Protokoll der Sitzung vom 13.09.2012

Jeden Realitätsbezug verloren hat Rot-Grün dann aber beim Koalitionsvertrag 2012, der ein Voranschreiten NRWs in der nationalen und internationalen Open-Government-Entwicklung postuliert.

Großbritannien, Wien und Berlin beispielsweise sind Nordrhein-Westfalen weit voraus und haben längst Open-Data-Portale.

Es verwundert daher schon sehr, wenn dann auch noch die Ministerpräsidentin dieses Thema sogar in ihrer Regierungserklärung völlig unkritisch aufgreift und es als besondere Innovation ankündigt, dass man nun eine eigene Open-Government-Strategie für NRW entwickeln wolle.

Meine Damen und Herren, „Open Government“ – das klingt abstrakt sehr schön. Wenn es aber bei schönen Worten und Absichtsbekundungen bleibt, die das große Potenzial betonen, aber absehbar auf

lange Zeit ungenutzt lassen, wird der schöne Name schnell zum Placebo.

Der vorliegende Antrag bringt in dem beschriebenen Prozess keinen Mehrwert, sondern enthält im Wesentlichen Leerformeln und Floskeln. Zudem lobt man viel Schein bei bisher wenig Sein. Bislang wurden keine gesonderten personellen und sachlichen Mittel für das Projekt Open Government bereitgestellt.

Warum muss die Landesregierung vom Landtag erst in Spiegelstrich sechs dazu aufgefordert werden? Gleiches gilt für die Aufforderung zur Durchführung von Wettbewerben. Ist der Antrag gar so zu verstehen, dass die Landesregierung wegen der bisherigen dilatorischen Behandlung des Themas nun öffentlich ermahnt wird?

(Nadja Lüders [SPD]: Das machen wir an- ders!)

Meine Damen und Herren, Sie fordern im Antrag unter Punkt IV.5 die zentrale Bereitstellung aller Daten und Informationen der Landesverwaltung. Da bin ich gespannt, ob die Landesregierung künftig alle Vorgänge – soweit Datenschutz und Sicherheitsaspekte nicht entgegenstehen – ins Internet stellt, also auch politisch sensible Vorgänge ohne Berufung etwa auf den Kernbereich exekutiver Eigenverantwortung.

Wenn Sie mehr Rechenschaft zu politischen Prozessen fordern, frage ich Sie: Warum veröffentlicht die Landesregierung nicht die Ergebnisse der vielen teuren Gutachten, die die Ministerien in den letzten zwei Jahren in Auftrag gegeben haben?

(Vereinzelt Beifall von der FDP)

Gerade der Landtag wäre daran selbst interessiert.

Die zentrale Bereitstellung aller Daten und Informationen der Landesregierung kann sofort auf dem Landesportal „nrw.de“ oder bei „IT.NRW“ zentral erfolgen. Wenn Sie sich aber dort umschauen, finden Sie zu vielen Bereichen keine aktuellen Zahlen.

NRW braucht mehr Tempo beim Thema Open Government, welches die FDP nachdrücklich unterstützt. Im Ausschuss werden wir Gelegenheit haben, uns mit dem Thema intensiv zu befassen. – Vielen Dank, meine Damen und Herren.

(Beifall von der FDP und den PIRATEN)

Vielen Dank, Herr Kollege Wedel. – Für die Piratenfraktion erteile ich als nächstem Redner Herrn Kollegen Olejak das Wort. Bitte schön.

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Mitbürgerinnen und Mitbürger! Liebes Plenum! Zunächst möchte ich auf die positive Seite

dieses Antrags eingehen, der meines Erachtens den Weg in den Ausschuss nehmen sollte.

Denn bei Annahme des Antrags bekennt sich der Landtag erneut zu einer Öffnung des Regierungswesens in Nordrhein-Westfalen und mehr Bürgerbeteiligung. Das ist gut und richtig so. Als Piraten befürworten wir diese Ziele.

Leider jedoch steckt der Teufel wie so oft im Detail. Wir lesen die wohlklingenden Formulierungen, aber es sind leere Worthülsen wie „Transparenz“. So, als ob die Regierungskoalition nach einem Crashkurs schnell beweisen wollte, dass sie das mit dem „mehr Bürgerbeteiligung“ verstanden hätte. Da fehlt ein Wort am Ende: „Gesetz – Transparenzgesetz“.

(Beifall von den PIRATEN – Zuruf von Matthi Bolte [GRÜNE])

Wie wenig offenes Regierungswesen und Teilnahme von der Koalition bisher verstanden wurden, dafür ist dieser Antrag selbst ein hervorragendes Beispiel. Seit 2010 wurde von Politikern in geschlossenen Arbeitsgruppen herumformuliert, und der Zwischenstand ist eine Art Ergebnis, das hier nun als Antrag wieder präsentiert wird.

