Protokoll der Sitzung vom 20.05.2015

Vielen Dank, Frau Kollegin Hanses, dass Sie die Zwischenfrage zulassen. – Da Sie schon darauf abgehoben haben, dass Sie immer gerne bereit sind, auch die Bundesregierung

(Dagmar Hanses [GRÜNE]: Nein, an dieser Stelle nicht!)

zu treiben, frage ich Sie: Ist Ihnen bekannt, dass der Petitionsausschuss gerade heute einen Beschluss zu diesem Thema gefasst hat, auch mit den Stimmen der Grünen, der genau in die Richtung geht, dass die Bundesregierung da offensichtlich noch weiter getrieben werden muss?

Herr Präsident, ich antworte gerne darauf. – Sehr geehrter Herr Kollege Wedel, auch wenn ich den aktuellen Beschluss des Petitionsausschusses nicht kenne, weil ich meine armen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter an Plenartagen nicht hetze, allem hinterherzurennen, muss ich sagen: Sie hätten das vielleicht im Vorfeld bei Ihren Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern tun sollen. Dann hätten Sie nämlich gewusst, dass in Berlin nicht nur ein Eckpunktepapier vorliegt, sondern auch ein Referentenentwurf. Anders, als Sie es hier eben geäußert haben, geistert das nicht durch die Landschaft in Berlin, sondern liegt tatsächlich vor. Vielleicht geistert da ja noch jemand anders herum, der gerade nicht im Deutschen Bundestag sitzt und das deshalb hier immer wieder vorbringen muss.

(Beifall von Nadja Lüders [SPD] und Sven Wolf [SPD])

Das obliegt der Interpretation des Hauses.

Ich denke, dass wir uns an dieser Stelle mal keine Sorgen über die Bundesregierung machen müssen; denn bei diesem Thema ist der Gesetzentwurf auf dem Weg. Wir sollten das aufmerksam begleiten. Es ist aber wirklich ein Bundesthema. Wir führen auch immer wieder Gespräche mit den Anwaltskammern.

Ich möchte Ihnen einen Satz nicht vorenthalten, weil wir gerade noch einmal festgestellt haben, dass Anwältinnen und Anwälte nicht nur selbstständig tätig sind, sondern auch als Syndikusanwältinnen und -anwälte arbeiten. Insofern hat das Bundessozialgericht klargestellt, dass die Tätigkeit anwaltlich zugelassener Syndici für ihren nicht anwaltlichen Arbeitgeber auch eine anwaltliche Tätigkeit ist. – Diesen Satz fand ich so schön, dass ich ihn Ihnen auch noch einmal gönnen wollte.

Ich denke, dass wir uns keine Sorgen machen müssen. Die Gesetzgebung ist im Bund auf einem guten Weg. Wir stimmen der Überweisung in den Rechtsausschuss zu, werden aber selbstverständlich im Rechtsausschuss Ihren Antrag ablehnen. – Ich wünsche Ihnen noch einen schönen Tag.

(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)

Vielen Dank, Frau Kollegin. Wir haben allerdings noch einiges zu tun. – Ich erteile jetzt Herrn Kollegen Schulz von der Piratenfraktion das Wort.

Vielen Dank. – Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Zuschauerinnen und Zuschauer im Saal! Lieber Kollege Wedel, die Zuschauerinnen und Zuschauer haben meines Wissens während der Debatte zu diesem Tagesordnungspunkt nicht gewechselt. Deswegen möchte ich meinen Redebeitrag mit den Worten eröffnen: Es ist eigentlich alles gesagt, nur noch nicht von jedem.

(Heiterkeit von Nadja Lüders [SPD])

Insofern möchte ich mich auf das beschränken, was meine Kolleginnen und Kollegen im Vorfeld zur Situation ausgeführt haben. Neben diesem Antrag gibt es in der Tat einen vorliegenden Referenten- oder Gesetzentwurf im Bund. Auch ich von der Piratenfraktion freue mich selbstverständlich darauf, diesen Antrag, aber begleitend auch das vorliegende Eckpunktepapier und den Gesetzentwurf im Rechtsausschuss des Landtags Nordrhein-Westfalen einmal genauer unter die Lupe zu nehmen. Vielleicht findet sich in diesem auf Sach- und Fachebene doch meist konsensual arbeitenden Ausschuss im Landtag Nordrhein-Westfalen ja eine Möglichkeit, diesem Antrag in gebührender Form

näherzutreten. – Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall von den PIRATEN)

Vielen Dank, Herr Kollege Schulz. – Für die Landesregierung hat jetzt Herr Minister Kutschaty das Wort.

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrter Herr Kollege Wedel, Respekt dafür, dass Sie die Auswirkungen und Konsequenzen des Urteils des Bundessozialgerichts auf die Syndikusanwälte hier sehr kenntnisreich und sehr detailliert dargestellt haben! Dem kann ich, was die Konsequenzen und Auswirkungen anbelangt, nichts hinzufügen.

