Protokoll der Sitzung vom 23.01.2020

Ich eröffne die Aussprache. Als erste Rednerin hat für die antragstellende Fraktion der AfD Frau Kollegin Walger-Demolsky das Wort.

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! 250.000, also eine Viertelmillion, ausreisepflichtige Personen gibt es aktuell in Deutschland. 30 %, knapp 73.000 Personen, davon kommen aus NRW.

Umfangreiche Initiativen zur Steigerung der Abschiebezahlen wurden dem Bürger 2017 versprochen. Die Kanzlerin versprach eine nationale Kraftanstrengung. Ihr Motto damals: Rückführungen, Rückführungen, Rückführungen.

Auch Sie, Herr Stamp, hatten 2017 noch ein sehr vernünftiges Positionspapier auf den Weg gebracht. Aber was ist geblieben? Knapp 5.000 Abschiebungen von Januar bis September 2019 – bei knapp 73.000 Ausreisepflichtigen. Das ist klar erkennbar zu wenig.

Führt man sich vor Augen, dass allein jeder vierte Ausreisepflichtige aus den Balkanstaaten stammt, stellt sich dem Beobachter die Frage: Was ist hier seit 2017 alles versäumt worden?

2017 hatten Sie angekündigt, das Rückführungsmanagement komplett auf der Länderebene zu zentralisieren. Genau das findet man auch im Landtagswahlprogramm der AfD. Und genau hier liegt der Schlüssel für den Erfolg, meine Damen und Herren.

Wenn die Ausreisepflicht auf kommunaler Ebene scheinbar nicht in ausreichendem Maße vollzogen

wird oder werden kann, weil die Gegenspieler das verhindern, muss die Aufgabe zentral vom Land übernommen werden. Genau in diesem Zusammenhang sind die Zentralen Ausländerbehörden bedarfsgerecht noch weiter auszubauen.

Jeder zwangsweisen Rückführung ist die freiwillige Rückkehr vorzuziehen. Auch in diesem Bereich ist von einem Entfesselungspaket der Landesregierung keine Spur zu entdecken. Im Gegenteil: Die Anzahl der bewilligten Anträge ging von Januar bis September 2019 um fast 30 % zurück.

(Zuruf von der AfD: Hört! Hört!)

Bereits im Juli 2018 haben wir mit dem Programm „Fit4Return“ – ähnlich dem Programm des Bundes „Rückkehr in Würde“ – eine weitere Möglichkeit vorgestellt, Menschen sinnvoll auf die Rückkehr in ihre Heimat vorzubereiten. Interesse bei der Landesregierung: nicht vorhanden.

Wichtig ist natürlich nach wie vor die Erweiterung der Liste der sicheren Herkunftsstaaten. Fast auf den Tag genau vor einem Jahr gab es zu diesem Thema in diesem Hause eine Aktuelle Stunde. Titel: „Akzeptanz für unser Asylrecht erhalten – Algerien, Tunesien, Marokko und Georgien als sichere Herkunftsstaaten anerkennen“. Was ist daraus geworden? Richtig: nichts. Auch hier: kein Entfesselungspaket. Da ist der Einsatz bei der Bundesregierung oder im Bundesrat offensichtlich noch nicht so richtig durchgedrungen.

Auch an anderer Stelle fehlt es auf Landes- und auf Bundesebene an jeglicher Durchsetzungskraft. Wie geht man mit den Staaten um, die ihre Landsleute nicht zurücknehmen oder bei der Beschaffung von Ersatzpapieren wenig Einsatz zeigen? Gibt es Probleme bei Rückführungen mit Charterflügen? Nutzen Sie doch die Kapazitäten der Luftwaffe im Rahmen der Amtshilfe. In Zusammenarbeit mit der Bundespolizei und der Bundeswehr ist das rechtlich durchaus möglich. Nutzen Sie diese Kapazitäten!

Die negativen Begleiteffekte Ihrer Politik: Während die Zahl der Abschiebungen zu gering ist, steigt die Anzahl der extremistischen Salafisten in NRW, nämlich von 500 Personen in 2011 auf 3.200 Personen in 2019. Das ist eine Steigerung um 540 %. Das sind richtig tolle Zahlen.

Die Anzahl der Gefährder aus dem Bereich religiöse Ideologie in NRW: 2010 waren es 24 Personen; 2019 waren es 221 Personen. Auch das ist eine tolle Steigerung, nämlich um 820 %.

Herr Minister Stamp, kümmern Sie sich dringend um die Abschiebung von Gefährdern und Gewaltverbrechern. Schöpfen Sie hier endlich alle Ihre rechtlichen Möglichkeiten aus. Reden Sie nicht nur darüber. Tatsächlich hat NRW von Januar bis Oktober 2019 nur zehn Gefährder abgeschoben.