(Minister Ralf Jäger: Das waren keine Politi- ker!)

Ich finde es auffällig, dass zwar beständig von einer Open-Government-Strategie gesprochen, aber über Analysen kein Wort verloren wird. Offenes Regierungswesen und darin enthaltene offene und freie Daten sind keine Angelegenheiten, die man mal eben im Vorbeigehen erledigt; so etwas denkt man eher in Jahrzehnten oder gar in Generationen.

Ich vermisse deutliche Hinweise zum Grundgedanken des Projektes: Was sind die kulturellen Folgen? Was bedeutet das für alle Beteiligten, die einzelnen Ministerien? Austausch mit Kommunen, die rechtlichen Grundlagen – all diese Dinge fehlen. Und wo ist die Ausschreibung? Was haben Sie eigentlich in den letzten zwei Jahren in diesem Zusammenhang gemacht, an die Bürger herangetragen, geschweige denn mal die Bürger gefragt? Kurzum: Wo ist die Dokumentation der bisherigen Geschehnisse?

Bis 2013 möchten Sie eine vielleicht perfekte Strategie fertiggestellt haben, an der es dann nichts mehr zu rütteln gibt? In einer Zeit, in der die neu gekauften Computer veraltet sind, und der Händler das Nachfolgemodell bereits im Schrank stehen hat?

An einzelnen Stellen sind Hoffnungsschimmer; es werden zu Recht offene Standards und freie Lizenzen angedacht. Doch beim letzten Punkt, der Beauftragung der Landesregierung, Wettbewerbe durchzuführen, fehlt dieses Detail. Selbstverständlich sollten diese in öffentlichen Wettbewerben geförderten Anwendungen, Inhalte und Daten unter einer freien Lizenz stehen.

In der vergangenen Legislaturperiode gab es mit den Online-Konsultationen zur Eine-Welt-Strategie, zum Medienpass – ein Papierdokument – und zum Jugendmedienschutz erste Schritte bei der Bürgerbeteiligung. Hier und da gibt es auch schon kleine Open-Data-Inseln.

Aber dieses Internet besteht nicht mehr aus kleinen Seen mit kleinen Inseln, auf denen man Daten wie auf Mülldeponien ablagert, sondern es sind Flüsse, die Inhalte direkt transportieren müssen. Spätestens seit 1999 ist dies mit – einmal Fachsprache – RSS, Rich Site Summary, also mit Inhalten, die man selber abonnieren kann, der Fall. Zur Erinnerung: Das war vor 13 Jahren.

Lassen Sie uns doch schon vor der Entwicklung einer Open-Government-Strategie fehlertolerant und ergebnisoffen damit beginnen – nicht nur im Ausschuss, wenn Sie der Übergabe zustimmen.

Durch die „lmvblume“ gesprochen: Öffnen Sie Ihr seit Oktober letzten Jahres brachliegendes Blog „http://unser.nrw.de“ für Ihre Arbeitsgruppen, veröffentlichen Sie beispielsweise die Kabinettsbeschlüsse, passen es technisch an die Gegenwart an, lassen auch alle Suchmaschinen einmal alle Parlamentspapiere und Seiten erfassen, bevor Sie schon wieder mit einer neuen, starren Konzeption eine weitere Baustelle namens Zukunftsforum „Digitale Bürgerbeteiligung“ eröffnen! Sie haben den Anfang eigentlich schon gemacht. Wir helfen Ihnen wirklich gerne dabei, diese Ideen weiterzuentwickeln. Konstruktive Kritik muss erlaubt sein.

Danke an alle Freiwilligen und Piraten, die es möglich gemacht haben, dass wir seit heute die Haushaltsentwürfe 2011 und 2012 grafisch vereinfacht unter „http://haushalt2012.piratenfraktion-nrw.de“ für jedermann zugänglich vergleichen können.

(Beifall von den PIRATEN)

Das ist Open Government. – Vielen Dank.

(Beifall von den PIRATEN)

Vielen Dank, Herr Kollege Olejak. Wenn ich richtig informiert bin, war das Ihre erste Plenarrede im Landtag Nordrhein-Westfalen. Dazu herzlichen Glückwunsch im Namen des Hohen Hauses!

(Allgemeiner Beifall)

Für die Landesregierung erteile ich nun Herrn Innenminister Jäger das Wort. Bitte schön.

Meine sehr verehrten Damen und Herren! Herr Präsident! 100 % der 14- bis 19-Jährigen nutzen das Internet gelegentlich. In der Altersgruppe der 20- bis 29-Jährigen sind es 98,6 %. Wenn man die Internetnutzung über alle Altersgruppen betrachtet, wird man feststellen, dass drei Viertel der deutschen Be

völkerung gelegentlich das Internet nutzen. Das sind zumindest die Ergebnisse einer Onlinestudie von ARD und ZDF.

