Protokoll der Sitzung vom 30.09.2015

Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich begrüße Sie alle ganz herzlich zu unserer heutigen, 93. Sitzung des Landtags NordrheinWestfalen. Mein Gruß gilt unseren Gästen auf der Zuschauertribüne sowie den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der Medien.

Für die heutige Sitzung haben sich 16 Abgeordnete entschuldigt; ihre Namen werden wir in das Protokoll aufnehmen.

Wir dürfen auch heute einer Kollegin zum Geburtstag gratulieren. Ihren Geburtstag feiert heute Frau Kollegin Ina Scharrenbach von der CDU-Fraktion.

(Lebhafter Beifall von allen Fraktionen)

Frau Kollegin, ganz herzlichen Glückwunsch, alles Gute und einen wunderschönen Tag im Kreise der Kolleginnen und Kollegen und, wenn Sie die Gelegenheit haben, dann auch heute Abend noch im Kreise Ihrer Familie!

Wir treten ohne weitere Vorbemerkungen in die Beratung der heutigen Tagesordnung ein. Ich rufe auf:

1 Nachwahl einer Schriftführerin des Landtags

Nordrhein-Westfalen

Wahlvorschlag der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Drucksache 16/9815

Eine Aussprache hierzu ist nicht vorgesehen.

Deshalb stimmen wir direkt über den Wahlvorschlag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen ab. Wer diesem Wahlvorschlag seine Zustimmung geben möchte, den bitte ich um das Handzeichen. – Das sind SPD, Bündnis 90/Die Grünen, CDU, FDP und Piraten. Stimmt jemand dagegen? – Das ist nicht der Fall. Möchte sich jemand enthalten? – Das ist auch nicht der Fall. Damit ist der Wahlvorschlag Drucksache 16/9815 angenommen, und Frau Kollegin Grochowiak-Schmieding ist die neue Schriftführerin.

(Beifall von allen Fraktionen)

Herzlichen Glückwunsch dazu! Sie werden sicherlich Ihren Dienst im Laufe dieser beiden Tage auch schon antreten.

Damit rufe ich auf:

2 Familienbericht Nordrhein-Westfalen: „Fami

lien gestalten Zukunft“

Unterrichtung durch die Landesregierung

Der Chef der Staatskanzlei hat mit Schreiben vom 22. September 2015 mitgeteilt, dass die Landesregierung beabsichtigt, den Landtag in der heutigen Plenarsitzung zu dem Thema „Familienbericht Nordrhein-Westfalen: ‚Familien gestalten Zukunft“ zu unterrichten. Die Unterrichtung erfolgt durch Frau Ministerin Schäfer.

Ich weise darauf hin, dass sich die im Landtag vertretenen Fraktionen und die Landesregierung für die Unterrichtung auf die in der Tagesordnung ausgewiesene Redezeit verständigt haben. – Frau Ministerin Schäfer hat jetzt das Wort und damit auch das Redepult zur Verfügung.

Einen wunderschönen guten Morgen! Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen! Meine sehr geehrten Damen und Herren! „Familien gestalten Zukunft“ – unter diesen Titel haben wir den Familienbericht Nordrhein-Westfalen gestellt. Bevor ich auf einige Inhalte eingehe, noch ein kurzer Blick in die Vergangenheit.

Der letzte und bisher einzige Familienbericht für Nordrhein-Westfalen wurde 1990 veröffentlicht. Diese Landesregierung ist also die erste seit 25 Jahren, die eine ausführliche Beschreibung der Situation zu Familien in Nordrhein-Westfalen unternommen hat.

Der jetzt vorliegende Report stellt deshalb keine abschließende Analyse dar, sondern will vielmehr den Grundstein für eine regelmäßige Berichterstattung legen, um künftig die Entwicklungen in der Familienpolitik aufzuzeigen.

In den nächsten Legislaturperioden wird die Landesregierung weitere Berichte erstellen, die den vorliegenden Report fortschreiben und um aktuelle Aspekte und neue Schwerpunktthemen ergänzen.

Jetzt zum Aufbau und zum Inhalt dieses Familienberichtes: Im ersten Teil des Berichtes werden Statistiken und Studien für NRW ausgewertet, also Zahlen, Daten, Fakten analysiert und wissenschaftlich bewertet, zum Beispiel Familienformen, Familiengründungen, Familien- und Erwerbsarbeit und die wirtschaftliche Lage von Familien.

