Protokoll der Sitzung vom 15.12.2020

(Beifall von der SPD)

Seit Freitag gibt es nun eine neue Variante. Jetzt sollen es die Eltern selber richten. Es bleibt auf dem Papier bei der Bildungs- und Betreuungsgarantie. Aber Eltern werden dringend gebeten, ihre Kinder doch bitte nicht in die Schule oder in die Kita zu schicken.

Weil Sie Ihr politisches Schicksal daran geknüpft haben, darf das, was de facto gelten soll, auf keinen Fall

so genannt werden. Was ist das denn für eine Garantie, die man bloß nicht in Anspruch nehmen soll, meine Damen und Herren? Diese Garantie ist nichts wert.

(Beifall von der SPD)

Garantien dieser Landesregierung haben eine kleinere Halbwertszeit als Versprechen auf einer Kaffeefahrt. Das ist doch in diesem Lande Realität geworden, meine Damen und Herren. Das ist Flucht aus der Verantwortung.

(Beifall von der SPD und Josefine Paul [GRÜNE])

Herr Stamp und Frau Gebauer, Sie müssen feststellen: Sie haben damals den Mund einfach zu voll genommen, als Sie das alles versprochen haben. Das war erkennbar nicht einzuhalten, wenn Sie nicht mit entscheidenden Maßnahmen, die wir seit Monaten fordern, tatsächlich hätten gegensteuern wollen.

Wenn Sie schon zu feige waren, die konsequenten Entscheidungen rechtzeitig zu treffen, dann seien Sie jetzt wenigstens konsequent in der Umsetzung! Das bedeutet: Für Kinder, die wegen der

Coronakrise nicht in die Kita gehen können, müssen die Eltern auch keine Kita-Gebühren bezahlen. Erstatten Sie die Gebühren ab sofort, bitte.

(Beifall von der SPD)

Hören Sie als Landesregierung bitte damit auf, eine wissenschaftsfeindliche Politik zu machen. In keinem anderen Bundesland nehme ich so viel Wissenschaftsfeindlichkeit wahr wie in diesem Kabinett.

(Zuruf von der CDU: Das ist unglaublich!)

Die hoch angesehene Akademie Leopoldina – Herr Laschet hat sie vorhin selbst zitiert – hat sich aus wissenschaftlicher Sicht veranlasst gesehen, heute vor einer Woche eine Ad-hoc-Stellungnahme abzugeben. Darin empfiehlt sie – Zitat –:

„Ab dem 14. Dezember 2020 sollte die Schulpflicht aufgehoben und nachdrücklich zur Arbeit im Homeoffice aufgefordert werden.“

Diese wissenschaftliche Empfehlung hat die Schulministerin letzte Woche im Schulausschuss als untauglich bezeichnet. Ihr sei völlig unverständlich, wie eine solche Äußerung einer Akademie der Wissenschaft in die Öffentlichkeit getragen werden könne.

Frau Gebauer, woher nehmen Sie sich das Recht, die besten deutschen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler derart arrogant abzukanzeln? Woher?

(Beifall von der SPD, Arndt Klocke [GRÜNE] und Mehrdad Mostofizadeh [GRÜNE])

Welches Wissen hat Sie zu diesem Zeitpunkt veranlasst, die Vorschläge der Leopoldina derart unsachgemäß abzuqualifizieren?

Die Wissenschaft ist nicht Feind der Politik. Die Wissenschaft ist gerade in Zeiten einer Pandemie unser wichtigster Verbündeter. Wissen Sie eigentlich, was Sie mit Ihren kruden Äußerungen anrichten?

Diese Äußerungen wären alleine schon schlimm genug. Aber dann stellen Sie sich zwei Tage später hin und machen genau das, was die Leopoldina empfohlen hat. Doch anstatt einzuräumen, dass Sie sich geirrt haben, behaupten Sie weiter, dass Sie die Empfehlungen der Leopoldina ablehnen,

(Zuruf von Dietmar Brockes [FDP])

weil eben nicht sein kann, was nicht sein darf. Ihre ganze Politik dreht sich im Augenblick nur noch darum, so zu tun, als ob Sie sich nicht ständig selbst korrigieren müssten. Dann muss eben auch die älteste Akademie der Welt in den Schmutz gezogen werden.

Nein, Frau Gebauer, das hätten Sie nicht tun dürfen. Dafür hätten Sie sich am Freitag entschuldigen müssen. Nutzen Sie heute die Chance, und entschuldigen Sie sich bei der Wissenschaft.

(Beifall von der SPD)

Aber das heillose Chaos, das Sie mit Ihrer SchulMail vom vergangenen Freitag mal wieder angerichtet haben – pünktlich zum Dienstschluss –, hat dem Ganzen die Krone aufgesetzt. Die SchulMail kam – wie immer, muss man schon fast sagen – um 13:32 Uhr; das halbe Lehrerzimmer war schon weg, die meisten Schülerinnen und Schüler auch.

(Zuruf von Henning Höne [FDP])

Was haben Sie eigentlich zum Thema „Kommunikation“ in den vergangenen Monaten gelernt, Frau Gebauer? Nicht viel, glaube ich. Das muss man hier einmal festhalten.

