Protokoll der Sitzung vom 01.12.2005

(Beifall bei der CDU)

Wenn wir über die Worte „beschäftigungsfeindlich“ und „sozial ungerecht“ diskutieren, dann sollten wir schon noch einmal die Frage aufwerfen, wovon ein Teil dieser Mehreinnahmen, die – das haben Sie heute Abend nicht in der Deutlichkeit gesagt – erst zum Januar 2007 in Kraft treten – – –

(Frau Thomas, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Zum Stopfen der Haushaltslöcher!)

Wenn man Ihren Antrag liest, muss man zu der Auffassung gelangen, bereits zum 1. Januar 2006 tritt diese Mehrwertsteuererhöhung in Kraft.

(Frau Thomas, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Das steht nicht drin!)

Frau Kollegin Thomas, mitnichten. Stichtag ist der 1. Januar 2007.

Wenn Sie sagen, dass diese Mehrwertsteuererhöhung beschäftigungsfeindlich ist, dann muss man auch die Frage stellen: Wozu wird dann der Großteil dieser Mehreinnahmen verwendet, wozu werden sie benutzt?

(Frau Thomas, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Zum Stopfen der Haushaltslöcher!)

Ob Sie es hören wollen oder nicht: Es ist im Koalitionsvertrag festgelegt, dass zur Senkung der Arbeitslosenversicherung, 2 % insgesamt, wovon 1 % auf den Bereich der Arbeitnehmer entfällt – – –

(Zuruf der Abg. Frau Thomas, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Es findet immerhin eine Senkung der Lohnnebenkosten statt. Genau damit wird auch begründet, warum diese Mehrwertsteuererhöhung in dieser Phase unumgänglich ist.

Meine lieben Kolleginnen und Kollegen, wir beklagen doch alle in Deutschland, dass es dringend notwendig ist, um wieder mehr Arbeitsplätze und Ausbildungsplätze zu schaffen, weshalb eine Senkung der Lohnnebenkosten dringend erforderlich ist. Ich glaube, wir brauchen nicht näher auszuführen, dass wir in Deutschland – – –

(Ministerpräsident Beck: Wenn Herr Jullien in Berlin wäre, wäre die Koalition in 14 Tagen zu Ende!)

Herr Ministerpräsident, also hören Sie, lassen Sie doch einmal Fakten für sich sprechen.

(Ministerpräsident Beck: Sie haben nichts begriffen!)

Lassen Sie doch Fakten für sich sprechen, indem wir sagen, die Bruttostundenlöhne sind zu hoch. Das, was dem Arbeitnehmer übrig bleibt, ist zu niedrig. Um dazu einen Beitrag zu leisten, muss die Senkung der Lohnnebenkosten kommen.

Frau Thomas, wenn Sie sagen, die Erhöhung ist sozial ungerecht, dann glaube ich aber auch, hier sagen zu müssen, wo, wie und für wen insbesondere sich diese Erhöhung auswirkt.

(Glocke der Präsidentin)

Frau Präsidentin, einen letzten Satz noch.

Wir wissen doch alle, dass der begünstigte Mehrwertsteuersatz, der insbesondere für Lebensmittel und Produkte und Bedürfnisse des täglichen Lebens anfällt, doch bei 7 % bleibt und hier keinerlei Erhöhung stattfindet. Also das, was Sie in Ihrem Antrag schreiben, dass insbesondere Familien, Rentner, Arbeitslose und Studierende von dieser Mehrwertsteuererhöhung betroffen sind, ist nicht zutreffend.

Frau Kollegin Thomas, diese Mehrwertsteuererhöhung ist unumgänglich und zwingend erforderlich, um die dringend notwendige Haushaltskonsolidierung herbeizuführen.

(Beifall der CDU)

Ich erteile Herrn Abgeordneten Creutzmann das Wort.

Frau Präsidentin! Der Antrag der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN zur Mehrwertsteuererhöhung zeigt wieder einmal mehr, wie wenig Sachkompetenz die Fraktion in Fragen der Wirtschafts- und Finanzpolitik besitzt.

(Ministerpräsident Beck: Das musste gesagt werden!)

Herr Ministerpräsident, die im Antrag behauptete Feststellung – ich zitiere –: „Die beabsichtigte drastische Mehrwertsteuererhöhung ist kein geeignetes Mittel, um die Haushalte von Bund und Ländern zu sanieren.“ zeigt kaum Fach- und Sachkompetenz.

Der Antrag hat wieder einmal das vordergründige Ziel, einen Keil in die Koalition von SPD und FDP treiben zu wollen.

(Ministerpräsident Beck: Nie und nimmer!)

Auch dieser Versuch wird fehlschlagen.

(Beifall bei FDP und SPD – Mertes, SPD: Wir sind siamesische Zwillinge!)

Nun zur Sache selbst: Eine Mehrwertsteuer per se ist weder gut noch schlecht. Eine Erhöhung um drei Prozentpunkte wäre zweifelsohne ein wichtiger Beitrag zur Haushaltskonsolidierung von Bund, Ländern und Gemeinden.

(Zuruf der Abg. Frau Kiltz, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Da eine Mehrwertsteuererhöhung nicht nur eine fiskalische Komponente besitzt, ist sie auch daraufhin zu untersuchen, wie sie wirtschaftspolitisch wirkt. Eine Mehrwertsteuererhöhung, die man ausschließlich für eine Senkung der Lohnnebenkosten und damit für mehr Wettbewerbsfähigkeit unserer Wirtschaft genutzt hätte, wäre von den Sachverständigen in der Öffentlichkeit kaum kritisiert worden.

