Protokoll der Sitzung vom 30.11.2005

Für die Fraktion der SPD hat Herr Abgeordneter Hartloff das Wort.

Frau Präsidentin, verehrte Kolleginnen und Kollegen! Ich finde es nicht gut, wenn in einer solchen Diskussion den Kolleginnen und Kollegen, die eine andere Auffassung haben und diese auch begründen werden, was ich gleich tun werde, wie von Ihnen eben geschehen, die Vernunft abgesprochen wird.

Wenn Sie sagen, dass es pseudoliberal sei, wenn man sich Ihrem Gesetzesvorschlag nicht anschließt, – – – Herr Kollege Baldauf, mich hat schon etwas gewundert, in welcher Form die Argumentationen, die die CDU aufgemacht hat, sich auch geändert haben. Wenn ich Herrn Kollegen Böhr in der letzten Debatte hier im Plenum richtig verstanden habe, hat er ein Beispiel aus einer Familie gebracht – ich habe mir die Rede noch einmal angeschaut – und fragt: Welchen Konflikt haben wir in dieser Familie durch eine Tochter, emanzipiert, und es gibt die traditionelle islamische Vorstellung „Du musst einen Schleier tragen?“ – Das wird dann als politisches Symbol in der Schule auch von einer Trägerin eines Kopftuchs gebraucht. Das politische Symbol stand dort, wie Herr Böhr es zum Ausdruck gebracht hat, unzweifelhaft im Vordergrund. Auch er hat mit der Unterstellung gearbeitet, dass, wer das Gesetz nicht macht, solche Konflikte treiben lässt und sie nicht einer Lösung zuführt, also das Konfliktpotenzial aufzeigt und dann eine Lösung quasi durch ein Kopftuchverbot schafft, also

eine typisch deutsche Debatte, wo man zunächst etwas aufbaut in Art einer Phantomdebatte oder, wie es einer der Professoren in der Anhörung gesagt hat, in einer Art Gespensterdebatte, um dann gleichsam die Lösung zu haben, wenn man ein Gesetz erlässt, das ein Kopftuch verbietet.

Herr Baldauf, Sie haben dann in dem Ausschuss für Bildung und Jugend gesagt, das Tragen religiöser Symbole, die nicht den christlich-abendländischen Werten entsprechen, sollte gemäß dem vorliegenden Gesetzentwurf grundsätzlich nicht gestattet sein. In der Einführung haben Sie gesagt, in den Pausen ist das aber möglich und vor und nach dem Unterricht.

(Vereinzelt Heiterkeit bei SPD und FDP)

In der Presseerklärung von gestern betonte die CDU, dass das Kopftuch primär kein religiöses Symbol ist. Es gibt also eine vielfältige Begründungslage von Ihnen, mit der man argumentiert. Wir sind der Auffassung, dass es sicher so ist, dass das in vielen Familien, die mit Migrationshintergrund bei uns leben, eine Rückkehr oder eine vermeintliche Rückkehr zu traditionellen Werten ist. Das hat sicher etwas mit persönlichen Freiheiten oder Nichtfreiheiten zu tun, aber ich will in diesem Zusammenhang darauf eingehen, dass zum einen die Professoren bei der Anhörung, so unterschiedlich sie auch in der Auffassung darüber waren, ob man ein solches Gesetz erlassen sollte oder nicht, sich darüber einig waren, dass, wenn Missionierung oder Indoktrinierung im Unterricht erfolgen sollte, dieses mit dem herkömmlichen Disziplinarrecht gelöst werden kann, wie das in allen anderen Fällen auch der Fall ist.

(Beifall bei SPD und FDP)

Wofür brauchen wir ein solches Gesetz? Brauchen wir es, um Probleme zu lösen? Brauchen wir es, um politische Auseinandersetzung zu betreiben, oder brauchen wir es, um mit einer Portion Ideologie ein Scheinproblem zu lösen, was nachher zu mehr Ideologisierung im Kampf der Kulturen, im Wettbewerb der Kulturen, führen wird?

