Protokoll der Sitzung vom 15.05.2014

Meine Damen und Herren, Ihr Sicherheitsesoteriker: Die Vorratsdatenspeicherung ist tot. Der Europäische Gerichtshof hat zu Recht der Vorratsdatenspeicherung den Todesstoß versetzt. Jetzt müssen wir ihr einen schnellen und überdeutlichen politischen Abgang bereiten. Wir brauchen eine klare Absage an dieses rechtswidrige Instrument und eine deutliche Zusage für die Grundrechte unserer Bürger.

Deshalb unterstützen wir hier das Anliegen der FDP und stimmen ihrem Antrag zu.

Eine wichtige Sache fehlt uns allerdings in dem Antrag. Deswegen haben wir einen Entschließungsantrag eingebracht. Wir müssen uns daran erinnern, dass die Richtlinie zur Vorratsdatenspeicherung in Brüssel forciert wurde. Obwohl sich der Bundestag in seiner 15. Legislaturperiode 2004 gegen die Vorratsdatenspeicherung ausgesprochen hat, wurde auf europäischer Ebene auf eine Vorratsdatenspeicherung hingearbeitet.

Hier wollen wir aber nicht die Schuld auf „die EU“ abwälzen. Die Europäische Kommission hat das nämlich nicht verursacht. Nein, es sind deutsche Regierungsmitglieder gewesen, das heißt konkret, die Innen- und Justizminister und die Europaabgeordneten der großen Fraktionen SPD und CDU, die auf EU-Ebene für eine rechtswidrige Vorratsdatenspeicherung gekämpft haben und dies vielleicht wieder machen wollen.

Ein Gesetz, das 2004 in Deutschland von seinem Parlament, dem Deutschen Bundestag, abgelehnt wurde, wurde in Brüssel und Straßburg ohne Unterlass und mit einer unfassbaren Dreistigkeit weiter verfolgt. Das ist hinterhältige Politik. Das ist demokratiefeindlich.

(Beifall von den PIRATEN)

Wir fordern Sie auf, SPD und CDU: Hören Sie auf mit solchen Intrigen und halten Sie sich an europäisches Grundrecht und letztlich an den Willen der Bürgerinnen und Bürger!

An dieser Stelle möchte ich auch einen großen Dank an die Menschen richten, die jahrelang für die Abschaffung der Vorratsdatenspeicherung gekämpft haben, diejenigen, die andauernd die Verletzung unser aller Grundrechte betont und die Ineffektivität der Maßnahmen verurteilt haben. Vielen Dank an diejenigen, die sich von den Überwachungsfanatikern haben beleidigen lassen und trotzdem nicht zurückgeschreckt sind. Es ist skandalös. Sie wurden als Feinde der Kriminalitätsbekämpfung beschimpft. Ihnen wurde nachgesagt, sie würden Taten wie Kinderpornografie oder Terrorismus nicht aufklären wollen, gar gutheißen wollen.

Eine Entschuldigung an diese engagierten Menschen gab es nach dem EuGH-Urteil bisher nicht. Schade.

(Beifall von den PIRATEN)

Vielen Dank auch an Frau Leutheusser

Schnarrenberger von der FDP. Denn es war in der schwarz-gelben Bundesregierung nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts sicherlich ihr Verdienst, dass eine Vorratsdatenspeicherung erst einmal nicht wieder zu machen war.

Die Redezeit.

Ich komme zum Schluss. – Die Grünen haben sich ja leider durch ihre Abstimmungen für die Vorratsdatenspeicherung hier in diesem Parlament unehrlich gemacht. Schade, wenn die eigene Integrität durch Ihren Fraktionszwang in der Regierung verloren geht.

Deshalb werden sich die Richtigen hier in der Runde auch angesprochen fühlen, wenn ich mit den Worten ende: Wer hat uns bei der Vorratsdatenspeicherung verraten? – Es waren nicht die Piraten. – Danke schön.

(Beifall von den PIRATEN)

Danke, Herr Kollege Herrmann. – Für die Landesregierung spricht Herr Minister Jäger.

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wieder einmal bleibt die Diskussion an der Oberfläche. Wieder einmal werden nur Rituale untereinander ausgetauscht. Wieder einmal ist die Chance vertan, durch ein Anhörungsverfahren nicht nur an der Oberfläche zu kratzen, sondern sich diesem Thema wirklich sachlich zu widmen. Wieder einmal werden Argumente miteinander ausgetauscht, von denen die jeweilige Seite weiß, sie treffen gar nicht zu, beispielsweise bezogen auf die Interpretation des Urteils des Europäischen Gerichtshofs.

