Protokoll der Sitzung vom 20.05.2015

„Aus unserer Sicht braucht es ein finanzpolitisches Gesamtkonzept für mehr Steuergerechtigkeit, die angemessen alle Einkommensarten einbezieht, eine Finanzausstattung, die es sowohl Ländern als auch Kommunen ermöglicht, in die Zukunft zu investieren, in Infrastruktur, in Bildung und eine solide Finanzpolitik, die den Schuldenabbau im Blick hält.“

All das wird von diesem vorliegenden Antrag ausgeblendet.

Gemeint war der Antrag der FDP „Bundesregierung soll heimliche Steuererhöhungen umgehend zurücknehmen: Steuerzahler durch Abbau der kalten Progression entlasten – Leistungsgerechtigkeit für Beschäftigte mit kleinen und mittleren Einkommen wiederherstellen“. Damals hatten Sie auch gesagt, es sei Wahlkampfgeplänkel. Der CDU werfen Sie das hier und heute vor. Ich weiß gar nicht, wo wir im Moment Wahlkampf haben.

(Josef Hovenjürgen [CDU]: In Köln!)

Aber eines muss man doch ganz klar festhalten: Ihr Parteivorsitzender Sigmar Gabriel hat am 7. Mai 2015 auf Tagesspiegel.de erklärt, er stimme zu; die Forderung der SPD sei erfüllt. Der wirtschaftliche Aufschwung in Deutschland müsse bei den Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern ankommen.

Auch in Ihrer Rede vor einem Jahr haben Sie die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer besonders hervorgehoben und deren Schutz eingefordert. Im Prinzip hatten Sie damals gesagt: Wir brauchen ein Gesamtkonzept. Das liegt nicht vor. Also lehnen wir den Antrag ab. – Heute sagen Sie, es liege keine Gegenfinanzierung vor. Diese wird aber durch Ihren Parteivorsitzenden eindeutig bestätigt, und zwar unter Bezugnahme auf die erfreuliche Entwicklung der Steuereinnahmen. Die SPD in Nordrhein-Westfalen scheint sich also mit der Bundes-SPD nicht so ganz grün zu sein. Das hört man ja hin und wieder.

Fakt ist: Ihre Argumentation ist widersprüchlich. Vor einem Jahr haben Sie im Prinzip etwas anderes gesagt als heute.

Wir von der Piratenfraktion hingegen sagen Folgendes, und zwar nicht erst letztes Jahr und nicht nur heute, sondern schon 2012, als wir in den Landtag eingezogen sind: Ja, wir brauchen eine steuerliche Gleichbehandlung von Einkommen aus Arbeit und Kapital, wir brauchen ein Ende der steuerlichen Privilegierung von Kapitalerträgen und eine umfassende Steuerreform, die ihren Namen verdient und die das Steuerrecht und die Steuern gerechter und transparenter gestaltet. Alleine das ist zielführend.

(Beifall von den PIRATEN)

Dazu kann – auch das hatten Sie, Herr Kollege Zimkeit, damals nicht ausgeschlossen – auch eine Erhöhung des Spitzensteuersatzes gehören. Das scheint jedoch im Bund nicht durchsetzbar zu sein. Da hat sich die SPD von der CDU vereinnahmen lassen. Das wird nicht passieren.

Gleichzeitig forderten Sie im letzten Jahr, genauso wie die Piratenfraktion im Landtag NordrheinWestfalen das immer wieder getan hat, eine Neuregelung der Erbschaftsteuer ein. Darüber hinaus soll darüber nachgedacht werden, wie eine Wiedereinsetzung der Vermögensteuer aufgenommen werden kann. Auch das hörten wir von Ihnen im vergangenen Jahr. An dieser Stelle und hier und heute hören wir dazu jedoch nichts. Möglicherweise ist das diese konziliante Haltung gegenüber der Bundes-SPD.

(Stefan Zimkeit [SPD]: Ich wiederhole mich nicht so gerne wie Sie!)

Wenn Sie einmal etwas Gutes gesagt haben, dann darf man das hier auch durchaus einmal erwähnen. Ich frage mich aber, warum Sie von Ihrer Position im letzten Jahr heute mehr oder weniger abgerückt sind. Jedenfalls habe ich davon heute nichts gehört.

Heute, wo Sie in der Bundesregierung fest verankert sind, wäre es natürlich ein Schuss nach hinten, weil Sie heute im Bund in der Position sind, eine entsprechende Steuerreform, ein gesamtsteuerliches Konzept neu aufzulegen. Hierzu sehen wir jedoch keine Initiative seitens der Landes-SPD und von Bündnis 90/Die Grünen. Gerade eine Große Koalition sollte doch die politische Macht haben, eine umfassende Steuerreform anzugehen.