Nun sind Statistiken gut und sinnvoll. Doch wie bewerten Familien selbst ihre Situation? Dieser Frage geht der zweite Teil des Familienberichtes nach, der die Ergebnisse der Beteiligung von Familien darstellt.

Die Familien in unserem Bundesland konnten insgesamt über drei verschiedene Beteiligungswege sozusagen zu Mitautoren und Mitautorinnen dieses Familienberichtes werden: über die sogenannten Familiendialoge auf der einen Seite – das waren neun Veranstaltungen in ganz Nordrhein

Westfalen – oder über das dafür eigens eingerichtete Internetportal oder durch die Teilnahme an einer

repräsentativen Familienbefragung in NordrheinWestfalen.

Noch nie – das darf man sagen – hat ein Flächenland in Deutschland Familien so umfassend an der Entstehung eines Familienberichtes beteiligt.

Zur repräsentativen Umfrage: Im März 2015 führte das Meinungsforschungsinstitut Emnid im Auftrag der Landesregierung eine telefonische Befragung bei rund 1.000 Personen aus Familien in NordrheinWestfalen durch. Sechs Themenfelder standen zur Bewertung, um zu identifizieren, wo Familien in Nordrhein-Westfalen vorrangig Problemdruck empfinden: Zeit, Geld, Kinderbetreuung, Wohnen, Beratung und Sicherheit.

Meine Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen, die Ergebnisse sind mehr als eindeutig. In allererster Linie fehlt es den Familien in NordrheinWestfalen an Zeit. 55 % der befragten Eltern nennen Zeitmangel als Problem, darunter 22 % sogar als ein großes Problem – mehr als in allen anderen Themenbereichen wie „Geld“, „Kinderbetreuung“, „Wohnberatung“ und „Sicherheit“.

Ein weiteres Ergebnis der Elternbefragung zeigt die Beurteilung der Qualität der Kinderbetreuung in Nordrhein-Westfalen. Und das ist ein schönes Ergebnis für unser Bundesland: Sowohl die Eltern von U3-Kindern, die in der Betreuung sind, als auch die Eltern der Kinder, die sich in Ü3-Betreuung befinden, sind mit der Qualität der Betreuung ausgesprochen zufrieden. 76 % der Eltern von Kindern in U3Betreuung bewerten die Qualität der Betreuung mit „sehr gut“ bis „gut“; mit „sehr gut“ werteten 44 %, mit „gut“ 32 %. 68 % der Eltern mit Kindern in Ü3Betreuung bewerten die Qualität der Betreuung mit „sehr gut“ bis „gut“; mit „sehr gut“ werteten 24 %, mit „gut“ 44 %.

Das ist in der Tat ein wirklich sehr erfreuliches Ergebnis, welches zeigt, dass die Eltern in NordrheinWestfalen den Kindertageseinrichtungen sowie der Kindertagespflege mit ihren Erzieherinnen und Erziehern sowie Tagesmüttern und Tagesvätern ein großes Vertrauen entgegenbringen. Und es verdeutlicht auch, dass es sich lohnt, in den nächsten Jahren weiterhin die Kinderbetreuung den Bedarfen der Eltern entsprechend auszubauen, so wie wir es in den vergangenen fünf Jahren ja auch hervorragend geschafft haben.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Die Themenbereiche „Geld“ oder „Wohnraum“ werden von der Mehrheit der befragten Eltern eher als unproblematisch oder nicht sehr problematisch angesehen. Bei einer differenzierten Betrachtung bedeutet das allerdings nicht, dass hier kein Handlungsbedarf besteht; denn bestimmte Gruppen von Familien brauchen auch in diesen Bereichen unsere besondere Unterstützung, zum Beispiel die Alleinerziehenden in puncto Geld sowie kinderreiche Familien und Familien mit Migrationshintergrund in punc

to Wohnraum. Aufgrund der aktuellen Lage wird sich diese Situation mit Sicherheit auch nicht so leicht entspannen lassen.

