Meine sehr verehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich begrüße Sie alle ganz herzlich zu unserer heutigen, 38. Sitzung des Landtags NordrheinWestfalen. Mein Gruß gilt unseren Gästen auf der Zuschauertribüne sowie den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der Medien.
Für die heutige Sitzung haben sich sechs Abgeordnete entschuldigt; ihre Namen werden wir wie immer in das Protokoll aufnehmen.
Auch heute habe ich die große Freude, einer Kollegin zu ihrem Geburtstag zu gratulieren. Frau Kollegin Angela Freimuth von der Fraktion der FDP feiert ihren Geburtstag gemeinsam mit uns. Herzlichen Glückwunsch! Alles Gute!
Heute können wir sicher sein, dass Ihre Familie noch Gelegenheit hat, mit Ihnen zu feiern. Davon gehe ich aus, denn die Tagesordnung weist ja nun nicht so viele Punkte auf, die zu einer Verlängerung führen könnten.
Meine sehr verehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Vor Eintritt in die Tagesordnung möchte ich aus gegebenem Anlass etwas eher Ungewöhnliches tun. Ich möchte einem Mitarbeiter der Landtagsverwaltung danken, der heute seinen letzten Plenararbeitstag hat und der in wenigen Tagen endgültig das Haus, den Landtag von Nordrhein-Westfalen, unsere Mitte verlässt und in seinen wohlverdienten Ruhestand geht.
Dass ich das hier im Plenum tue, hat einen guten und besonderen Grund: Es handelt sich nämlich um Otto Schrader, den langjährigen Leiter des Stenografischen Dienstes, der bis zum heutigen Tag die Verantwortung für die Protokollierung des gesprochenen Wortes in den Plenar- und Ausschusssitzungen getragen hat und jetzt zum letzten Mal am Stenografentisch hier bei uns im Plenarsaal – in seinem Plenarsaal – des Landtags von NordrheinWestfalen sitzt.
Verehrter, lieber Herr Schrader, im Oktober 1981 – das war die 9. Wahlperiode, und der Landtag war noch im Ständehaus zu Hause – begannen Sie Ihren Dienst als Stenograf bei der Landtagsverwaltung. 20 Jahre lang, von 1981 bis 2001, waren Sie für die Protokollierung des Ausschusses für Arbeit, Gesundheit und Soziales zuständig. Daneben haben Sie auch den Ausschuss für Kinder, Jugend und Familie sowie den Kulturausschuss und ab 1991 den Hauptausschuss betreut.
Den Ältestenrat haben Sie seit Januar 2001 in immerhin 184 Sitzungen protokolliert. Dazu kamen insgesamt 931 Plenarsitzungen, davon 374 Plenarsitzungen als Leiter des Stenografischen Dienstes.
Verehrter, lieber Herr Schrader, Sie haben durch Ihre fachliche Kompetenz, durch Ihr großartiges Engagement und nicht zuletzt durch Ihre freundlichliebenswerte Art einen Dienst geleistet und geleitet, den wir als Abgeordnete nicht missen möchten, aber ab sofort missen müssen.
Heute gilt es, Abschied zu nehmen. Aber es gilt vor allen Dingen, Dank zu sagen – Danke für alles, was Sie für uns getan haben. Wir wünschen Ihnen von Herzen einen neuen, auch spannenden, aber in keiner Weise mehr belastenden und in jeder Hinsicht selbstbestimmten Lebensabschnitt. Wir lassen Sie jetzt gehen, aber wir tun das ungerne. Sie werden uns fehlen.
Lieber Herr Schrader, alles erdenklich Gute für Sie und Gottes Segen und vielen, vielen Dank an Sie, an Otto Schrader.
(Langanhaltender Beifall im ganzen Hause – Die Abgeordneten erheben sich von den Plätzen. – Otto Schrader nimmt Glückwün- sche von Vertretern der Landesregierung und der Fraktionsspitzen entgegen.)
Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich hatte das Mikrofon eben noch offen; deshalb haben Sie noch den Anfang meines Satzes gehört. Ich habe vor mich hingesagt: Das war aber schön. – Damit meinte ich Ihre Reaktion auf Herrn Schrader. Das ist ein sehr würdiger, ein sehr passender Abschluss eines langen Arbeitslebens, für das, was Sie für uns geleistet haben. Nochmals herzlichen Dank.
