Protokoll der Sitzung vom 09.10.2003

die Opposition – ich komme jetzt zu diesem Angebot – etwas von uns will, dann sagt sie, weitreichende Verwaltungsreformen, aber sie müssen sozial abgefedert sein, und die bestehenden Standorte müssen erhalten werden.

(Bracht, CDU: Das ist doch Unsinn!)

Meine Damen und Herren, dann brauchen wir keine zu machen; denn alles, was wir bisher gehört haben, ist reine Theorie. Weniger Personalausgaben sind nötig, aber selbstverständlich nur nicht bei der Polizei, bei der Bildung, bei den Hochschulen, bei der Justiz und natürlich auch nicht bei der Steuerverwaltung.

Dieses ganz vorsichtige Daraufeingehen, dass wir mit unseren Mitarbeitern in der Tat eine neue Vereinbarung über die Sonderzuwendung schließen müssen, zeigt in Wirklichkeit, dass Sie nicht offen zugeben wollen, dass in allen anderen Bundesländern – wenige sind ausgenommen – alle Regierungen, egal welche Farbe sie haben, fast identische Maßnahmen für ihren Pers onalkörper durchziehen müssen, meine Damen und Herren.

(Beifall der SPD und der FDP – Zuruf des Abg. Kuhn, FDP)

Was sagt uns das? Ist das ein Freibrief? Nein. Das sagt uns, dass praktisch alle Bundesländer miteinander die gleichen Probleme zu bewältigen haben und im Grunde alle unter dem gleichen Problem leiden, das wir uns selbst geschaffen haben und mit unseren Aufgaben zusammenhängt.

Wir haben eine sehr hohe Personalkostenquote. Nur wenn wir die Dynamik des Zuwachses gebremst bekommen, haben wir einigermaßen die Chance, andere Kosten, Investitionen und Ähnliches sicherzustellen.

Meine Damen und Herren, das ist insofern nichts Originelles in Rheinland-Pfalz, sondern es ist etwas, was in der ganzen Bundesrepublik stattfindet. Interessant ist natürlich, dass so hervorstechende Länder wie das Saarland, das absolut davon lebt, dass andere ihm den Topf füllen, und auch Bremen die spätesten Maßnahmen haben.

Wir waren der Meinung, wir könnten es gegenüber den Geberländern im Länderfinanzausgleich im Prinzip nicht verantworten, unsere Maßnahmen wesentlich anders zu gestalten, als es die Geberländer selbst müssen. Meine Damen und Herren, das ist ein fairer Umgang in der Bundesrepublik und mit den Nachbarn, die uns das Geld geben.

(Beifall der SPD und der FDP)

Von wegen, wir würden eine gemeinsame Front zum Sparen schaffen. Herr Böhr, Sie haben bei dem Aktionstag „Pro Handwerk“ wieder einmal sowohl die spürbare Senkung von Steuern und Abgabenlasten als auch die Senkung von Lohnzusatzkosten gefordert. Ihr generelles Prinzip draußen ist unverändert geblieben. Es bleibt dabei: Die Einnahmen des Staates werden gekürzt, und die Ausgaben des Staates werden hier er

höht. – Die Diskussion, die Sie draußen mit uns führen, fragt nämlich nicht fairerweise danach: Sind die Länder insgesamt in der Lage, Ausgaben für Infrastruktur, für Wirtschaftsförderung und Ähnliches weiter zu steigern? – Dort wird nur gefordert. Es ist etwas vorsichtiger geworden.

Aber spätestens, als Peer Steinbrück und Roland Koch ihren Bericht zum Subventionsabbau vorgelegt haben, wurde die Meinung des Kollegen Böhr deutlich: Ein Abbau von Subventionen müsse jedoch einhergehen mit einer deutlichen Senkung und Vereinfachung der Einkommensteuer.

Was sagen die beiden Ministerpräsidenten, die dies im Gegensatz zum Oppositionsführer verantworten müssen?

Ein umfassender und konsequenter Abbau von Subventionen ist notwendig, um das gesamtstaatliche Defizit zu verringern und so einen wichtigen Beitrag dafür zu leisten, wieder einen Pfad finanzwirtschaftlicher Stabilität zu erreichen. Ist dies gewährleistet, und konnte und sollte der gewonnene Handlungsspielraum für eine zusätzliche Senkung der Steuern genutzt werden?

Meine Damen und Herren, da hören Sie die Stimme der Verantwortung im Umgang mit den Subventionen, und bei Ihnen, Herr Kollege Böhr, hört man einfach nur das Fordern. Sie wissen, dass es am Ende so nicht möglich ist und belegen dafür die Regierung mit dem Vorwurf des Verfassungsbruchs. Das ist unredlich. Das muss ich Ihnen sagen.