Da hat man das Gefühl: Da ist der einen oder anderen Fraktion die Druckerpatrone ausgegangen. Die haben es nicht ganz ausgedruckt und haben deshalb insbesondere die Teile der Begründung nicht zur Verfügung gehabt, in denen die Bauanleitung steht, wie eine verfassungs- und europafeste Richtlinie entwickelt werden kann.

Ich sage es noch einmal ganz deutlich: Ich glaube, dass diese Diskussion – anders als in 26 anderen Mitgliedsstaaten Europas – in Deutschland ideologisiert und völlig überhöht ist. Diese Mindestspeicherdauer oder Vorratsdatenspeicherung – wie immer man sie nennen will – ist nicht das polizeiliche All

heilmittel. Aber sie ist auch nicht der Beginn des gläsernen Menschen in unserer Gesellschaft.

Was mich ein bisschen stört, ist das offensichtliche Bemühen des Vortragens von Unkenntnis, um sich dadurch bestimmten Argumenten verweigern zu können.

Herr Dr. Orth, die Begrifflichkeit „anlasslos“ ist ein Beispiel. Tatsächlich ist es so, dass das Produzieren dieser Verbindungsdaten bei denen, die Telekommunikation anbieten, unausweichlich ist. Sie entstehen technisch. Sie sind digital da. Die Provider brauchen sie für die Qualitätssicherung, für Abrechnung und all die Dinge, die ein Provider schlichtweg wissen muss: Wer hat mit wem telefoniert? – Diese Daten sind da.

Jetzt unterhalten wir uns doch einfach mal ganz unideologisch über den gegenwärtigen Rechtszustand. Herr Dr. Orth, er kann nicht in Ihrem und auch nicht in meinem Interesse sein. Zurzeit entscheidet ausschließlich der Provider darüber, ob diese technisch produzierten Daten sieben Tage, sieben Wochen, sieben Monate oder sieben Jahre gespeichert werden. Ebenso ausschließlich entscheidet der Provider darüber, was er mit diesen Daten macht, ob er sie gewerblich verkauft oder ob er sie möglicherweise Ermittlungsbehörden zur Verfügung stellt, und dies möglicherweise sogar ohne richterlichen Vorbehalt.

So unterschiedlich unsere Positionen sind, ist das doch eine rechtliche Situation, die den Worst Case darstellt. Dieser Teil der Privatsphäre und von privaten Daten existiert völlig ungeregelt. Wir brauchen da eine Regelung.

Ich frage Sie: Wollen wir in diesem Land wirklich alles oder nichts spielen? Alles zu speichern ist aus meiner Sicht genauso falsch wie es eine falsche Position ist, nichts zu speichern beziehungsweise auf nichts zurückzugreifen. Ich nenne gerne ein Beispiel. Unser Landeskriminalamt Nordrhein

Westfalen ist technisch sehr aufwändig an einen Ring herangekommen. Ich sollte das jetzt nicht detaillierter beschreiben.

(Heiterkeit bei einem Abgeordneten)

Lachen Sie doch nicht. Ich finde das Thema wirklich zu ernst, als dass man darüber lachen kann.

Aufgrund eines Hinweises und der akribischen Abarbeitung durch das LKA NRW wurde das Anbieten kinderpornografischen Materials eines Jungen entdeckt, der ganz offensichtlich nahezu wie ein Sklave über mehrere Jahre im Keller gehalten und immer wieder Männern neu zum Missbrauch angeboten wurde. Dieser Täter konnte aufgrund der IPAdresse und retrogradem Nachvollziehen entdeckt werden. Er lebt in Atlanta. Wäre es eine deutsche IP-Adresse gewesen, wäre er nicht zu entdecken gewesen.

Nähern wir uns diesem Thema noch einmal völlig unideologisch. Nehmen wir an, es ginge nur um diesen einen Fall. Dann kann es keine zwei Meinungen geben bei der Abwägung unterschiedlicher Grundrechte, nämlich des Grundrechts auf Datenschutz und informationelle Freiheit auf der einen Seite und das Grundrechts auf Freiheit und körperliche Unversehrtheit auf der anderen Seite.

(Beifall eines Abgeordneten von der CDU)

Ich glaube, in diesem Saal vertritt auch niemand eine andere Meinung.

