Daniela Jansen
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Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! „Aber ich liebe ihn doch.“ Diese Worte aus dem Mund einer 14-Jährigen sind für uns Erwachsene vielleicht manchmal amüsant. Vielleicht können wir uns auch noch an die eigenen ersten großen Lieben erinnern, die man im Alter von 13 oder 14 erlebt hat. Aber wenn diese Liebe in Missgunst oder in Rache umschlägt, kann das schlimme Folgen haben.
Ich hatte letzte Woche ein Gespräch mit einer Schulsozialarbeiterin, die mir sehr anschaulich geschildert hat, wie das in der Mittelstufe funktioniert, im Alter von 13, 14 bis 17 Jahren, wenn junge Leute zusammenkommen. Ich weiß nicht mehr, ob das so ist wie früher bei mir in der Schule mit Zettelchen, auf denen man Ja, Nein oder Vielleicht ankreuzen sollte.
In jedem Fall hat sich aber der Umgang mit den neuen Medien verändert. Im Falle einer ganz großen Liebe von 14- bis 17-Jährigen wird oftmals das Mädchen aufgefordert: Schick mir doch einmal ein Foto. Ich hätte so gerne ein Foto von dir, das ich mitnehmen und überall zeigen kann. – Oftmals sind das Fotos, die das Mädchen nicht im bekleideten Zustand zeigen, sondern dem Freund die ganz große Liebe beweisen sollen.
Dieser oftmals unbedarfte Umgang mit Nacktbildern, die nach dem Ende einer zweiwöchigen Beziehung etwa über WhatsApp verschickt werden, führt dann dazu, dass das Mädchen in der ganzen Klasse, vielleicht auch in der ganzen Schule, unmöglich gemacht wird. Wüste Kommentare, Beleidigungen über Facebook oder andere WhatsApp-Gruppen sind leider nicht mehr selten.
Sie alle kennen den Grundsatz: Das Internet vergisst nie. – Selbst wenn Bilder gelöscht werden, kann man über Screenshots oder andere technische Möglichkeiten bestimmte Bilder so lange aufbewahren, wie man möchte. Die eigentlich privaten Bilder bleiben also lange im digitalen Gedächtnis.
Ein Opfergedanke ist oftmals bei den Mädchen nicht präsent. Oftmals ist eine „Du bist doch selbst schuld“Zuschreibung dafür verantwortlich, dass man sich zu sehr schämt, um etwas gegen Cybermobbing, Mobbing und üble Nachrede zu unternehmen.
Meine Damen und Herren, ich bin der Meinung, dass man Mädchen und junge Frauen sehr früh dafür sensibilisieren muss, sich nicht alles gefallen zu lassen. Das kann zum Beispiel durch eine Ansprache von Schulsozialarbeitern, pädagogischen Mitarbeiterinnen in Jugendeinrichtungen, Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern von Sportvereinen etc. geschehen. Ich glaube, dass da auch schon ein Umdenkprozess eingesetzt hat.
Die Gesamtschule, die ich letzte Woche besucht habe, bietet beispielsweise schon in der 5. Klasse ein
Präventionsprogramm in Kooperation mit der Polizei an.
Deshalb sage ich ganz klar: Gewalt, Mobbing und Cybermobbing haben in Schule und Freizeit keinen Platz. Wir müssen den Jugendlichen bewusst machen, dass Beleidigungen und Beschimpfungen auch im Internet strafbar sind, und wir müssen das Selbstbewusstsein der Mädchen stärken.
Als ich vorgestern nach Düsseldorf gefahren bin, stieg eine Gruppe von jungen Mädchen – etwa in dem Alter, das ich gerade beschrieben habe: 14 bis 16 – in den Zug ein. Sie unterhielten sich über sich anbahnende Facebook-Bekanntschaften.
Ein Mädchen erzählte seinen Freundinnen: Na ja, da hat mich jemand angeschrieben. Ich kenne den zwar nicht. Ich weiß auch gar nicht genau, wo der herkommt. Aber ich habe ihm erst mal geschrieben, wie alt ich bin, weil der ja geschrieben hat, dass er mich so hübsch findet.
Ich hätte dem Mädchen am liebsten zugerufen: Spiel die Hauptrolle in deinem Film. Sei deine eigene Königin, und warte nicht darauf, dass dir einer eine Krone aufsetzt oder einen roten Teppich ausrollt. Du musst keine persönlichen Daten preisgeben. Du musst dich nicht geschmeichelt fühlen von irgendjemandem, der dir sagt, dass du wahnsinnig hübsch bist, nur damit er an deine Daten und an deine Bilder kommt.
Es kann auch nicht sein, dass Mädchen gesagt wird, sie seien ja selber schuld, wenn sie leichtfertig Fotos verschicken oder ihre persönlichen Daten preisgeben. Ich finde, dass eher der Vertrauensmissbrauch der ehemals großen Liebe das Schlimme ist – und nicht das Bild selbst.
Die Fraktionen von SPD und Grünen wollen eine Sensibilisierung durch Fortbildungen bei Polizei, Justiz, Lehrerinnen und Lehrern sowie pädagogischen Fachkräften. Genauso wollen wir auch die Arbeit der Beratungsstellen weiter unterstützen.
Ich freue mich sehr auf die Beratung im Ausschuss. Und wenn ich darüber nachdenke: Wenn ich das Mädchen noch einmal sehen sollte, werde ich es ihm auch sagen. – Danke.
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! „Das Gegenteil von gut ist nicht böse, sondern gut gemeint.“ – Mit Erlaubnis des Präsidenten habe ich hier Kurt Tucholsky zitiert. Die Rechtsvereinfachungen im SGB II, die morgen im Bundesrat abschließend behandelt werden, sind dem Grunde nach auch gut.
Gut für Leistungsbeziehende: verlängerte Bewilligungszeiträume; das heißt, nicht jedes halbe Jahr einen neuen Wust von Formularen auszufüllen; längere Fördermöglichkeiten und bessere Unterstützung für Langzeitarbeitslose; außerdem Erleichterungen für alle, die eine Ausbildung beginnen möchten. Sie können zukünftig aufstockend Arbeitslosengeld II erhalten.
Gut auch für Job-Center: In Zukunft werden Leistungsempfänger, die neben Arbeitslosengeld II auch Arbeitslosengeld-II-Aufstockung bekommen, von
den Agenturen für Arbeit betreut. Das bedeutet eine Entlastung für die Jobcenter-Mitarbeiter.
Gute Neuigkeiten zum Teil auch für Alleinerziehende: Die Möglichkeit, neben einer Ausbildung, die gerne auch in Teilzeit sein darf, Arbeitslosengeld II zu bekommen, eröffnet neue Möglichkeiten, gerade für Alleinerziehende.
Aber, meine Damen und Herren, das Gegenteil von gut ist eben gut gemeint. Da existiert eine Regelung,
nach der es zwei zeitlich sich ausschließende temporäre Bedarfsgemeinschaften gibt. Das bedeutet, es müsste eigentlich eine stundenweise Aufteilung und eine Abrechnung erfolgen, wann ein Kind bei Mutter oder Vater lebt. Diese Regelung ist allerdings so kompliziert, dass sie von der Mehrzahl der Jobcenter bislang nicht angewendet worden ist.
Es gab eine neue Regelung, die eine zumindest tageweise Aufteilung zur Folge gehabt hätte – dies aber meist auf Kosten der alleinerziehenden Mutter; denn die Tage, die das Kind beim Vater verbringt, werden der Mutter vom Sozialgeld abgezogen.
Ich bitte Sie, sich das einmal vorzustellen: Da sind getrennt lebende Eltern, bei denen noch Wut und Schmerz über die Trennung herrscht. Und da werden noch sehr viele Diskussionen darüber geführt, bei wem das Kind eigentlich welche Zeit verbringen darf und wie lange – und zwar nicht deshalb, weil die Mutter, bei der das Kind in der Mehrheit der Fälle lebt, das Kind seinem Vater vorenthalten will, sondern weil sie es sich schlicht nicht leisten könnte, das Kind häufiger als zum üblichen Wochenende zum Vater zu bringen.
Das, meine Damen und Herren, ist ein Skandal und erhöht den Druck auf das Kind ungemein.
