Protokoll der Sitzung vom 12.02.2004

(Beifall der FDP und bei der SPD)

Knapp ein Jahr nach der Unterzeichnung der Beitrittsverträge in Athen wird die Zahl der EU-Mitgliedstaaten von nun 15 auf 25 steigen. Mit Estland, Lettland, Litauen, Polen, Tschechien, der Slowakei, Ungarn, Slowenien, Zypern und Malta wächst die EU um 75 Millionen auf 455 Millionen Menschen. Die heutige Fläche der EU wird sich um rund ein Viertel vergrößern. Meine Damen und Herren, insgesamt entsteht der weltweit größte einheitliche Markt.

Die acht Beitrittsstaaten Mittel- und Osteuropas werden durch ein überaus dynamisches Umfeld mit kräftigen Wachstumsraten geprägt. So verzeichnen etwa Lettland und Litauen ein Wirtschaftswachstum pro Jahr von sechs bis acht Prozent. Dabei muss man natürlich immer auch den Basiseffekt wissen, aber gleichwohl sind dies enorme Zahlen. In diesem Bereich liegen wichtige Zukunftsmärkte auch und im Besonderen für die exportstarken rheinland-pfälzischen Unternehmen; dies zumal, als die Bundesrepublik Deutschland neben Österreich, dem räumlich nächsten Nachbarn wirtschaftlich eine Brückenfunktion einnimmt und für die meisten Beitritts

länder bereits der wichtigste Handels- und Investitionspartner geworden ist.

Der EU-Beitritt wird zusätzlich größere politische Sicherheit und ökonomische Stabilität bringen. Noch bestehende Beschränkungen des Marktzugangs werden fallen.

Meine Damen und Herren, die Erweiterung bietet unserer Wirtschaft vielfältigste Chancen in allen Ländern Mittel- und Osteuropas. Denken Sie nur an Polen, das allein schon für einen Markt von 40 Millionen Einwohnern steht und damit für entsprechende Absatzchancen unserer Wirtschaft.

Denken Sie an den traditionellen Industriestandort Tschechien mit seinem immer noch enormen Investitionsbedarf in Anlagen und Maschinen. Denken Sie an die baltischen Staaten mit ihrer Drehscheibenfunktion zwischen Skandinavien, Russland und Mitteleuropa.

Die sich nun weit öffnenden Chancen – sei es im Bereich von Beschaffung, Absatz oder Produktion sowie der gesamten Palette der deutschen Ingenieurleistungen – gilt es zielgerichtet zu nutzen. Rheinland-Pfalz ist dabei auf einem guten Weg.

(Beifall der FDP und der SPD)

Schon heute sind neben den großen Unternehmen unseres Landes viele Mittelständler aus Rheinland-Pfalz sowohl im Güter- als auch im Dienstleistungsbereich erfolgreich in diesen Staaten tätig. Ich sehe darin einen hervorragenden Erfolg auch der Arbeit meines Ministeriums. Das Wirtschaftsministerium Rheinland-Pfalz hat bereits Mitte der 90er-Jahre begonnen, die Wirtschaftskontakte in diese Regionen gezielt aufzubauen. Als ein herausragendes Beispiel darf ich etwa das gemeinsame Wirtschaftsbüro der Woiwodschaft Oppeln und von Rheinland-Pfalz nennen. Heute verfügen wir über ein gutes Netz von Wirtschaftspartnern aller Branchen in diesen Ländern.

Das Engagement des Wirtschaftsministeriums in den MOE-Ländern setzt dabei insbesondere auch Schwerpunkte in den Wachstumsregionen außerhalb der großen Kapitalen. Wir tun dies aus der Überzeugung, dass diese Strategie den Anliegen gerade auch der kleinen und mittleren Unternehmen in unserem Land entspricht und so eine höhere Aufmerksamkeit für rheinlandpfälzische Unternehmen, Produkte und Dienstleistungen garantiert ist.

Rheinland-Pfalz unterhält heute zu den Beitrittsländern der ersten wie auch der voraussichtlich zweiten Runde intensive Kontakte. So hat der Ministerpräsident im letzten Jahr Polen, Tschechien und Ungarn besucht. Umgekehrt war die Landesregierung Gastgeber für zahlreiche ranghohe politische Repräsentanten der Beitrittsstaaten. Es besteht eine erfolgreiche und vertrauensvolle Zusammenarbeit, die durch entsprechende Geschäftserfolge eindrucksvoll belegt wird. Allein in Ungarn sind heute rund 500 rheinland-pfälzische Firmen tätig.

