Protokoll der Sitzung vom 13.11.2020

für den Präsenzunterricht aus.

Auch Hessen wird immer wieder angeführt. Herr Professor Lorz hat sich gestern im Hessischen Landtag ebenfalls ausdrücklich dafür ausgesprochen, dass der Präsenzunterricht die einzige Wahl ist und es für die Schülerinnen und Schüler keine Abkehr vom Präsenzunterricht geben wird.

(Zuruf von der FDP: Hört, hört!)

Last, but not least: Frau Hubig, Präsidentin der Kultusministerkonferenz aus Rheinland-Pfalz und SPDMitglied, hat sich ebenfalls, wie wir alle, für Präsenzunterricht so lange wie möglich für alle Schülerinnen und Schüler ausgesprochen. Ich frage Sie: Mit welchem Modell wollen wir nach Hause gehen?

(Beifall von der CDU und der FDP – Zuruf von Josefine Paul [GRÜNE])

Frau Paul, leider haben Sie immer noch nicht verstanden, dass die Schulen bereits jetzt die Möglichkeit haben, Schülerinnen und Schüler im Wechsel von Distanz und Präsenz zu unterrichten.

(Zuruf von Josefine Paul [GRÜNE])

Es macht Sinn, sich in diesem Zusammenhang noch einmal die Verordnung anzuschauen, zu der es auch ein Expertengespräch bzw. eine Anhörung gegeben hat, die wir hier gemeinsam verabschiedet haben. In dieser Verordnung ist alles enthalten, von dem Sie bestreiten, dass es für Nordrhein-Westfalen gelten würde.

(Beifall von der FDP und Kirstin Korte [CDU])

Ich bin der Meinung, wir sind gut aufgestellt und tun gut daran, die Kinder auch in diesen schwierigen Zeiten so lange wie möglich im Präsenzunterricht zu halten. – Herzlichen Dank.

(Anhaltender Beifall von CDU und FDP)

Vielen Dank, Frau Ministerin Gebauer. – Für die SPD-Fraktion hat nun Herr Ott das Wort.

(Zurufe von CDU und FDP: Oh! – Henning Höne [FDP]: Er hat extra eine Krawatte gebun- den, der Kollege!)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Seriosität, Solidität und Verantwortungsbewusstsein müssen dringend in das nordrhein-westfälische Schulsystem zurückkehren.

(Henning Höne [FDP]: Was wissen Sie denn davon?)

Frau Ministerin Gebauer und Herr Ministerpräsident Laschet sind sich ihrer Verantwortung in keinster Weise bewusst. Schlimmer noch: Sie scheinen – das haben wir gerade gehört – die Auswirkungen ihrer Entscheidungen überhaupt nicht zu bemerken.

(Zuruf von Henning Höne [FDP])

Die Ministerin wird getrieben von der Staatskanzlei und ihrem Staatssekretär. Der Ministerpräsident ordnet alles seinem Wahlkampf in der CDU unter, ist getrieben von seinen Karrierechancen und grätscht seiner Ministerin mit guten Ideen hinein.

(Zuruf von Henning Höne [FDP])

Meine sehr verehrten Damen und Herren, das Schulsystem in Nordrhein-Westfalen ist ein großer Tanker:

(Zuruf von Josef Hovenjürgen [CDU])

schwer und unbeweglich, aber im Großen und Ganzen verlässlich, insbesondere der vielen Menschen wegen, die auf diesem Tanker an allen möglichen Stellen arbeiten.

Er beherbergt etwa 2,5 Millionen Schülerinnen und Schüler, 170.000 Lehrkräfte, Pädagogen und Erzieher sowie Sonder- und Sozialpädagogen an rund 5.500 Schulen, einen riesigen Beamtenapparat im

Schulministerium, in den Schuldezernaten unserer Gemeinden und Landkreise.

Dieser große Tanker verträgt keine permanenten und abrupten Kursänderungen. Auch in stürmischen Zeiten müssen Entscheidungen vorab durchdacht werden.

(Beifall von Martin Sträßer [CDU])

Auf bloßen Zuruf funktioniert das nicht; vielleicht mal ausnahmsweise, aber nicht auf Dauer.

Ein 11-jähriger Junge – nennen wir ihn Anton – hat im Radio eine wunderbare Idee geäußert: vorgezogene Weihnachtsferien. Aus seiner Perspektive ist das wunderbar, und als Politiklehrer sage ich: super gemacht. Das ist politische Bildung. Der Junge hat für seine Interessen gekämpft. Das hat er gut gemacht.

(Zuruf von Daniel Sieveke [CDU])

Die 40-jährige alleinerziehende Mutter – nennen wir sie Petra – jedoch schreit auf, denn sie weiß nicht, wie sie das noch schaffen soll, nachdem ihr behindertes Kind schon vor den Sommerferien überhaupt nicht in der Förderschule gewesen ist. Sie weiß schlicht nicht mehr, was sie machen soll, ganz zu schweigen von den Therapiestunden, die auch wieder ausfallen, was das Kind in diesem Jahr schon schwer belastet hat.