Der ursprüngliche Plan sah eine Kürzung des Sozialgeldes für ein Kind von sechs bis 14 Jahren von 9 € pro Tag vor. Gerade in den Ferien hätte das für eine Gruppe von vornehmlich Frauen, die es ohnehin schwer haben, faktisch eine Kürzung des Existenzminimums bedeutet. Ich darf Sie da vielleicht auf die Presseberichterstattung von heute verweisen, nach der noch einmal deutlich wird, dass Alleinerziehende überdurchschnittlich oft von Armut betroffen sind.
Und nicht nur das – zukünftig sollte bei einer Alleinerziehenden, deren Kinder Umgang mit dem anderen Elternteil haben, regelmäßig auch dann gekürzt werden, wenn der umgangsberechtigte Elternteil nicht selbst hilfebedürftig ist und kein Sozialgeld für das Kind bekommen muss. Das würde faktisch eine Kürzung des gesetzlich festgeschriebenen Existenzminimums bedeuten. Zu Recht haben hier viele Verbände – etwa AWO, Frauenrat, Diakonie und viele mehr – protestiert.
Wir fordern deshalb die Schaffung eines Umgangsmehrbedarfes für den Haushalt, in dem sich das Kind weniger häufiger aufhält; denn die vorgeschlagene strenge Aufteilung des Sozialgeldes nach den Aufenthaltstagen berücksichtigt nicht solche Fixkosten wie Telefon, Strom, Versicherungen und Vereinsbeiträge für das Kind, die in gleicher Höhe im Haushalt der Alleinerziehenden anfallen werden.
Die mit der Verschlankung des Sozialrechts begründeten Einschnitte zulasten der Alleinerziehenden bekämpfen letztendlich nicht die Kinderarmut, sondern gefährden das Kindeswohl.
Mit dem pauschalen Umgangsmehrbedarf würde der Gesetzgeber besonders im Hinblick auf alleinerziehende Frauen den programmatischen Auftrag erfüllen, der eigentlich an den Anfang des SGB II gestellt ist. Ich darf zitieren:
„Die Gleichstellung von Männern und Frauen ist als durchgängiges Prinzip zu verfolgen.“
Das Existenzminimum von Müttern und ihren Kindern darf nicht gekürzt werden. Nicht weniger fordern wir mit diesem Antrag von SPD und Grünen.
Inzwischen ist dieser zu Recht umstrittene Absatz der tageweisen Kürzung des Sozialgeldes zunächst aus dem Gesetzentwurf gestrichen worden. Es gibt auch Signale aus Berlin, dass die Koalitionäre miteinander diskutieren und sich durchaus für den Umgangsmehrbedarf aussprechen könnten. Bisherige Schätzungen gehen da von Mehrkosten in Höhe von 60 Millionen € aus.
Deshalb unser Appell an den Bundesfinanzminister: Machen Sie den Weg frei für diese Lösung, damit insbesondere für Alleinerziehende nicht noch mehr Hürden errichtet werden! Das bedeutet für uns soziale Gerechtigkeit. – Herzlichen Dank.
Herzlichen Dank, Herr Kollege Witzel, dass Sie die Zwischenfrage zulassen. – Sind Sie bereit, zur Kenntnis zu nehmen, dass in dem Gesetzentwurf steht, dass bei im Wesentlichen gleicher Eignung Frauen bevorzugt eingestellt werden? Sind Sie weiter bereit, zur Kenntnis zu nehmen, dass in dem Papier-Gutachten steht, dass die Bestenauslese denselben Verfassungsrang hat wie die Frauenförderung?
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Wir in Nordrhein-Westfalen haben eine große kulturelle Vielfalt – auch durch die zugewanderten Menschen. Es gibt allerdings auch Konflikte, zum Beispiel ob man helles Bier in schmalen hohen Gläsern trinkt oder ob dunkles Bier in kurzen breiten Gläsern ausgeschenkt wird. Es gibt aber eine Gemeinsamkeit: Beide Biere sind obergärig.
Zur Vielfalt der Biere gesellt sich die Pluralität unserer einheimischen Bevölkerung und der Zugereisten. Auch hier gibt es eine Gemeinsamkeit, denn alle wollen gemäß ihrer Berufsqualifikation bei uns arbeiten, ob im Krankenhaus, auf dem Bau oder in der Pflege.
Zur Sache: Die Landesregierung will bei der Anerkennung ausländischer Qualifikationen den EURichtlinien nachkommen. Das heißt: Eine Umsetzung in Landesrecht ist zwingend vorgeschrieben. Der Kernpunkt dieser Umsetzung ist der einheitliche Ansprechpartner in der Verwaltung bei der Bezirksregierung. Außerdem geht es um weitere Vereinfachungen vor allem in Verfahrensfragen. Die formell korrekte Bezeichnung lautet: Berufsqualifikationsfeststellungsgesetz.
Ein weiterer wichtiger Punkt neben dem einheitlichen Ansprechpartner – das ist auch in der Anhörung diskutiert worden – ist die Vorlage von Unterlagen entweder in Kopien oder Originalen. Nachdem zuerst massive Bedenken vor allem seitens der Ärztekammer aufgrund der Befürchtung von gefälschten Unterlagen oder Zeugnissen vorgebracht wurden, wurde allerdings auf Nachfragen deutlich, dass es sich hier um Einzelfälle handelt, also die Befürchtung unbegründet ist.
Im Gesetz steht: Unterlagen sind in Form von Originalen oder Kopien zu übermitteln, wobei die vorgenannten Kopien grundsätzlich in beglaubigter Form vorzulegen sind. Für uns als SPD-Fraktion ist das völlig ausreichend, da verständlicherweise aus der Universität in Aleppo keine Originalunterlagen mehr beizubringen sind.
Ein weiterer Punkt, der jetzt nicht im Gesetz enthalten ist, den wir in Form eines Änderungsantrages einbringen werden, ist, dass gleiches Recht für alle gilt. Das heißt: Falls es Verstöße gegen die Berufsausübung gibt, sollten diese nicht nur von den Nachbarländern an uns, sondern auch von uns an die anderen Länder übermittelt werden: eine Information über Verstöße oder Verbote an die Nachbarländer von hier bei uns in Nordrhein-Westfalen oder in Deutschland erworbenen Abschlüssen. Das ist der sogenannte Vorwarnmechanismus.
Meine sehr geehrten Damen und Herren von CDU und FDP: Ich würde gern noch auf den Änderungsantrag eingehen wollen, den Sie eingebracht haben.
Wir lehnen es ab, dass Sie hier versuchen, eine Art von Panik zu schüren, wie wir meinen. Nach Angaben der Bezirksregierung – da darf ich aus der Anhörungsunterlage zitieren – sind es tatsächlich Einzelfälle. Es gibt jedes Jahr mehrere Fälle, in denen offenkundig Anträge auf der Grundlage von gefälschten Papieren gestellt werden. Jetzt kommt das entscheidende Zitat, meine Damen und Herren: Es sind auf jeden Fall weniger als 5 %.
Ich möchte auf die Pluralität zurückkommen, die ich anfangs erwähnte. Wenn das Gesetz beschlossen ist, können wir uns allenfalls noch über die Wahl des Bieres unterhalten. Aber in der Sache der Anerkennung der ausländischen Berufsqualifikationen darf es keine Zweifel geben. – Herzlichen Dank.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! „Fördern und Fordern“, das ist der Grundsatz des SGB II nach der Reform, die unter Gerhard Schröder verabschiedet wurde. Das ist nicht nur eine Überschrift oder eine Kurzform, sondern auch Name des ersten Kapitels des SGB II. Der Betroffene, also die erwerbsfähige Person, muss mithelfen, seine Situation zu verbessern.
Leistungen nach dem Sozialgesetzbuch unterliegen nun einmal Gesetzen, die es zu befolgen gilt. Deswegen bejahen wir grundsätzlich das Prinzip „Fördern und Fordern“; denn wenn Fehlverhalten nicht sanktioniert wird, ist dies kein angemessener Weg der Mitwirkung.