Wenn man diese Zahlen betrachtet, brauchen wir nicht mehr darüber zu diskutieren, ob und wie wir diese Menschen mit unserer Politik erreichen wollen. Der Antrag der regierungstragenden Fraktionen gibt die richtige Richtung vor und gibt auch schon Antworten.

Ich will aber mehr auf die historische Entwicklung von Open Government eingehen. 1969 sagte Willy Brandt: „Wir wollen mehr Demokratie wagen.“ – Das auf die heutige Zeit übertragen findet sich in unserem Koalitionsvertrag als Leitidee wie ein roter Faden wieder. Die neuzeitliche Schlüsselantwort auf „mehr Demokratie wagen“ von damals heißt Open Government.

(Zuruf von Christian Lindner [FDP])

Herr Lindner, das ist eben nicht nur ein Begriff, sondern das ist eine Strategie.

Für viele ist es übrigens eine neue Sicht der Dinge. Dabei geht es um mehr Transparenz. Herr Wedel, wenn wir über mehr Transparenz reden, dann meinen wir das auch so. Sie hatten gerade angemahnt, wir sollen unsere Gutachten veröffentlichen. Ich erinnere mich noch sehr gut an den 16. Juli 2010. An dem Tag habe ich meine Ernennungsurkunde zum Minister bekommen. Wir sind danach alle in unsere Ministerien gegangen, haben sozusagen bildlich die Schubladen der Schreibtische aufgezogen und den einen oder anderen stinkenden Fisch gefunden. Einer dieser stinkenden Fische war ein Bericht über die Altersstruktur der nordrhein-westfälischen Polizei aus dem Jahr 2006. Herr Wedel, Ihre Landesregierung hat es noch nicht einmal geschafft, Gutachten in Papierform zu veröffentlichen, geschweige denn in elektronischer Form.

(Beifall von der SPD, von den GRÜNEN und von den PIRATEN)

Wenn es um Transparenz geht, geht es um die Frage, wie wir Bürgerinnen und Bürgern politische Entscheidungsprozesse näher bringen, wie wir sie am Regieren beteiligen, wie wir sie informieren und wie wir ihnen Angebote unterbreiten können. Der Ansatz, Bürgerinnen und Bürger an diesen politischen Entscheidungsprozessen zu beteiligen, ist nicht neu. Wir möchten aber die heute schon existierenden Möglichkeiten entstauben. Wir wollen neue Wege gehen. Kurzum, Herr Lindner, wir wollen eine neue Version von „mehr Demokratie wagen“ auflegen: „Mehr Demokratie 2.0 wagen“, wenn man es auf diese Formel bringen will.

(Zuruf von den PIRATEN: Danke!)

Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich glaube, Politik muss anfassbarer, erlebbarer werden. Es muss eine Politik sein, die die Generation Twitter cool findet. Dafür haben wir in der letzten Legisla

turperiode schon die richtigen Weichen gestellt. Im Januar 2011 haben wir als Landesregierung eine ressortübergreifende Projektgruppe „Open.NRW“ eingerichtet. Wir haben sie beauftragt, eine nordrhein-westfälische Strategie zu erarbeiten. Die Bürgerinnen und Bürger in diesem Land können sich also sicher sein: Wir behalten den Kurs. Es geht in die richtige Richtung. Dabei dürfen wir allerdings nicht vergessen: mehr Demokratie wagen ist ein lang angelegter Prozess. Ich habe schon einmal versucht, das deutlich zu machen. Der Prozess beginnt nicht irgendwann, er endet nicht irgendwann, sondern er wird fließend sein. Dabei müssen wir sehr behutsam versuchen, sowohl die Landesverwaltung als auch die Bürgerinnen und Bürger immer an der Seite zu halten und mitzunehmen. Wir wollen die Strategie in der Verwaltungspraxis umgesetzt wissen. Deshalb brauchen wir in diesem Prozess eine lernende Landesverwaltung.

Langfristig, meine Damen und Herren, wird diese Strategie Open Government die gesamte Landesverwaltung auf allen Ebenen betreffen. Das bedeutet natürlich auch mehr Geld und mehr personelle Ressourcen. Sie bemängeln, es sei noch nichts ausgegeben worden. Ich finde, das ist ein Beispiel für eine solide Haushaltsführung. Wir werden uns darüber unterhalten müssen, was wir im Zuge der Umsetzung an zusätzlichen finanziellen und personellen Ressourcen in den nächsten Jahren brauchen. Das ist übrigens auch ein Auftrag an die Arbeitsgruppe.