Abschließend möchte ich Sie alle in diesem Haus erneut an das Grundgesetz und das Aufenthaltsgesetz erinnern, wonach ein Ausländer zur Ausreise verpflichtet ist, wenn er keinen erforderlichen Aufenthaltstitel besitzt.

Da der Ausreisepflicht derzeit augenscheinlich in viel zu geringer Weise nachgekommen wird, benötigen wir für NRW dringend eine Abschiebeinitiative 2020. Wenn es bei dieser Abschiebeinitiative nicht nur um Sisyphusarbeit gehen soll, müssen wir zudem den Grundkonflikt zwischen Dublin und Schengen bei gleichzeitig offenen EU-Außengrenzen lösen und geltendes Recht nicht länger komplett ignorieren. – Vielen Dank.

(Beifall von der AfD)

Vielen Dank, Frau Walger-Demolsky. – Für die CDU-Fraktion spricht Herr Kollege Hoppe-Biermeyer.

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Integration von Geflüchteten ist eine der wichtigsten Aufgaben und Herausforderungen unserer Zeit. Von gelungener Integration profitieren alle. Damit diese aber gelingen kann, müssen auf der anderen Seite dort, wo es nötig ist, auch Abschiebungen stattfinden. Nur wenn diejenigen abgeschoben werden, die kein Bleiberecht erhalten haben, kommt die Integrationsarbeit dort an, wo sie ankommen soll, nämlich bei denen, die in Deutschland bleiben, leben und arbeiten werden. Das alles sollte hinlänglich bekannt sein.

Seit der Regierungsübernahme im Jahr 2017 sind wir das Bundesland mit den meisten Abschiebungen pro Jahr. Allein im Jahr 2018 wurden aus NordrheinWestfalen 6.603 Abschiebungen vorgenommen. Im gleichen Zeitraum kam Bayern nur auf 3.265 Abschiebungen, also auf weniger als die Hälfte.

Diese Landesregierung setzt sich für eine gelingende Integration ebenso ein wie für die konsequente Anwendung der Gesetze, was Rückführungen angeht. Dieses Antrages hätte es also nicht bedurft.

Was finden wir in diesem Antrag der AfD überhaupt vor? – Ein Sammelsurium an Zitaten und Zahlen, die Sie so lange drehen und wenden, bis sie in Ihr verqueres Weltbild passen.

Wenn Sie schon dabei sind, werden auch gleich die Zahlen der Schutzberechtigten ausführlich analysiert. Sie schreiben zwar, dass auch diese Zahlen betrachtet werden müssen. Ich frage mich aber, warum. Die Gesamtzahl der Personen mit Bleibeperspektive ist doch für das Thema „Abschiebungen“ überhaupt nicht relevant. Die Zahl ist aber schön groß und dient Ihnen ausschließlich für Ihre übliche Stimmungsmache.

Beschäftigen wir uns wieder mit dem Thema „Abschiebungen“. Trotz aller Bemühungen wird es nach wie vor Abschiebungen geben müssen. Dass diese oft teuer, umständlich und nicht immer beim ersten Mal erfolgreich sind, ist eine Tatsache, die sich nicht verleugnen lässt. Es ist menschlich nachvollziehbar, wenn sich Personen gegen ihre Abschiebung wehren. Der Staat muss dabei besonnen, aber auch nachdrücklich arbeiten und die beteiligten Bediensteten bestmöglich unterstützen und schützen.

In einem Rechtsstaat haben alle Menschen die gleichen Rechte, auch wenn Ihnen das nicht gefällt. Jedem Menschen steht es frei, alle juristischen Optionen zu nutzen – auch dann, wenn ein Scheitern absehbar ist. Diese finanzielle Belastung muss und kann unsere Demokratie aushalten.

Sie dagegen wollen immer nur eines: Sie wollen spalten. Zu diesem Zweck zitieren Sie munter drauflos und vermischen blindlings EU-, Bundes- und Landesangelegenheiten miteinander. Ich habe den Eindruck, dass Sie eilig einen Antrag zusammengeschustert haben, um einmal mehr die Gelegenheit zu bekommen, im Plenum über Ihr Lieblingsthema schwadronieren zu können.

Es gehört schon viel Fantasie dazu, hier im Landtag über den Einsatz der Bundeswehr diskutieren zu wollen. Nimmt man Ihrem achtseitigen Antrag alles weg, was nicht mit NRW zu tun hat, bleibt nicht viel übrig. Sie fordern lediglich, dass die Rückkehrberatung, die es bereits heute gibt, gebündelt werden soll.

Wenn es nicht mehr zu beanstanden gibt, sagt das einiges über die gute und funktionierende Arbeit dieser Landesregierung aus. Mit dieser Arbeit werden wir weitermachen. – Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

Vielen Dank, Herr Abgeordneter Hoppe-Biermeyer. – Für die SPDFraktion spricht Herr Kollege Yetim.