Unzweifelhaft ist es wie folgt: Sanktionen bzw. Absenkungen nach § 31a SGB II sollen verhaltenssteuernd wirken und eigene Anstrengungen des oder der Arbeitslosen einfordern. Auf der anderen Seite müssen wir auch ganz klar maßhalten; denn Sanktionen bzw. Leistungskürzungen müssen innerhalb eines existenzsichernden Leistungssystems stattfinden. In der sogenannten Eingliederungsvereinbarung vereinbarte Pflichten müssen auch erfüllbar bleiben.
Angesichts dieser Diskussionen müssen wir aber auch ehrlich bleiben. Auch mich fragen viele Besuchergruppen: Wie viele Menschen verstoßen denn überhaupt gegen ihre Eingliederungsvereinbarung? Wie viele Sanktionen werden denn verhängt? – Es handelt sich tatsächlich nur um eine Minderheit der Leistungsberechtigten, gegen die überhaupt Sanktionen verhängt werden; denn das Ziel bleibt natürlich Integration in den Arbeitsmarkt und ist nicht Schikane.
Damit sind wir beim Thema. Gerade bei jugendlichen Leistungsempfängern – damit meine ich die unter 25Jährigen – liegt die Sanktionsquote im Jahr 2014 bei 4,6 %. Wenn wir allerdings annehmen, dass es sich nur um eine geringe Anzahl von Menschen handelt, stellt sich die Frage: Warum sprechen wir dann überhaupt darüber? – Meine Damen und Herren, wir sprechen deshalb darüber, weil die Auswirkungen dieser Sanktionen teilweise fatal sind.
Stellen Sie sich folgenden Fall vor: Sven, 23, abgebrochene Maurerlehre, seitdem Hilfstätigkeiten auf
dem Bau, auf SGB II angewiesen. Kino mit Freunden? Nicht drin! Seine Freundin heiraten? Nicht drin! Deswegen wieder Streit – und Versäumnis des Termins im Jobcenter. Hierfür erleidet er direkt bei der ersten Pflichtverletzung eine Sanktion; denn die Leistungen werden dann beschränkt. Wenn sich ein solcher Fall innerhalb von zwölf Monaten wiederholt, kann sogar das gesamte ALG II inklusive Leistungen für Unterkunft und Heizung gestrichen werden.
Meine Damen und Herren, diese Sanktion konterkariert natürlich den Eingliederungsprozess und hat eventuell sogar Wohnungslosigkeit oder den Abbruch des Kontakts zum Jobcenter zur Folge.
Bei vielen Gesprächen mit Arbeitslosenberatungsstellen stelle ich immer wieder fest, dass es eine sehr große Scham der Betroffenen gibt, überhaupt über ihre Situation zu sprechen. Oftmals sind die Betroffenen erst nach mehreren Besuchen überhaupt in der Lage, sich zu öffnen und ihre Probleme zu benennen: Schulden, Privatinsolvenzen, natürlich auch gesundheitliche Probleme, die auftreten.
Meine Damen und Herren, auf Bundesebene liegt nunmehr der Kabinettsbeschluss zu Rechtsvereinfachungen des SGB II vor. Er enthält viele gute Verbesserungen. Es ist leichter, aus dem SGB-II-Bezug in eine Ausbildung zu wechseln. Es gibt eine Gesamtangemessenheitsgrenze; das bedeutet, dass man nicht Wohnung, Unterkunft und Heizung getrennt berechnet, sondern sich insgesamt innerhalb einer bestimmten Summe bewegen kann, sodass unnötige Umzüge womöglich vermieden werden können.
Aber bei Sanktionen für U25-Jährige bleibt der Entwurf leider hinter den Vorschlägen der gemeinsamen Bund-Länder-Arbeitsgruppe zurück. Besonders dramatisch finde ich, dass selbst bei Einsicht in ein Fehlverhalten und einer Verhaltensänderung die Sanktionen nicht aufgehoben werden können. Durch diese Sanktionspraxis wird nicht das Ziel erreicht, die jungen Menschen wieder in die Gesellschaft zu integrieren.
Meine Damen und Herren, wer nicht mehr das Geld für seinen Sportverein hat, wer am Essen spart und wer nicht weiß, ob die Wohnung weiter geheizt wird, der hat erst recht nicht die Kraft, wieder Teil der Gesellschaft und besonders der Arbeitsgesellschaft zu sein.
Deshalb fordern wir in unserem Antrag, dass Leistungsberechtigte unter 25 und über 25 Jahren gleichgestellt werden, dass die Übernahme der Kosten der Unterkunft auf jeden Fall zur Vermeidung von Obdachlosigkeit grundsätzlich sichergestellt wird, dass nachträgliche Bemühungen der Leistungsberechtigten auch zu einer Milderung der Sanktionsfolgen führen und dass ein einheitlicher Minderungsbetrag für jede Pflichtverletzung eingeführt wird. – Herzlichen Dank.
Meine sehr geehrten Damen und Herren! Verehrter Herr Präsident! Mit Ihrer Erlaubnis beginne ich mit einem Zitat.
„Ich trage seitdem auch nur noch Hosen. Ich habe mich gewehrt, aber er war nicht leicht abzuwehren. Der Täter hat danach siegessicher gegrinst.“
Dieses Zitat stammt aus einem Artikel der „Aachener Nachrichten“ und schildert einen sexuellen Übergriff. So oder so ähnlich lauten auch viele Berichte von der Silvesternacht in Köln. Dieses Zitat stammt allerdings von einer heute 74-jährigen Frau, die vor über 30 Jahren einen sexuellen Angriff durch einen Nachbarn erleben musste.
Die heutigen Schlagzeilen führen zu Retraumatisierungen bei Frauen, die sexuelle Gewalt erlebt haben, und sei sie auch noch so viele Jahre her. Sexuelle Gewalt ist kein neues Phänomen. Neu ist allerdings die Form, wie sie in der Silvesternacht Hunderten von Frauen widerfahren ist. Ich glaube, das Ausmaß dieser Abscheulichkeit hätte sich niemand vorstellen können. Eine bandenmäßige Verabredung zu sexuellen Übergriffen oder auch nur zu Diebstählen ist ein neues Phänomen für Deutschland. Diese Taten sind abscheulich. Den Opfern ist unsägliches Leid widerfahren. Und nicht nur das: Auch ein Gefühl der Ohnmacht stellt sich ein; denn im öffentlichen Raum befindet sich – anders als sonst – kein ausreichender Schutz durch die Polizei.
Dieses Phänomen der verabredeten Übergriffe und der Organisiertheit ist neu. Alt ist leider die Erfahrung vieler Frauen mit sexueller Gewalt. Jahr für Jahr werden bei der Polizei zwischen 7.000 und 8.000 Anzeigen wegen Vergewaltigung und sexueller Nötigung aufgenommen. 40 % aller Frauen erleben körperlich sexuelle Übergriffe.
Eine Analyse im Auftrag des Bundesverbandes Frauenberatungsstellen und Frauennotrufe ergab: Das deutsche Strafrecht schützt, zumindest gegenwärtig, das Recht auf sexuelle Selbstbestimmung der Frau nicht. Werden Frauen belästigt, begrapscht und an Geschlechtsteilen angefasst, gehen die Täter zumeist straflos aus.
Heute sieht die Rechtslage wie folgt aus: Wenn der Täter das Opfer an einen Ort verbringt, an dem es keine Hilfe erwarten kann und angesichts seiner hilflosen Lage auch keine Verteidigung für sinnvoll hält und vor Schrecken starr den sexuellen Übergriff über sich ergehen lässt, handelt es sich um eine objektiv schutzlose Lage. Da wir nicht alle Juristen sind, erkläre ich Ihnen kurz, was das bedeutet: Der Tatbestand der Nötigung fällt weg, und es kommt in den meisten Fällen noch nicht einmal zur Erhebung einer Anklage oder zur Eröffnung des Verfahrens.
Wir benötigen deshalb sehr dringend eine Reform der §§ 177 und 179 Strafgesetzbuch, um diese Schutzlücke zu schließen.
Wir Frauenpolitikerinnen fordern: Unser Ja zur Novellierung des Gesetzesbedeutet: Nein heißt nein.
Das komplette Ausmaß der Übergriffe rund um den Kölner Hauptbahnhof ist erst nach und nach deutlich geworden. Das liegt auch daran, dass viele Frauen erst durch diese öffentliche Debatte den Mut hatten, eine Anzeige zu erstatten.
