Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich begrüße Sie ganz herzlich zu unserer 78. Sitzung des Landtags Nordrhein-Westfalen. Mein Gruß gilt unseren Gästen auf der Zuschauertribüne sowie den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der Medien.
Für die heutige Sitzung haben sich neun Abgeordnete entschuldigt; ihre Namen werden in das Protokoll aufgenommen.
Die Digitale Zukunft Nordrhein-Westfalens benötigt ein eigenes „Internetministerium“ sowie einen „Internetausschuss“
Der Chef der Staatskanzlei hat mir mit Schreiben vom 20. Januar 2015 mitgeteilt, dass die Ministerpräsidentin beabsichtigt, heute eine Regierungserklärung abzugeben. Bevor ich Frau Ministerpräsidentin Hannelore Kraft das Wort zur Einbringung der Regierungserklärung übergebe, bitte ich, wenn Sie mir schon nicht zuhören, ganz höflich, dass Sie gleich ruhig sind. Frau Ministerpräsidentin!
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wenn man eine Rede hält, dann hat man normalerweise das Herz auf der Zunge. Ich habe heute ein Herz in der Hand, um deutlich zu machen, was das für unser Land und auch für die Zukunft unseres Landes bedeutet.
Was ich hier in der Hand halte, ist ein Kunstherz, das weltweit kleinste voll implantierbare Kunstherz.
Das Besondere ist: Nach der Einpflanzung steuert es sich autonom, also ohne Eingriffe von außen und passt sich dem jeweiligen Bedarf an. Wenn man schneller läuft, muss es schneller schlagen. Es muss sich anpassen. Das sind 2,4 Millionen € – gut angelegtes Geld, wie ich finde –, ein Beispiel für Digitalisierung, die in Nordrhein-Westfalen bereits stattgefunden hat, die hier ihren Ursprung nimmt.
Ein Zweites ist das Unternehmen Cumulocity. Die sitzen ganz hier in der Nähe. 2010 als Ausgründung von Nokia, im Silicon Valley gestartet. Der Sitz ist heute 5 km von hier und bietet eine digitale Plattform zur Vernetzung von Maschinen untereinander. Vernetzt werden damit beispielsweise Verkaufsautomaten oder Fahrzeugflotten. Das Unternehmen mit inzwischen 30 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern arbeitet für zahlreiche Unternehmen, auch aus dem Silicon Valley.
Für Etliches ist Nordrhein-Westfalen im Digitalzeitalter bereits der Platz, an dem man sein sollte. Wir arbeiten daran, dass es noch sehr viel mehr werden. Das ist Digitalisierung in Nordrhein-Westfalen.
Wir alle, meine Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen, sind längst Teil dieses digitalen Wandels. Die Landesregierung wird wie bisher ihren Beitrag leisten, diesen Wandel zum Wohle des Landes, seiner Wirtschaft und seiner Bürgerinnen und Bürger zu gestalten.
Mit dieser Regierungserklärung wollen wir deutlich machen, wie viele Schritte bereits gegangen sind und dass viele noch folgen werden. Denn es ist entscheidend, den digitalen Wandel in seiner Dynamik wahrzunehmen, weil er Wirtschaft und Gesellschaft tiefgreifend verändert und weiter verändern wird.
Schätzungen sagen, dass sich der Datenstrom im Netz bis zum Ende des Jahrzehnts verachtfachen wird. Bis dahin werden weltweit 50 Milliarden Geräte miteinander vernetzt sein. In dieser Zeit, während ich hier die Regierungserklärung abhalte, werden in Deutschland alleine rund 256.000 Apps heruntergeladen. Wir in Nordrhein-Westfalen sind längst Teil dieses Wandels. Und wir wollen ihn weiter nutzen und mitgestalten, ohne die zu erwartenden Umwälzungen kleinzureden.
