Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Eine Vorbemerkung: Ich bin sehr sicher, dass die Parteien, die in den letzten Jahrzehnten in der Bundesrepublik Deutschland Regierungsverantwortung übernommen haben, nicht immer alles richtig gemacht haben. Ich glaube auch, dass manche Fehler, die Politiker und Parteien begangen haben, dazu geführt haben, dass Menschen mit der Politik und mit dem, was politische Systeme ausmachen, nicht mehr zufrieden sind.
Aber, Herr Seifen, der kleine Unterschied: Das ist und darf nie eine Begründung für Rechtsextremismus oder Rechtsterrorismus sein.
Das sind zwei verschiedene Paar Schuhe. Und die berechtigten Sorgen zu missbrauchen, um so eine Stimmung zu erzeugen, ist noch dramatischer und noch schlimmer.
Ich lerne immer mehr, dass dieser Rechtsextremismus ein Gift ist, das nicht einfach zu erkennen und manchmal verborgen ist, das den Organismus zwar nicht total zerstört, sondern sich langsam aber sicher ausbreitet und eine zersetzende Wirkung hat. Dieses Gift wirkt aktuell, und das ist eine Gefahr für unsere freiheitlich-demokratische Gesellschaft.
Diese Symptome der Zersetzung, die es auslöst, werden dann plötzlich in extremistischen Haltungen, in rechtsextremistischen Haltungen, in terroristischen Aktivitäten wie Ermordung von Herrn Lübcke,
Attentat auf die Synagoge in Halle, Gewalttat von Hanau, Terrorpläne der „Gruppe S.“ sichtbar. Unverzeihliche, unverantwortliche Terrortaten!
Bei den Motiven läuft es mir immer noch kalt den Rücken herunter; denn diese Fanatiker wollen nach eigenen Aussagen bürgerkriegsähnliche Zustände auslösen.
Herr Seifen, ich muss Ihnen sagen: Sie haben eben in diesem Zusammenhang vom geistigen Bürgerkrieg gesprochen. Das war auch nicht besonders klug und passend, um es sehr liebevoll vorzutragen. Das war auch wieder der Versuch, an dieser Stelle dieses Gift zu säen.
Die zersetzende Wirkung dieses Gifts Rechtsextremismus ist offenbar. Es soll unsere Demokratie, unsere gesellschaftliche Ordnung, unseren Rechtsstaat, all die Errungenschaften gefährden. Das war nicht alles perfekt, aber es sind im Grunde riesige Errungenschaften. Das Gift breitet sich rasend schnell aus: im Netz, auf den Straßen, in den Plätzen, in der Politik, und es wird angefeuert von denjenigen, die immer wieder solchen Stimmungen auch zuliefern; ich habe ein Beispiel eben schon genannt.
Ich habe relativ früh – manche werden sagen, zu spät; ich fand, relativ früh – gesagt, dass für mich Rechtsextremismus genauso gefährlich ist wie der Islamismus. Eine Ideologie, ein Fanatismus, der unser System zerstören will und der deshalb die Gegenwehr aller Demokraten braucht. Deswegen finde ich es auch in Ordnung, dass wir heute wieder einmal – wir haben es ja schon einmal gemacht – darüber diskutieren und die demokratischen Parteien ernsthaft darüber nachdenken, wie wir diese Stimmungen, wie wir diese Typen, wie wir diese Politik aufhalten können.
Es war kein Zufall, dass im Verfassungsschutzbericht 2018 – das ist schon eine ganze Weile her – der Schwerpunkt unserer Vorstellung war: Gefahr des Rechtsextremismus.
Ich verstehe auch die heute vorgelegten Anträge als Anregung, als einen Beitrag, wie man das alles besser machen kann. Herr Kutschaty, Sie haben recht: Betroffenheit und Demonstrationen reichen da nicht, sondern es muss schon gehandelt werden.
Nur um eines bitte ich: Wenn wir alle gemeinsam was hinkriegen wollen, dann müssen wir auch fair miteinander umgehen, und dann darf man nicht den Eindruck erwecken, es wäre noch nichts passiert. Das ist falsch.
Ich habe mal Ihren Masterplan durchgeguckt. Jetzt könnten fünf Masterpläne geschrieben werden. Aber es müssen wenigstens Neuigkeiten drin sein. Es müssen wirklich Punkte drin sein, die wir noch nicht haben.
