Protokoll der Sitzung vom 08.10.2020

Der vorliegende Antrag der AfD zielt auf die Überarbeitung von Justizstatistiken ab. Es geht insbesondere um die Vergleichbarkeit von Strafverfolgungsstatistiken und Kriminalitätsstatistiken, wie Herr Röckemann gerade ausgeführt hat.

Es wird bemängelt, dass diese keine identischen Faktoren aufweisen, was eigentlich völlig klar ist, denn Sie lassen außer Acht, dass die beiden Statistiken nicht die gleiche Zielsetzung haben. Sie müssen unterschiedlich sein, weil sie auch unterschiedliche Dinge herausarbeiten wollen.

Wie Sie selbst in Ihrem Antrag zitieren, dient die Polizeiliche Kriminalstatistik, die Sie hier im Haus sonst immer als völlig nutzlos darstellen,

„als Basis für die Erlangung von Erkenntnissen zur (…) Kriminalitätsbekämpfung, für organisatorische Planungen und Entscheidungen sowie für kriminologisch-soziologische Forschungen und kriminalpolitische Maßnahmen.“

Es handelt sich dabei also um eine Ausgangsstatistik.

Mit den Ergebnissen der Strafverfolgungsstatistik auf der anderen Seite sollen die Strukturen der Entscheidungspraxis der Strafgerichte abgebildet und Veränderungen sowohl der gerichtlich registrierten Kriminalität als auch deren gerichtlicher Bewertung aufgezeigt werden.

Damit liefert die Statistik einerseits Informationen für die Planung der Kriminal- und Strafrechtspolitik in Bund und Ländern, andererseits für die Entwicklung der Gesetzgebung auf dem Gebiet des Straf- und Strafprozessrechts.

Es handelt sich also um zwei völlig unterschiedliche Dinge. Warum man diese gleich erheben soll, bleibt im Unklaren.

Die meisten der von Ihnen geforderten zusätzlichen Erhebungen sind ohnehin bereits jetzt umfasst. Die Strafverfolgungsstatistik enthält neben demografischen Merkmalen der Abgeurteilten wie das Alter zur Tatzeit auch das Geschlecht und die Staatsangehörigkeit, die Art der Straftat, die Art der Entscheidung,

die Art der Sanktion sowie Vorstrafen und Untersuchungshaft.

Es ist überhaupt nicht ersichtlich, welcher Vorteil daraus resultieren würde, diese noch weiter aufzuschlüsseln. Sicher ist einzig: Es würde einen bürokratischen Mehraufwand und zusätzliche Kosten bedeuten.

Die AfD-Fraktion behauptet dabei in Bezug auf die Übereinstimmung der Strafverfolgungsstatistik und der Kriminalstatistik, das Hauptverfahren sei die spiegelbildliche Kehrseite des Ermittlungsverfahrens; das steht so in Ihrem Antrag.

Herr Röckemann hat dankenswerterweise gerade schon erklärt, warum das nicht stimmt. Entweder hat er seinen Antrag nicht gelesen, oder die Begründung und der Antrag sind zwei unterschiedliche Dinge.

Richtig ist natürlich, wie wir gerade gehört haben, dass das Ermittlungsverfahren nicht in jedem Fall zur Anklageerhebung führt, also zu einem Hauptverfahren. Dann kann es auch nicht die spiegelbildliche Kehrseite sein. Das hätten Sie in Ihrem schriftlichen Antrag berücksichtigen können, wenn Sie es nun schon einräumen.

Nach § 170 Abs. 2 StPO stellt die Staatsanwaltschaft das Verfahren ein, wenn sich der Anfangsverdacht nicht bestätigt, entweder weil dem Beschuldigten die Tat nicht nachgewiesen werden kann oder weil er schlicht unschuldig ist oder weil es kein öffentliches Interesse gibt, was in den meisten Fällen so ist.

Damit stellen die Hauptverfahren eben nicht die Kehrseite des Ermittlungsverfahrens, sondern nur die Fortführung eines Teils des Ermittlungsverfahrens dar.

Ich glaube aber, darum geht es Ihnen gar nicht, sondern das war nur der Aufhänger für einen anderen Teil des Antrags. Der eigentliche Beweggrund Ihres Antrags ist sicherlich nicht eine Verbesserung der Justiz, sondern er verbirgt sich im letzten Absatz und ist wie üblich wenig überraschend.

