Protokoll der Sitzung vom 22.05.2001

Das ist eine der Fragen, die sich stellen. In welchem Umfang und mit welcher Geschwindigkeit will man beginnen? Mit 30 Millionen DM für das nächste Jahr wird das Känguru keine großen Sprünge machen können.

Ferner drängt sich die Frage auf, wie sich die Schullandschaft künftig entwickelt. Werden wir dann Schulen erster und zweiter Klasse haben? Zum Beispiel bezüglich der Unterschiede zwischen Hauptschulen, die eine Ganztagsbetreuung anbieten und Hauptschulen, die keine Ganztagsbetreuung anbieten, lässt sich eine ganze Reihe von Fragen im Anschluss an diese Frage weiterspinnen. Wie ist das mit den Schulbezirken? Wie ist das mit den Wünschen der Eltern, die in einem Schulbezirk wohnen, in dem die Hauptschule keine ganztagsschulische Betreuung anbietet, die sie aber genauso dringend benötigen wie die Eltern, die zufälligerweise in einem Schulbezirk leben, in dem die Hauptschule eine Ganztagsbetreuung anbietet? Wie will man das regeln?

Was bleibt in diesem Zusammenhang an den Kommunen hängen? Jetzt schreien Sie nicht so herum, setzten Sie sich hin und versuchen Sie, diese Fragen zu beantworten, und dann werden Sie uns als Mitstreiter haben!

(Beifall der CDU)

Meine Damen und Herren, damit kein Missverständnis entsteht, weise ich darauf hin, dass es in der Sache zweifellos überhaupt keinen Streit gibt. Bevor das aber der große landespolitische Wurf der nächsten fünf Jahre wird, muss die Landesregierung noch eine ganze Reihe von Fragen klären.

Im Übrigen interessiert mich die Frage, auf die ich bisher auch noch keine Antwort gefunden habe – vielleicht ist sie aber auch schon in der Koalition geklärt –, ob wir über schulische Angebote am Nachmittag oder ob wir über Betreuungsangebote am Nachmittag reden. Ich will Ihnen den Hintergrund meiner Frage nennen. Dass es einen Bedarf an ganztagsschulischen Betreuungsangeboten gibt – ich sage es zum dritten und letzten Mal –, ist unzweifelhaft.

Meine Damen und Herren, jeder weiß aber, dass der maßgebliche Grund für den Boom, den die Ganztagsschule erfährt, natürlich vor allem gesellschaftlicher und wirtschaftspolitischer Art ist. Es geht nicht um ein Konzept, das aus der bildungspolitischen Debatte heraus entwickelt worden ist, sondern es geht darum, gesellschaftlichen Veränderungen und Erwartungen Rechnung zu tragen. Dagegen ist auch nichts einzuwenden.

Meine Damen und Herren, ich will bei dieser Gelegenheit erwähnen, dass Bildung auf Dauer nicht nur eine Funktion des Arbeitsmarkts und der Wirtschaftspolitik werden darf. Bildung ist auch ein Wert an sich.

(Beifall der CDU)

Deshalb frage ich, ob es Betreuungsangebote oder schulische Angebote sind.

Im Übrigen bin ich der Auffassung, dass Bildung eine Antwort auf die Verunsicherung, diese Angst, die viele in dieser Welt, die sich täglich wandelt, empfinden, ist und eine zunehmend wichtige und wichtiger werdende Bedeutung erhält. Deshalb bin ich der Auffassung, dass Bildung nicht nur eine Funktion des Arbeitsmarkts und der Wirtschaftspolitik ist.

Meine Damen und Herren, neben der Infrastruktur und der Bildung nenne ich den Mittelstand.

Mich hat in den Koalitionsvereinbarungen schon überrascht, dass bei dem Punkt, bei dem es beispielsweise um das Verhalten der Landesregierung im Bundesrat geht, der kleinere Koalitionspartner offensichtlich doch relativ – na ja – kleinlaut verhandelt hat. Ich will ganz offen sagen: Diese Steuerreform ist mit Blick auf den Mittelstand nach wie vor nicht das Gelbe vom Ei.

Ich kann mir nicht vorstellen, dass wir auf Nachbesserungen an dieser Steuerreform im Interesse des Mittelstands verzichten können, so wie im Übrigen nach wie vor gilt, dass die Öko-Steuer den Mittelstand nicht gerade zu euphorischen Glücksgefühlen bewegt hat. Da gibt es also schon eine ganze Menge zu tun. Das gilt nicht nur für das, was originär und unmittelbar im Hause zu erledigen ist, sondern auch für das, was heute immer mehr die Bedeutung einer Landesregierung ausmacht, nämlich ihr Mitwirken und ihr Abstimmungsverhalten im Bundesrat.

