Diejenigen, die zum Zeitpunkt des letzten Familienberichtes geboren wurden, gründen heute ihre eigenen Familien. Eltern sind Großeltern geworden, Großeltern Urgroßeltern, Ehen wurden geschlossen, andere geschieden, neue Beziehungen wurden eingegangen mit unterschiedlichem rechtlichem Status. Und auch das Familienrecht und die familienpolitischen Leistungen wurden an vielen Stellen deutlich verändert.
Kurzum: Wenn eine Landesregierung nach einem Vierteljahrhundert einen neuen Familienbericht vorlegt, dann kann man vor allem eines sagen: endlich! Dieser Bericht ist nicht allein im Ministerium erdacht worden. Besonders herzlich danke ich daher auch all jenen, die als Einzelpersonen, als Vertreter von Institutionen und Verbänden zu dem Bericht, wie er uns heute vorliegt, beigetragen haben.
Es ist gut, dass die Familienpolitik mit diesem Bericht stärker in den Mittelpunkt gerückt wird. Da gehört sie auch hin. Wir brauchen mehr Anerkennung und Wertschätzung für das, was Menschen in der Familie an Fürsorge, Zuwendung, Liebe, Pflege, Erziehung und Bildung geben, ohne einen Cent dafür zu verlangen. Das ist wunderbar. Ein Staat, der das, was in der Familie geleistet wird, komplett durch staatliche Leistungen ersetzen wollte, wäre schnell ruiniert.
Deshalb ist es wichtig, dass wir uns fragen: Wie leben Familien in Nordrhein-Westfalen heute? Welche Wünsche und Erwartungen haben Familien und junge Menschen an ein gelingendes Familienleben? Was kann und muss die Landespolitik leisten? Und wo besteht konkreter familienpolitischer Handlungsbedarf?
Der Blick in den Bericht zeigt – die Ministerin hat dies auch besonders herausgestellt –: Das Familienleben ist in den letzten 25 Jahren vielfältiger geworden. In annähernd jeder fünften Familie erziehen Mutter oder Vater die Kinder allein. 7,3 % der Familien sind sogenannte Lebensgemeinschaften mit Kindern; darunter auch gleichgeschlechtliche Eltern. Es ist wichtig, einen genauen Blick auf diese Veränderungen zu werfen.
Aber manches ist auch unverändert – und das hätten Sie, Frau Ministerin, ebenfalls erwähnen können. Ich nenne an erster Stelle die hohe Wertschätzung, die die Ehe genießt. Rund 75 % der Eltern, die Kinder unter 18 Jahren großziehen, sind verheiratet.
Ein Zweites ist die enorme Wertschätzung für die Familie, gerade auch unter den jungen Menschen. Familie ist „in“. Politik kann einen Beitrag leisten, damit Familie auch wirklich gelebt werden kann.
Das Dritte, das unverändert geblieben ist, ist die Überzeugung vieler Mütter und Väter, gerade in den ersten zwei Lebensjahren die eigenen Kinder zu Hause gut erziehen zu können. Das sind die objektiven Fakten des Berichts.
Jeder, der schon einmal über das Thema „Familie“ gesprochen hat, weiß, dass es sich um höchstpersönliche Überzeugungen und individuelle Erfahrungen handelt. Wie erlebe ich Familie?
Frau Asch: Ja, ich bin Mutter, und das von zwei schulpflichtigen Kindern. Ich weiß, wie das Leben mit Kindern ist. Sie machen glücklich, sie sind eine klare Bereicherung und ein großartiges Geschenk.
Aber natürlich gehören auch manche Sorgen dazu. Wenn ein Kind krank ist, wenn es in der Schule mal nicht so gut läuft – all das sind Sorgen, die sich Millionen Mütter und Väter machen. Hinzu kommen die Herausforderungen, wenn die eigenen Eltern krank werden und Hilfe benötigen. Auch dann stellt sich oft die Frage, wie all das bewältigt und mit dem Beruf in Einklang gebracht werden kann.
Verehrte Kolleginnen und Kollegen, die Ergebnisse der Familienbefragung zeigen ebenfalls, vor welchen Herausforderungen Familien in NordrheinWestfalen stehen, vor allem Familien mit kleinen Kindern. Ich will nur einige nennen: Frauen und
Mütter wollen am Berufsleben teilhaben – zu einem nicht geringen Teil müssen sie das auch –, aber sie wünschen sich flexible Teilzeitmodelle und keine starr vorgegebene Stundenmodelle.
