Protokoll der Sitzung vom 21.05.2015

Vielen Dank, Frau Maaßen. – Die CDU hat als Redner nun Herrn Kollegen Kerkhoff angekündigt.

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Krisen dieser Welt in Syrien, im Irak, in Teilen Afrikas sind die Ursache für die Flüchtlingsströme, die Europa, die Deutschland, die Nordrhein-Westfalen und unsere Städte und Gemeinden erreichen. Die Problemregionen dieser Welt liegen vor Europas Haustür, und die Bewältigung dieser Aufgabe ist wahrscheinlich die große Herausforderung dieser Zeit, eine Aufgabe, die uns alle fordert, für die wir Verantwortung auf den unterschiedlichsten Ebenen tragen.

Die Bilder, die uns fast täglich aus dem Mittelmeer erreichen, wenn ein Boot, voll mit Flüchtlingen, untergegangen ist oder gerade noch gerettet werden konnte, lassen uns nicht los. Sie berühren uns, und sie zeigen, was Menschen bereit sind, auf sich zu nehmen, um dem Elend ihrer Heimatländer zu entfliehen.

Wir sind aufgerufen zu helfen, zu retten, die schlimmste Not zu lindern und auf europäischer Ebene dazu beizutragen, dass alle Mitgliedsstaaten der Europäischen Union ihren Beitrag leisten und eine faire Verteilung der Flüchtlinge stattfindet.

Und es ist, so meine ich, auch Aufgabe, das Geschäft der Schlepperbanden zu zerstören, die mit der Not dieser Menschen Geschäfte machen.

Meine Damen und Herren, wenn die Flüchtlinge deutschen Boden erreichen, wenn sie in den Erstaufnahmeeinrichtungen des Landes ankommen oder spätestens, wenn sie in den Kommunen sind, stellt sich ja die Frage, was dann passiert. Sie sind in Sicherheit, versorgt, haben ein Dach über dem Kopf. Das ist ja schon einmal nicht wenig. Aber so ein Tag ist lang, wenn man keine Aufgabe hat, wenn man nichts zu tun hat. Auch wenn man es ein paar Tage gut aushalten kann – nach Wochen wird das unerträglich.

Deshalb stellt sich in der Tat die Frage, was diese Menschen tun können. Arbeit ist mehr als Geld verdienen. Arbeiten bedeutet teilzuhaben, seinem Tag eine Struktur zu geben. Arbeiten bedeutet, etwas Sinnhaftes zu tun. Deshalb ist Arbeit ein Stück Würde. Ich finde, es ist auch Teil unseres Auftrages,

diesen Menschen nicht nur Lebensmittel und Unterkunft zu geben, sondern auch Würde.

Meine Damen und Herren, Aufgabe von verantwortungsvoller Politik ist es, einen Rahmen zu definieren, Gesetze zu machen, die dem Allgemeinwohl dienen, die Interessen abzuwägen und zu Ergebnissen zu kommen, die tragfähig sind.

Diese Sorgfalt ist besonders dann gefragt, wenn sich, wie im Falle des Arbeitsmarktzugangs für Flüchtlinge, Dinge vermischen. Wir haben auf der einen Seite die Zuwanderung, die sich nach unseren Interessen richtet und unserer Gesellschaft helfen soll, Fachkräfte zu finden. Auf der anderen Seite gibt es das Asylrecht und die Regelungen für Flüchtlinge, bei denen es eben nicht um unsere Interessen geht, sondern das Schutzbedürfnis dieser Menschen im Vordergrund steht.

Deshalb folgt der Zugang zu unserem Arbeitsmarkt und unserem Ausbildungsmarkt Regeln. Und diese Regeln – das ist eben schon einige Male angeklungen – sind im Fluss. Erst im letzten November hat unsere Bundesregierung den Zugang zum Arbeitsmarkt für Flüchtlinge erleichtert.