Ich nenne neben diesen Gesetzen die Technologieförderung. Der Ministerpräsident hat gestern gesagt, bei der Technologie, bei Hightech, seien wir in Rheinland-Pfalz Spitze in Europa. Noch nicht ganz, Herr Ministerpräsident. Ich erinnere mich an die Studie, die Prognos vor noch gar nicht so langer Zeit veröffentlicht hat. Vielleicht liegt die Wahrheit in der Mitte zwischen der Studie, die Sie genannt haben, nämlich eine Studie der Europäischen Union, und der Studie, die Prognos vor einigen Wochen veröffentlicht hat. Spitze in Europa sind wir sicher noch nicht.

Wir haben beispielsweise nach wie vor erhebliche Probleme beim Transfer von Hochschule zur Wirtschaft. Das gilt insbesondere für alle Fachhochschulen. Wir

haben erhebliche Probleme beim Wissenstransfer von der Hochschule zur Wirtschaft auch mit dem Blick auf die Frage, wie solche Forschungsergebnisse als Innovation in Existenzgründungsprogramme einmünden.

Zum Bereich Multimedia hätte ich erwartet, dass dazu in der Regierungserklärung ein bisschen mehr gesagt wird. Nach den aufgeregten Debatten, die wir in den letzten zwei Jahren zu diesem Thema geführt haben, ist das ein bisschen enttäuschend, was sich in der Regierungserklärung niedergeschlagen hat.

Eine Expertise soll die Voraussetzungen zum Ausbau des Medienstandorts Rheinland-Pfalz untersuchen sowie Voraussetzungen und notwendige Rahmenbedingungen für die Schaffung von Arbeitsplätzen und regionaler Strukturentwicklung durch E-Business aufzeigen. Meine sehr geehrten Damen und Herren, ich erinnere nur daran, dass Bayern 1994 mit den Investitionen begonnen hat. Das ist jetzt sieben Jahre her. In BadenWürttemberg gibt es ein Programm Campus online, Master online – die virtuelle Hochschule BadenWürttemberg. Das Programm wird Baden-Württemberg bis 2002 immerhin 45 Millionen DM kosten. In Mainz wollen wir jetzt eine Expertise anfertigen lassen. Ich habe fast den Eindruck, in Mainz wird das Papier produziert, und in Stuttgart werden die Arbeitsplätze geschaffen. Leider ist das auch ein bisschen so.

(Beifall der CDU)

Es gibt Menschen, die wie ich nicht so oft Zug fahren, aber wenn sie einmal Zug fahren – ich spreche jetzt von mir –, vertrauen sie darauf, dass der Zug, den sie erreichen wollen, genauso unpünktlich und verspätet eintrifft wie sie glauben, dass bei der Bahn Verspätungen immer an der Tagesordnung sind. Wenn sie dann verspätet zum Bahnhof kommen, und der Zug ist ausnahmsweise trotzdem pünktlich abgefahren, beschimpfen sie die Deutsche Bahn, weil sie sich auf die Verspätungen nicht verlassen können. So verhält sich das ein bisschen auch bei Multimedia. Mit der Expertise werden Sie diesen Zug nicht mehr zurückholen; der Zug ist bereits abgefahren. Jetzt müssen wir laufen, um ihn noch einzuholen. Es reicht aber nicht, eine Expertise in Auftrag zu geben.

(Beifall der CDU)

Ich nenne als vierten und letzten Punkt eine verlässliche Finanzpolitik. Einer der Kernsätze der Regierungserklärung und wohl auch der Koalitionsvereinbarung war das Ziel, dass sich der Herr Ministerpräsident zu Eigen gemacht hat, für das Jahr 2006 einen ausgeglichenen Haushalt vorzulegen. Ursprünglich hieß es 2008, jetzt reden wir aber über 2006. Diese Vorverlagerung des Datums dieses mehr als lobenswerten Ziels scheint nach Auskunft der Landesregierung dank erfolgreicher Sparbemühungen möglich. Als ich das gehört habe, habe ich allerdings gedacht, ich traue meinen Ohren nicht. – Dank erfolgreicher Sparbemühungen können wir das Ziel eines ausgeglichenen Haushalts, das ursprünglich für 2008 vorgesehen war, um zwei Jahre vorverlagern und jetzt für 2006 ins Auge fassen. Was steckt dahinter? Es lohnt sich schon ein bisschen, darauf die Aufmerksamkeit zu lenken, weil das ein sehr interessanter Sachverhalt ist.