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Projekte zur Rückkehrberatung und freiwilligen Rückkehr wurden von der damaligen SPD-geführten Landesregierung eingeführt und unterstützt. Wir sind nach wie vor davon überzeugt, dass es der beste Weg ist, Menschen zu beraten und ihnen, wenn sie keinen Grund haben, bei uns zu bleiben, einen Start in ihrer Heimat zu ermöglichen.

Die AfD positioniert sich in ihrem Antrag so, dass sie diese Beratung abschaffen oder, besser gesagt, zentralisieren will. Sie will sie von den Wohlfahrtsverbänden wegholen. Ich halte es für falsch, die soziale Beratung derjenigen, die geflüchtet sind und viel

leicht zurückkehren wollen, von den Wohlfahrtsverbänden als neutralen nichtstaatlichen Akteuren wegzuholen.

(Zuruf von der AfD: Von der AWO!)

Ja, genau. Die AWO und auch andere Wohlfahrtsverbände sind an dieser Stelle genau die richtigen Ansprechpartner hinsichtlich der Beratung von Geflüchteten.

Kern des Problems ist doch, dass die Landesregierung den Kommunen versprochen hat, ihnen nur noch anerkannte Asylbewerber zuzuweisen. Dieses Versprechen ist bis heute noch nicht eingelöst worden. Dadurch entsteht für viele Kommunen das Problem der Abschiebung.

Dass in den letzten Jahren verstärkt darüber geredet wird, wie toll wir in Nordrhein-Westfalen, aber auch in anderen Bundesländern abschieben, fällt doch auf. Herr Hoppe-Biermeyer hat das gerade auch noch einmal getan. Meines Erachtens kann man nicht mit Stolz vor sich hertragen, wie viele Menschen man schon abgeschoben hat.

Ich will Sie darauf hinweisen, dass wir 2016 – nur um die Zahlen noch einmal anzuführen – in NordrheinWestfalen 8.400 freiwillig Zurückgekehrte hatten. Wir haben aus Nordrhein-Westfalen 2.600 Menschen abgeschoben. Haben Sie jemals gehört, dass hier jemand gesagt hat, wir seien stolz darauf, dass wir diese Menschen abgeschoben haben? – Niemals.

Bei jeder Abschiebung müssen wir auch immer daran denken, mit den Menschen, die abgeschoben werden, die ausreisen müssen, auch menschlich umzugehen. Wir sollten auch die Würde des Einzelnen, der abgeschoben wird, betrachten und uns nicht darüber freuen, dass wir schon soundsoviele Tausend Menschen abgeschoben haben.

(Beifall von Mehrdad Mostofizadeh [GRÜNE])

2016 übrigens – um das an dieser Stelle noch einmal ganz deutlich zu sagen – war Nordrhein-Westfalen Vorreiter vor allen anderen Bundesländern, was die freiwillige Rückkehr, aber auch die Abschiebungen betraf. Auch das ist kein Grund, sich zu freuen, sondern das zeigt einfach nur, dass wir unsere Arbeit gemacht haben.

Ich glaube auch nicht, dass es der eigentliche Kern der Arbeit der Landesregierung ist, sich darüber zu freuen, dass man Menschen abgeschoben hat. Bei Straftätern bin ich voll an Ihrer Seite, Herr Minister – da ist das auch richtig –, aber jede Abschiebung bedeutet auch einen tiefen menschlichen Einschnitt.

Noch eine grundsätzliche Bemerkung zu dem AfDAntrag. Frau Walger-Demolsky hat gerade das Stichwort „Abschiebeinitiative 2020“ genannt. Jetzt, wo wir feststellen, dass immer weniger Menschen zu uns kommen und bei uns Schutz suchen, bricht der AfD

das Thema „Flucht, Zuwanderung und Integration“ weg.

Die Zahlen der Geflüchteten, die hier bei uns Arbeit aufnehmen, gestalten sich immer positiver. Laut der letzten Statistik sind über 400.000 Menschen, die geflüchtet waren, in Arbeit gekommen.

Die AfD versucht nun, dieses Thema noch einmal anders zu besetzen. Das merkt man auch daran, dass Sie Stichworte wie „Messereinwanderung“ und jetzt das nächste Stichwort „Abschiebeinitiative 2020“ benutzen. Sie versuchen, Menschen zu stigmatisieren, somit die Gesellschaft zu spalten und auch zu radikalisieren.

(Christian Loose [AfD]: Das überlassen wir Ihnen!)

Das ist das Gefährliche an dem, was Sie tun.

Ich bin sehr froh darüber, dass ich überall dort in der Gesellschaft, wo ich bin, feststelle, dass diese Versuche, die Gesellschaft zu radikalisieren und zu spalten, immer mehr ins Leere laufen.

(Christian Loose [AfD]: Sagen Sie das Ihren Antifa-Freunden!)