Protokoll der Sitzung vom 20.02.2003

Ich nenne Ihnen ein viertes und letztes Beispiel. Das ist die Landespflege. Ich bin nicht gegen die Landespflege. Das Beispiel, das ich Ihnen nenne – jetzt hätte ich fast gesagt ein „exemplarisches“ Beispiel; das ist natürlich Quatsch –, ist ein symptomatisches Beispiel. Es geht um ein nach den gesetzlichen Vorschriften vorgeschriebenes Gutachten für den Bau einer Straße, die etwa 800 Meter lang ist. Sie ist übrigens ganz in der Nähe von Mainz. Sie ist in einer innerstädtischen Lage. Das Gutachten stammt aus dem Jahr 1994. Die Straße wird vielleicht im zweiten Halbjahr 2003 gebaut. Sie ist innerstädtisch gelegen – nicht Biotopschutz, nicht Rheinauen, nicht Mornell-Regenpfeifer oder sonstige schützenswerte Pflanzen stehen hier zur Diskussion. Es geht um eine innerstädtische Lage in einer mittleren Stadt in Rheinland-Pfalz. Es geht um 800 Meter.

Für den Bau dieser 800 Meter langen Straße ist nach dem Gesetz nicht nur ein Gutachten vorgeschrieben. Eines der gesetzlich geforderten Gutachten möchte ich Ihnen in seinem wirklich erhellenden Gehalt vor Augen führen. Das Gutachten hat 1994 15.000 DM gekostet. Ich weiß nicht, was das heute zu den Preisen des Jahres 2003 kosten würde. Wahrscheinlich würde es ein paar Euro mehr als 7.500 kosten. Ich will Ihnen nur einen Satz vorlesen, nämlich die Essenz. Dafür muss der Bauträger diesen Betrag ausgeben und die Zeit in Anschlag bringen, die ein solches Gutachten erfordert.

Im Kern dieses – es geht um die Beschreibung eines Bahnhofvorplatzes – gesetzlich vorgeschriebenen Gutachtens steht: „Das Untersuchungsgebiet“ – das ist der Bahnhofsvorplatz – „zeigt bis auf wenige Arten keine Elemente der heutigen potenziellen natürlichen Vegetation mehr.“

(Vereinzelt Heiterkeit bei der CDU)

Jetzt kommt es: „Das Untersuchungsgebiet“ – das ist der Bahnhofsvorplatz – „ist insgesamt stark anthropogen überprägt.“

(Heiterkeit und Beifall bei der CDU und vereinzelt Heiterkeit bei der FDP)

Dafür muss ein Bauträger, der dringend eine achthundert Meter lange Straße bauen muss, nach den gesetzlichen Vorschriften Geld in die Hand nehmen und Zeit verschenken.

Das geht übrigens seitenlang so weiter. Ich höre jetzt auf zu zitieren, weil mir nachher sonst einer sagt: Der hat die fünfte Jahreszeit mit der Haushaltsberatung verwechselt. – „Das Bahnhofsgelände bietet das typische Bild genutzter oder zum Teil stillliegender Gleisanlagen und Betriebsgebäude.“

(Heiterkeit und Beifall bei der CDU)

Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich trete auch niemandem zu nahe. Es handelt sich um eine Planungsgruppe – natürlich professoral angeführt; das ist völlig klar – in 35440 Linden. Es ist also kein RheinlandPfälzer, den ich hier beschimpfe.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, da liegen die wirklichen Potenziale, nicht in der Frage, ob wir jetzt den Einzelposten um 250.000 Euro kürzen oder nicht kürzen.

(Beifall der CDU)

Meine sehr verehrten Damen und Herren, es geht um Strukturen. Da liegt der Ansatzpunkt. Solange wir uns scheuen, an diesen Potenzialen und an diesen Ansatzpunkten wirklich anzusetzen, solange werden wir das haushaltspolitisch nie in den Griff bekommen. Das ist meine feste Überzeugung.