Ich eröffne die Beratung und erteile für die antragstellende Fraktion Herrn Kollegen Herrmann das Wort.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Verehrte Bürgerinnen und Bürger im Saal und im Stream! Profite und Macht – davon etwas abzubekommen, daran festzuhalten oder die Gier nach immer mehr davon, das sind meist die Triebfedern, um sich über Gesetze hinwegzusetzen und grund
Egal ob es um Gammelfleisch geht, um Ausschreibungsbetrug, um menschenverachtende Zustände in Altersheimen oder – wohl als bedeutendstes Beispiel – um einen Überwachungsskandal, der seinesgleichen sucht und wahrscheinlich nie finden wird – solche Skandale haben eins gemeinsam: Ohne einen Whistleblower, einen Hinweisgeber, werden sie meist erst entdeckt, wenn der Schaden schon maximal ist.
Whistleblower zeigen Zivilcourage, indem sie auf Missstände aufmerksam machen, ohne einen eigenen Nutzen zu verfolgen. Es sind Menschen, die ihren und den gemeinsamen Werten unserer Gesellschaft entgegenstehende Ungerechtigkeiten
feststellen und diese abstellen wollen. Sie sind keinen Denunzianten. Es geht nicht ums Anschwärzen, sondern um die Nutzung ihres Wissens zum Wohle unserer Gesellschaft.
Der heutige gesetzliche Schutz für Hinweisgeber ist allerdings unklar. Er ist fragmentiert, über viele Gesetze verteilt und lange nicht ausreichend. Es wird im Einzelfall entschieden, und damit kommt oft die auf Richterrecht beruhende Abwägung der arbeitsvertraglichen Treuepflicht und der Meinungsfreiheit zum Tragen. Das bedeutet für potenzielle Hinweisgeber große Rechtsunsicherheit. Wie kann es sein, dass jemand, der den Mut aufbringt, gegen Konventionen zu verstoßen, um sich für das Allgemeinwohl einzusetzen, mit so drastischen Folgen wie dem Totalverlust des Arbeitsplatzes zu rechnen hat oder er sogar nirgends auf der Welt mehr sicher ist? Fast zwei Drittel aller Mobbingopfer geben bei einer Umfrage an, durch am Arbeitsplatz geäußerte Kritik zum Mobbingopfer geworden zu sein.
Wir verlangen von den Bürgern Zivilcourage, und das zu Recht. Wir wollen keine Gesellschaft, in der weggesehen wird, wenn Unrecht geschieht, und in der verschwiegen wird, wo Missstand herrscht. Duckmäusertum und Obrigkeitshörigkeit gab es in der deutschen Geschichte leider schon viel zu viel. Wenn wir aber eine Gesellschaft wollen, die Missstände an den Tag bringt und kritisch hinterfragt, dann können wir diejenigen, die den Mund aufmachen, hinterher nicht im Regen stehen lassen. Der Schutz von Hinweisgebern wurde auf allen politischen Ebenen bisher sträflich vernachlässigt. Oft wurden nach irgendwelchen Skandalen nur Aktionen auf den Weg gebracht, die dann einfach im Sande verlaufen sind.
Gleich werden wir vermutlich von Herrn Minister Jäger hören, dass in NRW schon lange Maßnahmen getroffen worden sind und für Hinweisgeber zum Beispiel eine Telefonhotline eingerichtet wurde. Auf der Webseite des Ministeriums für Inneres und
Kommunales war aber seit mindestens einem Jahr eine falsche Telefonnummer angegeben. Als wir das in der letzten Woche im Ministerium anmerkten, bedankte man sich – und tatsächlich: Die Nummer ist jetzt korrigiert. Was ist das letzte Jahr über geschehen?
Bei der Gelegenheit wurde auch der Hinweis auf eine Internetplattform als Kontaktangebot entfernt, der dort ebenfalls ein Jahr lang stand. Vermutlich hat sie aber bisher nie existiert. Solch ein Hinweisgebersystem, vor allem ein anonymes, ist aber wichtig, genau wie eine unabhängige Stelle, ein Ombudsmann, der als Externer Hinweise aufnehmen kann.
Wir haben in unserem Antrag noch weitere Punkte aufgeführt, die wir in Nordrhein-Westfalen umsetzen können, und würden uns über konstruktive Gespräche dazu im Ausschuss freuen.
