Protokoll der Sitzung vom 11.07.2013

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Es ist schon erstaunlich, wenn man diese Debatte so verfolgt und sich an die Debatten von vor einigen Wochen erinnert. Damals wurde die FDP unter anderem nicht müde zu bezweifeln, dass wir in Nordrhein-Westfalen die Quote von 144.000 Plätzen erreicht haben, die wir mit dem Bund verabredet haben. Das habe ich heute nicht gehört. Das ist schon einmal ein Fortschritt, Herr Hafke.

Ansonsten zeichnen Sie sich wirklich dadurch aus, dass Sie hier hanebüchene Dinge behaupten. Auf die Frage von Frau Asch, ob Sie wissen, was in der Jugend- und Familienministerkonferenz besprochen wurde, haben Sie gesagt, Nordrhein-Westfalen solle sich erst einmal dem Anmeldeverfahren widmen. Das finde ich ziemlich hanebüchen. Es zeigt, dass es ein reines Ablenkungsmanöver ist.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Das war auch in vielen anderen Bereichen der Fall.

Nun haben wir über 144.000 Plätze erreicht. Mein Dank gilt allen, die sich im Land NordrheinWestfalen mit dafür engagiert haben. Das haben schon einige meiner Vorredner zum Ausdruck gebracht.

Frau Doppmeier, ganz besonders erfreulich ist es, dass wir neben dem quantitativen Ausbau – Frau Schröder hat uns heute Morgen gelobt – auch den qualitativen Ausbau weiterentwickelt haben. Die Kinderpflegerinnen, die Schwarz-Gelb aus dem KiBiz herausgestrichen hatte, haben wir in den U3Gruppen wieder eingesetzt. Damit haben wir die Personalrelation bei den Unter-Dreijährigen auf den zweiten Platz bundesweit geschraubt.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Das nur zum Thema „Qualität“ und Ihre Einlassung dazu. Frau Doppmeier, das gleiche gilt für die Gruppe der zwei- bis sechsjährigen Kinder. Auch bei dieser Personalrelation, also dem Erzieher-KindSchlüssel, liegen wir bundesweit auf dem dritten Platz. Wenn das der Ländermonitor der Bertelsmann Stiftung als „genügend“ bezeichnet, dann finde ich das tendenziös, um es milde zu formulieren. Wir sind in beiden Bereichen weit vorne. Quantität und Qualität gehen bei uns in Nordrhein-Westfalen Hand in Hand.

Erfreulicherweise ist zu beobachten, dass auch die Quote der Überdreijährigen in unseren Kindertageseinrichtungen zunimmt. Vor einigen Jahren hatten wir um 70 % der Dreijährigen in den Einrichtungen. Heute verzeichnen wir, dass 85 % der Dreijährigen in unsere Kitas gehen. In allen Bereichen sind wir da auf einem guten Weg. Ich möchte noch ein

mal deutlich sagen, im Gegensatz zu Schwarz-Gelb hat diese rot-grüne Landesregierung und die sie tragenden Fraktionen enorm viel investiert. Sie haben keinen frischen Cent an Landesmitteln zum investiven Ausbau der Tageseinrichtungen in Nordrhein-Westfalen vorgesehen. Wir haben 440 Millionen € investiert.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Auch das ist heute lobend erwähnt worden.

Worum geht es denn jetzt bei den Fiskalpaktmitteln? Liebe Frau Doppmeier, zu den Fiskalpaktmitteln möchte ich Ihnen noch einmal eines vor Augen führen: Alle Bundesländer haben den Bund gebeten, die Fristen für die Verausgabung dieser Fiskalpaktmittel zu verlängern. Wir haben uns über diese Mittel natürlich sehr gefreut. Sie konnten aber erst nach Intervention des Bundesrates beim Familienministerium erkämpft werden. Wir freuen uns darüber. Nun müssen und wollen wir sie aber ausgeben. Auch hier liegt Nordrhein-Westfalen sehr gut, was die Bewilligung dieser Mittel angeht. Nun gibt es aber Städte, denen nicht sofort die Grundstücke zur Verfügung stehen. Im großstädtischen Raum ist es manchmal schwierig, so etwas mit der entsprechenden Dynamik umzusetzen. Die Bundesregierung gibt uns eine Frist von 21, 22 Monaten zwischen Bewilligung und Umsetzung bzw. Verausgabung dieser Gelder. Uns sagen die Jugendämter aus einigen großen Städten dazu, das ist zu knapp bemessen, das schaffen wir nicht.

Das geht nicht nur Nordrhein-Westfalen so; sondern das geht allen anderen Bundesländern auch so. Darum haben wir uns auf der Jugend- und Familienministerkonferenz verständigt und Frau Schröder um eine Verlängerung der Fristen gebeten. Ich fände, es wäre ein gutes Signal, wenn der Landtag dies unterstützen würde. Nichts anderes ist in diesem Antrag gefordert. Ich bitte darum, dass alle Fraktionen dieses Anliegen aller 16 Bundesländer mit unterstützen und das entsprechende Signal nach Berlin senden. Ich denke, das ist mehr als recht und billig, um allen, die sich vor Ort für den Ausbau einsetzen, die richtige Unterstützung und Rückenwind zu geben.