Jetzt komme ich zu den negativen Seiten dieser Debatte, die es leider auch gibt. Es melden sich Menschen, egal ob Politiker, Bürgerwehren oder Populisten, zu Wort, die sich, zumindest bis zu dieser Silvesternacht, noch nie für die sexuelle Selbstbestimmung der Frau interessiert haben.
Deshalb sage ich Ihnen an dieser Stelle ganz klar: Wir brauchen keine selbsternannten feministischen Lautsprecher, die früher eher Leisetreter waren.
Situationsfeministinnen brauchen wir genauso wenig wie Rechtspopulisten, die versuchen, aus den Geschehnissen politisches Kapital zu schlagen.
Herr Kollege Schwerd hat es schon angedeutet. Es gab schon 2013 eine Debatte unter dem Hashtag „#aufschrei“, die jetzt mit dem Hashtag „#ausnahmslos“ ihre Fortführung findet. Erst wenn die Opfer verstehen, dass sie nicht die Einzigen sind, die Erniedrigung und Entwürdigung ertragen mussten, finden viele den Mut, darüber zu sprechen.
Aus diesem Grund legen wir den Antrag vor – mit vielen Punkten, die Sie dem Antrag noch einmal entnehmen können.
Ich finde es sehr schön, dass auch die FDP mit einem Entschließungsantrag deutlich gemacht hat, dass der Punkt „Gendersensibilität“ nicht völlig fremd in ihrem Wortschatz ist.
Wir freuen uns sehr darüber und stimmen selbstverständlich der Überweisung zu. – Herzlichen Dank.
Herzlichen Dank. – Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich wollte nur noch ganz kurz auf zwei Punkte eingehen. Wir haben in unserem Antrag das Ziel formuliert, Gewaltschutzkonzepte in Flüchtlingseinrichtungen zu etablieren, da Mädchen und Frauen gerade dort oftmals sehr bedrängt werden, auch aufgrund der räumlichen Situation. Genauso wichtig ist uns – das haben wir auch aufgenommen –, dass geflüchtete Menschen umfassend über die in Deutschland grundgesetzlich verankerte Gleichberechtigung von Mann und Frau aufgeklärt werden müssen. Das ist völlig richtig.
Deswegen ist mir, liebe Kollegin Scharrenbach, der Punkt, den Sie unter II angeführt haben, besonders wichtig:
„Die Gründe für die sexuellen Übergriffe in einem solchen Ausmaß müssen genau analysiert werden. Erst dann kann man spezielle Maßnahmen zur Verhinderung von sexualisierter Gewalt durch eine besondere Gruppe von zugewanderten Männern ergreifen.“
Ich glaube, dass dieser Satz in die Irre führt, denn dann haben wir genau das Problem der Ethnisierung von Gewalt und der Zuschreibung von sexueller Gewalt an bestimmte Männer- oder Tätergruppen, und genau das wollen wir nicht. – Herzlichen Dank.
Gerne.
Vielen Dank für die Frage, Frau Kollegin Scharrenbach. Ich möchte dem Innenminister an dieser Stelle selbstverständlich nicht widersprechen. Aber der Zusammenhang, den Sie in Ihrem Feststellungskatalog hergestellt haben, wobei Sie als letzten Punkt die Maßgabe wählen, dass man zunächst einmal gucken muss, warum es in einer bestimmten Gruppe zugewanderter Menschen eigentlich Gewalt gibt, scheint uns hier völlig fehl am Platz zu sein. – Danke.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Wer einmal einen geliebten Menschen durch Brustkrebs verloren hat, der weiß, wie wichtig das Thema „Früherkennung“ ist. Derzeit erkrankt eine von acht Frauen im Laufe ihres Lebens an Brustkrebs. Im Jahr 2014 sind in NRW mehr als 18.000 Frauen an Brustkrebs erkrankt, 4.233 Frauen daran verstor
ben. Deswegen ist das Thema des FDP-Antrags sehr wichtig.
Die Anhörung, die wir dazu durchgeführt haben, hat aber ein durchaus zwiespältiges Bild ergeben; denn die Mammografie ist nicht unumstritten.
Eine der Expertinnen, Prof. Mühlhauser, sagte, dass einzelne Frauen sicherlich durch das Screening gerettet werden könnten, aber es bestehe durchaus auch die Gefahr von Überdiagnosen.
Prof. Heindel sagte, dass die festgestellten fortgeschrittenen Tumorstadien zurückgingen. Das heißt, wenn eine Frau im Laufe ihres Lebens an einigen Untersuchungen teilgenommen hat, dann besteht natürlich die Chance, dass ein Tumor schneller entdeckt wird, insofern noch nicht so groß geworden ist und auch schneller behandelt werden kann.
Prof. Ertan betonte, dass das Screening-Programm erfolgreich sei, aber sicherlich nicht die beste Methode und durchaus Schwächen aufweise.
Dennoch betonen beide letztgenannten Experten, dass es aktuell keine bessere Methodik gebe.
Das Problem ist, dass die Erfassung der Effekte des Screenings für die Bevölkerung sehr lange dauert. Diese Ergebnisse sollen jedoch bald vorliegen.
Dem Antrag der FDP jedoch können wir selbst bei Korrektur durch den Änderungsantrag, der uns auch vorliegt, nicht zustimmen. Ich sage Ihnen ganz detailliert, warum nicht.
Punkt 1: Es ist sicherlich ganz sinnvoll, die Teilnahmequote zu steigern. Es gibt aber hierzu eine sehr interessante Untersuchung der Gesundheitsexpertinnen Verena Vogt und Leonie Sundmacher. In Regionen mit mindestens einem MammografieZentrum ist die Teilnahmequote vielleicht höher, aber es zeigt sich auch: Je höher das Haushaltseinkommen einer Frau und je höher der Bildungsstand, desto geringer ist die Teilnahmequote.
Das bedeutet also auf der anderen Seite, dass sich Frauen sehr genau über Vorteile und Nachteile dieser Untersuchung ihr Bild machen und dann eine sehr sorgfältige Entscheidung treffen, die häufiger dazu führt, an einem Mammografie-Screening nicht teilzunehmen. Dieses Ergebnis würde der Forderung, die Werbemaßnahmen zu steigern, widersprechen.
Punkt 2: Anhebung der Altersgrenze von Mammografie über 69 Jahre hinaus. In Fällen, in denen bei Frauen bereits vorher mehrere Risikofaktoren für Brustkrebs festgestellt worden sind, können die Untersuchungen auch jetzt schon durch die Krankenkassen übernommen werden. Das ist ein Punkt, den Sie, liebe Frau Schneider, im Antrag selbst so beschrieben haben.
Punkt 3: Werbemaßnahmen für individuelle Tastuntersuchungen. Das – muss ich ehrlich gestehen –
steht für mich in nur schwer erkennbarem Zusammenhang mit diesem Antrag.
Deswegen muss ich insgesamt sagen: Wir danken sehr für das Befassen mit dem Thema, auch für die sehr interessante Expertenanhörung, die wir durchgeführt haben, aber dem Antrag können wir leider nicht zustimmen. – Herzlichen Dank.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Da wir heute über die Beschlussempfehlung des Ausschusses abstimmen und ansonsten keine Gelegenheit mehr haben, zu diesem Thema etwas zu sagen, würde ich gerne noch dem Vorwurf von Frau Schneider begegnen, dass wir uns als Fraktionen der SPD und der Grünen den Frauen verweigerten, die älter als 69 Jahre sind. Das ist definitiv nicht so.
Wenn Sie sagen, dass zwei Drittel der Experten Ihrer Meinung waren, dann muss man auch sagen: Es waren auch nur drei Experten da.
Das heißt: Zwei von drei Experten vertreten die Meinung, dass das Screening ausgeweitet werden sollte.
Es ist ganz genau so, wie die Frau Ministerin gerade gesagt hat: Die Wahrscheinlichkeit, daran zu versterben, nimmt mit zunehmendem Alter ab. Ich darf hier einmal die Expertin zitieren, die nicht Ihrer Meinung war:
„Von 100 Frauen, die heute in Deutschland sterben, sterben etwa drei an Brustkrebs und 20 an einer anderen Krebserkrankung. …“
Zwischen dem 70. Lebensjahr und dem 79. Lebensjahr versterben etwa 18 von je 100 Frauen, davon eine an Brustkrebs. Insofern sollte man meines Erachtens, was die Zahlen betrifft, die Kirche im Dorf lassen.
