Sie nennen diese Menschen pauschal „Wirtschaftsflüchtlinge“. Schauen Sie in die aktuellen Zeitungen. Da ist vom „Pulverfass Mazedonien“ die Rede und davon, dass das Land kurz vorm Zusammenbruch steht und von der Mafia regiert wird. Nach „sicherem Herkunftsstaat“ klingt das für mich nicht.
Sie bedienen in Ihrem Antrag wieder einmal die Ängste der Biedermänner und Brandstifter dieser Republik. Das Schlimme ist, dass Sie mit der Forderung nach einem Zweiklassenasylsystem das Grundrecht auf Asyl pervertieren. Die Mütter und Väter des Grundgesetzes dachten nicht an Schnellverfahren und Abschiebezentren, als sie aufgrund der Erfahrungen des Dritten Reiches ein schrankenloses Grundrecht auf Asyl schufen.
Leider sorgt die rot-grüne Landesregierung seit Anfang des Jahres für die von Ihnen, meine Damen und Herren von der CDU, geforderten Abschiebezentren für Kosovaren. Menschen werden nach ihrer Herkunft kategorisiert und abgesondert. Solche Segregationen lehnen wir Piraten nicht nur aus menschenrechtlicher Perspektive ganz klar ab.
Von solchen Abschiebezentren sollen die Menschen nicht den Kommunen zugewiesen werden, sondern nach Ende ihrer Schnellverfahren direkt in den Kosovo zurückgeschickt werden. Schnellverfahren im Asylprozess führen aber dazu, dass die geflüchteten Menschen de facto keine Rechtsmittel einlegen können und keine Möglichkeiten haben, gegen Fehlentscheidungen vorzugehen.
(André Kuper [CDU]: Stimmt doch nicht! Das ist doch falsch! – Ralf Nettelstroth [CDU]: Sie haben ein normales rechtsstaatliches Asyl- verfahren!)
Ein Asylverfahren in 14 Tagen mit anschließender Abschiebung, wofür die Landesregierung extra Fahrzeuge beschaffen will, raubt den Menschen ih
re grundlegenden Rechte. Dass diese Schnellverfahren in der Praxis nicht wirklich funktionieren, hilft wenig, denn allein der Plan ist schon falsch. Abschiebung kann nicht die Lösung für die nordrheinwestfälische Flüchtlingsaufnahme sein.
Ich möchte die verbleibende Redezeit für eine kurze Bestandsaufnahme der Situation der Flüchtlingsaufnahme in Nordrhein-Westfalen nutzen. Die Situation in den Landesaufnahmen wurde vor Burbach immer beschönigt, und die Opposition wurde regelrecht belogen. Dieses Spiel setzt sich aber auch nach Burbach fort.
In der letzten Sitzung des Innenausschusses wurden wir auf Wunsch der Landesregierung über die Berücksichtigung der Schutzbedürftigkeit Asylsuchender im Rahmen des EASY-Verteilverfahrens informiert. Angeblich wird in diesem Verfahren die spezielle Schutzbedürftigkeit von Traumatisierten, Schwangeren, Kindern, Menschen mit Behinderungen, Vergewaltigungs- und Folteropfern schon bei der Erstverteilung der Asylbegehrenden zwischen den Ländern ermittelt und berücksichtigt. „Verteilung“ bedeutet, dass Asylsuchende nach bestimmten Kriterien einer geeigneten Erstaufnahmeeinrichtung zugeordnet werden.
Nur einen Tag nach der Unterrichtung über das Verfahren mussten wir dann aus der Presse erfahren, dass eine schwangere Frau trotz Blutungen von der Erstaufnahmeeinrichtung für Flüchtlinge in Hamburg nach Burbach geschickt worden sei – trotz ärztlicher Anweisung, dass die Frau im Bett bleiben solle. Die Frau verlor in Burbach ihr Kind. Was passiert da in den Verwaltungen? Hier muss noch einmal mehr klargemacht werden, dass es um Menschen geht, die hin- und hergeschoben werden.