Beispielhaft darf ich in den MOE-Staaten engagierte rheinland-pfälzische Branchen nennen:

Maschinenbau für die Weinwirtschaft in Ungarn, – Abfallwirtschaft in Ungarn, Kroatien und Tschechien, – Straßenbaumaschinen wie z. B. im Baltikum, Tschechien, Polen, Weißrussland und Russland.

Auch ist Rheinland-Pfalz im Bereich der grenzüberschreitenden Projekte etwa zwischen Ungarn und Rumänien in der Logistik, der Abfall- und Entsorgungswirtschaft sowie zwischen den Ländern Slowakei und Polen im Bereich des Tourismus, des Maschinenbaus und der Umweltbranche aktiv. Ferner gibt es in diesem Jahr Vorhaben im Bereich der Automobilzulieferindustrie, wo Kooperationen rheinland-pfälzischer Firmen mit tschechischen und slowakischen Partnern angestrebt werden.

Gerade diese hochwertigen Produkte und Dienstleistungen haben hervorragende Marktchancen in unseren neuen EU-Nachbarstaaten, meine Damen und Herren. Der Maschinenbau wurde bereits mehrfach genannt. Es gibt ferner einen ganz enormen Bedarf an westlichem Know-how bei Planung und Bau moderner Infrastrukturen, Betriebsstätten und im Umweltbereich.

Es sind beispielhaft die Premium-Marktsegmente, in denen die deutschen, namentlich die rheinlandpfälzischen Unternehmen, mit ihrer hohen Produktivität, ihrer Innovationskraft und anerkannten Qualität im intensiver werdenden Wettbewerb die Nase vorn haben.

Meine Damen und Herren, Qualität, Innovationskraft und Produktivität sind die Trümpfe, mit denen unsere Unternehmen aus allen Branchen künftig noch stärker punkten und – davon bin ich überzeugt – auch punkten können. Auf das Erreichen dieser Ziele müssen sich alle unsere Anstrengungen konzentrieren.

Unsere neuen EU-Partner haben ihrerseits bei den Lohnkosten gute Karten. Damit werden sie zumindest in den kommenden Jahren gerade bei den arbeitsintens iven Produkten und Dienstleistungen wahrscheinlich bei den Gewinnern sein.

Aber für die Landesregierung steht auch fest: Freihandel und Kapitalmobilität sind kein Nullsummenspiel. Im Gegenteil, beide Seiten, Mittel- und Osteuropa und Rheinland-Pfalz, werden davon profitieren.

(Beifall der FDP und der SPD)

Meine Damen und Herren, es ist erfreulich, dass qualitativ hochwertige Produkte gerade aus Deutschland bei den bereits jetzt mit zum Teil hoher Kaufkraft ausgestatteten und überaus markenbewussten Konsumenten Mittel- und Osteuropas begehrt sind. Hier liegen Chancen für die rheinland-pfälzische Konsumgüterindustrie und Chancen für unsere Ernährungswirtschaft.

Auch dem Handwerk bietet die EU-Osterweiterung erhebliche wirtschaftliche Potenziale. Dabei geht es nicht nur um die Nutzung der Beschaffungsmärkte und um günstige Einkaufsmöglichkeiten, sondern vor allem auch um grenzüberschreitende Kooperationen und Investitio

nen. Die wirtschaftlichen Wachstumsimpulse der Binnenmarkterweiterung sowie die Stärkung der Kaufkraft werden nicht zuletzt dem Tourismus zugute kommen, meine Damen und Herren. Rund 4,9 Millionen Deutschland-Reisen gab es aus den osteuropäischen Beitrittsländern im Jahr 2002.

Für Polen ist Deutschland mit einem Marktanteil von 35 % Reiseland Nummer Eins. Bis 2005 rechnet die Deutsche Zentrale für Touristik mit einem Volumen von rund 5,6 Millionen Reisen aus den acht osteuropäischen Beitrittsländern. Rheinland-Pfalz zählte bereits im Jahr 2002 rund 110.000 Übernachtungen aus den osteuropäischen Ländern Russland, Polen, baltische Staaten, Tschechische Republik und Ungarn.

