Protokoll der Sitzung vom 11.12.2003

Meine Damen und Herren, für die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN möchte ich klarmachen, dass wir natürlich die Einführung nationaler Bildungsstandards unterstützen, und zwar der Bildungsstandards, die der Verbesserung des Bildungssystem dienen, indem sie klare Erwartungen formulieren und den Schulen Orientierung geben. Sie sollen die Schulleistungen bewerten und dürfen eben nicht zur Bewertung individueller Schülerleistungen missbraucht werden. Das ist ein entscheidender Punkt. Dann würde die Idee der Bildungsstandards komplett konterkariert werden. Das ginge dann auch zulasten der Lernenden sowie der Lehrenden.

(Beifall des BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Zuruf des Abg. Kuhn, FDP)

Herr Kuhn, ich erkläre Ihnen das gleich gern.

(Kuhn, FDP: Führen Sie das einmal weiter aus!)

Qualität und Vergleichbarkeit sowie die Durchlässigkeit des Bildungssystems hat sich die Kultusministerkonferenz auf die Fahnen geschrieben – hehre Ziele, keine Frage –, zu denen Bildungsstandards auch tatsächlich beitragen könnten, nämlich dann, wenn Bildungsstandards schulartübergreifende Mindeststandards sind und die Schulen in die Pflicht nehmen, wirklich jeder Schülerin und jedem Schüler das geforderte Mindestmaß an Wissen und Kompetenzen zu vermitteln.

Bildungsstandards schaffen dann mehr Chancengerechtigkeit, wenn Vergleichbarkeit nicht zum Erstellen eines Schulrankings und schon gar nicht zur Bewertung einzelner Schülerinnen und Schüler dient und damit auch noch die Selektivität der Schulen verstärkt. Bewertet werden soll und muss das System Schule, das Bildungssystem, nicht die einzelnen Schülerinnen und Schüler.

Meine Damen und Herren, es ist essenziell, dass dem Bildungsmonitoring, wie dies jetzt modern heißt, nicht Schelte und Vorwürfe folgen und die Unfähigkeit von Lehrerinnen und Lehrern diagnostiziert wird, sondern dort, wo sie gebraucht werden, unterstützende Maßnahmen die Antworten sind.

Meine Damen und Herren, die Befunde nach PISA machen auch in Bezug auf das rheinland-pfälzische Schulsystem die bisherigen Versäumnisse deutlich:

1. Weder das Bildungssystem noch die Schulen erhalten bisher eine systematische Rückmeldung über die Wirksamkeit ihres Handelns.

2. Die Auffassung, dass die frühe Sortierung der Schülerinnen und Schüler in homogene Lerngruppen auch bessere Leistungen aller Schülerinnen und Schüler sichert, hat sich schlicht und ergreifend als falsch erwiesen.

3. Lehrerinnen und Lehrer sind häufig nicht ausreichend dafür qualifiziert worden, die Leistungen ihrer Schülerschaft einzuschätzen und den individuellen Förderbedarf zu diagnostizieren und ihm gerecht zu werden.

Meine Damen und Herren, die erfolgreichen Länder in der PISA-Studie zeigen, wo die notwendigen Entwicklungslinien für unser Bildungssystem liegen. Sie setzen Bildungsstandards zur Verbesserung des Bildungssystems und zur Weiterentwicklung ihrer Schulen ein. Diese Gewinnerländer bei der PISA-Studie definieren mit den Bildungsstandards den Bildungsanspruch von Schülerinnen und Schülern. Bildungsstandards drücken damit das Recht eines jeden Schülers und einer jeden Schülerin aus, das von ihm bzw. ihr Geforderte auch lernen zu können und dafür die notwendige individuelle Förderung zu erfahren.

Meine Damen und Herren, problematisch ist, dass die Kultusministerkonferenz nicht Mindest-, sondern Regelstandards eingeführt hat. Diese werden dazu beitragen, das gegliederte Schulsystem festzuschreiben und nicht, wie nötig, auf den Prüfstand zu stellen.

Frau Ministerin Ahnen, diese Worte „Regelstandards/Mindeststandards“ sind weit mehr als ein Streit um Worte, sondern es geht darum, dass Mindeststandards die Schulen eher in die Pflicht nehmen müssten, um all ihre Schülerinnen und Schüler bis zu einem bestimmten Bereich und Punkt zu fördern. Bei Regelstandards ist es so, dass bei den Schulen viele Schülerinnen und Schüler unten durchrutschen können.

(Glocke des Präsidenten)

Ich glaube, das ist der entscheidende Knackpunkt. Ich glaube, es gibt an den Bildungsstandards noch eine ganze Menge weiterzuentwickeln.

Zusammenfassend: Bildungsstandards ja, aber dann bitte richtig. Das muss die Devise sein.

Ich danke Ihnen.

(Beifall des BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Es spricht Frau Bildungsministerin Doris Ahnen.