Im Jahr 2000 hat das Land Rheinland-Pfalz rund 740 Millionen DM an Bundesergänzungszuweisungen und an Mitteln aus dem Bund-Länder-Finanzausgleich mehr bekommen. 740 Millionen DM mehr! Es gab eine einzige Ursache für diesen unerwarteten Geldsegen, der nicht etwa eine Belohnung für ein besonders solides Wirtschaften ist, sondern die einzige Ursache für den unerwarteten Geldsegen war, dass wider allen Erwartens und wider aller optimistischen Prognosen die Finanzkraft des Landes Rheinland-Pfalz schwächer geworden ist. Es wurde eine Finanzschwäche kompensiert, die im Jahr 2000 besonders deutlich durch weniger eigene Einnahmen bei den Steuern zum Ausdruck kam. Die Folge war, dass wir mehr Ausgleichsmittel von den finanzstarken Ländern bekommen haben, eben so, wie der Bund-Länder-Finanzausgleich nun einmal funktioniert.

Ausgangspunkt war also die Finanzschwäche im eigenen Land. Ergebnis waren rund 740 Millionen DM mehr eines unerwarteten Geldsegens als Bundesergänzungszuweisungen und aus Mitteln des Länderfinanzausgleich.

(Ministerpräsident Beck: Quatsch!)

Wenn das Quatsch ist, können Sie das dann nachher richtigstellen. Übrigens ist das auch schon deshalb kein Quatsch, weil die eigene Aufstellung des Finanzministers diese Zahlen beinhaltet.

Von diesen rund 740 Millionen DM unerwarteten Geldsegens wurden rund 140 Millionen DM verkonsumiert. Nach Adam Riese bleiben dann rund 600 Millionen DM übrig. Diese 600 Millionen DM dienten dann allerdings der Verringerung der Netto-Neuverschuldung.

Meine sehr geehrten Damen und Herren, das wird – wie hieß es in der Regierungserklärung – „als erfolgreiche eigene Sparbemühungen“ bezeichnet. Nicht wegen erfolgreicher eigener Sparbemühungen haben wir im Jahr 2000 die Netto-Kreditaufnahme um rund 600 Millionen DM reduzieren können, sondern weil andere finanzstarke Länder uns mehr als erwartet unter die Arme gegriffen haben. Das ist der Grund, weshalb wir um 600 Millionen DM besser bei der NettoNeuverschuldung abgeschnitten haben.

(Beifall der CDU)

Nicht nur wegen dieses Punktes, sondern auch wegen der allgemeinen Finanzlage des Landes bin ich mir sicher, dass in den nächsten fünf Jahren die Finanzpolitik zu den wichtigen Themen in Rheinland-Pfalz gehören wird.

Was wir da seit Mitte der 90er-Jahre erleben, ist nun wirklich einmalig in Deutschland. Die Verschuldung ufert aus; sie läuft der Landesregierung schon seit einer Reihe von Jahren aus dem Ruder. Wir werden Ende des Jahres 2001 eine Gesamtverschuldung des Landes von rund 40 Milliarden DM haben.

Für den Zuschauer und Zuhörer, der sich nicht täglich mit solchen Dingen beschäftigt, ist es eine relativ abstrakte Größe, wenn gesagt wird, die Gesamtverschul

dung des Landes Rheinland-Pfalz wird sich am Ende dieses Jahres auf 40 Milliarden DM belaufen. Ich will als Vergleichszahl nur die aus dem Jahr 1991 nennen. Das ist doppelt so viel wie 1991. Doppelt so viel wie 1991! Es ist wirklich eine Spitzenleistung, in nur zehn Jahren 20 Milliarden DM Schulden aufzuhäufen. Das ist so viel, wie andere zuvor in 44 Jahren, als das Land sozusagen von den Anfängen her aufgebaut werden musste, angehäuft haben. Das ist schon eine bemerkenswerte bundesweite Spitzenleistung.

(Beifall der CDU)

Deshalb bin ich sehr gespannt, wie das im Jahr 2006 aussehen wird. Wir werden es nicht zulassen, dass jetzt schon damit begonnen wird, das Ziel eines ausgeglichenen Haushalts im Jahr 2006 nach dem Motto zu konditionieren: Aber nur, wenn die Steuerprognosen so bleiben, wie sie im Moment sind. – Meine sehr geehrten Damen und Herren, die werden in den nächsten fünf Jahren nicht so bleiben, wie sie im Moment sind. Das weiß jedes Kind. Wir werden bei der Regierung einklagen, dass dieses Ziel, das sowohl im Wahlkampf als auch in der Regierungserklärung vollmundig vorgetragen wurde, erreicht wird. Wir sind gespannt, wie Sie dieses Ziel erreichen wollen.

