Protokoll der Sitzung vom 23.05.2019

wäre das für die weltweite CO2-Bilanz eine Katastrophe. Deshalb müssen wir auch dies mit im Blick haben.

Drittens. Den Regionen, die jetzt aufgrund eines politischen Beschlusses Tausende Arbeitsplätze verlieren – nicht aufgrund weltweiten Strukturwandels, nicht aufgrund von Unternehmensfehlern, sondern weil wir Politiker beschließen: Eure Arbeitsplätze fallen weg –, müssen wir in besonderer Weise helfen.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Deshalb haben wir in den Verhandlungen mit der Bundesregierung darauf gedrungen, dass zunächst diese Botschaft an die Regionen verbindlich beschlossen wird und dass dann die weiteren Schritte folgen; denn wir brauchen die Akzeptanz der Menschen für diese Energiewende. Wenn uns diese verloren geht, wird das ganze Projekt scheitern.

„Perspektive für die Menschen“ heißt für sie: In 10 oder 20 Jahren wird meine Heimatregion noch lebenswert sein, vielleicht sogar lebenswerter, als sie es heute ist. – Oder: Für mich und natürlich auch für meine Kinder ist es wichtig, dass nicht nur ich jetzt einen Job habe, sondern dass auch meine Kinder hier noch leben können und Ausbildungs- und Arbeitsplätze haben. – Das ist das, was man „Konsens in der Region“ nennt.

Das Ergebnis, das uns jetzt vorliegt, ist bemerkenswert, wenn man sich die Ausgangslage bei der Umsetzung der Empfehlungen der Kommission und die verschiedenen Interessenlagen vor Augen führt.

Die Bundesregierung betont natürlich die Bringschuld der Länder. Aber sie sagt in diesem Eckpunktepapier auch etwas Bemerkenswertes – gerade, Herr Präsident, am 70. Jahrestag des Grundgesetzes –:

„Die Erstellung von Leitbildern für die Kohleregionen erfolgt durch die betroffenen Länder in Abstimmung mit dem Bund. Dies trägt der Tatsache Rechnung, dass die regionale Entwicklung entsprechend der Zuständigkeitsverteilung im föderalen Staat primär eine Länderaufgabe ist und mit den jeweiligen Strategien zur nachhaltigen (…) Entwicklung des Landes abgestimmt sein muss. Darüber hinaus sind die Länder das zentrale Bindeglied zwischen Bund, der kommunalen Ebene, der lokalen Wirtschaft und den zivilen Bündnissen (…) “

Das ist die Übersetzung des Gedanken des Grundgesetzes auf den 23. Mai 2019 und auf das, was jetzt vor uns liegt.

Die Braunkohleländer im Osten haben seit 1990 zudem noch das Problem einer latenten Strukturschwäche. Sie haben sorgsam beobachtet, was hier passiert.

Die zwölf anderen Länder haben mit zum Teil sehr skeptischen Blicken verfolgt, welche Summen für vier Länder bereitgestellt werden. Nordrhein-Westfalen ist genau in der Mitte. Nordrhein-Westfalen ist betroffen vom energiewirtschaftlichen Wandel, weil wir

viel Industrie haben. Nordrhein-Westfalen ist betroffen, weil es bei uns die meisten Braunkohlewertschöpfungsanlagen gibt. Nordrhein-Westfalen ist außerdem betroffen, weil es bei uns die meisten Steinkohlekraftwerke gibt, die ebenfalls vom Netz gehen sollen.

Deshalb war das ein Durchbruch von historischer Dimension, eine Zäsur für Nordrhein-Westfalen, wie es zuvor vielleicht nur der Ausstieg aus der Steinkohle war. Wir müssen in Sachen Klimaschutz Vorreiter sein und gleichzeitig zeigen, dass Strukturwandel gelingt.