Das ist, so meine ich, im Interesse der Flüchtlinge, aber auch im Interesse unseres Landes. Unser Arbeitsmarkt ist aufnahmefähig für qualifizierte Menschen. Viele von denen, die kommen, sind qualifiziert. Unsere Wirtschaft, aber auch andere Bereiche sehen einem Mangel an Fachkräften entgegen. Deshalb bietet die Integration von Flüchtlingen, die eine Bleibeperspektive haben – das betone ich ausdrücklich –, in unseren Arbeitsmarkt Chancen für alle Beteiligten: Für die Flüchtlinge besteht die Chance, ihren Lebensunterhalt selbst zu verdienen, sich einzubringen, Arbeitgeber profitieren durch ein größeres Angebot an Personal, und der Staat muss weniger für die Flüchtlinge ausgeben, weil sie zumindest einen Teil selbst zu ihrem Lebensunterhalt beitragen.

Ich will dieser zwar nicht falschen, aber, so meine ich, nicht ganz vollständigen Betrachtung ein paar Fragen hinterherschieben, denn ganz so einfach, wie sich das auch in dem Antrag darstellt, ist es nicht. Deshalb muss der Gesetzgeber, müssen also wir im Landtag – wir diskutieren darüber ja im Ausschuss –, aber auch diejenigen, die im Deutschen Bundestag darüber zu beschließen haben, das Ganze in den Blick nehmen. Von daher möchte ich einige Fragen nennen, die meiner Meinung nach dazugehören.

Wie sieht die Aufnahmefähigkeit unseres Arbeitsmarktes und Ausbildungsmarktes aus? In welchen Regionen, in welchen Branchen werden welche Fachkräfte benötigt? Die Situation auf dem Arbeits- und Ausbildungsmarkt ist in Deutschland, aber auch in Nordrhein-Westfalen – darüber haben wir bereits an anderer Stelle diskutiert – sehr unterschiedlich. Wir haben Regionen und Branchen mit einem ho

hen Bedarf an Fachkräften. In manchen Teilen unseres Landes finden Betriebe keine Auszubildenden und in anderen Schulabsolventen keine Ausbildungsplätze. Wir müssen auch diese regional- und branchenspezifischen Unterschiede mit berücksichtigen, wenn wir über Zugänge zum Arbeitsmarkt und in die Ausbildung nachdenken.

Wer darf wie lange bleiben? Die Flüchtlinge oder Asylsuchenden kommen ja aus sehr unterschiedlichen Ländern und haben verschiedene Fluchtgründe. Die mögen aus der persönlichen Sicht der Betroffenen alle nachvollziehbar sein, aber klar ist doch auch, dass nicht jeder, der den Wunsch hat, in unserem Land zu leben, dies im Ergebnis auch tun kann. Und wenn Fluchtgründe entfallen, besteht die Verpflichtung, das Land wieder zu verlassen. Wie gehen wir in diesem Fall damit um?

Wie wirken die Erleichterungen bei der Arbeitsaufnahme in Deutschland in den Herkunftsländern? Entsteht eine zusätzliche Sogwirkung nach Europa? Über den Anstieg der Flüchtlingszahlen ist bereits gesprochen worden. Wir müssen uns auch die Frage stellen, wie Veränderungen hier im Land auf potenzielle Flüchtlinge wirken. Wir haben unter anderem aufgrund von falschen Meldungen im Kosovo zu Jahresanfang eine Einwanderungswelle gehabt, weil dort falsche Informationen über Sozialleistungen in Deutschland verbreitet wurden. Deshalb gilt auch hier, dass wir nicht mit gut gemeinten Absichten Wirkungen erreichen sollten, die niemand wollen kann.

Eine weitere Frage ist: Wie ist es eigentlich um die Aufnahmefähigkeit unserer Gesellschaft bestellt? Es kommen keine Arbeitskräfte, es kommen Menschen anderer Nationalität, anderer Kultur, anderer Religion. Wir haben in den 50er- und 60er-Jahren den Fehler gemacht, zu glauben, es ginge alles von alleine. Das tut es eben nicht. Neben der Arbeit muss es auch um Integration gehen, zumindest bei denen, die perspektivisch in Deutschland bleiben. Auch diesen Aspekt muss man, wenn man dem Thema in seiner ganzen Breite gerecht werden will, mit diskutieren.

Eine letzte Frage: Welche globale Verantwortung sehen wir mit Blick auf die Herkunftsländer? Dieser Landtag beschließt Gesetze, nach denen die Herkunft von Grabsteinen nachverfolgt werden muss, um globaler Verantwortung im Hinblick auf Kinderarbeit gerecht zu werden. Das ist ein hehres Ziel.