(Beifall von der SPD)

Dann ging das Chaos los. Schauen Sie sich doch einmal die Zeitungen und die Stellungnahmen in den letzten zwei, drei Tagen an. Ich kenne niemanden in der Schullandschaft, der noch Verständnis für Ihren Kurs hat. Ich kann gar nicht alle Beispiele zitieren, die ich in diesem Zusammenhang gerne zitieren möchte. Deswegen nur einige, wenige Beispiele:

Der Vizevorsitzende des Philologen-Verbandes Nordrhein-Westfalen beschreibt chaotische Zustände. In manchen Schulen seien 80 bis 90 % der Schülerinnen und Schülern in die Klassenräume gekommen, in anderen Schulen deutlich weniger. Lehrerinnen und Lehrer konnten sich nicht darauf einstellen. Kommen 5, oder kommen 25? Wenn ich 5 in Präsenz unterrichten muss, was mache ich mit den anderen

20, die ich zeitgleich auf Distanz unterrichten muss? Null Vorbereitungschance!

Ein weiteres Zitat: Das Ergebnis ist, dass die Lehrkräfte extrem belastet sind, weil sie natürlich doppelte Arbeit leisten müssen; die Information sei quasi aus heiterem Himmel gefallen. Fazit: Die Stimmung an Schulen ist schlecht; es ist enorm viel Vertrauen verloren gegangen.

Lehrer und Schüler hätten keinen einzigen Tag Zeit bekommen, um sich auf die neue Situation einzustellen, kritisiert die Landesschülervertretung.

Auch aus Sicht der Elternverbände ist der Schulbetrieb chaotisch angelaufen.

Jetzt höre ich schon, dass die ersten Schulen planen, am Mittwoch den Betrieb völlig einzustellen und sich offen gegen das Schulministerium zu stellen. So weit sind wir schon: offene Revolte!

Frau Gebauer, wie lange wollen Sie sich und uns das eigentlich noch antun in diesem Lande?

(Beifall von der SPD)

Ich frage mich allerdings auch, wie lange die Landesregierung es den Hotspot-Kommunen noch antun möchte, dass sie sich vor jeder Entscheidung wegduckt. Der Ministerpräsident hat gerade in seiner Rede die Oberbürgermeister und Landräte, die auf kommunaler Ebene hauptamtlich agieren, gelobt und ihnen Respekt gezollt. Das finde ich gut. Aber entspricht das auch der Realität, wie diese Landesregierung mit unseren Kommunen und den sie leitenden Personen umgeht?

(Christian Dahm [SPD]: Nein!)

Vor fast zwei Wochen haben mehrere Hotspot-Kommunen – parteiübergreifend übrigens – um Genehmigung einer Allgemeinverfügung gebeten, die es den Kommunen erlaubt hätte, auch in den Schulen eine Abstandsregelung zu treffen – so, wie wir alle das ganz normal bei unseren Veranstaltungen machen, 1,5 m Abstand auch zwischen Schülerinnen und Schülern im Klassenraum. Da, wo wir in Schulen Räume haben, die groß genug sind, hätte man das bewerkstelligen können. Da, wo die Klassenräume zu klein sind – wie wahrscheinlich in den meisten Schulen –, hätte man Wechselunterricht, Distanzunterricht oder Hybridunterricht machen müssen. Das war der Vorschlag vieler Kommunen in NordrheinWestfalen.

Doch was ist seitdem passiert? Nichts! Die Landesregierung schweigt zu diesem Lösungsansatz. Man hört interessanterweise, dass der Staatssekretär aus dem Gesundheitsministerium in diesen Kommunen herumtelefoniert und sagt: Na ja, aus der Sicht des Gesundheitsministeriums ist das eigentlich gar kein schlechter Vorschlag. Das können wir uns vorstellen. Aber das Schulministerium weigert sich. Wir dürfen das so nicht genehmigen.

Meine Damen und Herren, was für ein schreckliches Erscheinungsbild einer in Wahrheit längst in Trennung befindlichen Koalition!

(Beifall von der SPD – Heiterkeit von Verena Schäffer [GRÜNE])

Ein gemeinsam abgestimmtes Handeln der einzelnen Ressorts gibt es schon lange nicht mehr. Sie benehmen sich wie ein Ehepaar, das sich nichts mehr zu sagen hat, auch wenn Sie hier gerade nebeneinandersitzen.

Dabei brauchen die Hotspot-Kommunen einen klaren Handlungsrahmen. Den kann die Landesregierung auch nicht auf die Kommunen abwälzen. Das wäre politisch feige.

Bitte helfen Sie nicht nur den Hotspot-Kommunen. Lassen Sie auch die anderen Kommunen nicht im Regen stehen, und wälzen Sie die Verantwortung nicht nach unten ab.

Tun Sie bitte auch irgendwann das, was Sie schon mehrfach angekündigt haben. Seit Wochen erzählen Sie, dass Sie Vorschläge zur Verbesserung der Corona-Warn-App machen wollen. Hier im Landtag habe ich davon bislang noch nichts vernommen. Woran liegt das? Warum kündigen Sie stets etwas an, wenn dann doch nichts kommt?

Herr Laschet, seit knapp einer Woche weigert sich das Gesundheitsministerium, eine Presseanfrage zu beantworten, ob die Schutzkittel der Firma van Laack auch nach der einschlägigen DIN-Norm zertifiziert sind.

Ich habe eine Stellungnahme des Universitätsklinikums Münster vorliegen, die besagt, dass diese Kittel nur nutzlos herumliegen, weil ihnen das erforderliche Zertifikat fehlt.

(Zuruf von der SPD: Aha!)