Einen weiteren Punkt haben wir als Bundesländer unisono in unserem Antrag auf der Jugendministerkonferenz gefordert. Wir haben gefordert, der Bund möge sich bitte auch zukünftig angemessen an den Betriebskosten beteiligen. Sie haben gesagt, der Bund habe 875 Millionen € eingestanden. Richtig. Er hat sie aber festgeschrieben. Wir brauchen aber einen weiteren Ausbau; denn die Entwicklung in Nordrhein-Westfalen ist dynamisch wie auch in allen anderen Bundesländern. Das sehen auch alle anderen Bundesländer so.

Abschließend sage ich: Wer ist denn Profiteur dieses großartigen Ausbaus, den wir gemeinsam in Deutschland geschultert haben? – Das sind die So

zialversicherungen, weil mehr Menschen, Frauen und Männer, in Arbeit kommen, und das ist der Bund, weil er mehr Steuereinnahmen hat.

(Christian Lindner [FDP]: Auch Sie profitieren von Steuermehreinnahmen! – Weitere Zurufe von der CDU und der FDP)

Warum regen Sie sich denn so auf?

(Christian Lindner [FDP]: Ich will Sie nur da- rauf aufmerksam machen, dass auch Sie von Steuermehreinnahmen profitieren!)

Warum regen Sie sich so auf? Ich wollte das noch zu Ende ausführen. – Das ist nicht meine Überlegung, das haben Bildungsökonomen ausgerechnet. Das habe ich mir doch nicht ausgedacht. Alle Bildungsökonomen sagen Ihnen, dass man da, wo die größte Rendite ist, auch den größten Input bringen muss. Und der größte Profiteur von den Einnahmen in dieser Angelegenheit ist nun einmal der Bund. Die größten Ausgabenlasten haben die Kommunen und das Land. Hier ist eine Schieflage. Auch das hat sich die liebe Frau Schäfer in NordrheinWestfalen nicht alleine ausgedacht, sondern sie ist hier einer Meinung mit allen anderen 15 Bundesländern.

(Beifall von der SPD)

Diese Forderung haben wir an den Bund gerichtet. Ich würde mich freuen, wenn dieser Landtag im Interesse der Kinder, im Interesse der Familien, im Interesse eines guten Ausbaus diese Akzentuierungen und diesen Antrag der Jugend- und Familienministerkonferenz mit unterstützt. – Herzlichen Dank.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Vielen Dank, Frau Ministerin Schäfer. – Ich teile mit, dass Frau Ministerin Schäfer die Redezeit um 76 Sekunden überzogen hat. Möchte noch jemand das Wort ergreifen? – Das ist offenbar nicht der Fall.

Wir kommen zur Abstimmung. Der Ältestenrat empfiehlt die Überweisung des Antrags Drucksache 16/3425 an den Ausschuss für Familie, Kinder und Jugend. Die abschließende Beratung und Abstimmung soll dort in öffentlicher Sitzung erfolgen. Wer möchte der Überweisungsempfehlung so Folge leisten? – Die Piratenfraktion, SPD, Bündnis 90/Die Grünen, CDU und FDP. Gibt es Enthaltungen oder Ablehnung? – Das ist nicht der Fall. Damit ist der Antrag entsprechend überwiesen.

Wir kommen zu:

7 Realistische Erfassung von Sicherheitspro

blemen – Reform der Datenerfassung

und -auswertung der Zentralen Informationsstelle Sporteinsätze (ZIS)

Antrag der Fraktion der PIRATEN Drucksache 16/3438

Ich eröffne die Beratung. Für die antragstellende Fraktion hat der Kollege Herrmann das Wort.

Sehr geehrter Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Verehrte Bürgerinnen und Bürger im Saal und im Stream! Lassen Sie mich mit einem Zitat beginnen:

Verurteilungen sind nur ein Beleg dafür, wie gut die Beweisführung der Täterschaft gelungen ist.

Diese Aussage unseres Innenministers über die Nutzung der ZIS-Daten zeugt von einem sehr gewagten Rechtsverständnis. Herr Minister Jäger, es soll auch Fälle geben, in denen sich der angebliche Tatverdacht in Luft auflöst oder aber das Gericht die tatsächliche und rechtliche Lage ganz anders einschätzt.

Lassen Sie mich auch an Ihre Lateinstunde von gestern anknüpfen: „In dubio pro reo“, also „Im Zweifel für den Angeklagten“, muss auch im Kontext der Sicherheitslage rund um Fußballspiele endlich wieder Geltung verschafft werden.