Besorgniserregend ist oftmals auch die Situation von Alleinerziehenden; Sie sagten es bereits. Auch die Erfahrung, dass es an Zeit für das Familienleben fehlt, bedeutet eine Herausforderung, ebenso wie die finanzielle Benachteiligung von Familien mit Kindern im Vergleich zu kinderlosen Paaren und Alleinstehenden.
Man muss sich schon fragen, was angesichts dieser zahlreichen Probleme, die der Bericht auflistet, die präventive Finanzpolitik der Ministerpräsidentin den Familien in unserem Land bisher eigentlich gebracht hat.
In der Summe ist der Familienbericht daher vor allem ein umfangreiches Lastenheft, das die scheidende Ministerin ihrer Nachfolgerin auf den Schreibtisch gelegt hat.
Denn im Familienbericht sind vor allem viele Aufgaben beschrieben. Was unsere Familien aber brauchen, sind Lösungen für ihre ganz konkreten Probleme. Wie müssen diese Lösungen aussehen? Was können wir tun? Für uns als Union ist die Wahlfreiheit der Maßstab. Wir tun gut daran, Familienpolitik auch einmal etwas grundsätzlicher zu diskutieren.
Die Einsicht liegt doch auf der Hand. Wenn sich die Familienpolitik konsequent an den Wünschen und Bedürfnissen von Familien orientieren soll, dann heißt das, Menschen dabei zu unterstützen, ihr höchstpersönliches Familienbild auch zu verwirklichen.
Das bedeutet, Freiräume für Familien zu schaffen – Freiräume, in denen sie über Familienmodelle, Kindererziehung und die Balance von Familienpflege und Erwerbsarbeit frei entscheiden können; darüber, ob Oma und Opa im hohen Alter in der eigenen Wohnung leben können und von den Kindern betreut werden, oder ob sie lieber in ein Seniorenwohnheim ziehen möchten; darüber, wie Vater und Mutter Erwerbsarbeit und Familienzeit untereinander aufteilen oder die Hausarbeit organisieren, ab welchem Zeitpunkt die Kinder in die Kita möchten und kommen, ob es eine städtische Kita sein soll oder eine, die beispielsweise von der Pfarrgemeinde oder dem DRK geleitet wird.
Da kann man nichts schönreden, Frau Ministerin, gar nichts! Nordrhein-Westfalen bildet bei den U3Betreuungsplätzen noch immer das Schlusslicht in ganz Deutschland. Das ist das Gegenteil von Wahlfreiheit!
Zur Wahlfreiheit gehört auch die Trägervielfalt. Wenn die Kirchen und andere Träger in NordrheinWestfalen Alarm schlagen, weil die Kindpauschalen nicht auskömmlich sind, dann ist auch das eine große familienpolitische Herausforderung, der wir uns stellen müssen.
Des Weiteren darf es auch nicht sein, dass nach den BAföG-Mitteln nun auch die Mittel aus dem Betreuungsgeld im allgemeinen Haushalt versickern. Diese Mittel müssen konkret den Familien zugutekommen.
Immer mehr Eltern wünschen sich einen Ausbau von Beratungs- und Unterstützungsangeboten. Auch hier muss die Landesregierung mehr tun. Die gute Arbeit der Familienzentren sowie der Familienberatung und Familienbildung – insbesondere die der Kirchen und der freien Wohlfahrtspflege – braucht mehr politische Unterstützung.
Und ja, mit dem Zuzug von Hunderttausenden von Flüchtlingen ist eine weitere gewaltige Aufgabe für die Familienpolitik hinzugekommen. Wir müssen alles dafür tun, damit die Kinder, die aus Syrien oder dem Irak nach Deutschland kommen, eine gute Zukunft in unserem Land haben.
Gerade erst am Samstag habe ich ein kleines Mädchen aus Syrien kennengelernt. Sie hat binnen vier Monaten ein richtig gutes Deutsch gelernt. Hier steckt unglaublich viel Potenzial. Wir müssen diesen Kindern eine Chance geben, sie integrieren und ihnen vor allem helfen.
Schließlich müssen wir mehr denn je in die frühkindliche Bildung investieren, so wie das alle Fraktionen im gemeinsamen Bericht der Enquetekommission
Hier im Landtag und vor allem in der Enquetekommission „Zukunft der Familienpolitik in NordrheinWestfalen“ muss es darum gehen, die Familien zu stärken und den Kindern gute Perspektiven zu bieten. Wir brauchen aber nicht nur Reden und Gipfel – es muss angepackt werden!