Protokoll der Sitzung vom 28.01.2015

(Beifall von allen Fraktionen und der Regie- rungsbank)

Vielen Dank, Herr Kollege Lindner. – Als letzter Redner aus dem Kreis der Fraktionen hat Herr Kollege Dr. Paul das Wort.

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen! Liebe Zuschauer! Aus innerer Überzeugung und aus kritischem Bewusstsein heraus sind wir Piraten gern Teil dieser gemeinsamen Resolution des Landtages von Nordrhein-Westfalen. Unseren französischen Freunden möchte ich ganz ausdrücklich und von Herzen sagen, dass wir uns mit euch und der ebenfalls um Weltoffenheit ringenden französischen Gesellschaft solidarisch erklären.

(Beifall von allen Fraktionen und der Regie- rungsbank)

Ihr gelten unsere Anteilnahme, unsere Unterstützung und unser höchster Respekt. Wir trauern mit euch.

Das Signal – Herr Römer hat es schon gesagt –, das von den in Paris und anderswo demonstrierenden Menschen ausging, steht eindeutig in der Tradition der Erklärung der Menschenrechte vom 26. August 1789. In einer solchen Stunde – das klang in anderen Reden auch schon an –, in der wir uns über unsere Werte und unsere europäische Solidarität verständigen und uns ihrer versichern, ist es geboten, einmal klarzustellen, über was für ein Europa wir reden.

Europa ist ein Kontinent, der gerade heute – das galt aber auch schon in den Jahrhunderten interner Kriege, blutiger Konflikte und mit dem Schreckgespenst des Kolonialismus, das über andere gebracht wurde – mehr denn je angewiesen ist auf Menschen und Impulse von außen. So würden wir ohne den arabisch-islamischen Kulturkreis und seine Leistungen beispielsweise die alten griechischen Philosophen nicht mehr kennen, vielleicht immer noch mit römischen Zahlen und ohne Null rechnen. Die daraus allmählich erwachende Weltoffenheit, gepaart mit kritischer Toleranz und der Bereitschaft zum konstruktiven demokratisch moderierten Dialog

zwischen Menschen und Kulturen, zwischen Überzeugungen und Differenzen, ist ein, wenn nicht der zentrale, lebensnotwendige Wert Europas.

(Beifall von allen Fraktionen und der Regie- rungsbank)

Daran mahnen uns auch die dunkelsten Erfahrungen des 20. Jahrhunderts, derer wir erst gestern hier gedacht haben.

2003 veröffentlichten die Philosophen Jacques Derrida und Jürgen Habermas – fachlich gesehen eher Konkurrenten denn Freunde – einen gemeinsamen Aufruf, in dem sie sich für eine gemeinsame europäische Außenpolitik und gegen jedwede Spielart des Eurozentrismus aussprechen. Das war eine selten klare Absage an die Festung Europa – ein weiches Ziel.

Bemerkenswert daran ist: Derrida, der als der vielleicht wirkmächtigste französische Philosoph der letzten 50 Jahre gilt, ist geboren als sephardischer Jude in El Biar, einem Vorort von Algier. Als Kind antisemitischen Diskriminierungen ausgesetzt, spielen die Figur des Ankommenden und der Vorgang des Ankommens eine prägende Rolle in seinem Denken. Ihn nenne ich hier stellvertretend für viele andere in Europa angekommene Menschen, die auf ein dialogisches und dem friedvollen konstruktiven Streit verpflichtetes offenes Europa hoffen und gemeinsam mit uns dafür einstehen.

Das Ziel jedweder terroristischer Aktivität ist es, zu spalten und zu trennen, und mit jedem Opfer stirbt auch ein Stück Wahrheit. Geben wir dem keine Chance.

(Beifall von allen Fraktionen und der Regie- rungsbank)

Weltanschauliche Differenzen gehören ausgehalten, offen diskutiert und Grenzen nicht gebaut; denn das Allerletzte, was wir wollen, ist ein Kampf der Kulturen.

Eine wesentliche Aufgabe europäischer Politik muss es daher sein, über die Besinnung auf gemeinsame Werte hinaus jeder Form von Terrorismus offensiv entgegenzutreten, gegen den Terrorismus von religiös oder ideologisch motivierten Fanatikern, aber auch gegen den Terrorismus von Staaten.