Schauen Sie bei Twitter mal unter „#Burbach“ nach. Burbach ist gleichbedeutend mit Schande, und das ist Ihre Schande, Herr Jäger. Obwohl wir Piraten für jede Sitzung des Innenausschusses einen Bericht über die Situation in den Erstaufnahmeeinrichtungen anfordern, erfuhren wir wieder nur über die Presse, dass gegen 50 Menschen im Zusammenhang mit dem Misshandlungsskandal von Burbach von der Staatsanwaltschaft Siegen ermittelt wird. Darunter sollen sich Mitarbeiter der Bezirksregierung und Polizisten befinden. Das ist so ungeheuerlich, dass ich keine Worte dafür habe.
„Wenn herauskommt, dass die Polizei, Mitarbeiter des Innenministeriums oder der Bezirksregierung Bescheid wussten, müssen die Verantwortlichen gehen.“
Das meine ich auch heute noch so. Wenn Polizisten, Mitarbeiter des Ministeriums und der Bezirksregierung auch nur geahnt haben, dass da gefoltert wurde, reicht es nicht mehr, die betreffenden Personen einfach zu versetzen. Solche Menschen haben nichts im Staatsdienst verloren.
Meine Damen und Herren, ich komme zum Schluss. Wir werden über diesen Antrag und den Umgang mit Flüchtlingen in unserem Land im Landtag und in den Ausschüssen weiter sprechen. Wir Piraten werden alles dafür tun, dass es ein menschenwürdiger Umgang wird, denn es geht um Menschen und nicht um Zahlen.
Wir erwarten auch, dass sich die Betonköpfe in Berlin und in Europa bei ihren Flüchtlingsgipfeln nächste Woche und Anfang Juni endlich bewegen und die Hilfe und die humanitäre Verantwortung in den Mittelpunkt stellen und nicht die Abschiebung sowie die Abschottung. – Danke schön.
Herzlichen Dank, Herr Präsident. – Meine sehr verehrten Damen und Herren! Zwei nordrheinwestfälische Flüchtlingsgipfel, permanente Beratungen zur Flüchtlingsunterbringung in jeder Sitzung des Innenausschusses in diesem Haus – man könnte meinen, dass ein solcher Antrag zum heutigen Plenartag eigentlich überflüssig sei. Das erscheint inhaltlich auch so, gibt mir aber Gelegenheit, Herr Kuper, auf das einzugehen, was ich hoffe und glaube, bis zum 18. Juni bei der Ministerpräsidentenkonferenz unter Teilnahme der Kanzlerin zu erreichen.
Der Flüchtlingsgipfel der Bundesregierung hat klare Aufträge erteilt. Sechs Arbeitsgruppen müssen bis zum 11. Juni 2015 Vorschläge vorlegen, wie diese gesamtstaatliche Aufgabe, diese gemeinsame Aufgabe, Flüchtlinge in diesem Land unterzubringen, gemeinsam wahrgenommen werden kann. In zwei dieser Arbeitsgruppen hat Nordrhein-Westfalen die Federführung. Ich will gleich auf einiges eingehen und darstellen, wie wir bis zum 18. Juni 2015 Vorschläge entwickeln wollen, wie insbesondere unsere Kommunen in Nordrhein-Westfalen entlastet werden und wir zugleich trotzdem rechtsstaatliche Asylverfahren und menschenwürdige Unterbringung garantieren können. Das ist eine Herausforderung.
Doch ich will deutlich sagen, was die Haltung aller 16 Bundesländer in diesem Verfahren ist und auch am 18. Juni 2015 bei der Ministerpräsidentenkonferenz sein wird: Alle 16 Bundesländer werden unisono erklären, dass sich der Bund stärker als in der Vergangenheit engagieren muss. Er darf nicht länger Kommunen und Länder in der Finanzierung alleinlassen.
Asylverfahren tatsächlich durchführen zu können. Wir haben 200.000 unbearbeitete Asylanträge in Deutschland.