Herr Präsident, meine sehr geehrten Damen und Herren! Zunächst bedanke ich mich ganz herzlich für die guten Wünsche. Herr Abgeordneter Keller, Ihre habe ich schriftlich in Form eines Interviews übermittelt bekommen. Meine spontane Reaktion war, der Mann ist ein wahrer Pädagoge. Er sagt mir, eigentlich mache ich es schon ganz ordentlich, aber er sagt mir, ich soll mich auch weiterhin redlich bemühen und anstrengen. Ich habe mich über diese Empfehlung gefreut.

(Vereinzelt Beifall bei SPD, CDU und FDP)

Ich sage es vorneweg. Die Landesregierung begrüßt die Beschlüsse der Kultusministerkonferenz und das weitere Vorgehen zum Thema „Bildungsstandards“ ausdrücklich, weil in der wichtigen Frage der Qualitätssicherung durch Standards aus unserer Sicht ein zügiges und zugleich sorgfältiges Ergebnis erreicht werden konnte.

Sie wissen, die Kultusministerkonferenz bewegt sich zwischen zwei Polen. Die eine Seite sagt, wir brauchen noch viel länger Zeit, um zu diskutieren, die andere Seite sagt, es müsste eigentlich viel schneller gehen. Der zu vollbringende Balanceakt ist, in einer überschaubaren Zeit zu guten Ergebnissen zu kommen. Ich glaube, das ist bei den Bildungsstandards ganz ausdrücklich gelungen.

(Beifall bei SPD und FDP)

Wir alle wissen, dass seit die Ergebnisse der TIMSStudie vorliegen, verstärkt über die Entwicklungsperspektiven in der Bildung diskutiert wird. Insbesondere im Hinblick auf die in der PISA-Studie gewonnenen Befunde und Erkenntnisse haben wir uns in der Kultusministerkonferenz im Dezember 2001 auf sieben zentrale Handlungsfelder verständigt. Ein Handlungsfeld hieß, Maßnahmen zur konsequenten Weiterentwicklung und Sicherung der Qualität von Unterricht auf der Grundlage von verbindlichen Standards sowie eine ergebnisorientierte Evaluation.

Ich erkläre es gleich. Damit war aus meiner Sicht sowohl der Grundstein für die Qualitätsprogrammarbeit als auch für die Entwicklung von Bildungsstandards gelegt. Dem liegt die Erkenntnis zugrunde – Frau Morsblech hat schon darauf hingewiesen –, dass international erfolgreiche Systeme drei Dinge tun: Sie geben den Schulen erheblich mehr Selbstständigkeit, als das heute in allen Ländern der Bundesrepublik Deutschland der Fall ist. Gleichzeitig formulieren sie aber verbindliche Standards, und sie etablieren zum Dritten ein umfassendes Rückkopplungs-, man könnte auch sagen Evaluationssystem. Im Kern geht es um diese drei Punkte in unserem Schulsystem.

(Beifall bei SPD und FDP)

Ich will das gar nicht kleinreden. Das wird für alle Länder der Bundesrepublik Deutschland und auch für Rheinland-Pfalz eine erhebliche Umstellung sein. Man muss sich der Größe der Aufgabe gegenwärtig sein, weil man sonst unrealistische Anforderungen stellt. Ich sage dazu, es trifft uns nicht ganz unvorbereitet. Alle Schulen des Landes haben bereits ein Qualitätsprogramm gemacht, in denen sie sich auch an solchen Perspektiven orientiert haben. Wir haben unsere Vergleichsarbeiten VERA durchgeführt, die versucht haben, parallel zur Entwicklung der Grundschulstandards auf Kultusministerkonferenzebene diese schon in den Prozess mit einzubeziehen. Ich sage nicht, dass die sich jetzt an den kommenden Standards orientieren, aber es gibt eine hohe Parallelität und damit Erfahrungen im Verfahren. Bei den Rahmenlehrplänen in den Grundschulen haben wir bereits darauf geachtet, dass wir möglichst viel mit aufnehmen. Wir haben eine große Aufgabe. Wir haben Dinge, an denen wir ansetzen können. Das ist für die Schulen auch ganz wichtig, glaube ich.

Es ist darauf hingewiesen worden, dass die Standards die Grundprinzipien des jeweiligen Unterrichtsfaches aufgreifen und erwartete Leistungen in Anforderungsbereichen beschreiben. Sie beziehen sich auf den Kernbereich des jeweiligen Fachs und geben den Schulen Gestaltungsspielräume. Sie werden durch Aufgabenbeispiele veranschaulicht.

Herr Abgeordneter Wiechmann, ich kenne die Diskussion über Regelstandard oder Mindeststandard. Ich trage ausdrücklich den Weg mit, den die Kultusministerkonferenz gewählt hat, nämlich ein realistisch im Mittel zu erwartendes Niveau zu beschreiben.

(Beifall bei SPD und FDP)

Es sind nicht Mindeststandards zu machen. Ich will Ihnen das erklären.