Erstens. Obwohl die Staatsangehörigkeit bereits erfasst wird, wollen Sie nun ohne Sinn weitere „Daten über die Delinquenz von Asylberechtigten, Flüchtlingen und subsidiär Schutzsuchenden“ erfassen. Letztlich geht es Ihnen darum zu suggerieren, Menschen mit Migrationshintergrund würden alle straffällig werden, was nicht stimmt.

Zweitens soll der Staat Daten sammeln, die ihm zwar nichts nutzen, die die AfD aber zu Propagandazwecken glaubt, nutzen zu können. Da mache ich jedenfalls nicht mit.

(Beifall von der FDP – Zuruf von Thomas Rö- ckemann [AfD])

Dann kommt ganz plötzlich und ohne Ankündigung die Forderung nach einer Aufstellung über die

Meldung von Infektionskrankheiten in Justizvollzugsanstalten um die Ecke. Was hat eine solche Meldung für einen Sinn? Soll das Schnüpfchen eines Strafgefangenen dem Justizministerium gemeldet werden? – Das bleibt völlig unklar; es gibt keinerlei Begründung dazu.

Da dieser Antrag in keiner Weise juristisch erforderlich oder sinnvoll erscheint,

(Zuruf von Thomas Röckemann [AfD])

sondern vielmehr bereits die Basis für die angebliche Notwendigkeit der Überarbeitung der Justizstatistik darin nicht korrekt ist, bin in gespannt, ob Sie das im Ausschuss näher erläutern können. Darauf freue ich mich. Der Überweisung stimmen wir zu. – Vielen Dank.

(Beifall von der FDP)

Danke schön, Herr Mangen. – Jetzt spricht Herr Engstfeld für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Angesichts der Qualität des Antrags, der Rede des AfD-Abgeordneten Röckemann und der fortgeschrittenen Zeit fasse ich mich sehr kurz: Wir lehnen den Inhalt des Antrags ab und stimmen der Überweisung zu. – Vielen Dank.

(Beifall von allen Fraktionen)

Vielen Dank, Herr Engstfeld. – Jetzt spricht für die Landesregierung Herr Minister Reul in Vertretung für Herrn Minister Biesenbach. Bitte schön, Herr Minister Reul.

Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren Abgeordnete! So einfach, wie es im Antrag formuliert ist, ist es meines Erachtens nicht. Man muss da genauer hinschauen.

Justizstatistiken sind koordinierte Landesstatistiken. Die Rechtspflegestatistiken der Länder werden auf Bundesebene vom Statistischen Bundesamt zusammengestellt und dann aufbereitet zur Verfügung gestellt. Einseitige Änderungen würden dazu führen, dass der Vergleich von NRW mit anderen Bundesländern nicht mehr möglich wäre.

Deswegen werden neue statistische Merkmale, wie der Erlass eines zivilrechtlichen Haftbefehls, vom bundesweiten Ausschuss für Justizstatistik, der einmal jährlich tagt, bundeseinheitlich festgelegt. Schließlich sollten sich statistische Erhebungen durch die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Justiz in erster Linie nach dem Informationsbedürfnis der Justiz richten.

Jede Erhebung neuer statistischer Merkmale führt zu zusätzlichem Aufwand für diesen Geschäftsbereich. Trotzdem kann der stetige Ausbau der Erhebungen Anfragen aus dem öffentlichen oder privaten Raum niemals umfassend beantworten; denn es werden tagesaktuell immer wieder Daten abgefragt, deren Erhebung auf Dauer nicht notwendig ist.

Statistiken ergeben aber nur dann einen Sinn, wenn sie auf Dauer angelegt und vergleichbar sind. Die Verfolgung bestimmter politischer Konzepte oder die vermeintliche Unterfütterung einer migrationspolitischen Agenda ist aber nicht Aufgabe der Justizstatistik.

Das gilt erst recht, wenn die Erhebung belastbarer Aussagen gar nicht zu erwarten ist. Was soll denn aus einer Statistik über die Untersuchungshaft, welche die Anzahl an Ersttätern oder Wiederholungstätern einschließt, abgeleitet werden? U-Haft wird auf Grundlage eines Verdachts in der Regel zur Verfahrenssicherung verhängt. Mit der Legalbewährung hat sie nichts zu tun.