Ich will auf einen Fall eingehen und daran verdeutlichen – die Zahl 200.000 ist etwas Abstraktes –, was sich tatsächlich für die Menschen, im Übrigen auch finanziell für die Kommunen, hinter dieser Zahl verbirgt.
Trotzdem sage ich – da gebe ich Ihnen recht –: Wir können nicht nur die Verantwortung des Bundes einfordern, sondern wir müssen selbst einer Verantwortung nachkommen. Das tut diese Landesregierung. Wir haben eine große humanitäre Verantwortung. Wir haben große Anstrengungen zu unternehmen, um Flüchtlingen Schutz und Zuflucht zu gewähren.
Deshalb haben wir bei dem ersten nordrheinwestfälischen Flüchtlingsgipfel gemeinsam konkrete Maßnahmen vereinbart – übrigens mit Zustimmung der CDU, mit Zustimmung der FDP, die, wie auch andere in diesem Haus vertretene Fraktionen, an diesem Flüchtlingsgipfel beteiligt waren –: Erhöhung der Pauschale für die Kommunen um 40 Millionen € auf 183 Millionen €, Härtefallregelung in der Größenordnung von 3 Millionen € zur Entlastung bei hohen Gesundheitskosten, Weitergabe der Bundesmittel in der Größenordnung von 54 Millionen €.
Gerade heute Vormittag haben wir den zweiten Nachtragshaushalt für das Jahr 2015 beraten. 180 Millionen € zusätzlich für das Kapitel „Asyl“ und 800 neue Stellen in Nordrhein-Westfalen, um insbesondere die Integration von Flüchtlingskindern in diese Gesellschaft zu erreichen. 800 zusätzliche Stellen!
Ich glaube, dass wir erhebliche Teile der Hausaufgaben, die wir zu erledigen haben, tatsächlich erledigt haben.
Lassen Sie mich bitte darauf eingehen, dass wir nicht versuchen sollten, uns in einem politischen Klein-Klein imaginäre Verantwortung zuzuschieben. Wir leben in einer Welt, in der uns diese Flüchtlingsströme in den nächsten Jahren beschäftigen werden. Wir haben in Nordrhein-Westfalen diese Herausforderung zu stemmen, aber die politischen Rahmenbedingungen der Europäischen Union sind dringend zu ändern.
Ich will das Thema „Westbalkan“ nennen. Fast die Hälfte der Asylbewerber, die zurzeit nach Deutschland kommt, kommt aus dem Westbalkan, kommt aus zukünftigen Mitgliedsstaaten der Europäischen Union. Diese Staaten sind in Beitragsverhandlungen. Der Glaube der Europäischen Union, dass sie einen armen Hinterhof unmittelbar vor ihrer eigenen Haustür tolerieren könnte, zu glauben, die Menschen blieben dort, wo sie sind, ist eine fatale Fehleinschätzung.
Ich kann jeden Familienvater sehr gut verstehen, der sich mangels Perspektive, mangels Beschäftigungsmöglichkeiten, mangels Bildungsmöglichkeiten für die eigenen Kinder, mangels Gesundheitsversorgung in Serbien und Albanien mit seiner Familie auf den Weg nach Deutschland macht in der Hoffnung, hier Asyl zu erhalten. Sie werden hier kein Asyl erfahren; das ist klar. Deshalb müssen wir an den Ursachen dort arbeiten.
Es muss klar sein: Bevor Serbien und Albanien Mitgliedsstaaten Nummer 29 und 30 in der Europäischen Union werden, muss der Umgang insbesondere mit der Ethnie Roma in diesen Ländern geklärt sein. Dort müssen Lebensbedingungen herrschen, die es nicht erforderlich machen, sich auf den Weg in andere Länder zu begeben, um das Mindestmaß an menschlichem Leben erfahren zu können.