Derzeit finden massive Grundrechtsverletzungen rund um Fußballspiele statt. Da stehen An- und Abfahrtswege und ganze Blöcke im Stadion unter Videodauerbeobachtung. Da wird Software zur Verhaltenserkennung von Fußballfans getestet. Da werden Sonderzüge oder Busse zur Feststellung der Personalien aller Reisenden stundenlang festgehalten.

Begründet wird diese hundert- und tausendfache Verletzung der Bürgerrechte immer wieder mit den ZIS-Jahresberichten. Diese Jahresberichte tragen die Innenminister der Länder wie eine Monstranz vor sich her. Sie verschanzen sich hinter dieser Statistik, die belegen soll, dass es Jahr für Jahr mehr Ausschreitungen und Gewalttaten im Umfeld von Fußballspielen gäbe. Unser Eindruck nach Spielbesuchen und nach vielen Treffen und Gesprächen mit Fans ist ein anderer.

Am 7. März dieses Jahres fand anlässlich der Debatte über Gewalt im Fußball eine öffentliche Anhörung im Landtag statt. Die Experten kritisierten die skandalisierende Rolle der Politik deutlich und forderten eine Versachlichung der Debatte. Man kann verstehen, dass der Fußball auch für Innenpolitiker wichtig ist. Er ist für alle Politiker eine ausgezeichnete Bühne. Deshalb werden ja Sportereignisse wie selbstverständlich von Spitzenpolitikern besucht. Aber in den letzten Jahren haben Innenpolitiker mit ihrer aufgeheizten Rhetorik dem Sport doch sehr geschadet. Leider wurden sie medial mit Artikeln wie „Fußball: Polizei-Statistik zeigt enorme Zunah

me von Fan-Gewalt“ oder „ZIS-Zahlen: Mehr Gewalt, Verletzte und Polizei“ proaktiv begleitet.

Die Fans haben reagiert und gegen diese Kriminalisierung und die pauschale Vorverurteilung durch die Politik und gegen immer härtere Überwachungs- und Verfolgungsmaßnahmen protestiert. Innerhalb weniger Tage haben mehr als 70.000 Fans die „Ich fühl‘ mich sicher“-Kampagne unterstützt. Die von den Ultras angestoßene Kampagne „12:12 – Ohne Stimme, keine Stimmung“ hat für viel Aufmerksamkeit gesorgt. Zwölf Minuten lang herrschte Stille in den Stadien, eine gespenstische Demonstration war das.

Doch neben den Protesten ist auch das Misstrauen gegenüber der Politik noch mehr gewachsen. Die Fans verschließen sich und werden damit noch schwieriger erreichbar. Das ist nicht gut, aber verständlich und wird den Fanprojekten noch viel Arbeit machen.

Wir haben seit September letzten Jahres versucht, diese neue Mauer des Misstrauens zu durchbrechen und treffen uns seitdem regelmäßig mit den Fans und hören dabei immer wieder, wie stark die Gewalt in den letzten Jahren zurückgegangen ist.

Ehe jetzt Herr Hegemann, den ich gerade nicht sehe, oder Herr Lohn aufschreit, sage ich: Natürlich gibt es auch Gewalt bei Stadionbesuchen, so wie es Gewalt überall in der Gesellschaft gibt.

(Minister Ralf Jäger: Ich dachte schon, es wä- re alles friedlich!)

Die muss auch verfolgt werden. Wir brauchen verlässliche und wissenschaftliche Erkenntnisse über das Ausmaß, die Struktur und Entwicklung der Sachlage. Nur wenn wir diese haben, können geeignete präventive und sonstige Maßnahmen eingeleitet werden. Nur bei richtiger Einschätzung der Gewaltsituation kann auch der polizeiliche Aufwand an Personal und Material richtig eingeschätzt und möglicherweise auch reduziert werden.

Die ZIS-Statistik liefert all diese Daten nicht. Stattdessen werden unschuldige, also nicht durch ein Gericht verurteilte Fans erfasst und erhalten bundesweite Stadionverbote. Unschuldige Fans dürfen aber nicht in die ZIS-Statistik und dürfen nicht als Sicherheitsproblem dort auftauchen, und schon gar nicht dürfen sie in der Datei „Gewalttäter Sport“ beim BKA erfasst werden. „In dubio pro reo“ muss auch für die Erfassung und Verwertung der persönlichen Daten der Fans gelten.

Mit unserem Antrag zur Reform der ZIS-Statistiken wollen wir an Ihrer aller Vernunft appellieren, an die Vernunft, dass eine Statistik, auf deren Grundlage viele, teils grundrechtsrelevante Entscheidungen getroffen werden, auch ein wissenschaftliches Fundament braucht. Wir fordern eine unpolitische Statistik für die Sicherheitsanalyse rund um Fußball

spiele. Ich freue mich auf die Beratung im Ausschuss. – Vielen Dank.

(Beifall von den PIRATEN)

Vielen Dank, Herr Kollege Herrmann. – Für die SPD-Fraktion ist der Redner Herr Kollege Kossiski.