In zwei Punkten – das muss ich Ihnen leider sagen – liegen Sie falsch. Der erste Punkt ist – und da enttäuschen Sie mich fast schon ein bisschen, weil ich ansonsten von Ihnen sehr gründliche Recherche gewohnt bin –, dass Sie zum Zeitpunkt Ihrer Antragstellung den vorliegenden Referentenentwurf ganz offensichtlich noch nicht gekannt haben. Insofern bedarf es eigentlich keines weiteren Antriebs. Der Bund ist in dem Bereich sehr aktiv.

Der zweite Punkt, in dem Sie meines Erachtens falsch liegen, ist – Sie haben es gerade ausgeführt –, dass der Eindruck entstehen könnte, innerhalb der Anwaltschaft sei klar, wie das zukünftig geregelt werden müsste, und alle Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälte in unserem Lande verträten die gleiche Auffassung wie die Syndikusanwälte. Genau diese Diskussion wurde auf Bundesebene geführt.

Ich bin sehr schnell in die Gespräche mit der Bundesrechtsanwaltskammer und dem Deutschen Anwaltsverein sowohl auf Bundes- als auch auf Landesebene eingestiegen. Gestern war ich auf der Mitgliederversammlung des größten nordrheinwestfälischen Anwaltsvereins, in Köln. Auch da haben wir diese Frage sehr intensiv erörtert. In der Anwaltschaft ist man sehr unterschiedlicher Ansicht, wie so etwas geregelt werden sollte.

Insofern war es klug und schlau vom zuständigen Bundesjustizminister, abzuwarten, wie sich die Anwaltschaft zu dieser Frage in ihrem eigenen Berufsrecht positioniert.

Und in der Anwaltschaft zeigt sich eben kein einheitliches Bild, sprich: nicht alle wollen die völlige Gleichstellung der Syndikusanwältinnen und-anwälte mit dem klassischen Anwalt. Es existieren insbesondere auf Kammerseite durchaus noch erhebliche Bedenken.

Ich denke aber, dass der Bundesjustizminister jetzt einen sehr klugen Referentenentwurf vorgelegt hat, der ganz wichtige Punkte mit regelt. Das heißt, er

regelt nicht nur die Frage, wie sich Syndikusanwältinnen und -anwälte von der gesetzlichen Rentenversicherungspflicht befreien lassen kann – diese steht ganz offensichtlich im Zentrum Ihrer Überlegungen –, sondern es geht auch um die Frage, welche weiteren Rechte man Syndikusanwältinnen und -anwälten einräumt. Ich nenne nur die Beispiele „Zeugnisverweigerungsrecht“, „Beschlagnahmeverbot im Büro des Unternehmensjuristen“. All das sind Fragen, die hier ein wenig außen vor geblieben sind, die aber ganz entscheidend und von daher mit zu regeln sind.

Deswegen bin ich dem Bundesminister sehr dankbar, dass er diese Fragen aufgegriffen hat und klar Position bezieht, dass wir erstmals eine Definition bekommen werden, was denn ein Syndikusanwalt ist, dass auch erstmals klargestellt wird, dass ein Syndikusanwalt nicht nach der Doppelberufstheorie arbeiten muss, also vormittags im Unternehmen und nachmittags noch zwei Fälle vom Wohnzimmer aus betreuen muss, sondern die Tätigkeit auf die Unternehmensberatung beschränkt werden kann.

Es sind ganz viele Aspekte, die noch weiter zu diskutieren sein werden und zu denen schon unterschiedlichste Reaktionen aus dem Kreise der Anwaltschaft und der Syndikusanwaltschaftschaft vorliegen. Insofern ist es ganz gut, sich die Zeit genommen zu haben; ich kann nicht erkennen, dass es zu langsam gegangen ist. Alles Nötige ist veranlasst worden und liegt auch schon vor.

Ich sehe auch keine Problematik betreffend die Rentenversicherung in der Übergangsphase. Der Referentenentwurf sieht ausdrücklich vor, dass eine Rückversicherung und Nachversicherung ab dem 1. April 2014 möglich ist. Also keiner, der jetzt als Syndikusanwalt eventuell zur gesetzlichen Rentenversicherung gewechselt ist, erleidet dadurch einen Nachteil. All das lässt sich letztlich durch den Gesetzentwurf heilen.

Wir sind insgesamt, was das anbelangt, auf Bundesebene auf einem guten Weg. Ich freue mich, dass wir solche bundespolitischen Themen hier im Landtag diskutieren können, würde mich aber den Anregungen der Kollegen Haardt und Schulz anschließen, uns im Rechtsausschuss nicht darüber zu unterhalten, wer getrieben werden muss, sondern welche inhaltlichen Regelungen wir unterstützen wollen. Insofern freue ich mich auf die Beratungen im Rechtsausschuss. – Herzlichen Dank.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Vielen Dank, Herr Minister. – Weitere Wortmeldungen, liebe Kolleginnen und Kollegen, liegen mir nicht vor. Somit kann ich die Aussprache zum Tagesordnungspunkt 5 schließen.