(Beifall der CDU)

Meine sehr verehrten Damen und Herren, mit der gleichen Klarheit werde ich allerdings auch heute schon zu

Beginn dieser Nachtragsberatungen sagen, was mit uns in den nächsten Wochen nicht zu machen sein wird. Ich habe das in den letzten Tagen bei verschiedenen Gelegenheiten schon mehrfach erklärt. Mit uns ist das nicht zu machen, was im Bereich Schule, Hochschule und Polizei im Nachtragshaushalt vorgeschlagen wird. Das ist mit uns nicht zu machen.

(Beifall der CDU)

Meine sehr verehrten Damen und Herren, dass dies mit uns nicht zu machen ist, hat auch etwas mit einem unterschiedlichen Verständnis von Politik zu tun. Da geht es jetzt nicht um Klientelpolitik.

(Heiterkeit bei der SPD – Mertes, SPD: Nie!)

Nein, nein, nein, Entschuldigung. Herr Ministerpräs ident, ich war zwei Stunden auf der Kundgebung der Gewerkschaft der Polizei anwesend. Die Reden, die da gehalten wurden – ausnahmslos –, haben mit einem politischen Ansatz, den meine Fraktion und ich vertreten, nur etwas zu tun, wenn die Differenz von Lichtjahren auf wenige Millimeter zusammenschrumpft. Das ist nicht unsere Klientel.

Es geht um eine sachliche Betrachtung, auch wenn das natürlich nicht gern gehört wird in diesem Zusammenhang. Das gilt für den Bereich Bildung und Ausbildung. Wir haben einen Investitionsstau bei den Schulbaumitteln. Da werden jetzt 15 Millionen Euro Barmittel für den Schulbau weggenommen. Wir haben einen Investitionsstau bei den Mitteln für die Hochschulen. Wir haben kein Verständnis dafür, dass Mittel für die Unterrichtsversorgung gekürzt werden.

(Kuhn, FDP: Was?)

Herr Kollege Kuhn, es redet im Moment niemand in Rheinland-Pfalz über den Unterrichtsausfall, aber es gibt ihn natürlich nach wie vor.

(Kuhn, FDP: Warum?)

Auch das ist übrigens ein Differenzpunkt. Es ist gut, dass Sie diesen Zwischenruf machen, Herr Kollege Kuhn. Auch das ist ein Differenzpunkt. Wissen Sie, eine Politik, die sich nur dann eines Problems annimmt, wenn die Zeitungen von diesem Problem vollstehen, springt regelmäßig zu kurz. Das ist sehr bequem, aber sie springt regelmäßig zu kurz.

(Beifall der CDU)

Meine sehr verehrten Damen und Herren, das Gleiche gilt für die Polizei. Es ist schon ein Bild des Jammers, das die rheinland-pfälzische Polizei bietet.

(Dr. Schmitz, FDP: Och!)

Ich weiß, dass Sie das nicht gern hören. Ich würde das an Ihrer Stelle auch nicht gern hören. Die Tatsache, dass die Zeitungen von diesem Problem nicht vollstehen – meine sehr verehrten Damen und Herren, ich komme auf einen der Gründe gleich noch zu sprechen –, be

weist nicht, dass es kein Problem gibt. Wir haben bei der rheinland-pfälzischen Polizei eine Personalunterdeckung, die dramatisch ist. Sie ist wirklich dramatisch. Ich kann Ihnen auch aus eigenem Erleben, wenn ich ab und zu einmal eine Nacht mitfahre, wobei keine Diens tgeheimnisse ausgeplaudert werden, nur sagen,

(Kuhn, FDP: Das macht doch jeder!)

wenn es nicht ein überdurchschnittlich ausgeprägtes Pflichtgefühl bei den Polizeibeamtinnen und Polizeibeamten gäbe und gottlob nach wie vor gibt, wären bei der Polizei manche schon längst zusammengebrochen.

(Beifall der CDU)

Jetzt haben Sie – was auch ein bewährter Trick ist, den man bei früheren Gelegenheiten und an anderer Stelle auch schon kennengelernt hat – die Sollzahlen abgeschafft. Das ist so wie damals bei der Stundentafel. Man muss einfach die Stundentafel kürzen, und plötzlich hat man kaum noch Bedarf an mehr Lehrern. Das ist klar. In dem Moment, wo ich den Bedarf kürze – das ist logisch –, komme ich natürlich mit meiner Personaldecke sehr viel besser klar.