Die Voraussetzungen in unserem Land sind gut. Bei uns arbeiten bereits jetzt über 23.000 Unternehmen in den Informations- und Kommunikationstechnologien mit rund 200.000 Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern. Diese Unternehmen erwirtschaften bereits heute einen Umsatz von rund 100 Milliarden €. Das ist die Hälfte der bundesweiten Branchenumsätze, die bei uns hier in NordrheinWestfalen erwirtschaftet werden. Und darüber freuen wir uns.
Der digitale Wandel eröffnet in Nordrhein-Westfalen nicht nur die Chance auf Wirtschaftswachstum, auf neue Arbeitsplätze. Er eröffnet auch die Perspektive auf mehr Lebensqualität, auf Nachhaltigkeit, auf mehr Gesundheit, in vielen Bereichen von einer humaneren Gestaltung der Arbeitswelt bis hin zu einer intelligenteren Verkehrsinfrastruktur.
Aber es geht auch um Fragen, wie „Gute Arbeit“ gesichert werden kann. Es geht um die Änderung kultureller und gesellschaftlicher Grundlagen, um die Sicherung von Bürger- und Grundrechten, aber auch um ein Thema wie Verbraucherschutz. Digitalisierung ist deshalb kein Selbstzweck. Wir müssen und können auch diese Veränderungen in den Dienst des Menschen stellen – für ein noch besseres Nordrhein-Westfalen, ein NRW 4.0 für die Menschen in diesem Land.
Mit welcher Gesamtstrategie die Landesregierung diese Chancen nutzen will, das möchte ich mit zehn Feldern kurz skizzieren.
Erstens: Bildung. Der digitale Wandel verändert viel, aber er verändert – ich sage das ganz bewusst – Gott sei Dank nicht alles. Geborgenheit in der Familie, Wertevermittlung, gute Bildung, Betreuung, Erziehung zu Hause, in Kita und Schule – da geht es immer um enge, direkte menschliche Beziehungen. Das alles soll und darf Digitalisierung nicht ersetzen. Aber sie kann Teil dieser Welt werden.
Ein entscheidender Schlüssel, um die Chancen des digitalen Wandels zu nutzen, ist Bildung. Deshalb haben wir als Landesregierung hier einen klaren Schwerpunkt gelegt, und wir haben Wort gehalten: Seit 2010 haben wir mehr als 115 Milliarden € in die Zukunft investiert. Im Haushalt 2015 kommen noch einmal rund 26 Milliarden € hinzu. Das heißt, jeder dritte Euro des Landeshaushalts geht in Kinder, Bildung und Familien. Das ist der richtige Weg, um dieses Land voranzubringen.
Die sogenannten MINT-Fächer spielen in der Bewältigung des digitalen Wandels – wie wir alle wissen – eine besondere Rolle. Es ist darum eine gute Nachricht, dass das gemeinsame Werben von Landesregierung, Wirtschaft und Gesellschaft seit 2010 dazu geführt hat, dass die Zahl der MINTStudienanfänger um über 50 % angewachsen ist. Aber Anfängerzahlen sind das eine. Entscheidend sind die Absolventenzahlen. Deshalb sind wir sehr stolz darauf, dass wir im Bundesvergleich den höchsten Anteil von Abschlüssen in den MINTFächern haben. Andere reden über Ingenieurmangel. Wir in Nordrhein-Westfalen tun etwas dagegen.
Auch in der schulischen Bildung und in der Hochschullehre müssen wir die Möglichkeiten nutzen, die der digitale Wandel eröffnet.
(Zuruf von Christian Lindner [FDP] – Ministe- rin Sylvia Löhrmann: Das ist angeblich Herrn Pinkwart zu verdanken!)
Ach so, okay. – An unseren Schulen soll LOGINEO NRW einen sicheren und landesweit verfügbaren digitalen Lernraum für Lehrkräfte bieten. Das ist etwas Wichtiges, wenn wir gemeinsam weiter auf diesem Weg vorangehen wollen.
