Protokoll der Sitzung vom 29.01.2015

Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich werde in diesem Jahr 30 Jahre alt.

(Beifall)

Und wenn ich mir dann anschaue, dass dieser digitale Wandel sich allein in meiner Lebensspanne ereignet hat, dann zeigt das für mich, wie unfassbar schnell dieser Prozess mit all seinen gesellschaftlichen Implikationen vonstattengeht.

Die Digitalisierung verändert unsere Gesellschaft so schnell und so tiefgreifend, dass sie vielen Menschen immer noch eher als Bedrohung erscheint denn als Chance. Wir sollten uns immer wieder vor Augen führen, dass hier tatsächlich etwas mit unserer Gesellschaft passiert.

Seit den Snowden-Enthüllungen fehlt vielen Menschen die digitale Utopie. Das Internet lebt aber davon, dass es Menschen gibt, die große Ideen haben, dass sie den Mut finden, sie auszuprobieren, oder zumindest den Mut haben, darüber zu sprechen. Schon alleine deswegen ist es so wichtig, dass wir diese Debatte hier heute führen.

(Beifall von den GRÜNEN und Norbert Rö- mer [SPD])

Und dann schauen wir uns an, was wir hier in den vergangenen Stunden von der Opposition erlebt haben: Das zeigt deutlich, wie wenig Sie vom digitalen Wandel verstanden haben.

(Lachen von den PIRATEN)

Die Gestaltung des digitalen Wandels braucht Weitsicht. Sie mögen uns das Gegenteil vorwerfen, aber Sie agieren kleinkariert. Sie stellen sich das Internet vor wie eine Art digitale Vorstadtsiedlung mit Jägerzäunchen und Heckenrosen, dazwischen ein paar digitale Gartenzwerge. Das Internet ist aber viel mehr: Es ist eine Milliardenmetropole über alle Grenzen hinweg. Das haben Sie nicht verstanden, das hat Herr Laschet nicht verstanden, das hat Herr Lindner nicht verstanden; denn Sie führen sich hier auf wie die Onlineplatzwarte, die schauen, dass jeder seine Hecke gleich hoch geschnitten hat.

(Beifall von den GRÜNEN und Norbert Rö- mer [SPD])

Herr Laschet und Herr Lindner, Sie haben die Digitalisierung erst vor ein paar Wochen recht plötzlich entdeckt. Aber auch in diesen paar Wochen sind die Unterschiede schon sehr, sehr deutlich geworden. Wir als rot-grüne Koalition wollen den digitalen

Wandel, weil er Gutes für die Menschen bringen kann. Sie von der CDU wollen den digitalen Wandel, weil Sie sich mehr Daten für Ihre Überwachungsfanatiker aus dem Innenausschuss erhoffen.

(Beifall von den GRÜNEN – Widerspruch von Josef Hovenjürgen [CDU])

Bei Herrn Lindner war ich heute Morgen tatsächlich ganz fasziniert. Sie haben Konzepte für das digitale Zeitalter eingefordert. Wenn man Sie dann aber nach Ihren Konzepten fragt, steigen Sie hinunter in den Keller und holen die alten Schellackplatten heraus: Abbau von gesetzlichen Regelungen, Abbau von Vorschriften, das gute alte Tariftreue- und Vergabegesetz. Mir fehlte heute eigentlich nur, dass das Nichtraucherschutzgesetz die Digitalisierung in Nordrhein-Westfalen hemmen würde, liebe Kolleginnen und Kollegen.

(Heiterkeit und Beifall von den GRÜNEN)

Mir tut ehrlich gesagt die FDP-Fraktion leid, die sich diese ewig gleichen Versatzstücke bestimmt noch viel häufiger anhören muss, als wir hier im Plenum.

(Beifall von den GRÜNEN)

Liebe Kolleginnen und Kollegen, wenn wir heute über Ideen sprechen, dann auch über die Hoffnung, die der digitale Wandel geweckt hat.