Was ist eigentlich unsere Verantwortung gegenüber Ländern, deren Leistungsträger, deren junge Menschen hier bei uns Arbeit finden? Bedienen wir uns hier nicht auch ein Stück weit auf Kosten anderer? Ich will das hier nicht überdehnen, aber gerade fehlen in Nepal die jungen Menschen zum Wiederaufbau nach dem Erdbeben, die in Katar zum Beispiel die Stadien für die Fußballweltmeisterschaft bauen. Lassen wir sinnvollerweise einen Auszubildenden hier seine Ausbildung beenden? Was ist danach?

Was sagen wir dem Betrieb, der ausgebildet hat? Sehen wir das als Beitrag zur Entwicklungshilfe im Herkunftsland, oder lassen wir diesen gut ausgebildeten jungen Menschen vor Ort seine Arbeit tun?

Meine Damen und Herren, wir haben in dieser Debatte für die weiteren Beratungen im Ausschuss einige Punkte aufgeworfen. Manches wird sicherlich noch folgen. Insofern freue ich mich auf die weitere Beratung. – Vielen Dank.

(Beifall von der CDU und Ulrich Alda [FDP])

Vielen Dank, Herr Kerkhoff. – Die FDP-Fraktion wird vertreten von Herrn Kollegen Alda.

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen! Liebe Zuschauer! Ich vertrete den erkrankten Dr. Stamp, bin aber stolz darauf, das machen zu dürfen, gerade als Bürger der Stadt, bei der vor 70 Jahren das Flüchtlingskind Rupert Neudeck strandete. Wir sind in Hagen sehr mit ihm verbunden, machen dazu auch viele Veranstaltungen. Deswegen passt das sehr gut.

Niemand, der sich von seiner eigenen Hände Arbeit versorgen kann, der sich etwas aufbauen kann, sollte daran gehindert werden. Gerade für Flüchtlinge, die dauerhaft bei uns bleiben, ist das Miteinander im Berufsleben, das gemeinsame Arbeiten und Lernen von Menschen mit und ohne Zuwanderungsgeschichte eine der nachhaltigsten Formen der Integration.

Sich selbst einzubringen, am Erwerbsleben teilzunehmen, bedeutet auch, sich schneller zugehörig und aufgenommen zu fühlen. Ja, auch in den Augen der einheimischen Bevölkerung – der Kollege hat es gerade noch einmal angesprochen – steigt das Ansehen von Flüchtlingen, wenn sie am Arbeitsleben teilnehmen.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, bekanntlich hat sich seit diesem Jahr auch die Rechtslage für Asylbewerber und Geduldete geändert: So wurde das Arbeitsverbot von neun auf drei Monate verkürzt, die Vorrangprüfung, ob ein geeigneter Deutscher oder EU-Bürger für einen Job zu finden ist, entfällt nun nach 15 Monaten und, bitte nicht vergessen, schon die schwarz-gelbe Bundesregierung hatte für die Vorrangprüfung die Genehmigungsfiktion eingeführt.

Unsere FDP-Position lautet: Jeder, der sich nach unseren Gesetzen längerfristig in Nordrhein

Westfalen aufhält, sollte ein Recht haben, zu arbeiten. Asylbewerber sollen ab dem ersten Tag arbeiten können. Die Vorrangprüfung kann komplett entfallen.

(Beifall von der FDP und den PIRATEN)

Jedoch ist Nordrhein-Westfalen schlecht auf die neue Rechtslage vorbereitet. Bisher gibt es nur wenige vom Bund finanzierte Modellprojekte zur Arbeitsmarktintegration von Flüchtlingen. Es besteht die Gefahr, dass formal arbeitsberechtigte Flüchtlinge aufgrund objektiv bestehender Vermittlungshemmnisse trotzdem nicht arbeiten können. Das ist eine Verschwendung von Ressourcen für unsere Volkswirtschaft und ein Verschleppen von Integration bei den Menschen, die dauerhaft bei uns bleiben wollen.

In der Praxis haben Flüchtlinge größere Hemmnisse bei der Arbeitsaufnahme als hier aufgewachsene Bürger. Haupthindernisse sind mangelnde deutsche Sprachkenntnisse und die Nachweise von Berufskenntnissen oder Berufsqualifikationen.