Mit heute schon ca. 30.000 Suchanfragen im Monat bietet learn:line NRW Zugriff auf mehr als 25.000 freie Lernmittel. Dort gibt es einen Pool von Lernaufgaben, den wir weiter ausbauen wollen, eine Aufgabe, die meine Kollegin Löhrmann mit viel Verve voranbringt. Als erstes Bundesland entwickelt und erprobt Nordrhein-Westfalen zwei Prototypen digitaler Schulbücher. Es ist wichtig, dass wir hier vorangehen.
Im Rahmen eines Modellversuchs soll in Grundschulen – schwerpunktmäßig in den Klassen 3 und 4 – das Programmieren im Sachkundeunterricht auf den Stundenplan kommen. Damit soll auch jüngeren Schülerinnen und Schülern spielerisch die Softwareseite der digitalen Welt nähergebracht werden. An den Vorbereitungen sind die Hochschulen Aachen, Paderborn und Wuppertal beteiligt.
18 Weiterbildungskollegs in Nordrhein-Westfalen bieten den berufsbegleitenden Lehrgang Abituronline an. Auch da geht es darum, die digitalen Möglichkeiten zu nutzen. Weiterbildung wird so noch besser auf die Bedürfnisse der Studierenden ausgerichtet, die online betreut werden und natürlich auch ihrer Berufstätigkeit weiter nachgehen können. Sie können ihre Zeit flexibler einteilen, ihren beruflichen und familiären Verpflichtungen anpassen. Das ist ein wichtiges, ein gutes Instrument.
Wir alle kennen die Fernuniversität Hagen als Vorreiter digitaler Lernformate. Aber sie steht nicht allein. Ein weiteres gutes Beispiel ist das FlippedClassroom-Konzept der Fachhochschule in Köln. Hier werden Inhalte online vermittelt und in Präsenzveranstaltungen in Form von Seminaren und Tutorien gefestigt, vertieft und diskutiert. Und was ist der Erfolg? Der Erfolg ist, dass in einem Fach wie Werkstofftechnik die Studienabbrecherquote von 50 % auf 10 % gesenkt werden konnte. Das ist sinnvoller digitaler Einsatz in Nordrhein-Westfalen, meine Damen und Herren.
Gerade jetzt hat der Stifterverband für die deutsche Wissenschaft zusammen mit der Heinz Nixdorf Stiftung Hochschulen für herausragende Digitalisierungskonzepte ausgezeichnet, acht Hochschulen bundesweit, zwei davon hier in Nordrhein
Westfalen. Wir gratulieren der RWTH Aachen und der Universität Paderborn. Herzlichen Glückwunsch von hier aus!
(Beifall von der SPD und den GRÜNEN – Vereinzelt Beifall von der CDU und der FDP – Zuruf von den PIRATEN: Alles keine Leistungen der Landesregierung!)
Aber Digitalisierung, meine Damen und Herren, bietet auch Möglichkeiten im Rahmen der vorsorgenden Politik.
Gegenwärtig wird an einem Onlineangebot zum Aufbau kommunaler Präventionsketten in den Kommunen gearbeitet. Dadurch können die Kommunen ihre Planungen besser aufeinander abstimmen. Auch das ist ein sinnvolles Modul.
Ohne genügend Fachkräfte – sie sind der Schlüssel, und das wissen wir – kann der digitale Wandel nicht gelingen. Darum wird in diesem Jahr der Einstieg aller NRW-Kommunen in das Landesprogramm „Kein Abschluss ohne Anschluss“ hierbei auch von Bedeutung sein. Ende 2018/2019 erreichen wir damit über eine halbe Million Schülerinnen und Schüler der Klassen 8 bis 10. Dieser systemische Ansatz wird übrigens ausdrücklich in der am Montag vorgestellten Studie von Prognos begrüßt, auch als gute Vorbereitung für das Zeitalter der wachsenden Digitalisierung, meine Damen und Herren.