Erinnern wir uns – es ist erst wenige Jahre her – an die Freiheitsbewegung „Arabischer Frühling“! Verstehen wir das Internet endlich als den urdemokratischen Raum, der er ist, der auch unseren bekannten demokratischen Werkzeugen zu neuem

Schwung verhelfen kann! So lässt sich auch Umtrieben wie von PEGIDA und Konsorten viel stärker begegnen.

(Beifall von den GRÜNEN)

Das Internet bringt noch etwas weiteres Entscheidendes mit sich: Die Trennung zwischen oben und unten, zwischen Sender und Empfänger ist aufgehoben. Jeder kann mit einem Klick etwas veröffentlichen. Manche Blogger haben mehr Reichweite im Netz als wir alle hier zusammen.

Wer sich dieses digitalen Wandels in all seinen Facetten annimmt, wie wir das tun, der stellt die Chancen, die Hoffnungen und die Utopien von einem besseren Leben im digitalen Zeitalter in den Mittelpunkt seines Handelns. Er lässt die Menschen aber nicht allein. Ich fand es wichtig und ich fand es gut – das sage ich wirklich allen Kolleginnen und Kollegen, die sich an dieser Debatte beteiligt haben –, dass alle deutlich gemacht haben: Wir wollen die Menschen mitnehmen. Wir wollen ihre Befürchtungen ernst nehmen.

Denn viele fragen: Was wird aus meinem Arbeitsplatz? Wie kann meine Firma mit dem digitalen Wandel Schritt halten? Sind meine Daten noch sicher? Werden meine Kinder gemobbt? – Ich finde, all diese Fragen haben ihre Berechtigung. Ich kann

die Vorwürfe, dass wir das mit der ganzen Gesellschaft breit diskutieren wollen, überhaupt nicht nachvollziehen. Eine solche Diskussion finde ich überhaupt nicht verwerflich, sondern richtig.

(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)

Liebe Kolleginnen und Kollegen, die Angst um die Privatsphäre im digitalen Zeitalter ist heute mehrfach angesprochen worden. Es ist die Angst um den Schutz der eigenen Daten in einer Zeit, in der Daten gleichermaßen Rohstoff und Ware sind, einer ganz anderen Zeit, als das deutsche Datenschutzrecht zu Zeiten von Lochkarten etabliert wurde. Diese Angst ist ernst zu nehmen.

Deshalb wollen wir die damit verbundenen Diskussionen auch offensiv führen. Es kann nicht sein, mein Damen und Herren, dass über 500 Millionen Menschen in Europa den Datenkraken – eine der prominentesten ändert in diesen Tagen wieder ihre Geschäftsbedingungen – schutzlos ausgeliefert sind, weil Frau Merkel die Datenschutzgrundverordnung in Brüssel blockiert. Maximaler Datenschutz ist das Gebot der Stunde. Damit lassen sich auch erfolgreiche Geschäftsmodelle etablieren.

(Beifall von den GRÜNEN und den PIRATEN – Vereinzelt Beifall von der SPD)

Der digitale Wandel, liebe Kolleginnen und Kollegen, ist nicht nur eine gesamtgesellschaftliche Herausforderung, er bietet auch Lösungsansätze für viele Fragen, mit denen wir heute konfrontiert sind, etwa auch für die Gestaltung des ländlichen Raums, um den Herausforderungen zu begegnen, mit denen der ländliche Raum konfrontiert ist.

Wir erleben heute, dass immer mehr Gemeinden in ihrer Struktur bedroht sind. Versorgungssicherheit ist längst zur Überlebensfrage dörflicher Strukturen geworden. Es ist ein ganz zentraler Ansatz grüner Politik schon immer gewesen, dass Menschen auch im Alter, bei Pflegebedürftigkeit, solange es eben geht, selbstbestimmt in ihrer gewohnten Umgebung bleiben können. Dafür bieten digitale Technologien Möglichkeiten, die wir vor zehn bis 15 Jahren noch nicht mal erträumt hätten. Gerade im ländlichen Bereich schlägt sich die alternde Gesellschaft nieder. Gerade dort sehen wir, wie groß die Herausforderungen sind. Heute haben wir 550.000 pflegebedürftige Menschen; ihre Zahl wird sich bis 2050 nahezu verdoppeln. Ihnen ein selbstbestimmtes Leben in ihrer Heimat zu ermöglichen, daran arbeiten verschiedene Forschungsprojekte.

