesem Land beim Justizminister in sehr guten Händen sind. – Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Auf Antrag der CDU setzen wir uns heute mit Entweichungen aus dem offenen Vollzug auseinander. Die „Rheinische Post“ berichtete am letzten Freitag darüber, dass 2016 in NordrheinWestfalen 270 Entweichungen aus dem offenen Vollzug zu verzeichnen waren, von denen sich noch 125 Entwichene auf freiem Fuß befinden. In Berlin seien im vergangenen Jahr 52 Gefangene aus dem offenen Vollzug entwichen, von denen 30 weiter flüchtig
seien. In den übrigen 14 Bundesländern habe es insgesamt 41 Entweichungen aus dem offenen Vollzug gegeben.
Am Anfang dieser Wahlperiode hat sich die FDPFraktion im Rechtsausschuss bis ins Detail mit den Entweichungen und mit von Entwichenen verübten Straftaten auseinandergesetzt. Die CDU dagegen wähnt nun dramatische Zahlen und eine besorgniserregende Entwicklung – in der Sache eine unverantwortliche Verunsicherung der Bevölkerung; ich komme gleich im Einzelnen darauf zurück.
Doch zunächst zum Verfahren: Noch am letzten Freitag beantragte die CDU zu dem Thema einen Tagesordnungspunkt für den Rechtsausschuss am
22.03.2017. Am Montag kam dann der Antrag auf eine Aktuelle Stunde. Wozu auch die für nächsten Montag zu erwartenden Antworten auf die von Ihnen gestellten Fragen abwarten?
Meine Damen und Herren, zur Klarstellung vorab: Selbstverständlich ist der Strafanspruch des Staates auch im offenen Vollzug durchzusetzen. Selbstverständlich müssen die Entwichenen wieder dem Strafvollzug zugeführt werden. Selbstverständlich drängen sich bei vielen Fällen Entwichener aus dem offenen Vollzug Rückverlegungen in den geschlossenen Vollzug und gegebenenfalls Disziplinarmaßnahmen auf. Und sicherlich wäre die Landesregierung gut beraten, die Zahlen der Entweichungen aus dem offenen Vollzug selbst proaktiv zu veröffentlichen, wie es beispielsweise Baden-Württemberg auf der Homepage seines Justizministeriums tut.
Zu dem CDU-Antrag bedarf es aber zunächst einer grundsätzlichen Anmerkung: Die Anzahl der Entweichungen aus dem offenen Vollzug ist an sich kein tauglicher Indikator für den Grad der Gefährdung von Bürgerinnen und Bürgern.
Der offene Vollzug zeichnet sich gerade dadurch aus, dass keine oder verminderte Vorkehrungen gegen Entweichungen getroffen werden. Prägendes Merkmal des offenen Vollzugs ist, dass die Gefangenen die Nacht in der Justizvollzugsanstalt verbringen. Tagsüber halten sie sich überwiegend außerhalb der Einrichtung auf, gehen als Freigänger ihrer Arbeit nach, besuchen Fortbildungen, erledigen Behördengänge etc. Der offene Vollzug ermöglicht dadurch eine effektive Differenzierung des Vollzuges, Selbstorganisation, externe Orientierung, intensive Entlassungsvorbereitungen und bietet damit für geeignete Gefangene und in der Progression noch bessere Chancen auf Reintegration.
Die Sicherheit des offenen Vollzuges beruht – anders als im geschlossenen Vollzug – vorwiegend auf der Selbstdisziplin und dem Verantwortungsbewusstsein der Gefangenen. Voraussetzung für die Unterbringung im offenen Vollzug ist deshalb unter anderem, dass nicht zu befürchten ist, dass der Gefangene sich dem Vollzug der Freiheitsstrafe entziehen oder die besonderen Verhältnisse des offenen Vollzugs zur Begehung von Straftaten missbrauchen wird. Da stellt sich natürlich die Frage, ob die Zahl von 270 Entweichungen im Jahre 2016 im bundesweiten Vergleich ein Indiz dafür ist, dass an die dafür erforderliche Prognoseentscheidung zu geringe Anforderungen gestellt werden.
In der „Rheinischen Post“ ist ausdrücklich erwähnt, dass die Bundesländer Entweichungen aus dem offenen Vollzug unterschiedlich definieren. Während in Nordrhein-Westfalen bereits eine Verspätung am Abend als Entweichung in die Statistik eingeht, sind da andere Länder großzügiger. Damit fehlt es bereits an der Vergleichbarkeit der Zahlen. Zudem: Laut den letzten beim Statistischen Bundesamt verfügbaren Gefangenenbestandszahlen befanden sich am
30.11.2016 44,5 % der bundesweit im offenen Vollzug untergebrachten Gefangenen in NordrheinWestfalen, weitere 12 % in Berlin.