Die positive Dynamik des rheinland-pfälzischen Engagements zeigt sich deutlich an der Entwicklung des rheinland-pfälzischen Handels mit den MOE-Staaten. Dieser hat sich seit Mitte der 90er Jahre mehr als verdoppelt. Im Vergleich der Monate Januar bis September 2003 zu 2002 ist der rheinland-pfälzische Außenhandel mit den acht beitretenden MOE-Staaten um 7,5 Prozent gestiegen.

Der Anteil aller zehn beitrittswilligen MOE-Länder, eingeschlossen also auch Bulgarien und Rumänien, betrug Ende 2003 bereits 10,5 Prozent des rheinlandpfälzischen Gesamthandels.

Vom Handelsvolumen her sind die wichtigsten Handelspartner Polen und Tschechien gefolgt von Ungarn. Allein der Handel mit diesen Staaten ist mit rund drei Milliarden Euro pro Jahr etwa so groß wie der mit den USA.

Wichtige Standortvorteile der Erweiterungsländer sind neben den erwähnten Löhnen auch die steuerlichen Aspekte. Verfolgt man die Entwicklungen im Bereich der Einkommen- oder der Körperschaftsteuer in etlichen der Erweiterungsstaaten, so braucht man kein Prophet zu sein, um vorherzusagen, dass gerade der Steuerwettbewerb nach der EU-Osterweiterung äußerst intensiv sein wird.

Aber auch hier ist die Landesregierung der Überzeugung: Von diesem Wettbewerb der Systeme werden letztendlich alle Seiten profitieren.

Die Länder Mittel- und Osteuropas stehen auch in der Pflicht, eisern zu sparen, um in einigen Jahren der Eurozone beitreten zu können. Es ist daher wichtig und richtig, dass in einer erweiterten Union die EUKohäsionspolitik gerade auch für die MOE-Staaten einen zentralen Stellenwert einnehmen wird. Ein zügiger Aufholprozess in diesen Ländern liegt im gesamten EU- wie auch im besonderen deutschen Interesse, dies gerade im Hinblick auf etwa noch günstigere Perspektiven für die deutschen Exporte und Direktinvestitionen.

Die vor diesem Hintergrund bereits seit einiger Zeit diskutierte Neuausrichtung der EU-Kohäsionspolitik für die Zeit ab 2007 ist für die deutschen Bundesländer, namentlich für Rheinland-Pfalz, dennoch alles andere als unproblematisch. So ist aus heutiger Sicht durchaus damit zu rechnen, dass die EU-Osterweiterung zumin

dest zu einer Einschränkung der Mittel für die EURegionalförderung insbesondere in den heutigen Ziel-2Gebieten führen wird. Nähere Informationen zur Fortsetzung der Strukturfondsförderung wird der dritte Kohäs ionsbericht der EU geben, der in wenigen Tagen von der Kommission vorgelegt werden soll.

Die Landesregierung hat sich bereits seit Beginn der Diskussion in den relevanten Gremien sowie gegenüber der Bundesregierung nachdrücklich für den Erhalt einer wirksamen EU-Regionalpolitik eingesetzt und eine geeignete Fortführung der Ziel-2-Förderung auch für Rheinland-Pfalz gefordert.

(Beifall bei FDP und SPD)

Auch in Rheinland-Pfalz gibt es nach wie vor strukturschwache Gebiete, zum Beispiel die Westpfalz, die auf Strukturhilfen zur Bewältigung ihrer Herausforderungen angewiesen sind. Wir verfolgen die aktuelle Diskussion daher mit hoher Aufmerksamkeit.

Wichtig sind zudem Freiräume für eine eigenständige Regionalpolitik mit eigenen Mitteln. Hierzu bedarf es der immer wieder geforderten Neuregelung der EUBeihilfevorschriften. Vor diesem Hintergrund betone ich: Die Landesregierung ist gegen die derzeit diskutierte vollständige Abschaffung der Gemeinschaftsaufgabe zur Verbesserung der regionalen Wirtschaftsstruktur.

Meine Damen und Herren, für einen anderen, ebenfalls seit langem in der Diskussion stehenden Bereich wurde bereits eine gute Lösung gefunden. Gerade auch von Seiten des Handwerks und der Bauwirtschaft wurde intensiv vor der Gefahr eines ungeregelten Zustroms ausländischer Arbeitnehmer und Dienstleister – vor allem in den werkstattungebundenen Bereichen – für die Arbeitsplätze gewarnt.