Lassen Sie uns in Nordrhein-Westfalen ein Zeichen setzen und einen Kulturwandel einläuten. Wir brauchen ein gesellschaftliches Klima, in dem potentielle Whistleblower keine Angst vor Sanktionen oder Stigmatisierung haben müssen. WhistleblowerSchutz heißt, Missbrauch und Missstände im Sinne des Allgemeinguts einzugrenzen.
Zum Schluss möchte ich noch ein Wort zum momentan wohl wichtigsten Whistleblower, zu Edward Snowden, sagen. Ich finde es unerträglich, dass wir in Deutschland nicht den politischen Mut und den Willen aufbringen, wenigstens eine Aufenthaltserlaubnis für einen Menschen auszustellen, der quasi sein ganzes bisheriges Leben dafür geopfert hat, um die Welt auf einen gigantischen Angriff gegen unsere grundlegenden Bürger- und Freiheitsrechte aufmerksam zu machen.
Die Gesetze dafür haben wir. Hier nichts zu unternehmen, das ist Feigheit vor dem Freund, und ich schäme mich dafür.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Verehrte Zuhörer auf den Tribünen! Der US-Amerikaner Edward Snowden hat in den vergangenen Tagen das Thema „Whistleblowing“ – zu Deutsch: Hinweisgeber – in den Fokus der Öffentlichkeit gerückt. Er ist damit in ganz kurzer Zeit der berühmteste Whistleblower der Welt geworden. Die Aufdeckung des Abhörskandals wird in der erzürnten Öffentlichkeit mit allergrößter Aufmerksamkeit verfolgt.
Aber über diesen Skandal hinaus gibt es auch bei uns in Deutschland in der jüngsten Vergangenheit zahlreiche Fälle in vielen anderen Bereichen des öffentlichen Lebens, zum Beispiel bei Behörden, beim Gammelfleisch, beim BSE-Skandal oder beim Verbraucherschutz, bei denen Whistleblowing bzw. das Hinweisgeben eine zunehmend wichtigere Bedeutung gewonnen hat.
In Deutschland geschieht das Hinweisgeben bisher jedoch weitgehend im rechtsfreien Raum. Die Öffentlichkeit fordert deshalb zunehmend ein Gesetz, in dem Hinweisgeber Schutz vor Benachteiligung erhalten, in dem Arbeitnehmer und Arbeitgeber Verhaltenssicherheit im zunehmenden Umfang von Whistleblowing bekommen.
Dem Beobachter stellen sich im genannten Fall Snowden zahlreiche grundsätzliche Fragen, die in einem Bundesgesetz beantwortet werden müssen. Hat jemand, der für sich erkennt, dass im Namen einer Behörde oder einer Institution Unrecht geschieht, die moralische Verpflichtung, sich der Öffentlichkeit anzuvertrauen? Oder wiegt die Pflicht zur internen Verschwiegenheit schwerer? Inwieweit kann eine Veröffentlichung von internen, geheimen und nicht für die Öffentlichkeit bestimmten Informationen rechtmäßig sein? Dürfen hier persönliche Maßstäbe angelegt werden?
Für mich ist offenkundig, dass beim Hinweisgeben insgesamt häufig ein sehr schmaler Grat beschritten wird. Wo fängt Zivilcourage an? Wie lässt sich Zivilcourage von Denunziantentum abgrenzen? In Kenntnis dieser Fragestellungen hat sich die Bundesrepublik Deutschland, jedenfalls auf der Ebene der G20-Staaten, schon im Jahr 2010 verpflichtet, im öffentlichen und privaten Sektor einen gesetzlichen Schutz für Whistleblower einzuführen. Das sollte bis Ende 2012 geschehen sein. Bis jetzt ist jedoch noch nichts passiert. Die Bundesregierung ist untätig geblieben.
Deshalb hat die SPD-Bundestagsfraktion mit der Drucksache 17/8567 einen eigenen Gesetzentwurf zum Schutz von Hinweisgebern, Whistleblowern, im Bundestag eingebracht, der jedoch von CDU und FDP abgelehnt worden ist. Die SPD-Landtagsfraktion nimmt die heutige Debatte deshalb zum Anlass, die Bundesregierung aufzufordern, hier endlich im Sinne der im Jahr 2010 eingegangenen internationalen Verpflichtungen tätig zu werden.