Protokoll der Sitzung vom 30.06.2004

Ein letzter Punkt: Auch hier ist wieder die Frage eines Referendums angesprochen worden. Ich habe hier den Text der Verfassung, wie er vom Konvent vereinbart worden ist, plus das, was jetzt auf der Regierungskonferenz in Brüssel ergänzend und ändernd beschlossen worden ist. Über welchen Teil dieses komplizierten Werkes mit so vielen Dimensionen, über die hier diskutiert worden ist, wollen Sie eine Abstimmung machen? Ich halte es in dieser Situation schon für gefährlich, dass beispielsweise in Großbritannien angesichts der dortigen Stimmung jetzt aus innenpolitischen Gründen ein Referendum angesetzt worden ist.

(Vereinzelt Beifall bei der SPD)

Für völlig überzogen aber und dem Grundverständnis dieser Europäischen Union, nämlich auch der Gleichwertigkeit der Staaten in Europa widersprechend, halte ich die Idee eines europaweiten Referendums. Sie werden bei den Freunden in Malta, die gerade beigetreten sind und 380.000 Einwohner haben, natürlich große Freude auslösen, wenn Sie sagen, dass Ihre Stimme – jede einzelne – genauso gewichtet wird wie jede einzelne Stimme von 65 Millionen wahlberechtigten Deutschen. So kann Europa – zumindest noch nicht – nicht funktionieren.

Vielen Dank.

(Beifall der SPD und vereinzelt bei der FDP)

Das Wort hat nun Herr Abgeordneter Schreiner.

Herr Präsident, meine sehr geehrten Damen und Herren! Subsidiarität und Bürgernähe sind hohe Ziele. Die Verfassung für Europa ist sicherlich ein wichtiger Schritt auf dem Weg dorthin. Im Kern geht es aber meines Erachtens schon darum, dass wir vor dem Hintergrund der in der Verfassung festgelegten Verfahren in Zukunft als Länder, als Regionen in Europa darauf achten müssen, dass wir unsere regionalen Interessen und unsere Interessen, die wir als Länder haben, gerade in den Nationalstaaten durchsetzen. Nicht ohne Grund be

schäftigen wir uns in Deutschland mit einer Reform des Föderalismus. Das Frühwarnsystem, wie es in der Europäischen Verfassung verankert wird, ist gut, eine Entflechtung der Kompetenzen – das wäre der nächste Schritt – wäre besser, und zwar eine Entflechtung der Kompetenzen auf nationaler Ebene, damit klar wird, welche Ebene in Europa für welche Aufgabe verantwortlich ist, was auf europäischer Ebene gelöst wird und was innerhalb der Nationalstaaten von den Aufgaben, die dann noch übrig bleiben, die man sich behält, für die man kämpft, von der nationalen Ebene, von Bundestag, Bundesregierung und Bundesrat gelöst wird und was auf Länderebene und auf kommunaler Ebene gelöst wird. Das muss klar voneinander getrennt sein, damit die Bürger wählen können.

(Dr. Schiffmann, SPD: Schauen wir einmal, was dabei herauskommt!)

Der zweite Punkt in diesem Zusammenhang ist, dass wir dann eben auch in unserem Deutschland dafür werben müssen, dass es regionale Interessen und Interessen der Länder gibt. Da ist meines Erachtens gerade für uns als Länderparlamente noch viel zu tun. Wenn ich mir das beispielsweise im Bereich der Schule oder der Hochschule überlege, dann müssen wir uns all diesen Tendenzen der Zentralisierung deutlich entgegensetzen, sonst funktioniert das nicht. Die Bürger müssen den Föderalismus wollen. Wenn uns als Bundesländer, wenn uns als Abgeordnete der Parlamente, wenn Zentralisierungstendenzen beispielsweise im Bereich der Elitehochschulen, Ganztagsschulen usw. ruchbar werden, dann müssen wir uns als Bundesländer dem entgegensetzen und müssen klar sagen, was die Interessen unserer Bundesländer sind, und den Bürgern deutlich machen, warum wir Föderalismus wollen.

(Beifall der CDU)

Der dritte Schritt ist, dass wir, wenn wir die Subsidiarität als Bundesländer ernst meinen, dann eben auch auf regionaler Ebene, auf Ebene der Bundesländer, kooperieren müssen. Da gibt es viele gute Beispiele, an denen wir weiterarbeiten müssen. Die Kooperation der Hochschulen ist etwas, was schon über Jahrzehnte hervorragend funktioniert: Austausch von Wissenschaftlern, Austausch von Studenten, zunehmend auch die Anerkennung von Studienabschlüssen. – Das sind Beispiele, wo gezeigt wird, dass Föderalismus funktioniert, dass es gerade doch klappt, wenn Bundesländer die Verantwortung haben – in diesem Bereich für die Hochschulpolitik – und es nicht auf nationaler Ebene in Deutschland gelöst wird wie in anderen europäischen Staaten, dass es trotzdem sehr gut und sehr produktiv ist, wenn Regionen miteinander kooperieren.