Ich hatte kürzlich das Vergnügen, eines dieser Projekte zu besuchen, das Projekt „KogniHome“ am CITEC an der Universität Bielefeld. Ich bin stolz darauf, dass wir hier bei uns in Nordrhein-Westfalen solche Spitzenforschung zu Zukunftsfragen haben.

(Beifall von den GRÜNEN – Vereinzelt Beifall von der SPD)

Gerade im ländlichen Raum stellen sich besondere Herausforderungen durch den Fachkräftemangel im Gesundheitssektor. Es fehlen in NRW über 4.000 Fachkräfte in diesem Bereich. Da setzt der Einsatz neuer Informations- und Kommunikationstechnologien an.

Altersgerechte Assistenzsysteme bieten älteren Menschen Unterstützung in ihrem Alltag. Sie helfen älteren Menschen, auch bei nachlassender Mobilität, bei steigendem Unterstützungs- und Pflegebedarf in ihrer häuslichen Umgebung zu verbleiben – sei es, dass der digitale Helfer darauf achtet, dass beim Verlassen der Wohnung der Herd auch wirklich ausgeschaltet ist, oder sei es, dass er Alarm schlägt, wenn man gestürzt ist. Der Ausbau dieses Sektors wir zu mehr Selbstbestimmtheit für ältere, pflegebedürftige Menschen führen.

Deshalb ist es richtig, dass die Landesregierung diesen Sektor weiter vorantreibt, etwa durch die Vernetzung guter Praxisbeispiele, aber auch einfach dadurch, dass Diskussionen und Bewertungen von Ideen ermöglicht und Informationen über Fördermöglichkeiten online auf einer digitalen Landkarte zugänglich gemacht werden.

Meine Damen und Herren, die Vernetzung des Gesundheitswesens schreitet voran. Ich finde, das ist unter dem Aspekt „Selbstbestimmung“ eine unglaublich spannende Diskussion. Alle Krankenhäuser, Arztpraxen, Apotheken und Pflegeeinrichtungen werden sukzessive vernetzt. Informationen und Daten werden ausgetauscht. Damit haben wir natürlich sofort die Diskussion über höchste Datenschutzstandards. Deswegen brauchen wir nicht nur hohe Standards, wir brauchen von Anfang an Transparenz und Beteiligung, damit dieser Prozess besser gelingt als etwa bei der elektronischen Gesundheitskarte; das vernetzte Gesundheitswesen ist eben kein Selbstzweck, sondern es ermöglicht eine qualitativ bessere Versorgung für die Patientinnen und Patienten, jedenfalls dann, wenn es richtig gemacht ist.

(Beifall von den GRÜNEN – Vereinzelt Beifall von der SPD)

An dieser Stelle gilt der alte Grundsatz: Technik muss dem Menschen dienen. – Die Technisierung im Gesundheitsbereich darf nicht dazu führen, dass es eine neue Überwachungsstruktur gibt. Sie darf auch nicht dazu führen, dass es Bevormundungen gibt. Ein Avatar ersetzt sicherlich keine menschliche Zuneigung, auch wenn er im Alltag viel hilft. An anderen Stellen sehe ich in einer Bürgerplattform im Netz, die einen ehrenamtlichen Besuchsdienst organisieren kann, ein enormes Potenzial in der Frage des selbstbestimmten Altwerdens im ländlichen Raum. Das sind Anwendungen, die wir voranbringen wollen und die für die Betroffenen aber leicht, intuitiv und barrierefrei zu bedienen sein sollen – erst recht natürlich für die „Silversurfer“.

(Beifall von den GRÜNEN – Vereinzelt Beifall von der SPD)

Ich finde es gut, dass es diese vielen Projekte gibt, über die wir heute gesprochen haben. Das betrifft auch das beeindruckende Projekt „Telematik in der Intensivmedizin“ aus Aachen. Es gibt die Richtung vor, Spezialistinnen und Spezialisten sinnvoll zusammenzuführen, damit Patientinnen und Patienten entlastet werden, indem Transporte und Wege reduziert werden. Durch den Einsatz digitaler Technologien entsteht idealerweise eine wohnortnahe medizinische Versorgung, die nach den Maßstäben, die wir heute kennen, in Zukunft vielleicht nicht mehr möglich wäre. Ich möchte alle einladen, an der Gestaltung dieses aus meiner Sicht hochspannenden Prozesses mitzuwirken.