Heute bleibt uns abschließend nur noch, einander zuzurufen: „Kulanu bney adam!“ – „Kulna bashar!“ – „Nous sommes – tous des hommes!“ – Vielen Dank.

(Beifall von allen Fraktionen und der Regie- rungsbank)

Vielen Dank, Herr Dr. Paul. – Für die Landesregierung spricht Innenminister Ralf Jäger.

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es war wichtig, nach den Anschlägen in Paris die Wut und die Trauer zu teilen, sich solidarisch zu zeigen. Es ist genauso wichtig, sich den Rassisten, die montags in NordrheinWestfalen demonstrieren, in den Weg zu stellen.

(Beifall von der SPD, den GRÜNEN und den PIRATEN – Vereinzelt Beifall von der CDU)

Bei uns leben Menschen unterschiedlichster Nationen, unterschiedlichster Herkunft und auch unterschiedlichster Religionen friedlich und tolerant zusammen. NRW ist ein weltoffenes Land mit einer traditionellen Willkommenskultur. Nordrhein-Westfalen ist ein Integrationsland.

Hier leben 4,3 Millionen Menschen, die selbst oder deren Eltern nach Deutschland eingewandert sind. Diese Zahl allein ist größer als die Gesamtbevölkerung von Mecklenburg-Vorpommern, SchleswigHolstein, des Saarlands und auch Sachsens. Aber es geht nicht nur um die bloße Zahl dieser Menschen, sondern es geht vor allem auch um die Qualität des Zusammenlebens. Auch da sind wir in Nordrhein-Westfalen auf einem guten Weg. Das ist mit die Folge eines seit Jahren erfolgreich praktizierten Grundkonsenses in diesem Parlament.

Dieser Grundkonsens hat Nordrhein-Westfalen als Integrationsland stark und erfolgreich gemacht.

(Beifall von allen Fraktionen und der Regie- rungsbank)

Angesichts der demografischen Entwicklung wird es auch in Zukunft eine weitere Zuwanderung in unser Land geben. Sie ist wünschenswert, und sie ist notwendig, gerade um das gesellschaftliche Leben hier in Nordrhein-Westfalen weiter erfolgreich zu entwickeln.

Dies ist auch der überwiegenden Mehrheit der Bürgerinnen und Bürger bewusst, die sich nicht Bewegungen anschließen, die das infrage stellen. Ganz im Gegenteil – es ist, wie ich finde, sehr erfreulich, dass in den letzten Wochen viele Menschen auf die Straße gehen, um nicht nur einfach gegen etwas, was rechts oder rechtsextrem ist, zu demonstrieren – nein –, sondern ausdrücklich für das gleichberechtigte und respektvolle Miteinander in unserer Gesellschaft. Diese Menschen wollen unsere Gesellschaft nicht nach Herkunft, religiöser Zugehörigkeit oder Muttersprache spalten lassen. Sie treten gemeinsam für Vielfalt in der jeweiligen Stadtgesellschaft in unserem Land Nordrhein-Westfalen ein. Ich finde, dafür gebührt ihnen Respekt und Dank.

(Beifall von allen Fraktionen und der Regie- rungsbank)

Meine Damen und Herren, wir sind verantwortlich für den Zusammenhalt unserer Gesellschaft, und so verstehen wir uns als Landesregierung und als Landesparlament auch in der Zusammenarbeit mit

den muslimischen Organisationen. Diese Partnerschaft trägt. Die Verlässlichkeit, die wir in der Zusammenarbeit der letzten Jahre gemeinsam entwickelt haben, ist die beste Voraussetzung für das erforderliche offene und faire Miteinander, so wie es die Ministerpräsidentin mit Vertretern des Koordinierungsrates der Muslime im September letzten Jahres als Reaktion auf gewaltsame Übergriffe auf Moscheegebäude praktiziert hat.

An dieser Weltoffenheit Nordrhein-Westfalens werden auch die feigen Anschläge in Paris nichts ändern. Das Ziel der Terroristen, Angst zu erzeugen und die Gesellschaft zu spalten – sie haben es in Frankreich nicht erreicht, das werden sie auch hier nicht erreichen. Die große Mehrheit der Musliminnen und Muslime in Deutschland und in der Welt ist friedlich und lehnt Terror im Namen des Islam ab. Keine Religion erlaubt es, im Namen Gottes zu töten. Die Menschen christlichen, muslimischen und jüdischen Glaubens in diesem Land eint ihre Ablehnung des religiösen Fanatismus.