Wir haben jetzt relativ aktuell noch das Beispiel des 4erNetzwerks, wo sehr viel auch schon im kulturellen Miteinander funktioniert, in dem Burgund, Oppeln, Mittelböhmen und Rheinland-Pfalz sehr gut zusammenarbeiten, wo wir natürlich aber auch weitermachen müssen. Wir müssen auch in dem 4er-Netzwerk gemeinsam Industriepolitik machen, damit wir für europäische Politik überzeugen können. Damit wir für Föderalismus überzeugen können, müssen wir den Menschen auch deutlich machen, dass man mit Kooperation in europäischen

Fragen in Kooperation mit anderen europäischen Regionen Arbeitsplätze sichern kann.

Ein letztes Beispiel, das sehr positiv ist, ist zum Beispiel im Bereich der regionalen Kooperation etwas wie der Zweckverband PAMINA. Da darf die Bundesregierung – da stimme ich Ihrer Landrätin zu, Herr Ministerpräs ident – einer Politik nicht die Hand reichen, die dringend erforderliche INTERREG-Mittel in solchen Regionen, wie sie überall in Deutschland an den Grenzen vorhanden sind, wegnimmt. Es ist wichtig, dass wir auch in den Regionen, die schon zum alten Kernbestand Europas gehören, in diesen Grenzregionen nach wie vor mit INTERREG-Mitteln Politik machen. In dem Zweckverband PAMINA ist enorm viel geleistet worden und muss in Zukunft auch enorm viel geleistet werden. Insofern haben wir da Beispiele. Wir müssen von diesen Beispielen, wenn wir über die Europäische Union sprechen, auch positiv reden. Dann wird meines Erachtens auch die Bereitschaft der Bürger, die konkreten Vorteile, die Europa ihnen bringt, zu sehen, steigen. Dann wird auch die Unlust, bei Europawahlen wählen zu gehen, abnehmen. Das ist das, was wir als Politiker als wichtige Aufgabe meines Erachtens auch in den Landtagen in den nächsten Jahren und Jahrzehnten zu leisten haben.

Vielen Dank.

(Beifall der CDU)

Es spricht Herr Abgeordneter Dr. Geisen.

Herr Präsident, meine sehr geehrten Damen und Herren! Dass wir die EU-Verfassung grundsätzlich begrüßen, habe ich meines Erachtens eben sehr deutlich gemacht. Aus liberaler Sicht bin ich aber der Meinung, dass man auch einige Punkte am vorliegenden Entwurf kritisieren darf, ohne dass das unseren Parlamentsfrieden stören dürfte.

(Beifall der Abg. Frau Schmidt, CDU)

Vor allen Dingen in den Bereichen Wirtschaft und Subsidiarität wäre nach Ansicht von uns Freien Demokraten noch einiges verbesserungsbedürftig gewesen. So hätte meines Erachtens das Subsidiaritätsprinzip bereits in der Präambel und bei den Werten und Zielen der EU ausdrücklich verankert werden müssen. Auch dass die letztendliche Entscheidung über einen möglichen Verstoß gegen das Subsidiaritätsprinzip bei dem Europäischen Gerichtshof in Luxemburg liegt, ist in unseren Augen ein Schritt hin zu mehr Zentralisierung.

Zur Unterstreichung der Bedeutung der Stellung der Europäischen Zentralbank in Frankfurt/Main hätten wir es begrüßt, wenn diese schon unter Kapitel 1 – Institutioneller Rahmen – anstatt erst in Kapitel 2 – Sonstige Organe und Einrichtungen – in der Verfassung verankert worden wäre. Der Hort der Geldwertstabilität hätte als hochrangige Institution der Währungsverfassung der

Union und Teil des europäischen Systems der Zentralbanken einen besonderen Status erhalten müssen. Aus liberaler Sicht muss die Unabhängigkeit der Europäischen Zentralbank und der nationalen Notenbank verlässlich und auf Dauer gesichert werden. Zu begrüßen ist jedoch, dass in der EU-Verfassung auch auf Drängen der Europäischen Zentralbank hin die Preisstabilität als Ziel der Union erhalten bleibt.

(Beifall der FDP)

Gerade in der Sozial-, Industrie-, Forschungs- und Gesundheitspolitik greift mit der Verfassung eine erweiterte Koordinierung der nationalen Politik.

Der EU-Kommission eröffnet dies ein Einfallstor für eigene Initiativen.