Jetzt haben Sie die Sollzahlen abgeschafft, haben Sie um rund 30 % gekürzt und dafür sogenannte Orientierungsstärken eingeführt. Okay, gut. So viel verstehe ich von der Sache jetzt nicht, um das im Einzelnen bewerten zu können. Ich richte mich jetzt einmal an diesen Orientierungsstärken aus, also alte Sollzahlen m inus 30 %.

Jetzt habe ich mir wirklich wahllos einmal ein paar Polizeiinspektionen herausgegriffen. Das war wirklich wahllos quer durch das Land. Jetzt lese ich Ihnen nur einmal den aktuellen Personalfehlbedarf im Schichtdienst bei einzelnen Polizeiinspektionen vor: Bei der einen gibt es einen Fehlbedarf von 11,68 Stellen. Bei einer anderen gibt es einen Fehlbedarf von 17,75 Stellen. Dann gibt es eine – die kann sich glücklich schätzen – mit einem Fehlbedarf von 7,33 Stellen. Die Beamten dort müssen ganz happy sein. Darüber hinaus gibt es einen Fehlbedarf von 10,5 Stellen, 13,15 Stellen, 8,73 Stellen.

(Zuruf des Abg. Dr. Schmitz, FDP)

Herr Kollege Schmitz, Sie finden keine Polizeiinspektion in Rheinland-Pfalz, wo nicht mindestens 7, 8 oder 9 Beamtinnen oder Beamte im Personalbedarf für den aktuellen Schichtdienst fehlen.

(Beifall der CDU)

Das geht nicht auf Dauer, wenn in der Nacht von Samstag auf Sonntag in einer Stadt mit 80.000 Einwohnern ein Auto unterwegs ist. Man darf es gar nicht sagen,

(Schwarz, SPD: Aber Sie haben es doch gesagt!)

obwohl die, die es interessiert, es längst wissen und sich danach richten. Deswegen sind wir gegen die Verlängerung der Lebensarbeitszeit, weil, wenn die Polizei immer älter wird und die Delikte zunehmen, das keine Lösung

ist. Haushalt hin, Haushalt her, wir sind gegen die Verlängerung der Lebensarbeitszeit.

(Beifall der CDU)

Wir sind gegen die Kürzung der Mittel für technische Ausstattung. Wir sind gegen den Abbau bei den Neueinstellungen. Man muss sich das einmal vorstellen – wie oft hat uns dieses Thema bei Haushaltsberatungen schon beschäftigt –, die Polizei wird älter und älter. Beamte sind 50, 53, 55 oder 56 Jahre alt. Kein Mensch will denen zu nahe treten, aber wenn die Polizei immer mehr in diese Altersstufe hineinwächst, ist sie auf Dauer nicht mehr handlungsfähig. Die Kriminalität steigt, und das Personal sinkt.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, wir haben heute – auch das sage ich übrigens im Blick auf diese Hymnen, die wir Mitte der 90er Jahre gehört haben, wo es einmal anders war; da hatten wir einmal deutlich mehr Polizeibeamtinnen und Polizeibeamte als 1991 – weniger Polizeibeamte in Rheinland-Pfalz als 1991. Das kann bei einer steigenden Kriminalität wohl nicht sein.

(Beifall der CDU)

Das kann man nicht im Ernst festschreiben wollen.

Jetzt komme ich auf den Punkt „von wegen Dienstgeheimnisse“ zu sprechen, weil ich wirklich sagen muss, dass da sozusagen jeder Spaß aufhört. Es ist gestern wohl ein Artikel in der „Rheinzeitung“ in Koblenz mit der Aussage eines Polizeibeamten erschienen, der übrigens – wenn ich diesen Artikel richtig verstehe – auch keine Dienstgeheimnisse ausgeplaudert hat – darum geht es jetzt nicht –: „Wenn die mich erwischen, dann machen die mich fertig“.

(Dr. Weiland, CDU: So ist es!)

Meine sehr verehrten Damen und Herren, so ist.