Dabei sollte man nicht vergessen, dass die ausbleibende Unterstützung für die Arbeitsaufnahme auch in diesem Land Fremdenfeinden Nährboden für ihre dämlichen Argumente liefert. Das ist eine Sache, die tatsächlich einmal zum Ausdruck gebracht werden sollte.

(Beifall von der FDP, der SPD und den PIRATEN)

Den Feinden einer offenen Gesellschaft sollten wir hier nicht eine offene Flanke oder ein Einfallstor bieten.

Auch sollten wir noch einmal die Statistiken durchleuchten. So sollten nicht formal arbeitsberechtigte Flüchtlinge als arbeitslos in den Statistiken auftauchen, sondern gesondert betrachtet werden, um ihnen da zu helfen.

Umgekehrt entlastet jeder Flüchtling, der Arbeit findet, die Kommunen – es ist heute schon Thema gewesen –, die bei der Flüchtlingsaufnahme derzeit stark gefordert sind. Mit ihrem eigenen Wohlstand steigern die Flüchtlinge auch unseren Wohlstand. Auch das sollte man ökonomisch einfach einmal durchdenken. Nur so können sie ihren Beitrag zum Steueraufkommen und zu unserem Sozialsystem leisten – diese Chance sollten wir nicht einfach vorbeiziehen lassen. Viele der Flüchtlinge, gerade aus Syrien, sind hochqualifiziert. Investitionen, etwa in ihre Sprachkenntnisse, können sich für Land, Kommunen und die Volkswirtschaft insgesamt lohnen.

Es ist also wichtig und hoch dringlich, dass wir uns mit diesem Thema auseinandersetzen. An dieser Stelle möchte ich als Oppositionspolitiker Rot-Grün ruhig einmal danken, dass sie diesen Antrag eingebracht haben.

(Zurufe von der SPD: Oho!)

Nur an dieser Stelle! – Machen Sie bitte ein Ausrufungszeichen dahinter. Ausnahmsweise, einmal in drei Jahren.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Bedauerlich ist nur – um es gleich wieder abzuschwächen –, dass Sie auch hier wieder auf die Standardstrategie bei den Kosten der Flüchtlingsversorgung zurückgreifen: Der Bund soll zahlen. Bis dahin geschieht erst einmal nichts.

Lassen Sie mich einfach einmal aufzählen, was Sie alles vom Bund wollen: Erstens. Der Bund soll Integrations- und Sprachkurse anbieten. Zweitens. Der Bund soll Modellprojekte zur Arbeitsmarktintegration ausweiten. Drittens. Der Bund soll das Bleiberecht für Flüchtlinge in Ausbildung ermöglichen. Viertens. Der Bund soll die Förderungslücke für Asylbewerber und Geduldete in Ausbildung auffüllen, die nicht mehr dem Asylbewerberleistungsgesetz unterliegen, sondern Anspruch auf Leistungen nach dem Sozialgesetzbuch haben. – Da bleibt einfach die Frage, was Ihrer Auffassung nach das Land machen soll.

(Martina Maaßen [GRÜNE]: Wir führen aus!)

Wie bitte?

(Martina Maaßen [GRÜNE]: Ausführen!)

Was sagen Sie? Bürokratiemonster?

(Heiterkeit – Martina Maaßen [GRÜNE]: Wir führen das aus!)

Es bleibt die Frage, was das Land Ihrer Auffassung nach machen soll. „Auf den Papieren zur Aufenthaltsgestattung genauer die Rechtslage zur Arbeitsaufnahme vermerken und Arbeitgeber und zuständige Stellen darüber informieren“. – Dazu hätte meine Oma gefragt: „Und das ist alles?“ Das kennen wir, übrigens kenne ich das auch als Arbeitgeber. Diese Nachrichten bekommt man längst, man muss nur noch einmal nachhaken.

Liebe Freunde von Rot-Grün: Das ist bei diesem wichtigen Anliegen einfach zu dünn, zumal, wenn man sich der nicht ganz unberechtigten Hoffnung hingibt, dass zumindest die zuständigen Stellen über die Rechtslage informiert sein dürften. Nein, so geht es nicht. Während Sie und der Bund sich darüber streiten, wer nun zuständig ist, gucken die Kommunen und die Flüchtlinge – um die es hier ja geht – weiterhin in die Röhre.