Bei den Skeptikern gegenüber einer Mindestspeicherdauer akzeptiere ich, dass sie fragen, wo es eigentlich aufhört, wenn wir hier beginnen. Deshalb müssen wir in Deutschland eine Debatte darüber führen, wo und wie wir die rote Linie ziehen. Ganz offen: An dem, was wir in der Großen Koalition vereinbart haben, war ich nicht unwesentlich beteiligt. Es ist eine vernünftige Vorgehensweise, zu sagen, nur bei erheblichen Straftaten darf gemäß § 100a StPO eine Ermittlungsbehörde nach richterlichem Vorbehalt auf solche Verbindungsdaten zurückgreifen und der Provider darf sie nicht vor Ablauf von drei Monaten löschen. Das ist im Moment alles ungeregelt. Ich glaube, diese Herangehensweise ist vernünftig, weil sie die Abwägung unterschiedlicher Grundrechte in einer vernünftigen Art und Weise löst.

Ich würde mich darüber freuen, wenn eine Fraktion in diesem Landtag mal einen Antrag stellen würde, der den Weg der Überweisung an den Fachausschuss findet, damit wir im Rahmen einer Anhörung die Argumente miteinander austauschen können. – Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Vielen Dank, Herr Minister. – Es liegt mir eine weitere Wortmeldung von Herrn Dr. Orth von der FDP-Fraktion vor.

Ich weise aber darauf hin, dass der Minister seine Redezeit um etwas mehr als eine Minute überzogen hat. Unbeschadet der Tatsache, dass auch einige Fraktionsredner ihre Redezeit überzogen haben, bekommt jede Fraktion noch einmal diese zusätzliche Minute. – Herr Dr. Orth hat jetzt für die FDPFraktion das Wort.

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich möchte ganz kurz auf die eine oder andere Wortmeldung eingehen.

Herr Körfges und Herr Jäger, ich möchte bei Ihnen anfangen. Sie haben beide von diesem Urteil gesprochen und betont, das Gericht habe die Vorratsdatenspeicherung nicht per se verboten. Dem setze ich ganz klar entgegen: Nicht alles, was erlaubt ist, muss man auch tun, meine Damen und Herren.

(Beifall von der FDP und den PIRATEN)

Es ist doch die Frage, ob wir auf zur Verfügung stehende Mittel verzichten, wenn deren Einsatz aus anderen Gründen nicht geboten ist. Wir sagen ganz klar, die Abwägung geht zugunsten des Datenschutzes und der unbetroffenen Bürgerinnen und Bürger aus.

Herr Minister, man kann sich nicht hierher stellen und fragen, ob es richtig ist, dass ein Serviceprovider Daten hat und die Polizei nicht. Dann kann man sich doch andererseits hierher stellen und sagen, man muss den Serviceprovidern verbieten, die Daten allzu lange zu speichern. Das wäre der nächste Schritt. Aber das ist doch ein ganz anderes Thema. Damit können Sie nicht begründen, dass Sie an die Daten wollen.

Ich möchte ferner auf den Kollegen Bolte eingehen, der in seiner unnachahmlichen Art und Weise wieder einmal einerseits so getan hat, als ob er die Bürgerrechte verteidigen würde. Andererseits schüttet er sie immer wieder aus. Lieber Herr Kollege Bolte, ich könnte Ihnen jetzt auch mehrere Beispiele dafür bringen, an welchen Stellen die Grünen die Bürgerrechte durch ihre Mitentscheidung bei Gesetzgebungsverfahren mit Füßen getreten haben.

Dies beginnt bei dem Flugzeugabschussgesetz, das schlicht verfassungswidrig war.

(Beifall von der FDP und den PIRATEN – Zu- ruf von Matthi Bolte [GRÜNE])

Oder ich kann Ihnen auch sagen, dass Ihre Partei beim Lauschangriff die Hand gehoben hat.

Ich kann Ihnen sagen, dass die Schily-Pakete alle im Bundestag verabschiedet wurden, als Rot-Grün regiert hat.

Wollen Sie mir allen Ernstes erklären, dass Sie die besseren Bürgerrechtler sind? Da lacht man doch draußen, meine Damen und Herren.

(Beifall von der FDP und den PIRATEN – Zu- ruf von Matthi Bolte [GRÜNE] – Erhebliche Unruhe)

Nennen Sie mir jedoch nur eine Grüne oder einen Grünen von der Qualität eines Herrn Hirsch, eines Herrn Baum oder einer Frau Leutheusser