Ich befürchte, wenn wir uns in Aktionismus erschöpfen, immer wieder neue Vorschläge machen, die gar nicht neu sind, und uns gegenseitig übertrumpfen wollen oder vielleicht auch noch gegenseitig Vorwürfe machen, wird der Erfolg nicht auf unserer Seite sein, sondern wir werden das Geschäft für andere machen und nicht das Gewünschte erreichen, nämlich die zu bekämpfen.
Ich will mal ein paar Fakten aufzählen, weil sie vergessen worden zu sein scheinen: Der polizeiliche Staatsschutz ist allein in unserer Regierungszeit von 650 auf gut 740 Stellen ausgeweitet worden. Das geht dieses Jahr noch einmal weiter mit 55 Stellen für Regierungsbeschäftigte und 60 Stellen für Polizisten weiter. Im nächsten Jahr wird noch mal verdoppelt. Beim Verfassungsschutz: allein 89 zusätzliche Stellen. Der größte Teil der Stellen aus 2017 geht auf den Nachtragshaushalt zurück.
Inhaltlich haben wir doch auch eine ganze Menge in Gang gesetzt. Sie können immer noch behaupten, das sei nicht genug. Sie fordern ein Gemeinsames Extremismus- und Terrorismusabwehrzentrum. Ich habe doch gesagt, dass wir das schon machen. Das ist doch in Arbeit.
Die Koordinierungsstelle Gefährder kommt. Die anlassunabhängige Internetüberwachung zur Früherkennung und Bekämpfung der Hasskriminalität wird erstens verstärkt und zweitens im Landeskriminalamt zentralisiert. Der Verfassungsschutz hat dazu ein eigenes Sachgebiet geschaffen. Das gilt übrigens auch für den Schwarmterrorismus.
Die Cyber-Cops – wie Sie das nennen –, die man dafür braucht, werden ab 2020, also ab diesem Jahr, in zwei neuen Studiengängen fit gemacht. Die verdeckt polizeilich-operativen Maßnahmen zur Aufklärung der rechten Szene werden intensiviert. Das Gleiche gilt für die polizeiliche Auswertung der rechten Szene. Das ist ein besonderer Schwerpunkt bei jeder Polizeibehörde im Staatsschutz.
Das alles fällt mir an Fakten zu den Punkten 1, 6, 12, 14, 15 und 16 ein. Auch auf die Punkte 1 und 4 des Grünen-Antrags trifft das zu.
Mit Blick auf die Mitarbeiter ist es doch auch nicht so, dass da nichts passiert ist. Man kann immer sagen, man muss noch mehr machen, und wenn es gute Vorschläge sind, dann bin ich sehr dafür, dass wir das zusammen anpacken. Aber es gibt eine Regelanfrage für Bewerberinnen und Bewerber im Polizeidienst. Die haben wir eingeführt. Die gab es vorher nicht. Wir haben bei den Mitarbeitern des Verfassungsschutzes sowieso eine Sicherheitsüberprüfung.
Die interkulturelle Öffnung des öffentlichen Dienstes bei der Polizei durch die Einstellung von jungen Menschen mit Migrationshintergrund wird von Jahr zu Jahr stärker. 2019 waren es knapp 15 %.
In der polizeilichen Ausbildung gibt es laufend Inhalte zur Sensibilisierung für den Rechtsextremismus, zum Beispiel Besuche in Gedenkstätten. Ich brauche die nicht aufzuzählen, weil Sie die alle kennen. Das ist doch Teil der polizeilichen Ausbildung. Da geht es an Orte, an denen man reflektiert und nachdenkt, auch nachdenklich gemacht wird. Junge Menschen sollen dann vielleicht auch ihre Ansichten überdenken und merken, um was es da geht. Im BachelorStudiengang für den Polizeivollzugsdienst wird die Thematik durchgängig aufgegriffen. Im Fortbildungsbereich gab es allein 150 entsprechende Workshops und Vorträge im letzten Jahr.
Es gibt Handreichungen, um den Behörden Informationen über die Symbole und Kleidungsstücke, die im rechtsextremen Bereich anzutreffen und nicht verboten sind, zur Verfügung zu stellen, damit man das weiß, damit man sie kennt, damit man damit umgeht und dafür sensibilisiert wird.