(Beifall bei SPD und FDP)

Ich erinnere die Kolleginnen und Kollegen, die mit mir bei Givat Haviva waren, an die junge Frau, die neben mir saß, eine Araberin, die einen Schleier anhatte. Sie hat berichtet, wie sie sich für Frauenhäuser und für die Bewegung von Frauen stark macht, in der Ankoppelung an ihre sicher sehr traditionellen Familienverhältnisse. Meinen Sie, das wäre auf Givat Haviva und Israel beschränkt? Meinen Sie nicht, dass es hier auch Frauen gibt, die einen genauso emanzipatorischen Weg hinter sich bringen, aber dann in der Schule mit einem Schleier unterrichten und gute Schule machen können ohne jedes Problem? Sollen wir das denen per Gesetz verbieten, bloß weil es eine Verwaltungsvereinfachung wäre, wie Herr Baldauf sagte? Welche Form der kulturellen Auseinandersetzung wählen wir?

Ich weiß, dass es querbeet durch die politischen Parteien unterschiedliche Ansichten gibt. Ich weiß, dass in der

Anhörung Frauen mit muslimischem Hintergrund anwesend waren, die gesagt haben: Ihr müsst das verbieten als liberaler Staat, ihr müsst so sein, wie es in der Türkei laizistisch getrennt ist. – Aber wir haben nicht die Staatsform wie dort. Unsere Verschränkungen mit Religionen sind anders aus guten abendländischen Gründen. Deshalb bitte ich darum, dass wir ein solches Gesetz nicht verabschieden, weil wir es nicht notwendig haben und weil wir in dem Dialog der Kulturen weiterkommen, wenn wir das bekämpfen, wo wir ganz einig sind. Wenn in Schulen jemand unterwandern möchte, wenn in Schulen jemand ideologisiert, dann bekämpfen wir das aufgrund rechtsstaatlicher Tradition, aber im Zweifel eben für die Freiheit im Erziehungsgedanken natürlich, gar keine Frage. Glauben Sie denn ernsthaft, dass, weil wir diese Beispiele in Rheinland-Pfalz gar nicht haben, dadurch verhindert worden wäre, dass es mehr traditionalistische Familien gibt und diese Tendenzen im Migrationshintergrund vorkommen?

(Frau Thelen, CDU: Was ist bei Ihnen Tradition, Herr Hartloff!)

Auch islamistisch. Ich will Ihnen, – vielleicht hilft das –, gleichsam als Blick von außen auf das deutsche Biotop, wo es solche Modediskussionen gibt, und gleichsam, Herr Böhr, von Philosoph zu Philosoph aus der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“ von gestern den kanadischen Philosophen Charles Taylor zitieren, der unter anderem bei einem Vortrag in Berlin gesagt hat: „Waren es in der deutschen Kopftuchdebatte nicht die Laizisten, die sich auf die Kopftücher stürzten, weil sie das Unbehagen, das ihnen der Islam einflößt, partout markieren mussten? In erstaunlich kurzer Zeit sind ohne die Not von Konfliktfällen, in denen die Mittel des hergebrachten Disziplinarrechts versagt hätten, in den Bundesländern Verbotsgesetze gemacht worden. Entfaltet im Kulturkampf auch der liberale Staat, wenn er seine Werte durch Sozialdisziplinierung durchsetzt, die Dynamik religiöser Mobilisierung? Als rechtgläubige Staatsbürgerin geht nur noch die unverhüllte Frau durch.“

Taylor will sich nicht so sehr einmischen, aber als Kanadier beurteilt er die deutsche Rechtslage und sprach dann von einem „großen Fehler und einem Eigentor“. „Das Gesetz droht das Zeichen erst zu schaffen, das es verbietet. Wenn dem Staat die planmäßige Erschwerung einer gottgefälligen Lebensführung vorgeworfen werden kann, wird die Markierung ihre mobilisierende Kraft freisetzen.“

Ich sage noch etwas Weiteres: Ich verstehe nicht, warum die Debatte so emotional geführt wird. Einem demokratischen Rechtsstaat, dem es um das Erziehungswesen geht, steht es gut an, sehr rational seine Werte zu verteidigen und zu vertreten.

