Heute können wir noch nicht abschließend beurteilen, wie sich die Pandemie auf das Arbeits- und Mobilitätsverhalten der Bürgerinnen und Bürger auswirkt. Wer als ÖPNV-Kunde nun öfter im Homeoffice arbeitet, wird entsprechend seltener Bus und Bahn nutzen.
Wir müssen uns also grundsätzlich darauf verständigen, wie wir den ÖPNV in unserem Land künftig finanzieren. Wie Sie, sehr geehrter Herr Kollege Klocke, darauf kommen, dass der ÖPNV zu 70 % über Einnahmen finanziert wird, ist mir schleierhaft. Der VDV stellt in seinem letzten Bericht, der 2018 vorgelegt wurde, fest, dass der ÖPNV nur zu 36 % über Ticketeinnahmen finanziert wird.
Nun gibt es die Initiative in Wuppertal. Dort haben Bürgerinnen und Bürger mit Unterstützung verschiedener Akteure das Modell eines solidarischen Bürgertickets erarbeitet. Sowohl das Plenum als auch die Enquetekommission haben sich bereits in der vergangenen Wahlperiode mit diesen Fragestellungen befasst.
Es steht fest: Die Menschen sind grundsätzlich bereit, für die Nutzung öffentlicher Verkehrsmittel einen Preis zu zahlen; Angebotsqualität, Sicherheit und Sauberkeit müssen aber stimmen.
Bei Einführung der ÖPNV-Finanzierung per Nahverkehrsbeitrag bekommen die Bürgerinnen und Bürger einen Anspruch auf Nutzung der öffentlichen Verkehrsmittel.
Die Kosteneinsparungen wären allerdings geringer als erwartet. Wir bräuchten weiterhin eine Vertriebsstruktur für Fahrscheine. Kontrollen können nicht entfallen. Nichtbeitragszahler erhalten keine „Freifahrt“, und auch die Einkommensverhältnisse der Bürgerinnen und Bürger müssten geprüft werden.
Sie führen weiterhin aus, dass bei einer allgemeinen Umlage genügend finanzieller Spielraum für eine qualitative und quantitative Ausweitung des ÖPNVAngebots gegeben sei. Oftmals lässt die Infrastruktur eine Ausweitung jedoch nicht zu. Es gibt zum Beispiel schon heute in Nordrhein-Westfalen Eisenbahnstrecken, die als überlastet eingestuft sind; hier fehlen schlicht und ergreifend Gleise.
Darüber hinaus suchen die Verkehrsunternehmen händeringend geeignetes Personal, vor allem zum Führen von Bussen und Bahnen – ohne Fahrer keine Busse.
Das vorgelegte Rechtsgutachten kann die Bedenken gegen die Einführung des lokal begrenzten solidarischen Bürgertickets aus meiner Sicht nicht ausräumen. Hier sei an die Urteile oberster Bundesgerichte erinnert.
Ebenso muss der Personenkreis derjenigen, die die Abgabe zu leisten hätten, rechtssicher bestimmt werden. Wann genau bin ich denn ausreichend an den ÖPNV angebunden?
Unabhängig von den rechtlichen Bedenken einer Zwangsabgabe kann eine Insellösung nur für eine einzige Stadt keine Lösung sein; das haben wir jüngst bei den sogenannten Lead-City-Maßnahmen erlebt.
Auch die Bundesstadt Bonn war eine Modellstadt zur Reduzierung der Schadstoffwerte in der Luft. Dort wurde nach Wiener Vorbild ein 365-Euro-Ticket eingeführt, das allerdings nur im Stadtgebiet Bonn gilt. Dementsprechend gering war auch die Nachfrage, denn wir müssen über die Städte hinaus denken.
Selbst die Wuppertaler Bürgerinitiative liefert keine Antwort für eine Nutzung des solidarischen Bürgertickets über Wuppertal oder gar über die Grenzen des Verkehrsverbundes hinaus.
Lieber Kollege Klocke, Ihre Fraktion hat hier in diesem Hause noch am 5. April 2017 erklärt – ich zitiere mit Erlaubnis der Präsidentin –:
Es verpflichtet sogar Menschen zum Bezahlen, die sich schon heute aus Überzeugung umweltfreundlich fortbewegen – zu Fuß oder mit dem Fahrrad – oder sonst keinerlei Bedarf an einem solchen ÖPNVTicket haben. Diesen Menschen nutzt es auch nichts, dass Sie nun eine soziale Staffelung bei der Höhe der Abgabe einbauen wollen.
Lassen Sie uns gemeinsam nicht nur die Finanzierung des ÖPNV sichern, sondern auch das ÖPNVAngebot verbessern. Das bedeutet mehr Fahrten auch in den späteren Abendstunden und am Wochenende, Reaktivierung von Eisenbahnstrecken, Erschließung von Wohnvierteln und des ländlichen Raums mit neuem ÖPNV.