Wenn Sie mit Blick auf die Schließung immer noch umfangreicher Steuerschlupflöcher von Gegenfinanzierung sprechen, dann brauchen wir hierfür nur ins Land Nordrhein-Westfalen zu schauen. Das reicht doch völlig aus. Darüber hinaus sollte eine Verhinderung aggressiver Steuervermeidungsmodelle angegangen werden. Der Finanzminister beteuert ja immer wieder, er sei dabei und alles werde getan.

Die SPD hat dazu selber einen Antrag gestellt, Drucksache 16/4465, wonach durch die Eliminierung von Steuervermeidungsmodellen pro Jahr im Bund 160 Milliarden € generiert werden könnten. Heruntergebrochen auf NRW würde das bedeuten: Wir bräuchten uns über die kalte Progression nicht mehr zu unterhalten, sondern dann könnten wir tatsächlich über Steuersenkungen sprechen. Aber auch das ist natürlich Käse – Käse insofern, als es hier gar nicht um die kalte Progression geht. Hier – das muss ich leider Gottes CDU und FDP vorhalten – geht es ein wenig um Schaufensterpolitik, auch um Symbolpolitik.

(Ralf Witzel [FDP]: Nein!)

Herr Kollege Witzel, Sie haben eben selber vorgetragen, dass die Beseitigung der kalten Progression gerade im Bereich der mittleren und kleinen Einkommen praktisch nichts bringe.

(Ralf Witzel [FDP]: Weil nur halbherzig!)

Halbherzig, wie auch immer! 17 € pro Jahr mehr in der Tasche macht 1,40 € pro Monat. Ich glaube, das können wir vergessen.

Ihre Redezeit, Herr Kollege.

Danke, Herr Präsident. Ich komme zum Schluss.

Fakt ist: Die Piratenfraktion fordert ein finanzpolitisches Gesamtkonzept. Diese Forderung wäre auf die Bundesebene zu tragen. Im Übrigen empfehle ich aufgrund des zuletzt genannten Arguments der Symbolpolitik meiner Fraktion, die Anträge sowohl von CDU als auch von FDP abzulehnen. – Vielen herzlichen Dank.

(Beifall von den PIRATEN)

Vielen Dank, Herr Schulz. – Für die Landesregierung erteile ich Herrn Minister Dr. Walter-Borjans das Wort.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren!

„Schäuble sagt kalter Progression den Kampf an!“

Das waren die Schlagzeilen vor einigen Wochen. Wer das gelesen hat, der muss die Vorstellung von einem heldenhaften Kampf gegen ein frostiges Steuersystem vor Augen gehabt haben. Wer jedoch die Zeitungen nicht nur von vor einigen Wochen, sondern schon von etwas früher gelesen hat, der weiß, dass es im Dezember letzten Jahres noch hieß: Wolfgang Schäuble sagt, es gibt keine kalte Progression. Und wo sie entstehen könnte, wird sie durch die Erhöhung des Grundfreibetrages überkompensiert.

Das war im Dezember 2014, und das war der Grund, warum die CDU seinerzeit dem Antrag der FDP nicht gefolgt ist. Erst jetzt, wo der heldenhafte Kampf angesagt ist, sieht das anders aus. Deswegen ist es interessant, sich einmal anzuschauen, worum es eigentlich geht.

Dieser heldenhafte Kampf gegen die kalte Progression bedeutet, dass künftig ein verheiratetes Paar mit einem Jahreseinkommen von 30.000 € monatlich 2 € weniger Steuern zu zahlen hat. Bei 50.000 € Jahreseinkommen sind es 4 €, bei 60.000 € Jahreseinkommen 6 € weniger monatlich.

Wenn man sich im Vergleich genauso ehrlich anschaut – angeblich steigt ja die Belastung ständig –, wer denn in den letzten Jahren in Deutschland die Steuern eigentlich gesenkt hat, wenn nicht SPD und Grüne!

(Ralf Witzel [FDP]: Grunderwerbsteuer!)

1995 hat ein verheirateter Facharbeiter mit auf heutige Verhältnisse umgerechnet 60.000 € Jahreseinkommen von seinem Bruttoeinkommen 15 % an Einkommensteuer bezahlt. Heute sind es 7,5 %. – So viel zur kalten Progression, die Jahr für Jahr alles weggefressen haben soll.

Das Problem ist – das ist doch offensichtlich –: Wir wollen und wir müssen die Schulden senken. Das tun wir. Wir wollen ab 2020 einen ausgeglichenen Haushalt, und wir müssen ihn auch haben.

In den 90er-Jahren und zu Beginn dieses Jahrhunderts waren Steuersenkungen möglich, wenn man es auf der anderen Seite dafür in Kauf genommen hat, die Verschuldung zu erhöhen. Das ist dann auch gemacht worden. Das konnte man richtig finden, das kann man auch kritisieren. Es war jedenfalls eine Möglichkeit. Diese Möglichkeit existiert nicht mehr.

