Ihnen liegen die Mündliche Anfrage 50 aus der Fragestunde am 10. Juli 2019 sowie die Mündlichen Anfragen 51, 52 und 53 vor.
Ich bitte darum, dass meine im Rahmen der Fragestunde im Juli unbeantwortet gebliebene Mündliche Anfrage 50 gemäß § 94 Abs. 9 der Geschäftsordnung des Landtags Nordrhein-Westfalen schriftlich beantwortet wird. Ich danke für Ihre Mühen und verbleibe mit freundlichen Grüßen, Sonja Bongers, MdL.
Das ist so von Frau Kollegin Bongers beantragt worden. Damit entfällt die mündliche Beantwortung der Mündlichen Anfrage 50. Diese wird nun schriftlich beantwortet. (Siehe Vorlage 17/2454)
Das Thema dieser Anfrage lautet: Was waren die tatsächlichen Motive für die Räumung des Hambacher Waldes?
Ich darf vorsorglich darauf hinweisen, dass die Landesregierung in eigener Zuständigkeit entscheidet, welches Mitglied der Landesregierung eine Mündliche Anfrage im Plenum beantwortet.
Die Landesregierung hat angekündigt, dass zunächst Herr Minister Reul antworten wird. Jetzt hat er den Raum möglicherweise gerade …
(Herbert Reul, Minister des Innern, sitzt auf dem Platz von Isabel Pfeiffer-Poensgen, Mi- nisterin für Kultur und Wissenschaft, neben Ina Scharrenbach, Ministerin für Heimat, Kom- munales, Bau und Gleichstellung.)
Das wäre kein Problem, wenn Sie das möchten. Dann muss ich das Mikrofon von Frau Pfeiffer-Poensgen freischalten. Da sie im Moment nicht da ist, können Sie das nutzen. Herr Minister, Sie haben das Wort. Bitte schön.
Ich bedanke mich. – Wir haben uns das aufgeteilt, weil ja beide angefragt sind. Wir werden beide antworten.
Dass Sie das Recht haben, alle Fragen zu stellen, ist logisch. Sie werden allerdings bei dieser Antwort, so befürchte ich, nicht mehr ganz viel Neues erfahren, weil ich das meiste oder alles im Ausschuss erzählt habe.
Ich will aber auch mal versuchen, den sehr komplizierten Sachverhalt zu verdeutlichen, weil ich glaube, dass daraus manche Missverständnisse entstanden sind.
Es gibt einen Zusammenhang der Räumungsaktion zu meinen Aufgaben als Innenminister: Rechtsstaat durchsetzen, Menschen schützen, null Toleranz gegen Kriminelle. – Ich erkläre gerne noch mal, was ich damit meine.
Für eine Beantwortung muss man ein Jahr zurückblicken. Da gab es eine Seite, nämlich den Eigentümer RWE, und es war klar – das stand in jeder Zeitung –,
dass der den Wald roden wollte, so wie es ihm die Landesregierung 2016 erlaubt hatte. Das will ich jetzt nicht vertiefen, da gab es eine andere Regierung. Diese hat die Verantwortung dafür, dass es die Genehmigung gab.
Auf der einen Seite stand der Eigentümer, und es gab auf der anderen Seite Menschen, die den Wald besetzt und auf Plattformen in 20 m Höhe Behausungen errichtet hatten. Die gingen über mehrere Stockwerke, verfügten über Küchen und Heizungen.
Ich will nicht alle diese Besucher über einen Kamm scheren. Natürlich gab es da einige, die wirklich Sorge hatten um das Thema „Klima“ oder „Kohle“, ein total legitimes Anliegen. Aber es gab eben auch die anderen, die ständig Rechtsbrüche begingen. Wir reden übrigens nicht nur von Eigentumsrechten von RWE, die allein schon durch die Errichtung der Baumhäuser verletzt wurden, sondern es wurde mit Zwillen geschossen, es flogen Steine, Molotowcocktails. Das sind keine Kavaliersdelikte oder Dummejungenstreiche, das sind knallharte Straftaten.
Damals ist im Hambacher Forst ein Sammelbecken für Chaoten und Radikale aus ganz Europa entstanden, und es wurde ganz systematisch eine gewaltige Infrastruktur für Störer aufgebaut. Ich sage ganz bewusst „Störer“, auch wenn manche das manchmal „Aktivisten“ nennen.
Ich war als neuer Innenminister immer wieder der Frage ausgesetzt: Was ist denn nun mit der angeblichen Nulltoleranzstrategie? Gilt die hier nicht? Und es gab die durchaus berechtigte Sorge, der Hambacher Forst könnte endgültig zum rechtsfreien Raum werden, zu einem zweiten Hamburg, zu einem Raum, den der Staat aufgegeben hat.
Also haben wir im Ministerium – das war unsere Aufgabe – Überlegungen angestellt, wie wir eine solche Entwicklung verhindern können. Wir haben uns darüber innerhalb der Landesregierung auch ausgetauscht – logischerweise.