(Zuruf des Abg. Wiechmann, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Gerade bei Ihrer Argumentation ist es mir an der Stelle schon gelungen, den einen oder anderen, der hart auf Mindeststandards war, zum Nachdenken zu bringen.

(Zuruf des Abg. Pörksen, SPD)

Wir setzen ein neues Instrumentarium um. Wir haben Standards. Wir werden sie in der Zukunft normieren und überprüfen. Wir wissen alle zusammen, dass das ein Entwicklungsprozess ist. Ich sage Ihnen, ich halte es für viel problematischer mit den noch unzureichenden Erfahrungen zum jetzigen Zeitpunkt zu sagen: Das ist die Hürde, da musst du rüber, dann hast du es geschafft, das ist die Hürde, dann hast du es nicht geschafft. – Das wären Mindeststandards.

(Vereinzelt Beifall bei SPD und FDP – Wiechmann, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Das sind Mindeststandards!)

Die Mindeststandards können sehr viel selektiver wirken als Regelstandards, wenn sie falsch eingesetzt werden. Ich sage das in aller Deutlichkeit.

(Beifall bei SPD und FDP – Creutzmann, FDP: So ist es!)

Die Standards basieren auf Kompetenzmodellen. Darauf ist hingewiesen worden. Wir als Länder haben uns verpflichtet, die Standards zu implementieren, anzuwenden und ihre Einhaltung unter Berücksichtigung der Entwicklungen in den Fachwissenschaften, der Fachdidaktik und in der Schulpraxis zu überprüfen. Es sollen übrigens Länder gemeinsam überprüfen. Es ist bereits auf die Qualitätsagentur hingewiesen worden.

Ich will Ihnen abschließend ein paar wenige Hinweise geben, weil Sie die Frage gestellt hatten, wie es im Land Rheinland-Pfalz weitergeht. Wir werden alle Voraussetzungen dafür schaffen, dass eine möglichst umfassende Information und möglichst gute Unterstützung der Schulen erfolgt, und das dann zügig platzgreifend. Wir werden im Januar in einer zentralen Auftaktveranstaltung alle Schulleiterinnen und Schulleiter von Schulen mit S-I-Abschluss informieren. Wir werden ca. 20 regionale Veranstaltungen mit den Fachkonferenzen der Fächer Deutsch, Englisch, Französisch und Mathematik durchführen. Das geschieht zusammen mit den Serviceeinrichtungen, mit Moderatorinnen und Moderatoren, und selbstverständlich auch mit der Schulaufsicht. Wir werden zusammen mit den pädagogischen Serviceeinrichtungen so genannte Erwartungshorizonte für bestimmte Klassenstufen der Sekundarstufe I formulieren, die auf den Standards und auch auf den Lehrplänen beruhen. Das ist der wichtige Satz. Es macht keinen Sinn, die Lehrpläne einfach außer Kraft zu setzen.

(Vereinzelt Beifall bei SPD und FDP)

Wir müssen die Lehrpläne durchschauen, wie sie zu den Standards passen und wie man an den entsprechenden Stellen darauf hinarbeiten kann. Ich denke, das ist ein pragmatisches Verfahren für die Schulen. Es geht darum, die Schulen schnell mit auf den Zug zu nehmen und sie gleichzeitig nicht zu überfordern.

Ich sage es noch einmal aus meiner Sicht. Ich glaube, wir haben ein gutes Ergebnis erzielt. Herr Abgeordneter Keller, ich sage dazu, für mich sind die Standards primär eine Anforderung an das Schulsystem, aber sie sind nutzbar, um Förderung von Schülerinnen und Schülern abzuleiten. Dies will ich unbedingt. Ich sage dazu, deswegen sind Abschlussprüfungen an dieser Stelle aus meiner Sicht nicht das einzige und geforderte Instrument. Ich will die Standards nutzen, um Schülerinnen und Schüler zu fördern. Im Gegenteil, wenn wir Förderung wollen, dann müssen wir vor allen Dingen prozessbegleitend Ergebnisse festlegen, wie wir es zum Beispiel bei VERA tun und bei MARKUS getan haben, damit daraus wirklich eine Förderung für Schülerinnen und Schüler wird. Förderung ist die zentrale Anforderung nach PISA, um wirklich zu guten Ergebnissen zu kommen.

(Beifall bei SPD und FDP)

Meine Damen und Herren, wer Probleme hat durchzublicken, dem fehlt möglicherweise seine Brille. Sie ist hier vorn abzuholen.

(Heiterkeit im Hause)

Ich freue mich, Gäste im Landtag begrüßen zu können, und zwar Mitglieder des CDU-Ortsverbands Hochstadt sowie Mitglieder der Frauen-Union aus Betzdorf. Seien Sie herzlich gegrüßt!

(Beifall im Hause)

Es spricht noch einmal Frau Abgeordnete Morsblech.