Mit dem Bund haben wir über Wochen intensive, aber zugleich sehr konstruktive Verhandlungen geführt, die allen Seiten viel abverlangt haben. Wer sieht, wie eine Koalition derzeit bei Einzelthemen um die Ressortzuständigkeit ringt, kann sich die erforderlichen Verhandlungen zwischen Wirtschaftsminister, Finanzminister, Umweltminister und Verkehrsminister vorstellen, deren gesamte Pläne jetzt im Hinblick auf das, was hier passiert, neu strukturiert werden müssen.

Für das Rheinische Revier ist der Eckpunktebeschluss ein starkes Signal. Die Region hat mit Städten und Gemeinden zusammen – parallel zu den Beratungen der Kommission – für sich selbst ambitionierte Ziele definiert und Eckpunkte einer entsprechenden Strategie entwickelt.

Nachdem die Ergebnisse der Kommission im Januar dieses Jahres vorlagen, haben die Landesregierung und die Akteure in der Region begonnen, die notwendigen Strukturen für die anstehende Gestaltung des Strukturwandels zu schaffen; der Wirtschaftsminister wird dazu gleich einiges konkretisieren und vorstellen

Der zentrale Akteur bei der Entwicklung von Strategien, Konzepten und Projekten ist nämlich die Region selbst. Die Akteure vor Ort kennen die Handlungsnotwendigkeiten ebenso wie die Potenziale am besten.

Unerlässlich jedoch ist die Unterstützung mit finanziellen Mitteln des Landes und des Bundes. In der Region gibt es viele Ideen, aber unterstützen müssen übergeordnete Ebenen. Die Kommission hat empfohlen, dass der Bund 40 Milliarden Euro über 20 Jahre zur Verfügung stellt. Das ist viel Geld. Ich habe schon irgendwo gelesen: Das ist zu viel Geld. – Angesichts der Dimension, um die es hier geht, sind 2 Milliarden Euro aber exakt das, was man jetzt braucht, wenn man die Zusage für die Unterstützung der Region ernst nimmt.

Im Kreis der betroffenen Länder und mit der Bundesregierung haben wir uns auf einen Verteilschlüssel geeinigt: 37 % der Mittel fließen in das Rheinische Revier, 43 % in die Lausitz und 20 % in das Mittel

deutsche Revier. Das bedeutet, dass der mit Abstand größte Anteil der Mittel – 37 % – unter den Ländern auf Nordrhein-Westfalen entfällt. Auf Brandenburg und Sachsen entfallen jeweils gut 25 % und auf Sachsen-Anhalt 12 %.

Die Ausgangslage war ein Beschluss – jede Zeit ist anders; das ist auch keine Schuldzuweisung – der Vorgängerregierung, bei dem man sich bei einem ähnlichen Projekt auf 25 % für Nordrhein-Westfalen geeinigt hatte. Daran kann man erkennen, dass diese 37 % jetzt ein Verhandlungserfolg für das sind, was vor uns liegt.

(Beifall von der CDU und der FDP)

In Euro bedeutet das nun Erreichte: Bis zum Jahr 2038 werden dem Rheinischen Revier rund 15 Milliarden Euro zur Verfügung stehen, um den Strukturwandel zu flankieren und Projekte der Wirtschaftsförderung sowie Innovationsprojekte durchzuführen und eine moderne Infrastruktur aufzubauen, um insgesamt Arbeits- und Lebensperspektiven für die Zeit nach der Braunkohleverstromung zu schaffen.

Diese Mittel werden auf zwei Wegen bereitgestellt: Der erste Weg ist das sogenannte Investitionsgesetz Kohleregionen. Hier werden den Ländern im Wesentlichen auf der Grundlage von Art. 104b des Grundgesetzes durch den Bund Mittel für die Realisierung von Projekten in eigener Verantwortung zur Verfügung gestellt: etwa 5 Milliarden Euro.

Den zweiten Weg stellen Maßnahmen dar, die der Bund in eigener Verantwortung, aber in Abstimmung mit den Ländern in den Revieren umsetzt. Hier beträgt das Volumen für das Rheinische Revier 10 Milliarden Euro bis 2038.