Als RWE dann im Juli 2018 den Räumungsantrag gestellt hat, habe ich meinen Kolleginnen und Kollegen – davon war eben die Rede – von den Warnungen von Polizei und Verfassungsschutz berichtet. Und ich habe auch darauf hingewiesen – jetzt wird es wichtig –, dass wir mit dem Polizeirecht alleine vermutlich nicht weiterkommen werden. Denn das Polizeirecht ist vor allen Dingen ein reaktives Instrument. Das heißt, die Polizei hätte erst handeln können, wenn ein Stein geflogen wäre.
Hier war aber aus meiner Sicht proaktives Handeln gefragt. Denn es ging darum, Gefahren für Leib und Leben bereits im Vorfeld zu minimieren. Ich habe versucht, den Kollegen zu erklären: Wenn wir verhindern wollen, dass im Wald ein Chaos ausbricht, dann können wir nur mit Amts- und Vollzugshilfeersuchen aus anderen Ressortbereichen weiterkommen. Bis
Mir war aber daran gelegen, Gewalt und Chaos im Wald gar nicht erst entstehen zu lassen. Ich wollte nicht abwarten, bis im Wald die große Schlacht bei der Rodung beginnt.
Noch einmal: RWE hatte das Recht, und die Polizei als Exekutive muss Recht schützen, egal ob es ihr gefällt oder ob es ihr nicht gefällt. Wir wollten nicht sehenden Auges in eine Situation laufen, bei der durch die Rodung möglicherweise Hunderte von Menschen zu Schaden kommen – Klimaschützer ebenso wie RWE-Mitarbeiter und Polizisten.
Das waren die Gründe dafür, dass wir geprüft haben, welche Rechtsgrundlage wir haben, um den Wald vor der Rodung zu räumen, allein um die Gefahren zu minimieren, eine Eskalation zu vermeiden, die absehbar war. Dazu gab es dann das Gutachten – logischerweise ein klassisch juristisches Gutachten.
Das hieß für mich: Jede Möglichkeit wird durchgeprüft, auch jede Möglichkeit des Vorgehens nach dem Bauordnungsrecht. Der Erlass der Bauordnungsverfügung und die Anordnung der sofortigen Vollziehbarkeit erfolgten dann wegen der schweren Verstöße gegen das formelle und materielle Bauordnungsrecht.
Wie sowohl das Oberverwaltungsgericht Münster als auch das VG Münster entschieden haben, waren Eilrechtsanträge von Baumhausbewohnern gegen diese Räumungsverfügung erfolglos, weil mehrfach Verstöße gegen die Brandschutzbestimmungen des Bauordnungsrechts vorlagen. Das Einschreiten der Unteren Bauaufsicht im Wege der Nutzungseinstellungs- und Beseitigungsverfügung sowie die polizeiliche Vollzugshilfe erfolgten also auf der Grundlage und zur Durchsetzung öffentlich-rechtlicher Vorschriften. Die Rechtmäßigkeit des Vorgehens wurde mehrfach gerichtlich bestätigt.
Deshalb ist und bleibt einerseits die Aussage richtig, dass die Räumung rechtlich unabhängig von der Rodung des Waldes erfolgen durfte. Diese Aussage ist aber, wie ich auch schon erwähnt habe, durch die Rechtsprechung des Oberverwaltungsgerichts bestätigt.
Genauso richtig ist es andererseits – das ist überhaupt kein Widerspruch –, dass wir als Innenministerium alles versucht haben, um eine tatsächliche und bereits absehbare Eskalation im Zusammenhang mit der anstehenden Rodung zu vermeiden. – Zwei Herangehensweisen.
Dann mussten wir damals davon ausgehen, dass die von der SPD und den Grünen erlaubte Rodung auch stattfinden wird und dass die Polizei dies schützen muss. Die bevorstehende Situation musste damals mit allen zu diesem Zeitpunkt vorliegenden Informa
tionen beurteilt werden. Das nennt die Polizei „Beurteilung der Lage“, und darauf muss man dann so reagieren, dass die Gefahren für alle Beteiligten minimiert werden.
Zum damaligen Zeitpunkt gab es kaum Zweifel, dass die Rodung bevorstand, und diese hätte die Polizei schützen müssen. Denn sie muss Recht schützen, ohne dies inhaltlich zu beurteilen. Das ist auch wichtig, was damals übrigens auch den eingesetzten Beamtinnen und Beamten nicht leichtfiel.
Somit musste bereits im Frühjahr 2018 mit der Vorbereitung begonnen werden. Es wurde eine besondere Aufbauorganisation, eine sogenannte BAO „Rodung“ beim PP Aachen installiert.
Das habe ich doch gerade gesagt. Die kennen Sie doch. Ich habe kein Problem damit. Die hieß BAO „Rodung“. Ich bin ja gerade dabei, es zu erklären, Frau Philipp. Immer schön abwarten, bis der Satz zu Ende ist.