Ähnlich ist es mit dem Thema „Migration“. Die Strafverfolgungsstatistik unterscheidet bewusst nach Staatsangehörigkeit und nicht nach Zuschreibungen wie „Migrant“ oder „Zuwanderer“.

Möglich bzw. interessant ist der Hinweis auf die Verlaufsstatistik. Dazu haben einige Kollegen heute schon etwas gesagt. Durch diese könnte die Vergleichbarkeit der Justizstatistik mit der PKS hergestellt werden. Man könnte dann Täterbiografien von der Tat bis zur Verurteilung besser beurteilen und daraus Rückschlüsse auf die Effizienz von Präventionsmaßnahmen und Strafgesetzen ziehen.

Im Jahr 2012 wurde deswegen schon eine BundLänder-Arbeitsgruppe dazu eingesetzt. Ergebnis war ein Grundlagenpapier für eine Machbarkeitsstudie. Auch die Sachverständigen in der Anhörung der 74. Sitzung des Rechtsausschusses am 8. März 2017 haben auf die Nützlichkeit einer solchen Erhebung hingewiesen. Das ist also keine große Neuigkeit.

Die Verlaufsstatistik kann aber – das ist wieder die Kehrseite der Medaille – nicht von Nordrhein-Westfalen alleine eingeführt werden. Das scheitert schon daran, dass die Polizeiliche Kriminalstatistik als koordinierende Länderstatistik vom BKA auf der Grundlage der von 16 Landeskriminalämtern gelieferten Landesdaten erstellt wird.

Eine Angleichung der Erhebung von Justiz und Polizei ist nur bundeseinheitlich möglich. Das Bundesministerium des Innern und das Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz streben das übrigens langfristig an. Aber der Teufel liegt im Detail. Über die Zeit sind bei Polizei und Justiz eben wesentliche Unterschiede bei der Datenerhebung gewachsen. Das bereitet jetzt erhebliche Probleme bei der

Zusammenführung vorhandener Daten. Erhebungsmerkmale, -zeiträume und -verfahren sind unterschiedlich.

Nicht einmal die justizinterne Abbildung des Verlaufs eines Verfahrens ist momentan möglich. Grund ist, dass eine Beschuldigtenstatistik der Staatsanwaltschaft bisher fehlt; denn die Geschäftsstatistiken bilden nur die Gesamtzahl der Verfahren ab.

Die Strafvollstreckung wird – abgesehen von der Bewährungshilfestatistik – überhaupt nicht erfasst. Daher arbeitet das Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz im Moment an einem Referentenentwurf zu einem Bundesstatistikgesetz, das die Erhebung personenbezogener Daten im Ermittlungsverfahren, im Strafverfahren und im Vollstreckungsverfahren vorsieht. Durch die Verwendung eines Personenschlüssels sollen Verlaufsaussagen für das justizielle Verfahren ermöglicht werden.

Im Anschluss daran – erst dann – kann die Frage geklärt werden, ob durch eine Angleichung einzelner Erfassungskriterien und durch Verwendung eines weiteren Personenschlüssels eine Vergleichbarkeit auch zu polizeilichen Daten ermöglicht wird.

Es gilt: Die Verlaufsstatistik ist interessant. Man kann sie fordern. Sie umzusetzen ist kompliziert. Bund und Länder arbeiten bereits an Lösungen. Bis das gelingt, wird man aber bestimmt noch eine Menge Zeit brauchen. – Herzlichen Dank.

(Beifall von der CDU, der FDP und Stefan Engstfeld [GRÜNE])

Danke schön, Herr Minister Reul.

Wir kommen zur Abstimmung. Der Ältestenrat empfiehlt die Überweisung des Antrags Drucksache 17/11166 – Neudruck – an den Rechtsausschuss und die abschließende Beratung und Abstimmung dort in öffentlicher Sitzung. Gibt es dazu Gegenstimmen? – Enthaltungen? – Nein. Dann ist einstimmig so überwiesen.

Ich rufe auf:

18 Gesetz zur Anpassung bestehenden Landes