Diesen Vorwurf, dass wir uns den Frauen verweigerten, möchte ich aber keinesfalls so stehen lassen. – Danke.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Lieber Herr Kollege Kern, Ihr Antrag enthält genau eine richtige Forderung: Die Menschen mit arbeitsmarktbezogenen Vermittlungshemmnissen – egal, ob Langzeitarbeitslose oder Flüchtlinge – dürfen nicht gegeneinander ausgespielt werden. Das war’s.
Sie stellen die Forderung nach einer Strategie des Landes, nach Aufbruchstimmung auf. Ich muss Ihnen sagen: Spätestens nach dem Gipfel zwischen Arbeitsministerium und Wirtschaftsministerium, den wir am Montag erlebt haben, gilt diese Forderung als überholt. Es gab am Montag ein Spitzentreffen zwischen all den relevanten gesellschaftlichen Akteuren. Ich glaube, dieses Punktepapier liegt Ihnen auch vor. Ich erspare es mir, einige Punkte daraus zu zitieren. Denn dann habe ich etwas mehr Redezeit für eine andere Thematik.
Einige der Überschriften in den Medien nach diesem Treffen darf ich Ihnen mit Erlaubnis des Präsidenten zitieren: Firmen und Politik ziehen an einem Strang, NRW macht Tempo bei der Eingliederung.
Ich finde es ganz gut, wenn ich mal die Zeitungen für den Erfolg dieser rot-grünen Landesregierung sprechen lassen kann. Deswegen tue ich das ausgiebig.
Ich möchte weiterhin erwähnen, dass auch das Bauministerium unbürokratisch Integration fördern möchte. Da lautet eine weitere Überschrift: „Ein Projekt für alle“ oder mein Lieblingszitat – schade, dass er nicht da ist –: „Groschek macht es richtig“.
Meine Damen und Herren, es muss relativ hart sein, von der Realität überholt zu werden. Aber das ist für Sie in diesen Tagen schon ein Déjà-vu. Insofern: Tragen Sie es mit Fassung!
Die Forderungen, die Sie in diesem Antrag erheben, sind längst umgesetzt. Ihre Forderung 4 lautet, Gespräche etwa mit der Agentur für Arbeit, den Arbeitgebern, dem Handwerk, der Wirtschaft zu führen. – Diese Gespräche haben stattgefunden.
Herr Kollege Kern hat eine Aufbruchstimmung eingefordert. – Dafür brauchen wir zumindest keine Aufforderung durch Sie. Denn sie ist in diesem Land
vorhanden, und dafür brauchen wir nicht Ihre drei kleinen Anträge, die wir heute beraten.
Ganz im Gegenteil, meine Damen und Herren, Sie haben in Bezug auf die Integration von langzeitarbeitslosen Menschen wichtige Zeit verstreichen lassen.
Sie erinnern sich sicher alle an den umfangreichen Antrag von SPD und Grünen, zu dem wir eine Anhörung durchgeführt haben. Wir haben auch eine Auswertung im Ausschuss vorgenommen.
Dieser Antrag enthielt Forderungen nach substanziellen Veränderungen in der gesamten Landschaft, in der gesamten Arbeitsmarktpolitik wie zur Finanzierungsstruktur eines sozialen Arbeitsmarktes, zu einem neuen Aufbruch im Aktiv-Passiv-Transfer. Er war umfangreich und umfasste ausführliche Argumente für die Teilhabemöglichkeiten und die Schaffung von Perspektiven für langzeitarbeitslose Menschen bzw. für Menschen, die es am Arbeitsmarkt generell schwer haben. Er enthielt auch die Forderung nach nachhaltiger Finanzierung. Alles war drin.
Bei der Aussprache im Ausschuss gab es wortreiche Bekundungen aller Fraktionen, das Ziel sei wahnsinnig wichtig. Man müsse dringend zusammen daran arbeiten, und es dürfe überhaupt kein Klein-Klein in den verschiedenen Parteiprogrammen geben.
Aber leider, meine Damen und Herren, haben Sie dieser Ankündigung keine Taten folgen lassen. Ganz im Gegenteil, im Ausschuss wurde sogar behauptet, es hätte überhaupt keine Gespräche gegeben. Dieser Antrag ist leider nur mit den Stimmen von Rot-Grün und der Piratenfraktion – herzlichen Dank, das spricht für Sie – positiv beschieden worden.
Nach dem Aktionsplan, den Sie vorgestellt haben – planloser Aktionismus trifft es vielleicht etwas besser –, gab es von Ihnen drei Anträge zu dem Thema, die man bestenfalls als Stückwerk bezeichnen kann. Ganz offensichtlich sind Ihnen diese Anträge noch nicht mal eine weitere Diskussion wert. Deswegen haben Sie heute direkte Abstimmung beantragt.
Trotz der Weihnachtszeit bringe ich Ihnen keine Geschenke. Deshalb ganz klar: Ihre Anträge brauchen wir nicht in der Debatte.
Dieses Parlament und diese Landesregierung brauchen keine wolkigen Worte, und sie bringen uns auch absolut nicht weiter.
Meine Damen und Herren, Ihr Antrag ist saftlos, kraftlos, konzeptlos.
Hören Sie genau zu! Das lohnt sich. – Oder um es mit der deutschen Hip-Hop-Gruppe, den Orsons, zu sagen: Ihre Beats haben Bass, unsere Beats haben besser. – Herzlichen Dank.
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Herr Kern, ich bin ja eine sehr höfliche Vorsitzende. Insofern möchte ich Ihnen zunächst einmal zugestehen, dass es teilweise sehr wichtige und richtige Fragen sind, die Sie in der Großen Anfrage gestellt haben. Auch in der Vorbemerkung gibt es eine Formulierung, die mir sehr gut gefällt. Ich darf sie mit Erlaubnis des Präsidenten zitieren:
„Es geht … um ein Mehr von geschlechterbezogener Reflexion der verschiedenen gesellschaftlichen relevanten Maßnahmen und Angebote, das hier mit Fokus auf die Jungen angefragt und ausdifferenziert wird.“
Damit bin ich sehr einverstanden. Man muss allerdings sagen: In den wirklich interessanten Themenfeldern, die Sie angesprochen haben, ist die Landesregierung bereits aktiv.
Zu den Einzelheiten Ihrer Anfrage. Es gibt zunächst einmal die Frage nach dem Umgang mit Partizipationshindernissen, also Misserfolgen von Jungen in den verschiedenen Ebenen. Ich glaube, da sitzen Sie einem Missverständnis auf, dass es zwischen Geschlecht und Bildungserfolg einen relevanten statistischen Zusammenhang gibt. Ich glaube das nicht.
In den Kitas, die sich damit beschäftigen, gibt es vielmehr das Konzept, dass die Handlungsfähigkeiten von Kindern gestärkt werden und Kinder auch Widerstandsfähigkeit entwickeln. Der Fachbegriff dafür ist Resilienz. Das Wort gefällt mir sehr gut; deswegen nenne ich es noch einmal. Und das ist unabhängig vom Geschlecht. Man soll mit Frustration umgehen können – egal ob man Mädchen oder Junge ist.
Zum Thema „Individuelle Förderung“. Auch das greifen Sie auf. Hier soll eine Förderung ebenfalls völlig unabhängig davon sein, ob ein Mädchen oder ein Junge gefördert werden muss; denn das Geschlecht ist nur – ich betone das ganz bewusst – ein
Merkmal von vielen, das sich auf Potenziale und Talente auswirkt.
Ein spezielles Anliegen haben Sie auch benannt: Die Leseförderung für Jungen und Mädchen. Ich kenne da ein Beispiel aus meinem eigenen Wahlkreis: „ax-o“ – vielleicht sagt Ihnen das etwas. Die haben sich zur Aufgabe gemacht, Jungen zu Vorlesern zu machen. Das ist ein meiner Meinung nach sehr guter geschlechtersensibler Ansatz, der meine Zustimmung findet.