Deswegen lauten die Fragen heute anders. Es ist augenfällig, dass die Infrastruktur renoviert werden muss. Es ist augenfällig, dass wir in die Bildung investieren müssen. Es ist augenfällig, dass wir für die innere Sicherheit etwas tun müssen. Wir haben Flüchtlinge, denen wir helfen müssen.

Wenn dann genügend Luft ist, bei gleichzeitigem Einhalten der Schuldenbremse die Belastung zu senken, ist das völlig okay. Aber es heißt es ganz klar: Wer die Bestellung aufgibt, muss auch sagen, wer die Rechnung bezahlt. Denn diese Rechnung würde für Nordrhein-Westfalen bedeuten: Die 2 €, die jemand im Monat spart, bedeuten am Ende einen Einnahmeausfall von 100 Millionen € im Landeshaushalt und von 80 Millionen € in den Kommunalhaushalten. Dabei habe ich das, was aus dem Landeshaushalt in die Kommunen geht, schon mitgerechnet.

Ich kann mich gut erinnern, dass noch vor kurzer Zeit Herr Abruszat von der FDP eine Anfrage gestellt hat: Wer zahlt eigentlich die Ausfälle der Kommunen, wenn der Grundfreibetrag erhöht wird? – Auf einmal stellt er fest: Dann nehmen ja die Kommunen weniger Steuern ein, und dann muss es doch irgendjemanden geben, der dafür aufkommt. Da sage ich mal: Gute Idee! – Wer zahlt die Ausfälle, wenn das Land 100 Millionen € Einnahmen weniger hat und die Kommunen 80 Millionen €? Wenn es dafür Ideen gibt, wenn das Ganze gedeckelt ist, dann können wir die Schuldenbremse einhalten, und dann können wir investieren, wo wir investieren müssen.

Dann können wir den Menschen gegenüber das leisten, was der Staat leisten soll; denn der Staat ist nicht irgendjemand anders als die Bürgerinnen und Bürger. Der Staat, das sind die Bürgerinnen und Bürger. Sie haben Erwartungen an uns. Diese Erwartungen werden wir erfüllen. Wenn wir dabei Lasten senken können, dann tun wir das. Wenn das nicht geht, sind wir auch ehrlich, das zu sagen. Oder aber es gibt jemanden, der einen anderen Vorschlag macht, und derjenige hat dann auch Ideen für die Finanzierung. Darüber reden wir. – Danke.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Vielen Dank, Herr Minister. – Meine Damen und Herren, weitere Wortmeldungen liegen mir nicht vor. Deshalb schließe ich die Aussprache.

Wir kommen zur Abstimmung. Wir stimmen erstens ab über den Antrag der CDU-Fraktion Drucksache 16/8638. Die antragstellende CDU-Fraktion hat direkte Abstimmung beantragt, zu der wir nun kommen. Wer stimmt für den Antrag der CDUFraktion? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich der Stimme? – Damit stelle ich fest, dass der Antrag der CDU-Fraktion Drucksache 16/8638 mit den Stimmen von SPD, Bündnis 90/Die Grünen und

der Piratenfraktion gegen die Stimmen der CDU bei Enthaltung der FDP-Fraktion abgelehnt ist.

Ich lasse zweitens abstimmen über den Entschließungsantrag der FDP-Fraktion Drucksache 16/8718. Wer stimmt für diesen Antrag? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich der Stimme? – Damit stelle ich fest, dass der Entschließungsantrag der FDPFraktion Drucksache 16/8718 mit den Stimmen von SPD, Bündnis 90/Die Grünen und der Piratenfraktion gegen die Stimmen der FDP-Fraktion bei Enthaltung der CDU-Fraktion ebenfalls abgelehnt ist.

Ich schließe die Beratung zu Tagesordnungspunkt 8.

Wir kommen zu:

9 Kindertagespflege ist keine Betreuung zwei

ter Klasse – Tagespflege den Kitas gleichstellen!

Antrag der Fraktion der FDP Drucksache 16/8651

Ich eröffne die Aussprache und erteile als erstem Redner für die antragstellende FDP-Fraktion Herrn Kollegen Hafke das Wort. Bitte, Herr Kollege.

Meine Damen und Herren, ich darf diejenigen, die jetzt nicht aktuell der weiteren Debatte folgen wollen, bitten, sich möglichst draußen weiter zu unterhalten und, wenn Sie jetzt den Saal verlassen müssen, das möglichst geräuscharm zu tun, damit wir der Debatte die nötige Aufmerksamkeit widmen können. Vielen Dank für Ihr Verständnis. – Herr Hafke hat das Wort.