Trotzdem kann ein Extremist auch in den eigenen Reihen unentdeckt bleiben, oder es kann sich jemand, der zu Beginn seiner Polizeikarriere mit hohen Idealen gestartet ist, radikalisieren. Das gibt es. Das ist nicht akzeptabel, und das ist nicht in Ordnung. Sie wissen – ich kann es noch mal zum Mitschreiben sagen –: Wer seinen Amtseid auf die Landesverfassung abgelegt hat und unseren Rechtsstaat dann mit Füßen tritt, der hat in der Polizei nichts zu suchen. Jeder Extremist bei uns ist einer zu viel. Ende.
Darauf habe ich 2018 aufmerksam gemacht. Wir haben 2019 nachgesteuert. Wir haben jetzt noch mal ganz gezielt die Behördenleiter zusammengeholt, um denen das auch einmal Auge in Auge oder Ohr in Ohr zu sagen, weil das wichtig ist. Das ist keine große Zahl, aber es gibt sie, und da ist jeder Einzelne einer zu viel. Darum müssen wir uns ganz intensiv kümmern und – es ist richtig, was alle gesagt haben – dabei aufpassen, dass wir nicht die gesamte Polizei damit diskreditieren, denn das wäre falsch.
Die Polizei in Nordrhein-Westfalen besteht aus tollen Männern und Frauen, die einen super Job machen und denen wir außerordentlich dankbar sein können.
Aber ich erwarte von diesen tollen Männern und Frauen auch, dass sie etwas sagen, wenn sie in ihren Reihen spüren, dass da was unterwegs ist. Ich will denen auch helfen. Deswegen hatten wir diese Idee des Extremismusbeauftragten in den Behörden. Es ist vielleicht leichter, so was weiterzugeben, wenn man nicht gleich zum Vorgesetzten rennen muss.
Die Ausweitung des Radar-iTE-Programms zur Gefahreneinschätzung von rechtsextremen Gefährdern ist auf dem Weg. Das wissen Sie. Ich bin bei Ihnen. Von mir aus könnte das viel schneller gehen. Bedauerlicherweise muss das aber auf Bundesebene … – Nicht „bedauerlicherweise“, das ist ja richtig. Es muss bundesweit einheitlich sein, sonst macht es keinen Sinn. Da muss wissenschaftlicher Sachverstand einbezogen werden. Deswegen dauert das leider ein bisschen. Es dauert mir auch zu lange.
Zur Beobachtung der AfD durch den Verfassungsschutz erinnern Sie sich an die Debatte, die wir, glaube ich, vor rund einem Jahr hier hatten. Am 17. Januar letzten Jahres habe ich den Prüffall im Innenausschuss vorgetragen. Und heute? Heute wissen wir noch mehr. Heute hat das Bundesamt für Verfassungsschutz erklärt, dass der „Flügel“ als festgestellte Bestrebung, also als verfassungsfeindlich eingestuft wird. Herr Seifen, damit müssen Sie sich jetzt auseinandersetzen.
Wir haben ab heute die klare Feststellung, dass ein Teil der AfD, nämlich der „Flügel“, verfassungsfeindlich ist und deshalb mit all den Mitteln des Nachrichtendienstes überwacht und kontrolliert werden kann, und das ist gut so.
Die höchste Glaubwürdigkeit würde die AfD natürlich, wenn überhaupt, noch gewinnen können, wenn sie sich von diesen Typen trennen würde.
Ja, aber Herr Seifen, wenn Sie einen Zwischenruf machen, dann kriegen Sie auch eine Bemerkung als Antwort zurück: Sie haben es versucht und nicht geschafft. Damit hat die AfD gesagt: Wir wollen es nicht, wir wollen die „Flügel“-Leute bei uns behalten.
Weiter: Das Aussteigerprogramm „Spurwechsel“ läuft gut. 190 Rechtsextremisten sind bis Ende 2019 ausgestiegen. Das Fortbildungskonzept „VIR“ zur Schulung von Multiplikatoren hat mittlerweile 120 Personen erreicht.
Auch der Hinweis auf das Versammlungsgesetz ist richtig. Ich kann Ihnen sagen – das haben wir bisher noch nicht öffentlich gemacht –: Natürlich arbeiten wir daran.
Es wird allerdings spannend werden, Herr Kutschaty, ob wir es dann schaffen, ob dann alle mitmachen, im Versammlungsgesetz nicht nur das Formale zu regeln, sondern auch inhaltliche Punkte zu setzen und zu fragen: Gibt es da Auflagen, unter welchen Bedingungen welche Auflagen? Was machen wir da, was trauen wir uns hier zu, um nicht mehr alles zuzulassen?