Eine Mehrwertsteuererhöhung, die jedoch größtenteils zum Stopfen von Haushaltslöchern verwendet wird und die notwendigen Strukturreformen nicht anpackt, ist sowohl wirtschafts- als auch beschäftigungspolitisch verfehlt.

Da den privaten Haushalten in den nächsten Jahren durch massive Steuer- und Abgabenerhöhungen ein hoher Kaufkraftverlust bevorsteht, wirkt die Mehrwertsteuererhöhung um 3 % zusätzlich kontraproduktiv.

Im nächsten Jahr wird es zwar zu einem kleinen konjunkturellen Strohfeuer im Bereich langfristiger Konsumgüter kommen, da viele Haushalte ihre Beschaffung aufgrund der Mehrwertsteuererhöhung auf das Jahr 2006 vorziehen werden, im Jahr 2007 werden jedoch diese Konsumausgaben im Wirtschaftskreislauf fehlen und deshalb zu einem niedrigeren Mehrwertsteueraufkommen führen.

Rainer Brüderle hat dies dieser Tage treffend beschrieben: Ein Jahr Keynes, drei Jahre Brüning.

Diese Wirtschafts- und Finanzpolitik wird den Standort Deutschland leider nicht wettbewerbsfähiger machen, die Binnennachfrage weiter schwächen und damit zu mehr Arbeitslosigkeit führen. Der Anreiz, die Schwarzarbeit weiter zu erhöhen, wird bei höheren Mehrwertsteuersätzen steigen, was wiederum dazu führen wird, dass der Staat weniger Steuern einnimmt.

(Frau Thomas, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Das steht alles in der Begründung, Herr Creutzmann!)

Im Übrigen wird eine Erhöhung der Mehrwertsteuer zur reinen Haushaltskonsolidierung sowohl vom Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung als auch von der Deutschen Bundesbank abgelehnt. Auf Seite 7 des Jahresgutachtens des Sachverständigenrats 2005 ist Folgendes nachzulesen: „Der Sachverständigenrat rät aber dringend davon ab, zu Zwecken der Haushaltskonsolidierung eine Erhöhung des Normalsatzes der Mehrwertsteuer im nächsten Jahr vorzunehmen.“ Weiter heißt es: „Mit der vermeintlich bequemen Anhebung des regulären Mehrwertsteuersatzes zur Haushaltskonsolidierung wäre daher die Umsetzung dieser dringend gebotenen Reformen dauerhaft blockiert. Verglichen mit einer glaubwürdigen ausgabenseitigen Konsolidierung wäre eine solche Steuererhöhung auch mit Blick auf die schwache wirtschaftliche Entwicklung kritischer zu bewerten.“

Meine Damen und Herren, die Erhöhung der Mehrwertsteuer um drei Prozentpunkte treibt natürlich auch die Preise in die Höhe. Dies wird bestätigt durch die Pressemitteilung des Deutschen Instituts für Wirtschaft vom 23. November 2005: „Die Mehrwertsteuererhöhung führt bei den privaten Haushalten zu einer spürbaren Mehrbelastung. Besonders betroffen sind Nichterwerbstätige wie Arbeitslose und Rentner.“ Weiter heißt es: „Das von der großen Koalition beschlossene Reformpaket zur Erhöhung der Mehrwertsteuer und zur Senkung der Sozialbeiträge dürfte längerfristig zu Mehrbelastungen für die privaten Haushalte von insgesamt etwa 0,8 % der verfügbaren Einkommen führen.“ Das DIW führt weiter aus: „Die Mehrwertsteuererhöhung für sich genommen dürfte längerfristig einen Anstieg der Verbraucherpreise um 1,7 % zur Folge haben. Bezogen auf das Periodeneinkommen werden die einkommensschwachen Haushalte relativ stärker als die Haushalte mit den höheren Einkommen belastet. Diese Regressionswirkung entsteht durch die höheren Sparquoten bei steigendem Einkommen.“

(Wiechmann, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Sind Sie für eine Mehrwertsteuererhöhung oder dagegen?)

Ich sage Ihnen das gleich, Herr Kollege.

Nun folgt ein interessanter Satz: „Bezogen auf das Lebenseinkommen dürfte sich allerdings eine weitgehend

proportionale Belastungswirkung ergeben, die Mehrwertsteuer wirkt insoweit wie eine ‚Flat Tax’.“

(Glocke der Präsidentin)

Das ist interessant. Herr Kirchhoff lässt grüßen, kann ich dazu nur sagen.

Die FDP-Fraktion lehnt eine Mehrwertsteuererhöhung ab, weil die negativen beschäftigungs- und wirtschaftspolitischen Auswirkungen die positiven fiskalpolitischen Auswirkungen überwiegen. Die FDP-Fraktion lehnt allerdings aber auch den Antrag der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN ab, weil die Begründung teilweise so fehlerhaft ist, um nicht zu sagen, dass sie falsch ist, sodass auch das ein Grund ist, dem Antrag die Zustimmung zu versagen.

Danke. (Beifall bei FDP und SPD)

Das Wort hat Herr Staatssekretär Professor Dr. Deubel.

(Wiechmann, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Muss das sein?)