Aus diesen Gründen brauchen wir dieses Gesetz in Rheinland-Pfalz nicht.

(Beifall der SPD und der FDP)

Das Wort hat Herr Abgeordneter Wiechmann.

Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Herr Kollege Hartloff, vielen Dank für diese Rede, die die Schärfe aus der Auseinandersetzung herausgenommen hat. Ich will hoffen, dass ich daran anknüpfen kann.

Meine Damen und Herren, das Bundesverfassungsgericht hat mit seinem Urteil aus dem Jahr 2003 den Bundesländern die Entscheidungsgewalt darüber gegeben, inwieweit das Tragen religiöser Symbole im Schuldienst erlaubt ist oder verboten werden soll. Es hat dabei aber auch klar gesagt, dass dabei bestimmte Religionen nicht diskriminiert werden dürften und die strikte Gleichbehandlung der Religionen zu achten sei.

Dieser von uns vertretene Grundsatz wurde auch in der gemeinsamen Anhörung des Ausschusses für Bildung und Jugend und des Innenausschusses hervorgehoben. Dieser Ansatz, dieser Grundsatz muss für uns doch die Messlatte zur Bewertung des vorliegenden Gesetzentwurfs sein.

Für uns GRÜNE ist die Gleichbehandlung aller Religionen und die gegenseitige Toleranz von zentraler Bedeutung. (Baldauf, CDU: Für uns auch!)

Das Gebot der religiösen und weltanschaulichen Neutralität muss natürlich ohne Zweifel an rheinlandpfälzischen Schulen gewahrt werden.

Der Gesetzentwurf der CDU widerspricht allerdings diesem vom Bundesverfassungsgericht gesetzten Grundsatz; denn es ist verfassungsrechtlich äußerst bedenklich, Symbole oder Kleidungsstücke einer Religionsgemeinschaft, wie des Islams, per se für nicht vereinbar mit der Werteordnung der Bundesrepublik Deutschland zu erklären. Genau das wird in dem Gesetzentwurf der CDU getan.

Verehrte Kolleginnen und Kollegen, da auch Sie dies wissen, wählen Sie nicht den Weg, das Tragen aller religiöser Symbole, und dann auch der christlichen, durch Lehrerinnen und Lehrer im Schuldienst zu untersagen. Ich muss Ihnen ganz ehrlich sagen, dafür hätte ich dann allerdings einige Sympathien, wenn man alle religiösen Symbole – –

(Zurufe aus dem Hause)

Ich sage Ihnen das.

gleich behandeln würde. Dafür hätte ich tatsächlich eine gewisse Sympathie.

(Dr. Weiland, CDU: Weil Sie den Zusammenhang nicht verstehen!)

Ich muss Ihnen allerdings sagen, so wie Sie es machen, das religiöse Symbol Kopftuch zu einem eindeutig politischen machen zu wollen, das greift zu kurz; denn das von Muslima getragene Kopftuch ist – das wurde in der Anhörung mehr als deutlich – Ausdruck von höchst unterschiedlichen Anschauungen und Wertevorstellungen.

Längst nicht jede muslimische Frau, die sich für ein Kopftuch entscheidet – auch das hat Herr Kollege Hartloff schon gesagt –, vertritt automatisch eine fundamentalistische Ideologie.

(Zuruf des Abg. Lelle, CDU)

Im Gegenteil, gerade Frauen – das ist in der Anhörung sehr deutlich gesagt worden –, die einen Beruf wie den der Lehrerin ergreifen, können auch ein Kopftuch tragen, um selbstbewusst zu dokumentieren, dass Emanzipation und Islam nicht per se ein Widerspruch sind, verehrte Kolleginnen und Kollegen.