Das Recht, sich ungehindert und ohne besondere Erlaubnis mit anderen zu versammeln, gilt seit jeher als Zeichen von Freiheit, Unabhängigkeit und Mündigkeit des selbstbewussten Bürgers. Wir wissen um den hohen Wert der Versammlungsfreiheit als Freiheit der kollektiven Meinungskundgabe, denn sie zählt zu den unentbehrlichen und grundlegenden Funktionselementen eines demokratischen Gemeinwesens. Die gerade auch in Versammlungen ausgeübte Meinungsfreiheit ist unmittelbarer Ausdruck der menschlichen Persönlichkeit und für eine freiheitliche, demokratische Staatsordnung konstituierend. Denn sie erst ermöglicht die ständige geistige Auseinandersetzung und den Kampf der Meinungen als Lebenselement dieser Staatsform.

Und, meine Damen und Herren, das gilt sogar für verachtenswerte Meinungen, die mancher Tage auf die Straße getragen werden. Das müssen, das können und das werden wir aushalten. Das gehört zur Demokratie. Die Meinungs-, die Versammlungs- und die Religionsfreiheit gehören damit zu den tragenden Säulen unserer Demokratie. Diese Säulen werden wir mit allen Mitteln des demokratischen Rechtstaates verteidigen.

Die Anschläge von Paris haben gezeigt, dass es eine andere, eine neue Qualität der Bedrohung gibt. Europa und damit auch Deutschland stehen im Fadenkreuz von Extremisten. Wir haben die erforderlichen Konsequenzen daraus gezogen. Wir waren, wir sind und wir werden auch in Zukunft wehrhaft bleiben und jede Form, die Hass sät oder Spaltung betreiben will, bekämpfen. Wir werden nicht in Angst erstarren. Wir werden wachsam und konsequent bleiben.

Meine Damen und Herren, es wäre jetzt falsch, in Furcht zu verfallen, Freiheit und Meinung zu beschränken – nein –, dann hätten nämlich genau

diese Extremisten gewonnen. – Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall von allen Fraktionen und der Regie- rungsbank)

Vielen Dank, Herr Minister Jäger.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir schließen an dieser Stelle die Aussprache zum Tagesordnungspunkt „Nordrhein-Westfalen steht ein für Demokratie und Vielfalt“ und kommen zur Abstimmung über die gemeinsam eingebrachte Resolution Drucksache 16/7799.

Wer dieser Resolution seine Zustimmung geben möchte, den bitte ich jetzt um das Handzeichen. – Das sind die Fraktionen von SPD, CDU, Bündnis 90/Die Grünen, FDP und die Piraten. Möchte jemand gegen die Resolution stimmen? – Das ist nicht der Fall. Möchte sich jemand enthalten? – Das ist auch nicht der Fall. Damit haben wir die Resolution „Nordrhein-Westfalen steht ein für Demokratie und Vielfalt“ Drucksache 16/7799 einstimmig miteinander beschlossen. – Herzlichen Dank.

(Lebhafter Beifall von allen Fraktionen und der Regierungsbank)

Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich erlaube mir, in Ihrer aller Namen den Vertreterinnen und Vertretern der Medien bereits heute dafür zu danken, dass sie mithelfen werden, die heutige Debatte und den Inhalt der Resolution den Bürgerinnen und Bürgern unseres Landes bekannt zu machen.

(Beifall von allen Fraktionen und der Regie- rungsbank)

Ich rufe nun auf den Tagesordnungspunkt

2 Hausärztliche Versorgung in allen Landestei

len sicherstellen

Antrag der Fraktion der CDU Drucksache 16/3232

Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Arbeit, Gesundheit und Soziales Drucksache 16/7786

Entschließungsantrag der Fraktion der SPD und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Drucksache 16/5491

Entschließungsantrag der Fraktion der FDP Drucksache 16/7832

Ich weise darauf hin, dass der Antrag der Fraktion der CDU Drucksache 16/3232 gemäß § 82 Abs. 2