Meine eigene Erfahrung ist auch, dass mein Sohn mehr liest als meine Tochter. Das kann natürlich mit der Auswahl der Lektüre zusammenhängen, wenn man Starwars-Bücher als Lektüre betrachten will. Aber das ist, glaube ich, eine Diskussion, die ich zu Hause führen muss.
Ich komme zu dem Kernthema Ihrer Anfrage und Ihres Interesses: dem schlechteren Schulerfolg von Jungen. Da fand ich die Aussagen des MSW in dem Zusammenhang sehr aussagekräftig. Man darf die etwas schlechteren Werte in Bezug auf Klassenwiederholungen bei Jungen natürlich nicht verharmlosen – ganz sicherlich nicht.
Im Geschlechterverhältnis jedoch spielt das meiner Meinung nach keine Rolle und ist daraus auch nicht zu konstatieren. Da gibt es andere Faktoren, die über den Bildungserfolg entscheiden. Das sind eher soziokulturelle Hintergründe, wie der Bildungsstand der Eltern und die Muttersprache: ob das Deutsch ist oder eine andere Sprache.
Ich empfehle übrigens die Kurzstudie des Instituts der deutschen Wirtschaft zu dem Thema „Bildungsverlierer“. Da gibt es überhaupt keine Rubrik, die sich mit dem unterschiedlichen Bildungserfolg von Mädchen und Jungen befasst; da geht es nur um soziokulturelle Merkmale.
Da das Thema sehr interessant ist, ich aber nur wenig Zeit habe, springe ich etwas. – Sie bemängeln, dass es weniger männliche als weibliche Lehrkräfte gibt. Dazu muss man sagen, dass die Landesregierung eine spezielle Lehrkräfteanwerbung betreibt und an Unistandorten mit Zentren für schulpraktische Ausbildung auch Aktionstage durchführt.
Interessanter fand ich eigentlich Ihren Punkt bei dem Thema „Gesundheit“. Da haben Sie gesagt, dass das Nichtfunktionieren von Jungen und auch die häufigeren Diagnosen von ADHS oder Asperger-Syndrom auch dem biologischen Geschlecht zuzuschreiben seien. Hierzu würde ich Ihnen gern zwei Sätze aus dem ADHS-Infoportal vorlesen – dahinter steckt die Uniklinik Köln –
„ADHS tritt bei Jungen wesentlich häufiger auf als bei Mädchen... Die Ursachen dafür sind noch unbekannt. Es wird jedoch vermutet, dass erbliche Faktoren hierfür hauptsächlich verantwortlich sind.... Jungen werden jedoch deutlich
häufiger als Mädchen zur Diagnose und Therapie vorgestellt.“
Das liegt aber einfach daran, dass sich Jungen in der Diagnose etwas expressiver verhalten, während Mädchen eher unaufmerksam sind oder eine schüchterne Zurückhaltung an den Tag legen. Ich glaube nicht, dass das wirklich besser ist oder dass sich die Diagnose daraufhin wesentlich verändert.
Es gibt ein paar Punkte, die mich in der Anfrage ein bisschen geärgert haben. Da ist das Thema „wenige männliche Erzieher“. Ich rufe Sie wirklich dazu auf, von der Vorstellung Abstand zu nehmen, dass das biologische Geschlecht der Personen entscheidend dafür ist, ob Kinder Vorbilder haben. Es ist egal, ob es Männer oder Frauen sind. Ich glaube, dass nicht nur Männer Kindern, insbesondere Jungen, ein Vorbild durch ihr Verhalten sein können. Das ist meiner Meinung nach eine veraltete Vorstellung von Genderpolitik, meine Damen und Herren.
Zum Thema „sexuelle Belästigung“. Ich muss sagen, da haben Sie leider recht. Hier fehlt meiner Wahrnehmung nach tatsächlich ein durchstrukturiertes und überall verfügbares Angebot für Jungen. Das in der Anfrage erwähnte Projekt im Oberbergischen Kreis oder das Theaterstück „Mein Körper gehört mir“ sind sicherlich gute Ansätze. Aber das ist ausbaufähig; denn jedes Kind, das Opfer sexueller Gewalt wird, ist definitiv eines zu viel.
Zum Schluss: Insgesamt zeigen die Formulierungen der Fragen eine teilweise etwas eingeschränkte Sichtweise auf das Thema „Gender“, indem immer noch zu häufig auf das Vorhandensein von männlichen Erziehern, Lehrern und Sozialarbeitern abgestellt wird und diese mit männlichen Rollenvorbildern gleichgesetzt werden. Das kann ich so nicht teilen.
Vielleicht noch eine Klarstellung, weil ich das gerade erwähnt habe: Da ich sowohl einen Sohn als auch eine Tochter habe, stehe ich nicht im Verdacht, nur eine Mädchenmutter zu sein und rein weibliche Interessen zu vertreten. – Ich bin gespannt auf die weitere Diskussion und danke für Ihre Aufmerksamkeit.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Der demografische Wandel ist keine Naturkatastrophe, die über uns hereinbricht, sondern wir können dagegen steuern mit demografischer Vorsorgepolitik. Wenn wir wissen, dass uns in Zukunft die Fachkräfte fehlen, dann müssen wir gegensteuern. Aber woher nehmen, wenn nicht stehlen?
Wir haben bislang viel über die Bereiche öffentlicher Dienst, Haushalt, Finanzprobleme oder auch finanzielle Herausforderungen gehört. Ich würde mich gerne auf die Bereiche Wirtschafts- und Arbeitspolitik sowie Gesundheitspolitik konzentrieren.
Die Aufgabe der Politik ist es, dass das Erwerbspersonenpotenzial stärker ausgeschöpft wird. Hinter diesen sehr technischen Termini steckt natürlich ein handfestes Problem. Denn einige Gruppen am Arbeitsmarkt sind in NRW zu wenig präsent. Hierzu gehören auch die Frauen. Ich gebe Ihnen gerne ein Zitat aus den Handlungsempfehlungen zu dieser Thematik:
„Staatliches Handeln muss aktiv zur Verwirklichung gleicher Chancen für Frauen beitragen. Dazu zählt auch, Wahlfreiheit zu ermöglichen und Fehlanreize zu vermindern.“
Ich möchte übrigens auch ein ausdrückliches Lob an die Kollegen und Kolleginnen der CDU aussprechen, die hier in der Enquete deutlich weiter sind als die Kollegen in Bayern.
Im Rahmen der Enquete haben immer wieder Sachverständige zu den Themen angehört. Deshalb möchte ich hier auch ausdrücklich auf Prof. Gerhard
Bosch verweisen, der Folgendes festgestellt hat – ich zitiere mit Erlaubnis der Präsidentin –:
Mit dem Betreuungsgeld und der Heraufsetzung der Minijobgrenze wurden die Subventionen für dieses überholte Modell – zur Erklärung: Hauptverdiener und Zuverdienst der Ehefrau – sogar noch einmal kräftig erhöht. Die Kombination von abgeleiteter Krankenversicherung, Ehegattensplitting und Minijobs setzt starke Anreize für marginale Teilzeitverhältnisse und diskriminiert sozialversicherungspflichtige Beschäftigung.
Ich bin sehr froh, dass alle Fraktionen, die in dieser Enquetekommission mitgearbeitet haben, das genauso gesehen haben, meine Damen und Herren, und deswegen fordern wir in den Handlungsempfehlungen auch unter anderem die Unternehmen dazu auf, die Familienverträglichkeit von Arbeitszeitmodellen noch stärker ins Auge zu fassen.
Ich glaube, dass bei weiteren Punkten, wie zum Beispiel der Teilzeitausbildung und auch der Entwicklung von Konzepten für den Wiedereinstieg nach Familienunterbrechung und beruflicher Weiterentwicklung, das Land NRW bereits jetzt in einem sehr guten Fahrwasser ist. Durch die Kompetenzzentren „Frau und Beruf“ und die Förderung des Projekts TEP – Teilzeitausbildung – haben Frauen und auch Männer die Möglichkeit, sich weiterzuentwickeln und ihren beruflichen Weg zu gehen.
Auch der weitere Ausbau von Kinderbetreuung für kleine und größere Kinder spielt eine Rolle in unseren Handlungsempfehlungen, damit es weniger unfreiwillige Teilzeitarbeit und Erwerbsunterbrechungen gibt.