Wir GRÜNEN lehnen es deshalb ab, Kopftuchträgerinnen in Rheinland-Pfalz per se und pauschal zu verurteilen und ihre Lehrbefähigung infrage zu stellen.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Wenn wir ohne Prüfung der individuellen Motive generell Frauen mit Kopftuch vom Schuldienst ausschließen, treffen wir damit manchmal die Frauen, die mit ihrem Streben nach Berufstätigkeit einen emanzipatorischen und in ihrer Kultur wahrscheinlich ziemlich anstrengenden Weg beschreiten wollen.

Meine Damen und Herren der CDU-Fraktion, nach Ihrer Argumentation richtet sich das Kopftuch per se gegen die Gleichstellung der Geschlechter und die freiheitlichdemokratische Grundordnung. Es ist keine Frage, dort, wo unsere freiheitlich-demokratische Grundordnung infrage gestellt wird, muss der Staat handeln. Fundamentalisten, ganz gleich von welcher Religion, gehören nicht in den Schuldienst.

Doch dazu reichen unsere bestehenden Instrumentarien und die beamtenrechtlichen Bestimmungen durchaus aus. Das ist uns in der Anhörung bestätigt worden, auch von Professorinnen und Professoren. Wenn eine Lehrerin gegen ihren Amtseid verstößt, dann kann die Schulbehörde bereits jetzt nach dem Disziplinarrecht dagegen vorgehen und sinnvolle und richtige Entscheidungen treffen.

(Zuruf der Abg. Frau Kohnle-Gros, CDU)

Meine Damen und Herren, Personen, die im öffentlichen Dienst arbeiten, insbesondere Lehrende, sind natürlich der religiösen Neutralität verpflichtet, aber sie haben auch das Recht auf freie Entfaltung ihrer Persönlichkeit.

In der Freiheit des Tragens religiöser Symbole wie dem Kopftuch soll der Staat nur dann eingreifen, wenn dadurch Konflikte an der einzelnen Schule entstehen, die diese nicht selbst lösen kann, und der Schulfrieden nachhaltig gestört wird.

Das heißt, Lehrerinnen sollten so lange das Kopftuch tragen dürfen, so lange die Schulgemeinschaft daran keinen Anstoß nimmt. Bei uns in Rheinland-Pfalz gibt es keine solchen Fälle, in denen die Schulgemeinschaft Anstoß nimmt.

Wir haben in Rheinland-Pfalz genug Möglichkeiten, um in potenziellen Konfliktfällen – das muss man vielleicht

dazusagen, es gab noch keinen wirklichen Konfliktfall in diesem Bundesland, Sie wissen das auch, Herr Kollege Baldauf – angemessen und adäquat zu reagieren.

(Beifall des BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei SPD und FDP – Zuruf der Abg. Frau Kohnle-Gros, CDU)

Meine Damen und Herren, was wir brauchen, ist Toleranz. Wir brauchen keine populistischen Forderungen, durch die Trägerinnen bestimmter religiöser Symbole von vornherein als potenziell verfassungsfeindlich abgestempelt werden. Das Schüren von solchen einseitigen Vorurteilen gegenüber einzelnen Religionen wird die Integration von Minderheiten, die Integration anderer Religionen in unserem Land nur noch weiter behindern.

Meine Damen und Herren der CDU, Ihr Gesetzentwurf dient nicht dem gesellschaftlichen Frieden, sondern kann vielmehr fundamentalistische Gruppen in ihrer Ablehnung gegenüber unserer Grundordnung bestärken. Das kann zu einem Rückzug aus der Gesellschaft führen und Nährboden für fundamentalistische Organisationen und deren Gesinnung sein.

(Zuruf der Abg. Frau Kohnle-Gros, CDU)

Meine Damen und Herren, das Schlüsselwort ist Toleranz. Diese müssen wir durch einen gemeinsamen Dialog und einen beidseitigen und gleichberechtigten Integrationswillen gewährleisten. Meine Damen und Herren, hier müssen wir ansetzen. Hier sind unsere Aufgaben auch als verantwortliche Politikerinnen und Politiker.