(Beifall der SPD und der FDP)

Aber es reicht noch nicht. Am 18. September hat die CDU einen zweiten Nachtragshaushalt gefordert und schrieb in der „Newsletter 285“: „Dabei müssten auch bestehende Landesgesetze im Rahmen eines Haushaltssicherungsgesetzes mit Blick auf ihre Ausgabenwirksamkeit geändert werden, um zusätzliche haushaltspolitische Spielräume zu schaffen.“

Wir haben dann das ganze Haus abgesucht, weil wir dachten, es gebe noch eine zweite Seite, in der eine Liste der Maßnahmen steht, die die CDU vorschlägt.

(Zuruf des Abg. Böhr, CDU)

Ich habe mein Büro verflucht und gesagt: Wo ist die zweite Seite? – Die werden doch bestimmt ganz konkret bestehende Landesgesetze mit Ergebnissen aufgelistet haben, wenn man ihren Vorschlägen folgt. Sie war nicht zu finden. Es gibt zwei Möglichkeiten: Entweder ist mein Büro schlampig, oder Sie haben nichts gemacht.

(Zurufe der Abg. Bracht und Böhr, CDU)

Meine Damen und Herren, wenn Sie vermuten, dass sie nichts gemacht haben, haben Sie vollkommen Recht! Wie seine Rede, so war auch sein Handeln.

(Beifall der SPD und der FDP)

Das erleben wir auch in dieser Debatte. – Das hat mich in der Tat getroffen mit den dicken Backen. Darüber muss ich nachdenken.

(Böhr, CDU: Ich habe dich doch gar nicht gemeint!)

Ja, da bin ich mir nicht sicher.

(Böhr, CDU: Nein, nein! – Zuruf des Abg. Keller, CDU)

Es ist einfach der Wettbewerb in diesem Parlament, mit den besseren Ideen zu kommen. Es reicht nicht aus, jemanden vors Schienbein zu treten und ihm Verfassungsbruch vorzuwerfen. Sie haben natürlich Vorstellungen darüber, wie Sie die Gesellschaft oder den Staat verändern wollen. Aber Sie trauen sich nicht, diese Vorschläge aus dem Sack zu lassen. Frau Merkel hat auch gemeint, man könne jahrelang überleben, indem man zunächst einmal andere ihre Positionen darstellen lässt und sieht, wie es danach losgeht.

Aber wenn wir uns anschauen, wie diese Überlegungen aussehen, frage ich Sie: Wollen Sie wirklich, dass wir beispielsweise bei den Frauenhäusern kürzen, bei denen es meistens um kleine Beträge geht? Wollen Sie wirklich, dass wir die Mittel der Schuldnerberatungsstellen so kürzen, dass deren Arbeit nicht mehr möglich ist?

Wenn Sie als Opposition einen Plan haben, sollten Sie sich doch zumindest wie ein Bauherr in der Lage sehen, die Zahl der Zimmer in Ihrem Haus und die Finanzierung zu beschreiben. Wir erwarten keine ausgerechneten Pläne, aber was wir erwarten, ist, dass Sie ehrlich auf den Tisch legen, wo wir gemeinsam sparen können. Aber diese Ehrlichkeit fehlt seit Jahren.

(Beifall der SPD und der FDP)

Ich will viel selbstkritischer sein, meine Damen und Herren. Die meisten Gewissheiten, mit denen wir die 80erund die 90er-Jahre bestehen konnten, waren: Wachstum führt automatisch zu Steuereinnahmen. Wenn es einmal eine Konjunkturschwäche gab, gab es ein Jahr später wieder einen Aufschwung. Was wir bei der Infrastruktur dieses Jahr nicht machen konnten, konnten wir nächstes oder übernächstes Jahr nachholen.

Sie werfen uns dies vor. Herr Innenminister, ich habe es Ihnen schon einmal öffentlich gesagt: Sie sollten mit den Kommunen nicht so nachsichtig umgehen.

(Zuruf von der SPD: Ja!)

Wenn Ihnen zum Vorwurf gemacht wird, dass Sie die langfristige Finanzierung einer Maßnahme mit verantworten, müssen Sie sich fragen, mit wem Sie sich einlassen. Das kann ich Ihnen nur empfehlen. Ich habe es schon ein paar Mal empfohlen. Das ist eine Art und Weise des Umgangs! – Die Bürgermeister und Oberbürgermeister sagen: Wir brauchen eine bestimmte Maßnahme in unserer Gemeinde. Der Gemeinderat hat dies beschlossen. Wir wissen, momentan steht noch kein Geld zur Verfügung, aber könnt ihr uns die Finanzierung durch langfristige Verpflichtungsermächtigungen si

chern? – Wenn Sie sich breitschlagen lassen, um im Nachhinein nichts anderes als vor die Schienbeine getreten zu bekommen, so ist dies ein Umgang miteinander, bei dem man sich wirklich fragen muss, ob er noch vernünftig ist.