Bund und Länder haben sich verpflichtet, ihre Mittel jeweils entsprechend der Leitbilder der Regionen auszurichten. Diese Bindung auf ein gemeinsames Ziel ist wichtig, um einen maximalen Effekt für den Strukturwandel zu erreichen. Für Nordrhein-Westfalen, aber auch für die beteiligten ostdeutschen Länder war es von Beginn an ein zentrales Anliegen, ein Strukturstärkungsgesetz des Bundes mit einer zusätzlichen Vereinbarung abzusichern.

Ich habe aus den Reihen der Opposition schon gehört: Es ist bisher nicht klar, wie das auf Dauer abgesichert wird. – Das ist bisher erst ein Eckpunkt; dann wird es ein Bundesgesetz. Wir sind der Auffassung: Es muss eine Bund-Länder-Vereinbarung – im besten Falle einen Staatsvertrag – geben, der durch den Landtag ratifiziert wird, damit sich jede Bundesregierung – unabhängig davon, wer in den nächsten 20 Jahren regiert – daran gebunden fühlt.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Ich glaube, dass wir das bei allem Streit, den wir vielleicht in Details gleich noch hören, oder bei unterschiedlichen Akzenten nur gemeinsam schaffen.

Das schaffen wir nur gemeinsam mit unseren jeweiligen Landesgruppen.

Jetzt hat sich die Bundesregierung geeinigt, SPD und CDU/CSU; nun aber geht es in den Fraktionen los. In den Fraktionen sitzen auch Abgeordnete aus anderen Ländern, die sagen: Wieso eigentlich so viel für Nordrhein-Westfalen? – Wenn unsere beiden Landesgruppen – CDU und SPD in der Regierungsverantwortung – hier zusammenstehen, kann es gelingen, dass wir das wirklich umsetzen.

(Vereinzelt Beifall von der CDU)

Für die vor uns liegenden Verhandlungen brauchen wir den Konsens und die Unterstützung aller Abgeordneten aus allen Regionen Nordrhein-Westfalens. Natürlich geht es jetzt um das Rheinische Revier; aber auch ein Ostwestfale oder ein Südwestfale wird in der gesamten energiewirtschaftlichen Konsequenz von dem betroffen sein, was jetzt hier entschieden wird.

(Beifall von Josef Hovenjürgen [CDU])

Das Rheinische Revier hat sich längst auf den Weg in die Zeit nach der Kohle gemacht. Erste Projekte sind im Rahmen des vor einigen Wochen verabschiedeten Sofortprogramms bereits begonnen worden. Mit dem Beschluss der Bundesregierung geht es jetzt um Gewissheit, dass die Projekte auch umgesetzt werden. Die Leitbilder, die wir uns vorgenommen haben, sind:

Erstens. Das Rheinische Revier wird zum Energie- und Industrierevier der Zukunft. Es geht um industrielle Arbeitsplätze der Zukunft und Lösungen für die Energiewende.

Zweitens. Das Rheinische Revier wird Mobilitätsrevier der Zukunft, Modellregion für Mobilität 4.0.

Drittens. Das Rheinische Revier wird Innovation Valley mit all den Wissenschaften im Umfeld, von denen wir uns erhoffen, dass neue Arbeitsplätze in der Region entstehen.

Die Kompetenzen von Bioökonomie, Pflanzenforschung und Ressourceneffizienz werden für Wertschöpfung und Beschäftigung genutzt. In einer Internationalen Bau- und Technologieausstellung werden die ambitionierten Maßnahmen der Zukunftsfelder sichtbar gemacht. Schließlich besteht vielerorts gleichermaßen die Chance, den Raum neu zu gestalten und zu nutzen.