(Beifall der CDU)

Dieses Beispiel zeigt, dass die Koalitionsvereinbarung auch eine Reparatur eigener Versäumnisse und hausgemachter Fehlentwicklungen enthält. Sie enthält manches Richtige. Das habe ich am Anfang schon gesagt. Es liegt in der Natur der Sache, dass der Oppositionsführer über das, was er für richtig hält, nicht so lange redet wie über das, was er nicht für richtig hält. Das ist nun einmal so im parlamentarischen Leben. Deshalb sage ich das am Ende noch einmal: Sie enthält manches Richtige; sie enthält manches, was unsere Zustimmung findet. Wer wollte da schon dagegen sein? Sie enthält auch manche Selbstverständlichkeit, vielleicht ein paar Selbstverständlichkeiten zu viel, aber es fehlen – das ist der Punkt – Konturen, es fehlen Schwerpunkte, es fehlen Perspektiven, kurzum, es fehlt der Mut, auch einmal etwas Neues zu wagen. Deshalb wird diese Regierungserklärung nach meiner Meinung wenig den Herausforderungen gerecht, vor denen wir stehen.

Verräterisch ist die Formulierung, die Sie im Zusammenhang mit Ihren Ausführungen zur Reform des BundLänder-Finanzausgleichs gefunden haben, Herr Ministerpräsident. Sie haben davon gesprochen, dass es jetzt eine allgemeine Stimmung gibt, dass sich alle auf die rheinland-pfälzische Formel verständigen, es dürfe keine Gewinner und keine Verlierer geben. Über diesen Satz habe ich lange nachgedacht. Es gibt zwei Möglichkeiten: Entweder ist das eine Phrase, die nichts sagt, oder, wenn das keine Phrase ist, heißt das im Klartext, es bleibt alles so, wie es ist.

Eine dritte Möglichkeit. Wir wissen alle, dass es nicht so bleiben wird, wie es ist. Die Welt ist in Bewegung. Der Wettbewerb ist längst da. Auch im deutschen Föderalismus ist der Wettbewerb längst da. Sie können jetzt

noch Abwehrgefechte gegen den Wettbewerbsföderalismus führen. Als solcher war der Föderalismus in Deutschland ganz am Anfang einmal geplant. Es macht überhaupt keinen Sinn, ihn zu leugnen.

Es reicht nicht, vor diesem Szenario eine Landesregierung zu haben, die ein Regierungsprogramm vorlegt, das vorrangig abwehrt, beschwichtigt und dieses und jenes verspricht. Wir hätten erwartet, dass Sie eine Richtung auch für die parlamentarische Auseinandersetzung vorgeben. Mit schönen Worten wird viel geredet, aber wenig gesagt. Wichtig wäre es, den Wandel zu gestalten.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, wer das tut – das haben wir und andere in der Vergangenheit leidvoll erfahren –, macht vielleicht auch einmal einen Fehler. Das bleibt nicht aus. Wer den Wandel gestaltet und Neuland betritt, Risiken nicht weiträumig umschifft, sondern versucht, sie bewusst auch in die Politik aufzunehmen, macht auch einmal einen Fehler. Ich bin fest davon überzeugt, dass er damit den Menschen mehr nutzt, als wenn er nur eine Politik des schönen Scheins vertritt.

Diese Regierungserklärung steht natürlich ganz in der Nähe einer Politik des schönen Scheins. Die Probleme lassen sich doch nicht wegzaubern. Irgendwann klopft die Wirklichkeit an die Tür.

Liebe Kolleginnen und Kollegen der Koalitionsparteien, in diesem Sinn ist nicht jeder Streit in der Politik überflüssig und unfruchtbar. In diesem Sinn werden wir mit Ihnen über den Weg der Politik, die Richtung der Politik und die Inhalte streiten. Wir werden mit Ihnen über Weg, Richtung und Inhalt streiten, weil nur dieser Streit den Stillstand überwindet. Dass diese Landesregierung in Gefahr steht, gelegentlich dem Charme des Stillstands zu erliegen, haben wir in den letzten Jahren mehrfach erlebt. Deswegen brauchen wir den fruchtbaren Streit.

Unsere Landesregierung liebt es behaglich. Dagegen ist gar nichts einzuwenden. Vor der Behaglichkeit und vor dem Feierabend steht jedoch die Anstrengung.

Meine Damen und Herren von der Regierungskoalition, diese erwarten und müssen wir von Ihnen im Interesse der Menschen unseres Landes erwarten.

(Anhaltend starker Beifall der CDU)

Meine Damen und Herren, ich begrüße weitere Gäste im Landtag, und zwar Schülerinnen und Schüler der 9. und 10. Klasse der Regionalen Schule Selters. Herzlich willkommen im Landtag!

(Beifall im Hause)

Es spricht nun der Fraktionsvorsitzende der SPDFraktion Joachim Mertes.