Der Kollege Schmitz hat ja schon darauf hingewiesen. Er ist ein Vertreter der jungen Generation. Insofern hoffe ich, dass auch Sie das in Zukunft verstärkt werden nutzen können.
Dass wir die Themen „Minijobs“ und „Ehegattensplitting“ nicht angepackt haben, lag keinesfalls am mangelnden Willen, sondern an der fehlenden Zuständigkeit. Ich hoffe also, dass unsere Enquete auch auf Bundesebene Gehör und Beachtung finden wird, und bin mir sicher, dass Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen, das auch so sehen.
Eine weitere Gruppe, die es bislang am Arbeitsmarkt schwer hat, sind die Langzeitarbeitslosen. Während die Arbeitslosigkeit in NRW zum Glück insgesamt zurückgeht, gibt es nach wie vor eine sehr hohe Anzahl von langzeitarbeitslosen Menschen, die nicht ihren Platz auf dem ersten Arbeitsmarkt finden. Deshalb fordern wir auch, dass ein sozialer Arbeitsmarkt eingeführt wird. Ziel dabei ist es, dass auch diejenigen Menschen am Arbeitsmarkt teilhaben können, die eine lange Zeit arbeitslos waren und trotz intensiver Bemühungen keinen Job gefunden haben.
Dabei sehen wir durchaus die zwei Seiten der Medaille. Auf der einen Seite sollen sie individuell gefördert werden und auf der anderen Seite müssen wir generell Chancen und Perspektiven schaffen. Denn Teilhabe am Arbeitsleben bedeutet gesellschaftliche Teilhabe, meine Damen und Herren.
Hier unterscheiden wir uns auch als SPD und als Grüne-Fraktion deutlich von der FDP-Fraktion, die das in einem Sondervotum erklärt hat. Denn Sie, meine Herren, haben in der Diskussion um diesen Punkt deutlich gemacht, dass Sie Zeitarbeit und befristete Beschäftigung sowie Teilqualifikationen als Königsweg zum Abbau der Langzeitarbeitslosigkeit ansehen. Das sehen wir explizit nicht so.
Eine weitere unterrepräsentierte Gruppe am Arbeitsmarkt sind die Zuwanderer und Menschen mit Migrationshintergrund. Zu diesen haben wir auch einige Handlungsempfehlungen gemacht. Ich gehe aber davon aus, dass die Kollegin Velte darauf noch intensiv eingehen wird. Insofern erspare ich Ihnen meine Ausführungen hierzu.
Ich komme deswegen lieber auf mein zweites großes Thema, nämlich die Gesundheitspolitik. Da wir bereits mit dem GEPA und weiteren Gesetzen eine aktive Rolle in der Landespolitik wahrgenommen haben – vor allem auch in der jüngsten Vergangenheit –, möchte ich Ihnen hier nur Auszüge präsentieren, die mir aber besonders wichtig sind.
Wir haben uns mit einem Thema sehr intensiv beschäftigt, das bis jetzt eigentlich eher ein Stiefkind der Gesundheitspolitik war, nämlich mit dem Öffentlichen Gesundheitsdienst. Durch diese eher stiefmütterliche Behandlung bekommt er auch nicht die Aufmerksamkeit, die er eigentlich verdient hätte.
Der Öffentliche Gesundheitsdienst ist zuständig für die Beobachtung der gesundheitlichen Verhältnisse vor Ort, dort, wo wir leben, in den Kommunen, von der Grippeepidemie bis hin zur Überwachung von Hygienevorschriften. Er stellt Gesundheitszeugnisse aus und kümmert sich auch um die angemessene gesundheitliche Versorgung für einkommensarme oder sozial ausgegrenzte Menschen.
Wegen der wachsenden Bedeutung des Gesundheitswesens und vor allem auch der steigenden Bedeutung der Prävention im Bereich der Pflegebedürftigkeit haben wir auch hierzu Handlungsempfehlungen entwickelt, beispielsweise: Der Öffentliche Gesundheitsdienst kümmert sich um gesundheitsbezogene Angebote für die Bevölkerung, heruntergebrochen auf das Quartier.
Die Kommission erkennt ausdrücklich die Verantwortung des ÖGD an und fordert deshalb auch eine angemessene personelle und finanzielle Ausstattung.
Um es ganz kurz zu machen: Wir schließen uns einfach den Empfehlungen der 23. Landesgesund
heitskonferenz an und bitten die Kommunen, für eine entsprechende Ausstattung zu sorgen.
Der ÖGD ist außerordentlich wichtig für die gesundheitliche Versorgung der Menschen vor Ort und auch für die Umsetzung eines inklusiven Gesundheitswesens gerade für Menschen, denen es nicht so gut geht.
Vielleicht erlauben Sie mir noch ein sozusagen persönliches Schlusswort. Auch ich habe die Arbeit in der Enquetekommission sehr geschätzt. Es ist schön, sich einmal fernab von dem politischen Alltag, von Anträgen, die verabschiedet werden müssen und zu denen man flammende Reden und Gegenreden halten muss, auch einmal etwas tiefer mit bestimmten Themen zu beschäftigen. Dabei haben mir insbesondere die Themen „Arbeit“ und „Gesundheitspolitik“ sehr viel Spaß gemacht. Ich glaube, dass es auch bei den anderen Kollegen in Ansätzen diese Freude an der Thematik gegeben hat. Insofern Ihnen allen ein herzliches Dankeschön und ein schönes Wochenende. – Danke.
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Liebe Besucherinnen und Besucher! Laut einer Studie von Prof. Stefan Sell kommen in NRW 300.000 Menschen für einen sozialen Arbeitsmarkt infrage. 300.000 Menschen, das ist zunächst eine große Zahl, aber welche Geschichten stecken dahinter? Da wir heute eine Block-II-Debatte haben, erlauben Sie mir, dass ich Ihnen zumindest zwei dieser Geschichten erzähle.
Beispiel 1. Thomas, Ende 40. Lebensgeschichte: Hauptschulabschluss, abgebrochene Berufsausbildung, Gelegenheitsjobs. Dazu kommen private Probleme und Probleme, sich selbst und seine Arbeit zu organisieren.
Letzter Halt: Hartz IV. – Unzählige Integrationsbemühungen, Arbeitsgelegenheiten, Qualifizierung, Bewerbungsmaßnahmen, Kurzqualifikationen, wieder Arbeitsgelegenheiten, Arbeitslosigkeit.
Letzter Ausweg: Sozialkaufhaus. Er arbeitet dort als Möbelpacker und bekommt morgens seinen Einsatzplan, wann er Möbel wo abholen muss, wann er diese wieder entladen muss und hat einen sehr geregelten Tagesablauf. Das klappt aber nur, meine Damen und Herren, wenn es wirklich bei diesem Tagesablauf bleibt und wenn alles im Lot bleibt. Bei Störungen im Betriebsablauf ist er sofort irritiert und beunruhigt und benötigt Zuspruch von der Sozialarbeiterin, ebenso wie bei wieder auftretenden Problemen im Privatleben.
Beispiel 2. Gisela, Anfang 50. Lebensgeschichte: Als junges Mädchen hat sie Arzthelferin gelernt, allerdings bei einem Doktor, der auch schon älter an Jahren war und es nicht mehr einsehen wollte, sei
ne Praxis auf den PC umzustellen. Nach zehn Jahren ging er in den Ruhestand. Sein Nachfolger hat Gisela nicht übernommen, weil sie eine sehr undeutliche Aussprache hat und im Gegensatz zu den jüngeren Kolleginnen mit dem PC nicht zurechtkam. Danach hatte sie immer nur Aushilfsjobs, Urlaubsvertretungen in Arztpraxen etc. Qualifikationen führten nicht zum Erfolg.
Hinzu kommt noch eine eingeschränkte Mobilität. Sie wohnt in Monschau Kalterherberg, und das ist so weit vom Schuss, meine Damen und Herren, wie es sich anhört: Von dort aus fährt zwei Mal am Tag ein Bus nach Aachen. Da sie mit ihrer älteren Mutter zusammenlebt, kommt aber ein Wohnortwechsel nicht infrage.
Letzter Halt: Hartz IV. Unzählige Integrationsbemühungen, Arbeitsgelegenheiten, Qualifizierungen,
Bewerbungstrainings, wieder Arbeitsgelegenheiten, Arbeitslosigkeit.