Der Bund wird darüber hinaus weitere prioritäre Projekte umsetzen, die mit dem Themenfeld eng verzahnt sind. So wird es im Bereich der Forschungsinfrastrukturen ein neues Fraunhofer Institut für Geothermie und Energieinfrastruktur, ein Fraunhofer Zentrum für Digitale Energie und ein DLR-Institut zur Forschung an alternativen Brennstoffen geben.

Dies sind greifbare Vereinbarungen, die der Region helfen werden. Die Verkehrsinfrastruktur, die natürlich auch bedeutsam ist, wird im Bereich des Nahverkehrs auf der Schiene verbessert. Die Anbindung der Region an die rheinischen Zentren soll sich verbessern, beispielsweise durch Maßnahmen im Bereich der S-Bahn-Linien S6 und S11.

An zahlreichen Straßenverbindungen – auch das kann man sich vorstellen – muss gearbeitet werden. Eine ganze Region, die von Braunkohlelöchern und Verlagerungen geprägt ist, braucht eine neue Straßeninfrastruktur im Hinblick auf das, was jetzt ansteht. Auch das ist Teil dieser Vereinbarung.

In der öffentlichen Diskussion wird beim Thema „Kohleausstieg“ oft der Blick vor allem auf die Braunkohle gerichtet. Das ist auch nachvollziehbar; das ist die stärkste Wertschöpfung und Beschäftigung. Aber gerade in Nordrhein-Westfalen wissen wir, dass auch die Steinkohleverstromung in einigen Städten und Regionen von wirtschaftlicher Bedeutung ist. Historisch bedingt ist das hier im Land vor allem im Ruhrgebiet der Fall, wo in einer Vielzahl von Kraftwerken ein wichtiger Beitrag zur Versorgung mit Strom und Wärme geleistet wird.

Die vielen Steinkohlekraftwerke sind ein Problem, das Ostdeutschland in dieser Form nicht hat. In Süddeutschland haben Sie Regionen, die es eher verkraften können, wenn man ein Steinkohlekraftwerk abschaltet. Wenn man das bei uns macht, hat das zusätzlich in schon belasteten Städten mit hoher Arbeitslosigkeit eine erneut negative Wirkung.

Deshalb war in der Kohlekommission damals in einer Fußnote – einige haben gefragt: Wieso steht das nur in einer Fußnote? – festgehalten worden, dass man, wenn die regionale Wertschöpfung bei mindestens 0,9 % liegt, auch dort helfen wird. Das ist mit den Beschlüssen von gestern im Bundeskabinett konkretisiert worden. Für Orte, an denen die Steinkohlewirtschaft einen Anteil an der Wertschöpfung von mindestens 0,2 % hat, und diese im Sinne der BundLänder-Aufgabe „Verbesserung der regionalen Wirtschaftsstruktur“ strukturschwach sind, gibt es insgesamt 1 Milliarde Euro für exakt diese Standorte.

(Beifall von Henning Rehbaum [CDU])

Es war in Nordrhein-Westfalen bis 48 Stunden vorher nicht klar, ob das so kommt. Einige haben gesagt, das komme erst im Herbst, zusammen mit dem Kohleausstiegsgesetz. Nein, es ist jetzt verankert, 1 Milliarde Euro, was in Nordrhein-Westfalen bedeutet: Der Kreis Unna, die Städte Duisburg, Gelsenkirchen, Hamm und Herne werden Unterstützung für das Abschalten von Steinkohlekraftwerken erhalten.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Darüber hinaus betrifft das Standorte in Niedersachsen, im Saarland und in Mecklenburg-Vorpommern.

Es ist auch nicht schlecht für die spätere Mehrheitsfindung im Bundestag und im Bundesrat, dass nicht nur bei uns, sondern auch in anderen strukturschwachen Regionen geholfen wird. Die meisten Kohlekraftwerke gibt es meines Wissens in Baden-Württemberg. Dort wird es natürlich aufgrund der großen wirtschaftlichen Stärke keine Strukturhilfe geben.

(Zuruf von Mehrdad Mostofizadeh [GRÜNE])