Gerne stimmen wir der Überweisung in die Fachausschüsse zu. In den Beratungen oder womöglich im Rahmen einer Anhörung können wir dann die offenen Fragen diskutieren. – Vielen Dank.
Herr Kollege Krauß, ich wollte Sie unterbrechen, um Ihnen anzuzeigen, dass der Kollege Klocke Ihnen gerne eine Zwischenfrage stellen würde.
Das Räuspern bezog sich auf Ihre Redezeit; kurz darauf wollte ich Sie wegen der Zwischenfrage unterbrechen.
Weil Sie die Freiwilligkeit ansprachen: Wie stehen Sie zum Semesterticket? Das ist nämlich auch kein freiwilliges Ticket, sondern ein Umlageticket, sozusagen ein Zwangsticket, das aber seit vielen Jahren aus guten Gründen an vielen Hochschulen in Nordrhein-Westfalen existiert.
(Carsten Löcker [SPD]: Nein, das kann man nicht vergleichen! Das ist solidarisch finan- ziert! Das ist etwas anderes!)
In der Tat hat sich das Studierendenticket bewährt. Aber hier bitte ich Sie, zu berücksichtigen, dass es an den Universitäten aufgrund einer Abstimmung eingeführt worden ist. Die Studentinnen und Studenten haben über die Einführung des Studientickets abgestimmt.
Beim Bürgerticket – das hatte ich Ihnen aber schon gesagt – bestehen erhebliche Bedenken. Lassen Sie uns lieber zusehen, dass die Wuppertaler Schwebebahn nicht nur am Wochenende fährt. Es ist viel wichtiger, dass sie auch unter der Woche fährt.
Insofern sehe ich darin keinen Widerspruch. Wir wollen daran arbeiten, dass es nicht zu einer Insellösung kommt. Ein Studierendenticket ist keine Insellösung, sondern weit ausgerichtet. Daher ist das kein Widerspruch. – Vielen Dank.
Vielen Dank, Herr Kollege Krauß. – Als nächster Redner hat nun für die Fraktion der SPD Herr Kollege Löcker das Wort. Bitte sehr, Herr Abgeordneter.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Solidarisches Bürgerticket – ein klangvoller Name. Darüber lohnt es sich zu diskutieren.
Es ist sicher gut und richtig, einen großen Gedanken in Sachen Bürgerticket zu fassen. Es bedarf aber einer Lösung mit Blick auf die Verkehrswendemodelle: in Wuppertal immer gerne, aber sie müssen auch zu Hause finanziert sein.
Als Heilmittel mit Blick auf die Anforderungen, die wir hier gerne formulieren – Ausbau des ÖPNV, mehr Verkehr, möglichst einfache Ticketarten –, ist das aus unserer Sicht nicht anzuwenden, denn der Teufel steckt im Detail. Man könnte auch sagen: Das Thema ist sehr komplex. Das wissen wir auch alle, die wir uns thematisch damit beschäftigen.
Die grünen Kolleginnen und Kollegen wollen eine Experimentierklausel im ÖPNVG und KAG; darauf will ich nicht näher eingehen. Das kann man im Prinzip machen, aber ich glaube, es geht in dem Zusammenhang um andere Fragen, die man gerne beleuchten darf.
In der Sache ist es aus meiner Sicht auf jeden Fall notwendig, die Diskussion weiter voranzutreiben, wie wir das in Zukunft miteinander hinbekommen.
Man muss wissen, dass das Land Nordrhein-Westfalen mit einem Milliardenbetrag an dieser Finanzierung beteiligt ist. Es geht nicht nur um Wuppertal oder um den Verbundraum, es geht darum, dass die Gemeinden und Kommunen viel Geld dazu beitragen und dass das Land auch einen stattlichen Betrag dazugibt.
Am Ende müssen die Städte und Gemeinden noch zusätzlich erhebliche Aufwendungen betreiben, damit das heutige Angebot überhaupt finanzierbar ist. Insofern gibt es heute keinen Anspruch auf Kompensation in den Unternehmen; es muss immer wieder etwas draufgelegt werden. Das macht auch deutlich, wie schwierig die Situation in Bezug auf das vorhandene Angebot ist.
Jetzt komme ich auf Ihre Experimentierklausel zu sprechen. Grundsätzlich lässt sich gegen die Einführung einer entsprechenden Klausel nichts sagen. Würde man jedoch in Wuppertal ein solidarisches Bürgerticket einführen, fiele der Anteil aus der Verbundwirtschaft der Verkehrsunternehmen heraus.
Mit Blick auf das Angebot würde das ohnehin schon komplexe Einnahmemodell mit seiner Regelung der Einnahmeaufteilung in der jetzigen Form noch fragiler. Man entzöge dem System zusätzliches Geld, weil man gute Ansprüche hat, aber es fehlt nachher im Verbundraum, denn es gibt eine Verbundfinanzierung. Das heißt, alle finanzieren mit.