Wir haben in der Politik nun einmal die Verantwortung, zwischen dem 11-jährigen Anton und der 40jährigen Petra abzuwägen und zu überlegen, wie wir das Problem lösen können. Das geht nicht auf Zuruf, um abzulenken, Herr Ministerpräsident, oder die eigenen Wahlchancen zu erhöhen. Nein, dafür braucht man ein verlässliches Krisenmanagement und ein planvolles Handeln. Das fehlt hier komplett.

(Beifall von der SPD)

Hier geht es um Haltung und Klarheit. Wir aber haben es mit einer Regierung zu tun, die überhaupt nicht weiß, was sie auslöst.

(Zuruf von Dietmar Brockes [FDP])

Ich möchte das einmal anhand eines Beispiels skizzieren. Sie machen aus politischen Gründen dem Oberbürgermeister mit dem Solinger Modell einen Strich durch die Rechnung und sagen, er dürfe das nicht machen. Was passiert dann? Das ist ganz einfach. Die Dezernenten in den Bezirksregierungen sitzen zusammen und sagen: Das ist der politische Wille, also werden alle Hybridmodelle verboten.

Obwohl der stellvertretende Ministerpräsident gestern gesagt hat, ich würde lügen, liegt die Wahrheit auf dem Tisch. Der Verband der Privatschulen hat das Schreiben ja nicht aus dem hohlen Bauch geschickt, sondern weil dieser riesige Beamtenapparat das, was die Ministerin sagt, umsetzt. Und den Schulleitern wurde mündlich gesagt, dass hybride

Modelle raus sind. Die stehen jetzt da und wissen gar nicht, was sie machen sollen. Erst nach der Debatte am Mittwoch gab es dann die nächste Runde, und es hießt: Ja, gut, ihr könnt doch so weitermachen.

Man kann ein großes System eben nicht durch Zuruf regieren. Ich erwarte von Ihnen, dass Sie endlich einmal akzeptieren, dass die Schulleitungen in unserem Land an irgendeiner Stelle Rechtssicherheit brauchen. Sie brauchen einen Rahmen, an dem sie sich orientieren können.

Die Schulleiter arbeiten seit Monaten durch, teilweise am Wochenende. Sie machen einfach, aber sie werden von dieser Landesregierung alleingelassen.

(Beifall von der SPD – Vereinzelt Beifall von den GRÜNEN)

Es ist sogar noch schlimmer. Als Sozialwissenschaftler will ich auf das Heinz-Dilemma von Kohlberg hinweisen. Darin geht es um die Entscheidung in moralischen Dilemmata. Es geht um den Mann Heinz, der dringend Medikamente benötigt, aber die Apotheke hat zu. Die Frage ist nun: Bricht er in der Apotheke ein, um seiner todkranken Frau das Medikament geben zu können?

Warum führe ich dieses Beispiel an? Weil viele Schulleitungen in den letzten Wochen vor ähnlichen moralischen Fragen gestanden haben. Sollen sie auf das hören, was von oben kommt, oder sollen sie sich präventiv auch andere Modelle überlegen? Gott sei Dank haben viele Schulleiterin und Schulleiter vernünftig agiert und sich Modelle überlegt.

(Beifall von der SPD und Josefine Paul [GRÜNE])

Deshalb erwarte ich von Ihnen in dieser Situation nicht wohlfeile Radiointerviews, sondern dass Sie einen Rahmen setzen, in dem dann Szenarien durchgeführt werden können.

Und um das hier ein für alle Mal klarstellen: Die Entscheidung für das Abitur war eine Entscheidung gegen die Präsenz in der Fläche, weil es personaltechnisch nicht ging. Wir haben immer gesagt, das könne man so machen. Aber das hier immer noch zu loben, ist natürlich Quatsch, weil viele Kinder und Jugendliche jetzt Defizite aufweisen, die aufgeholt werden müssen.

(Beifall von Sigrid Beer und Matthi Bolte-Rich- ter [GRÜNE])

Diese Defizite sind nämlich genau in der Situation entstanden, als kein Präsenzunterricht stattfand. Das ist die bildungspolitische Wahrheit, die Sie hier ständig ausblenden.

(Beifall von der SPD – Vereinzelt Beifall von den GRÜNEN)

Noch ein Weiteres: Diese SPD-Fraktion – das gilt übrigens auch für die Grünen – hat seit März gesagt,

dass wir Präsenzunterricht wollen. Präsenz bleibt das A-Modell. Präsenz bleibt immer das A-Modell. Das haben wir eingefordert, aber das verstehen Sie bis heute nicht, Herr Laschet. Es wundert mich, dass ein Ministerpräsidenten so etwas nicht versteht.

(Armin Laschet, Ministerpräsident: Sie wollen die ins Homeoffice schicken!)