Da liegt es auch nahe, dass die absolute Zahl der Entwichenen in NRW damit korrespondiert. Die Quote der im offenen Vollzug untergebrachten Gefangenen reichte am 30.11.2016 bei einem bundesweiten Durchschnitt von 11,9 % in der Spreizung von 3,5 % in Sachsen-Anhalt bis 23,1 % in Berlin. Nordrhein-Westfalen lag dabei mit 21,4 % an zweiter Stelle. Diese Spannweite lässt erkennen, welche vollzugspolitische Wertschätzung dem offenen Vollzug jeweils beigemessen wird. Mit Ihrem in dieser Wahlperiode eingebrachten Gesetzentwurf für ein Strafvollzugsgesetz hat die CDU ja bereits erkennen lassen, dass für sie der offene Vollzug nur eine untergeordnete Bedeutung als nachrangige Vollzugsform hat.
Es stellt sich die Frage: Steht dann in NordrheinWestfalen alles zum Besten? – Natürlich nicht. Aus einer Antwort der Bundesregierung vom 27.05.2016 auf eine Kleine Anfrage zu nicht vollstreckten Haftbefehlen geht hervor, dass in Nordrhein-Westfalen am 31.03.2016 insgesamt 25.452 Festnahmen aufgrund einer Straftat, zur Strafvollstreckung, Unterbringung oder Ausweisung sowie Festnahmen entwichener Strafgefangener unerledigt waren – und das ist eine Stichtagsbetrachtung. Das ist ein Vollzugsdefizit, um das wir uns kümmern müssen, für dessen Behebung wir mehr Polizei brauchen.
Im Verhältnis zu den 25.452 macht die Teilmenge der 125 noch auf freiem Fuß befindlichen Entwichenen gerade einmal 0,5 % aus. Der vorliegende Antrag ist somit für mich nicht mehr als Effekthascherei. – Vielen Dank.
Vielen Dank, Herr Kollege Wedel. – Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen spricht jetzt Frau Kollegin Hanses.
Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Ich habe ja häufiger das Vergnügen, nach Herrn Wedel zu sprechen, aber selten hat es mir so viel Vergnügen bereitet wie heute.
Bei der Beantragung dieser Aktuellen Stunde der CDU habe ich mir die Frage gestellt: Wenn das wirklich die größte Sorge der CDU in dieser Woche ist, mache ich mir eher Sorgen um die CDU und nicht um den offenen Strafvollzug.
Sie suggerieren in der Beantragung dieser Aktuellen Stunde, von vollzugsöffnenden Maßnahmen im offenen Vollzug – die auch nicht in jedem Fall gelingen – gehe eine Gefahr für die Bevölkerung aus. Glauben Sie das wirklich? Wir glauben es jedenfalls nicht.
Aus guten Gründen war der offene Strafvollzug in Nordrhein-Westfalen über alle Parteigrenzen hinweg in der Vergangenheit ein herausragendes Markenzeichen des nordrhein-westfälischen Strafvollzugs. Er wurde gewürdigt, geschätzt und ausgebaut. Denn mit seiner Öffnung nach außen beugt er den schädlichen Folgen des Freiheitsentzugs vor, fördert die Selbstständigkeit und die Eigenverantwortlichkeit der Gefangenen und erleichtert ihnen den Übergang in die Freiheit.
Der offene Vollzug ist keine bloße Vergünstigung für beanstandungsfreies Verhalten, sondern vielmehr eine wichtige Behandlungsmaßnahme. Er dient dem Einüben von Verhaltensweisen in Freiheit, insbesondere durch Selbstkontrolle und realitätsnahes Durchstehen von Versuchssituationen.
In Anstalten des offenen Vollzugs, die den Verhältnissen in Freiheit angeglichen sind, können sich Unselbstständigkeit und Subkultur in geringerem Maße entwickeln als in den Anstalten des geschlossenen Vollzugs, in denen die Gitter und die Sicherheitsvorkehrungen höher sind. Der offene Vollzug ist ein tragender Eckpfeiler des nordrhein-westfälischen Resozialisierungsprogramms.
führend sind. Wir haben acht eigenständige Einrichtungen des offenen Vollzugs, viele Bundesländer keine oder eine. Auch da hinkt der Vergleich natürlich. Acht eigenständige Anstalten machen mehr als die Hälfte der Anstalten in der Bundesrepublik insgesamt aus.