Wir sehen abends die Nachrichten aus dem Nordirak, aus Syrien. Wir wissen ganz genau: Das ist die humanitäre Katastrophe unseres Jahrzehnts. Allein in Syrien sind siebeneinhalb Millionen Menschen auf der Flucht. Der kleine Libanon mit vier Millionen Einwohnern hat eine Million syrische Flüchtlinge aufgenommen. Wir werden in den nächsten Jahren erleben, dass dieser syrische Konflikt nicht lösbar sein wird. Es kommen Flüchtlinge hierher, die nicht nur ein paar Monate bleiben. Sie werden lange bleiben, und einige von ihnen werden für immer bleiben. Darauf muss sich die deutsche Flüchtlingspolitik einstellen, und hier sind dringend Veränderungen notwendig.
Die erste Veränderung, die notwendig ist: Dieses Land muss sich dazu bekennen, dass die Aufnahme von Flüchtlinge eine gemeinsame nationale Aufgabe aller staatlichen Ebenen ist. Den Unterbringungsdruck, auch den Finanzierungsdruck, den Druck, diese Menschen in eine Gesellschaft zu integrieren, tragen zurzeit ausschließlich die Länder und die Kommunen, ausschließlich. Es ist zurzeit keine gemeinsame staatliche Aufgabe. Dieses Bekenntnis muss am 18. Juni 2015 von der Kanzlerin bei der Ministerpräsidentenkonferenz erklärt werden.
Das heißt auch, dass sich der Bund – zusätzlich zu der finanziellen Beteiligung der Länder – strukturell an den Kosten beteiligt. Es kann nicht sein, dass man bundesseits versucht, sich mit Einmalbeträgen wie dieser 1 Milliarde € aus der eigenen politischen Verantwortung freizukaufen.
Die Hauptlast in der Flüchtlingsaufnahme tragen nämlich heute unsere Kommunen. Sie sind zum Teil an der Grenze ihrer Leistungsfähigkeit angelangt.
Meine Damen und Herren, es ist eine herausragende Aufgabe für uns als Landesregierung, zu versuchen, unsere Kommunen bestmöglich zu unterstützen. Ein Ziel muss – insbesondere im Interesse unserer Kommunen – darüber hinaus aber erreicht
werden – was wir am 18. Juni 2015 in den Arbeitsgruppen verhandelt haben und zurzeit noch verhandeln, dient nahezu ausschließlich dazu, die Situation unserer Kommunen zu verbessern –: Wir brauchen eine Verkürzung der Verfahrensdauern, die ausschließlich der Bund zu verantworten hat.
750 neue Stellen beim BAMF – ja, endlich, nachdem man Jahre verschlafen hat. 2.000 Stellen sind perspektivisch in Aussicht gestellt.
Nur, um es deutlich zu machen, Herr Kuper: Wenn der Teil des Koalitionsvertrags der Großen Koalition in Berlin tatsächlich Wirklichkeit würde, nämlich die Verfahren auf drei Monate zu verkürzen, zöge das eine finanzielle Entlastung unserer Kommunen um die Hälfte nach sich – eine finanzielle Entlastung um die Hälfte allein durch die Verkürzung der Verfahren beim BAMF!
Aber was bedeutet es neben dem Unterbringungsdruck und den finanziellen Aufwendungen in unseren Kommunen eigentlich, wenn die durchschnittliche Bearbeitungsdauer sechs Monate beträgt und 200.000 Asylanträge liegen geblieben sind? Was bedeutet das eigentlich?
Frau Düker, die, wie ich glaube, jede Landeseinrichtung besucht hat, hat in der letzten Innenausschusssitzung den Fall eines Menschen aus Ostafrika geschildert, der seit 20 Monaten auf eine Anhörung beim BAMF wartet: der seit 20 Monaten in der Gemeinschaftsunterkunft einer Kommune untergebracht ist, der seit 20 Monaten keinen Anspruch auf einen Sprachkurs hat, der seit 20 Monaten vergeblich einen Arbeitgeber sucht, der ihn beschäftigt, auch wenn er keinen gesicherten Aufenthaltsstatus hat.
Es ist sträflich, die Chancen, die diese Zuwanderung mit sich bringt, durch lange Verfahrensdauern kaputtzumachen. Genau das ist es, was wir zurzeit erleben.