(Beifall der SPD und der FDP)

Diese Gewissheiten haben wir nicht mehr, dass alles wie in den 90er-Jahren läuft. Wir müssen heute nach den Parametern handeln, was wirtschaftlich wirksam, sozial gerecht und politisch durchsetzbar ist. Meine Damen und Herren, langfristige Vorstellungen sind mit dieser Opposition nur sehr schwer durchzusetzen. Wenn wir darüber reden, ob bestimmte Steuervorteile gestrichen werden, und zur gleichen Zeit, geradezu wie ein Pawlow‘scher Reflex, mit einer Neiddiskussion überzogen werden, dann muss ich sagen, es wird immer schwieriger.

Meine Damen und Herren, lieber Herr Kollege Kuhn, ich rede jetzt nur für die SPD. Ich sage dies bewusst, weil ich weiß, auch dort gibt es den „Hund-Glocke-Effekt“. Der Anteil an Steuern, den wir durch unsere Arbeit abgeben, wächst immer mehr. Der Anteil an Steuern, der durch die Umsatzsteuer entsteht, wächst immer mehr. Der Anteil an Steuern aus Vermögen geht dramatisch nach unten. Die Frage der Vitalisierung der Grundsteuer wird in dieser Republik nicht diskutiert. Ich sage auch ausdrücklich nach draußen, es gibt keine innenpolitische Mehrheit für all diese Fragen. Aber sie stehen dennoch auf der Tagesordnung; denn wir müssen darüber reden, ob wir die Arbeit allein als Vehikel für die Einnahmen des Staates ans ehen können. Das ist genau der Punkt.

(Beifall der SPD und der FDP)

Was uns der Finanzminister im Zusammenhang mit dem Umsatzsteuerrecht gesagt hat, ist scheinbar eine Debatte unter Fachleuten. Aber sie ist eine ganz nahe und wichtige Debatte für dieses Land und auch für die Bundesrepublik; denn wir werden schlichtweg ausgenommen wie Weihnachtsgänse. Osterhasen nimmt man so nicht aus.

Meine Damen und Herren, ein letzter Punkt, den ich auch für die SPD anführen möchte, Werner Kuhn:

(Kuhn, FDP: Das war doch eben in Ordnung!)

Ich habe gestern von einem Herrn einen Satz gehört, den ich aufgeschrieben habe und der lautet: „Alle zahlen von allem für alle.“ Dieser Mann war in diesem Parlament eine wichtige Figur und ist es auch in der Bundesrepublik. Es war Heiner Geißler in der Sendung des SWR „Quergefragt“. Oskar Lafontaine war in guter Verfassung.

(Frau Thomas, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Auch da!)

Ja, auch das. Aber die beiden Herren haben sich ausgezeichnet verstanden, als sie gesagt haben: Wir brauchen ein gemeinsames Finanzierungssystem insgesamt, und wir brauchen es vor allen Dingen über alle Einkom

mensarten. Ich denke, dies muss auch einmal in einer haushaltspolitischen Debatte gesagt werden. Wir reden jetzt nicht über das Thema der Krankenversicherung oder der Kopfprämien. Meine Damen und Herren, aber das Beispiel einer Verkäuferin aus dem Kaufhof, die 1.200 Euro verdient, heute 100 Euro Krankenkasse zahlt und künftig 264 Euro zahlen soll und, wenn ihr Ehemann arbeitslos ist, noch einmal 264 Euro zahlen muss, und darüber hinaus noch einmal 60 Euro für die Pflegeversicherung zahlen soll, geht unter die Haut.

(Böhr, CDU: Wer will das denn?)

Moment, jetzt kommt der Punkt.

Nun kommt der entscheidende Punkt. Das ist eine mangelnde Sicht über die Grenze. Es wird dann gesagt, das können wir mit Steuermitteln finanzieren, und Ihr Sozis habt doch normalerweise damit gar keine Probleme. Zur gleichen Zeit, in der gesagt wird, wir müssten die Einkommensteuer eigentlich senken, wird eine Ausgabe von mindestens 27 bis 40 Milliarden Euro für den Bundeshaushalt als ganz normal angesehen. Das ist die Kohärenz der Steuerpolitik der CDU in diesen Tagen. Das kann man wirklich sagen.