Ein weiteres wichtiges Ergebnis – das ist allerdings nicht wirklich überraschend – ist, dass Alleinerziehende durchweg in allen Themenfeldern mit mehr Schwierigkeiten zu kämpfen haben als Familien im Durchschnitt. – So weit erst einmal die wichtigsten Ergebnisse.

Was aber folgt daraus? Dazu werden wir im dritten und letzten Teil des Familienberichtes erste Eckpunkte für eine zukünftige Familienpolitik in den nächsten Jahren formulieren, bzw. sie sind bereits formuliert worden. Bei der Formulierung der Maßnahmen, die wir konkret ergreifen wollen, haben wir uns von dem Gedanken leiten lassen, dass Familienpolitik dann auch da ansetzen muss, wo Familien den größten Problemdruck erleben.

Zeitmangel ist das Problem, das die Familien in Nordrhein-Westfalen am meisten belastet. Deshalb wird die Landesregierung als eine erste Konsequenz aus diesem Familienbericht noch in diesem Jahr zu einem Familiengipfel einladen. Die Familienbefragung hat ergeben, dass nicht nur die Länge der Arbeitszeit, sondern auch die Frage, in welchem Zeitraum die Arbeitszeit liegt, sowie fehlende Flexibilität zu diesem Zeitmangel führen.

Im Bereich der Zeitpolitik gilt in besonderem Maße, dass Familienpolitik nur gemeinsam mit anderen engagierten Partnern gelingen kann. Deshalb werden alle beteiligten Akteure – Vertreter der Wirtschaft, der Arbeitgeberverbände, der Gewerkschaften, der kommunalen Spitzenverbände, der Familienverbände und der Politik – im Rahmen dieses Familiengipfels an einen Tisch geholt, um sich gemeinsam auf Ziele für eine bessere Vereinbarkeit von Familie und Beruf zu verständigen.

Dabei soll auch die besondere Problematik der Alleinerziehenden thematisiert werden. Darüber hinaus wird die Landesregierung im Rahmen einer Väterkampagne die Vaterrolle stärken und Väter zur Inanspruchnahme von mehr Elternzeit ermutigen. Sie werden sich erinnern – darüber habe ich schon einmal gesprochen –, dass wir bei diesem Punkt leider noch hinter Bayern liegen.

Der vorliegende Bericht bildet mit seinen ersten Eckpunkten für eine zukünftige Familienpolitik einen Grundstein und den Auftakt zur Weiterentwicklung der Familienpolitik in den nächsten Jahren. Ganz wichtig ist uns als Landesregierung aber dabei, diese Aufgabe nicht allein anzugehen, sondern Hand in Hand mit den Partnern, die ich eben im Zusammenhang mit dem Familiengipfel schon genannt habe. Das hat in der Vergangenheit gut funktioniert, und ich bin zuversichtlich, dass alle auch weiterhin am gleichen Strang ziehen werden.

Ich gehe davon aus, dass der Familienbericht auch eine sehr gute Grundlage für die Arbeit der En

quetekommission „Zukunft der Familienpolitik in Nordrhein-Westfalen“ darstellt. – Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Anhaltender Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Vielen Dank, Frau Ministerin.

(Langanhaltender lebhafter Beifall von SPD und GRÜNEN)

Frau Ministerin, an dem Beifall des größten Teils des Hauses merken Sie: Alle wissen, dass dies Ihre letzte Unterrichtung als Ministerin an dieser Stelle war. Der Beifall soll sicherlich etwas mehr ausdrücken als nur den Dank für diese Unterrichtung.

Damit eröffne ich die Aussprache. Als erste Rednerin hat für die CDU-Fraktion Frau Kollegin Schulze Föcking das Wort.

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Eine ganze Generation liegt zwischen dem letzten Familienbericht und dem, der uns heute vorliegt, den wir diskutieren. Wir alle wissen: Seither hat sich vieles verändert.

Diejenigen, die zum Zeitpunkt des letzten Familienberichtes geboren wurden, gründen heute ihre eigenen Familien. Eltern sind Großeltern geworden, Großeltern Urgroßeltern, Ehen wurden geschlossen, andere geschieden, neue Beziehungen wurden eingegangen mit unterschiedlichem rechtlichem Status. Und auch das Familienrecht und die familienpolitischen Leistungen wurden an vielen Stellen deutlich verändert.