Wir kommen zur Abstimmung. Der Ältestenrat empfiehlt die Überweisung des Antrags Drucksache

16/8653 an den Rechtsausschuss, der die Federführung bekommt. Die Mitberatung erfolgt durch den Ausschuss für Wirtschaft, Energie, Industrie, Mittelstand und Handwerk. Die abschließende Abstimmung soll im federführenden Ausschuss in öffentlicher Sitzung erfolgen. Möchte jemand gegen die Überweisung stimmen oder sich enthalten? – Beides ist nicht der Fall. Damit haben wir so überwiesen.

Ich rufe auf:

6 Förderung eines dauerhaften sozialen Ar

beitsmarktes „Arbeit statt Arbeitslosigkeit finanzieren“

Antrag der Fraktion der SPD und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Drucksache 16/8655

Ich eröffne die Aussprache, und als erste Rednerin hat für die SPD-Fraktion Frau Kollegin Jansen das Wort.

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Liebe Besucherinnen und Besucher! Laut einer Studie von Prof. Stefan Sell kommen in NRW 300.000 Menschen für einen sozialen Arbeitsmarkt infrage. 300.000 Menschen, das ist zunächst eine große Zahl, aber welche Geschichten stecken dahinter? Da wir heute eine Block-II-Debatte haben, erlauben Sie mir, dass ich Ihnen zumindest zwei dieser Geschichten erzähle.

Beispiel 1. Thomas, Ende 40. Lebensgeschichte: Hauptschulabschluss, abgebrochene Berufsausbildung, Gelegenheitsjobs. Dazu kommen private Probleme und Probleme, sich selbst und seine Arbeit zu organisieren.

Letzter Halt: Hartz IV. – Unzählige Integrationsbemühungen, Arbeitsgelegenheiten, Qualifizierung, Bewerbungsmaßnahmen, Kurzqualifikationen, wieder Arbeitsgelegenheiten, Arbeitslosigkeit.

Letzter Ausweg: Sozialkaufhaus. Er arbeitet dort als Möbelpacker und bekommt morgens seinen Einsatzplan, wann er Möbel wo abholen muss, wann er diese wieder entladen muss und hat einen sehr geregelten Tagesablauf. Das klappt aber nur, meine Damen und Herren, wenn es wirklich bei diesem Tagesablauf bleibt und wenn alles im Lot bleibt. Bei Störungen im Betriebsablauf ist er sofort irritiert und beunruhigt und benötigt Zuspruch von der Sozialarbeiterin, ebenso wie bei wieder auftretenden Problemen im Privatleben.

Beispiel 2. Gisela, Anfang 50. Lebensgeschichte: Als junges Mädchen hat sie Arzthelferin gelernt, allerdings bei einem Doktor, der auch schon älter an Jahren war und es nicht mehr einsehen wollte, sei

ne Praxis auf den PC umzustellen. Nach zehn Jahren ging er in den Ruhestand. Sein Nachfolger hat Gisela nicht übernommen, weil sie eine sehr undeutliche Aussprache hat und im Gegensatz zu den jüngeren Kolleginnen mit dem PC nicht zurechtkam. Danach hatte sie immer nur Aushilfsjobs, Urlaubsvertretungen in Arztpraxen etc. Qualifikationen führten nicht zum Erfolg.

Hinzu kommt noch eine eingeschränkte Mobilität. Sie wohnt in Monschau Kalterherberg, und das ist so weit vom Schuss, meine Damen und Herren, wie es sich anhört: Von dort aus fährt zwei Mal am Tag ein Bus nach Aachen. Da sie mit ihrer älteren Mutter zusammenlebt, kommt aber ein Wohnortwechsel nicht infrage.

Letzter Halt: Hartz IV. Unzählige Integrationsbemühungen, Arbeitsgelegenheiten, Qualifizierungen,

Bewerbungstrainings, wieder Arbeitsgelegenheiten, Arbeitslosigkeit.

Letzter Ausweg: ein ÖgB-Projekt in einer Wäscherei. Hier nimmt man Rücksicht auf langsameres Arbeitstempo, erklärt manches zwei- bis dreimal und ermöglicht kurze Pausen.

Das sind nur zwei Beispiele, meine Damen und Herren, von vielen Tausenden, die es in NRW gibt. Sie geben beredtes Zeugnis darüber ab, welche Schicksale hinter dieser großen Zahl von Langzeitarbeitslosen stecken.

Zum Antrag: Die SGB-II-Arbeitslosenquote liegt in NRW bei 6 %. Damit liegt sie deutlich über dem Bundesdurchschnitt von etwa 4,5 %. Traurige Spitzenreiter sind hierbei beispielsweise der Kreis Recklinghausen, Dortmund mit 10,6 % oder Duisburg mit 11 %. Aber es handelt sich nicht nur Städte im Ruhrgebiet, sondern durchaus auch um eine Stadt wie Krefeld mit 8,6 %. Aber auch andere Großstädte wie Köln oder Düsseldorf oder die Städteregion Aachen und das Bergische Städtedreieck sind davon betroffen.

Und es handelt sich nicht um ein NRW-Problem, auch die niedersächsische Metropolregion Hannover-Braunschweig-Göttingen-Wolfsburg oder Teile der hessischen Metropolregion Frankfurt/RheinMain sowie ostdeutsche Länder sind davon betroffen.