Die nun vorgesehenen mehrjährigen, flexiblen Übergangsfristen im Bereich der Freizügigkeit von Arbeitnehmern und Dienstleistungen sind aus Sicht der Landesregierung adäquat, da sie einerseits unserer Wirtschaft Zeit zur Anpassung geben, andererseits aber auch klare Perspektiven für die Mobilität von Arbeitskräften geben.

(Beifall bei FDP und SPD)

Vorgesehen ist eine Regelung des Zustroms von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern nach nationalem Recht entsprechend den arbeitsmarktpolitischen Gegebenheiten, dies für einen Zeitraum von maximal sieben Jahren bei gleichzeitiger Möglichkeit einer bedarfsorientierten Zuwanderung.

Die Landesregierung begrüßt es, dass die bis zum 31. Dezember 2003 geltende Regelung für den Einsatz osteuropäischer Saisonarbeitskräfte in der Landwirtschaft nunmehr bis Ende 2005 verlängert und gleichzeitig in einigen Punkten flexibler gestaltet wurde. Damit verfügen die landwirtschaftlichen Unternehmen weiterhin über die erforderliche Planungssicherheit. Der Einsatz mittel- und osteuropäischer Saisonarbeitskräfte zur Bewältigung saisonaler Arbeitsspitzen ist also weiterhin möglich.

Meine Damen und Herren, Rheinland-Pfalz befindet sich mit seiner zentralen Lage im Schnittpunkt europäischer Wirtschaftsstukturen, gerade auch in Ost-WestRichtung. Die EU-Erweiterung in Richtung Osten wird ein deutliches Anwachsen der grenzüberschreitenden Verkehrsströme bewirken. Insbesondere beim Straßengüterverkehr zwischen der EU und den derzeitigen Beitrittsländern werden sehr hohe Zuwachsraten erwartet. Aus diesem Grund wird ein effizientes und integriertes Verkehrssystem benötigt, das den großen, europäischen Achsen Rechnung trägt.

Rheinland-Pfalz wird daher in den nächsten Jahren seine Bemühungen bei der Unterhaltung und beim Ausbau des bestehenden Straßennetzes verstärkt fortsetzen. Ich sage dies auch und gerade vor dem Hintergrund der außerordentlich schwierigen Finanzsituation insbesondere durch die Probleme mit der Mauteinführung.

Damit wir zukünftig nicht von einer Verkehrslawine überrollt werden und im europäischen Wettbewerb nicht zurückfallen, brauchen wir dringend eine dauerhafte Finanzierung der Verkehrswegeinvestitionen. An vorderster Stelle steht dabei die Beseitigung bestehender Engpässe sowohl im Bundesfernstraßenbau als auch beim Landesstraßenbau.

Gerade mit Blick auf die zusätzlichen Ost-WestVerkehre müssen wir weitere Verbesserungen auf den Ost-West-Verbindungen ins Auge fassen. Ich nenne dabei insbesondere die B 50 mit dem Hochmoselübergang.

Allerdings kann das wachsende Verkehrsaufkommen, vor allem im Güterverkehrsbereich, nicht allein auf der Straße abgewickelt werden. Die Wettbewerbsposition der Schiene darf deshalb nicht durch zu starke Einschnitte in die Betriebsmittel oder in die Schieneninfrastruktur verschlechtert werden.

(Beifall bei FDP und SPD)

Hierzu steht die Umsetzung verschiedener Liberalisierungsmaßnahmen auf europäischer Ebene in den nächsten Jahren an.

Auf dem Güterverkehrsmarkt wird ein hohes Wachstumspotential erwartet, das den Transporteuren, Logistikern und den sonst am Markt Beteiligten Chancen auf diesem Wachstumsmarkt auch in den Beitrittsländern ermöglicht.

Allerdings wird der Wettbewerbsdruck nicht nur im OstWest-Verkehr durch den verstärkten Eintritt der osteuropäischen Unternehmen zunehmen. Vielmehr werden generell deutsche Binnentransporte und grenzüberschreitende europäische Verkehre unter Druck geraten. Das gilt insbesondere für Transportgüter mit geringen logistischen Anforderungen.