Letzter Ausweg: ein ÖgB-Projekt in einer Wäscherei. Hier nimmt man Rücksicht auf langsameres Arbeitstempo, erklärt manches zwei- bis dreimal und ermöglicht kurze Pausen.
Das sind nur zwei Beispiele, meine Damen und Herren, von vielen Tausenden, die es in NRW gibt. Sie geben beredtes Zeugnis darüber ab, welche Schicksale hinter dieser großen Zahl von Langzeitarbeitslosen stecken.
Zum Antrag: Die SGB-II-Arbeitslosenquote liegt in NRW bei 6 %. Damit liegt sie deutlich über dem Bundesdurchschnitt von etwa 4,5 %. Traurige Spitzenreiter sind hierbei beispielsweise der Kreis Recklinghausen, Dortmund mit 10,6 % oder Duisburg mit 11 %. Aber es handelt sich nicht nur Städte im Ruhrgebiet, sondern durchaus auch um eine Stadt wie Krefeld mit 8,6 %. Aber auch andere Großstädte wie Köln oder Düsseldorf oder die Städteregion Aachen und das Bergische Städtedreieck sind davon betroffen.
Und es handelt sich nicht um ein NRW-Problem, auch die niedersächsische Metropolregion Hannover-Braunschweig-Göttingen-Wolfsburg oder Teile der hessischen Metropolregion Frankfurt/RheinMain sowie ostdeutsche Länder sind davon betroffen.
Ich möchte Ihnen gern in Erinnerung rufen, was eigentlich das Ziel des SGB II ist. § 1 SGB II führt aus,
„dass durch eine Erwerbstätigkeit Hilfebedürftigkeit vermieden oder beseitigt, die Dauer der Hilfebedürftigkeit verkürzt oder der Umfang der Hilfebedürftigkeit verringert wird.“
Zwei Faktoren für die hohe Arbeitslosigkeit in unserem Land sind ausschlaggebend: Zum einen liegen die Gründe in der Person, etwa in geringen Qualifikationen, fehlenden Schul- oder Berufsabschlüssen, Entwöhnung von Arbeit und daran gekoppelt unge
regelte Tagesabläufe, physischen und psychischen gesundheitlichen Einschränkungen.
Der zweite Grund sind strukturschwache Regionen, die eine sehr geringe Aufnahmefähigkeit für Leute, die Leistungen nach dem SGB II beziehen, haben. Hier gibt es eine sehr harte Konkurrenz für diejenigen, die oftmals qualifizierter als die Langzeitarbeitslosen sind.
Die strukturellen Arbeitsmarktprobleme wie auch die sozioökonomischen Armutsrisiken in der Bevölkerung sind im Vergleich zu anderen westdeutschen Flächenbundesländern für die vergleichsweise langen Verbleibzeiten in der Langzeitarbeitslosigkeit verantwortlich. Ich nenne nur eine Zahl: In NRW sind fast zwei Drittel aller Arbeitslosen länger als zwei Jahre arbeitslos.
Meine sehr geehrten Damen und Herren, damit wollen wir uns nicht abfinden. Wir haben es im rotgrünen Koalitionsvertrag zu Beginn der Legislaturperiode bereits festgelegt und uns eindeutig für einen sozialen Arbeitsmarkt ausgesprochen. Natürlich ist unser vorrangiges Ziel, dass es für jeden Menschen einen Platz im ersten Arbeitsmarkt gibt. Aber wir müssen auch der Realität ins Auge sehen, dass das nach vielen Jahren des Versuchens von verschiedenen Initiativen und mit verschiedenen Instrumenten einfach nicht gelungen ist.
Mit Erlaubnis der Präsidentin zitiere ich Prof. Dr. Gerhard Bosch, der bei der Anhörung des Ausschusses für Arbeit und Soziales im Deutschen Bundestag in dieser Woche sagte:
„Angesichts der vielfältigen Probleme und unterschiedlicher Potenziale der Betroffenen kann Langzeitarbeitslosigkeit nur mit einem Bündel von Instrumenten bekämpft werden.“
Zu einem Bündel gehören natürlich auch Qualifizierungen für Langzeitarbeitslose – das ist ganz klar –, aber eben auch der soziale Arbeitsmarkt.
Wir in NRW waren auf diesem Weg schon einmal weit: Angefangen mit dem Kombilohn unter KarlJosef Laumann, weiterentwickelt unter anderem unter Beteiligung des SPD-Politikers Klaus Brandner als „JobPerspektive“ hatten wir ein gutes Instrument. Die Arbeitgeber aus der Privatwirtschaft, aus dem öffentlichen Sektor und von Trägern erhielten Lohnkostenzuschüsse und stellten ehemals langzeitarbeitslose Arbeitnehmer ein – unterstützt durch Jobakquisiteure. Zum ersten Mal hatten wir hiermit ein Programm, das eben nicht von einem Jahr zum anderen lief und das nicht immer wieder neu beantragt werden musste. Das bot vor allem eine große Sicherheit für die ehemaligen Langzeitarbeitslosen.
Dieser Lohnkostenzuschuss oder überhaupt eine Subventionierung für die geminderte Arbeitsleistung wurde zwar immer wieder überprüft, aber grundsätzlich galt eine unbefristete oder unbeschränkte Förderungsdauer eigentlich für alle auf diese Art
geschaffenen Arbeitsplätze. Dieses Programm hat sich auch gegen die anfängliche Skepsis von Gewerkschaftlern, Gewerkschaften und Arbeitgebervertretern etabliert.
Vor dem Hintergrund der Erfahrungen, die ich in Aachen gemacht habe, sage ich Ihnen ganz klar: Mitnahmeeffekte vonseiten der Arbeitgeber wie auch Verdrängung von regulär Beschäftigten sind kaum zu befürchten. Wir hatten damals ein Steuergremium, zugegebenermaßen unkonventionell aus Arbeitgebervertretern, Kammern, Gewerkschaften, Jobcentern und Bundesagenturvertretern zusammengesetzt, die sozusagen im Umlaufverfahren jede Stelle, die eingerichtet werden sollte, neu überprüft und jedes Mal bekräftigt haben: Jawohl, es handelt sich nicht um die Verdrängung eines normalen Jobs; jawohl, es handelt sich um zusätzliche Arbeit, die sonst nicht in diesem Unternehmen, bei Kommunen oder anderweitig hätte erfüllt werden können.
Dann aber kam 2009 Schwarz-Gelb im Bund. Die Folge war eine Instrumentenreform mit, ehrlich gesagt, katastrophalen Auswirkungen für die Wiedereingliederung Langzeitarbeitsloser. Ich weiß nicht mehr genau, wie viele Träger von Maßnahmen, Jobcenter und Betroffene damals im wahrsten Sinne des Wortes Schwarz getragen haben, aber leider war das berechtigt. Aufgrund des rigide gekürzten Eingliederungstitels durch Arbeitsministerin von der Leyen kam es zur faktischen Einstellung der „JobPerspektive“.
Anschließend gab es ein Programm, das viele von Ihnen vielleicht kennen – es läuft jetzt aus – und das höchstens als „Placebo“ zu bezeichnen war: die „Bürgerarbeit“. Dahinter steckt noch immer die Philosophie, dass man Menschen nur lange genug irgendwie irgendwo beschäftigen muss, um ihre Chancen auf einen Wiedereinstieg in den normalen Arbeitsmarkt zu steigern.
Aber, meine Damen und Herren: Wir müssen uns, glaube ich, von dieser Lebenslüge langsam verabschieden.
Ein Mensch, der in einer Kommune in den Parks Aufräumarbeiten erledigt, der in einer Kitaküche Geschirr spült oder der in einer Schule Hausmeistertätigkeiten erledigt, wird niemals in eine sozialversicherungspflichte Arbeit kommen, weil natürlich die Kommunen, die diese Menschen beschäftigen, oftmals selbst vor dem finanziellen Kollaps stehen. Sie haben weder die Möglichkeit noch die Gelder, Menschen anzustellen, die das zu einem regulären Arbeitsentgelt tun würden. Denn sonst würden sie es ja nicht machen. Da findet keine Brückenfunktion in den ersten Arbeitsmarkt statt.