(Beifall von den GRÜNEN)

Versorgungssicherheit betrifft auch den Transport von Gütern und Menschen in ländlichen Räumen, auch wenn die Versorgungswege, die wir heute kennen, unwirtschaftlich werden. Es braucht auch da kreative und pragmatische Lösungen. Und es gibt auch schon viele Möglichkeiten, etwa wenn Busse nicht mehr nur Menschen, sondern auch Güter transportieren, oder dadurch, dass Paketdienste Apps anbieten, mit deren Hilfe Privatpersonen Pakete auf ihren normalen Fahrten transportieren können.

All das bietet Ansätze, um Versorgungssicherheit im ländlichen Raum zu gewährleisten, herzustellen. Es bieten sich digitale Ansätze, Menschen und Dienstleistungen zu vernetzen. Und wenn im Dorf aus dem realen Tante-Emma-Laden ein Discounter werden konnte, dann wird es doch wohl auch möglich sein, dass, wenn sich dieser Discounter nicht mehr lohnt, ein digitaler Tante-Emma-Laden entsteht.

(Beifall von Reiner Priggen [GRÜNE])

Liebe Kolleginnen und Kollegen, wenden wir uns von den Dörfern ein Stück weit weg in die Smart Cities. Wir haben dazu in der heutigen Debatte spannende Impulse gehört. Was in den Dörfern gilt, gilt in den Städten natürlich genauso.

Smart City ist eine Vision, ist eine Idee für eine kluge Vernetzung von Innovation und Ressourcenschutz. Ein verstärkter Einsatz von Sensorik, von Big-Data-Anwendun-gen lässt sich nutzen, um etwa die Abfallentsorgung, aber auch die Versorgung der Städte effizienter und ressourcenschonender zu gestalten. Intelligente Lösungen von Verkehrsströmen, Vernetzung von Autofahrern, gerade auch die Ermöglichung alternativer Mobilität durch digitale Anwendungen – all das lässt sich mit digitaler Technologie angehen. Dafür wollen wir in den nächsten Jahren den Rahmen schaffen, damit NordrheinWestfalen diese Chance nutzen kann.

Wir streiten in diesem Zusammenhang aber auch – auch das ist mehrfach angesprochen worden – für einen Rechtsrahmen, bei dem der Datenschutz höchste Priorität genießt, höchste Priorität einnimmt. Sascha Lobo hat kürzlich das Bild „Bevormundet durch die Zahnbürste“ gezeichnet. Das ist nicht unsere Vision. Aber wenn der hundert Jahre alte Schließzylinder durch einen elektronischen Mechanismus ersetzt wird, dann zieht das natürlich Sicherheitsfragen nach sich – Sicherheitsfragen, die etwa am Cybercrimekompetenzzentrum beim Landeskriminalamt bereits jetzt bearbeitet werden. Es ist gut, dass wir uns an dieser Stelle schon auf den Weg machen.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich komme zum Bildungsbereich. Digitale Lernformen bieten schon heute eine wichtige Säule für Bildungsinnovation in Nordrhein-Westfalen. Digitales Lernen wird aber mit Sicherheit in absehbarer Zeit den gewohnten Präsenzunterricht nicht vollständig ersetzen; da bin ich mir ziemlich sicher, Frau Ministerin.

(Ministerin Sylvia Löhrmann: Das ist auch nicht wünschenswert!)

Es ist auch nicht wünschenswert, genau. – Aber wir werden natürlich auch über Formen des digitalen Lernens weiterhin miteinander diskutieren müssen, weiterhin miteinander streiten müssen. Ich finde, wir sollten Formen wie Massive Open Online Courses zumindest als alternative Formen im Auge behalten, die eine Bildungslandschaft auch substituieren können. Das sind hochspannende Prozesse.