Meine sehr geehrten Damen und Herren, wie jeder weiß, ist Politik die Kunst des Möglichen. Jeder im Hause weiß auch, wie die Mehrheitsverhältnisse im Rat und im Europäischen Parlament aussehen. Deswegen stellt jedes Dokument letztlich einen Kompromiss zwischen den beiden großen Fraktionen, der Fraktionen der europäischen Volksparteien und der sozialdemokratischen Parteien, dar.

Wir Freien Demokraten müssen und können aber auch mit der gerade beschlossenen EU-Verfassung leben. Was sich die FDP-Fraktion aber hinsichtlich der Ratifizierung der EU-Verfassung wünscht, ist, dass trotz der geäußerten Bedenken das deutsche Volk in einer Volksabstimmung befragt werden sollte. Wir von der FDP sind sicher, dass die Mehrheit der Deutschen das so will.

Schönen Dank.

(Beifall der FDP und bei der SPD)

Ich erteile Herrn Abgeordneten Wiechmann das Wort.

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Herr Ministerpräsident, auf zwei Punkte, die Sie angesprochen haben, würde ich gern eingehen.

Zum einen möchte ich mich bei Ihnen ganz herzlich für Ihr Angebot bedanken, sich in Bezug auf die Ausgestaltung des Frühwarnsystems im Vorfeld auch mit Landesregierung und Landtag zusammenzusetzen und zu überlegen, wie wir das ausgestalten können. Sie können sicher sein, dass wir an solchen Gesprächen sehr interessiert sind.

Zum anderen, zum europaweiten Referendum, haben wir allerdings einen Dissens.

Ich glaube, wenn wir ein europäisches Referendum organisieren könnten, dann hätten wir als Politikerinnen und Politiker gemeinsam die Verantwortung, den Menschen zu verdeutlichen, dass es zu einem Zusammen

wachsen Europas überhaupt keine Alternative gibt. Was wäre denn die Alternative? Die Alternative wäre im Endeffekt nur: Raus aus der Europäischen Union! – Das wäre die Alternative. Wenn wir den Bürgerinnen und Bürgern eine klare Alternative geben, entweder machen wir mit dieser Europäischen Verfassung weiter, weil wir die Integration und Europa nach vorn stellen wollen, oder wir gehen raus aus der EU, dann bin ich optimistisch genug zu sagen, dass die Bürgerinnen und Bürger Europas nicht nur bei uns in Deutschland, sondern auch in den anderen Mitgliedsstaaten sich für Europa entscheiden werden.

Meine Damen und Herren, wenn wir es hinbekommen, dass die Europäische Verfassung in trockene Tücher gekleidet ist, dann beginnt für uns in Rheinland-Pfalz wieder der Alltag der europäischen Politik. Einiges hat Herr Kollege Schreiner schon angesprochen. Die Stichworte, die uns in Rheinland-Pfalz ganz besonders bewegen, sind finanzielle Vorausschau, Zukunft der Strukturfonds, grenzüberschreitende Kooperation.

Die Forderungen der GRÜNEN sind klar. Ich möchte sie noch einmal formulieren. Wenn wir es mit mehr Europa wirklich ernst meinen, dann können wir nicht mit weniger Geld mehr Europa gestalten. Auch im Eigeninteresse, auch im Interesse von Rheinland-Pfalz müssen wir an einer angemessenen Ausstattung der Struktur- und Regionalförderung interessiert sein. Wir müssen versuchen, uns gemeinsam auf den Weg zu begeben, damit wir das, was die EU-Kommission meiner Meinung nach sehr maßvoll gefordert hat, was die finanzielle Vorausschau und die Zukunft der Strukturfonds anbelangt, uns zu Eigen und deutlich machen, dass das eine Position des Landes Rheinland-Pfalz ist.

(Ministerpräsident Beck: Das sieht der Außenminister anders!)

Ich weiß auch, dass es unterschiedliche Meinungen gibt.

Herr Ministerpräsident, wenn wir uns in diesem Punkt einig sind, dann können wir versuchen, eine gemeins ame Initiative des Landtags Rheinland-Pfalz in Richtung Berlin und Brüssel zu starten, weil gerade die Zukunft der Strukturfonds ein wichtiger Schritt ist, ein Europa der Regionen zu schaffen, erlebbar zu machen. Gerade die Strukturfonds sind ein ganz enormer Schritt und Fingerzeig für gelebte europäische Solidarität. Das ist keine Frage.

(Ministerpräsident Beck: Wissen Sie, wie viel Milliarden das im Bundes- haushalt sind?)

Natürlich weiß ich, wie viele Milliarden das im Bundeshaushalt ausmacht. Aber wenn wir Europa wollen und es mit Europa ernst meinen, dann können wir nicht sagen: Okay, jetzt hat der Bund große finanzielle Schwierigkeiten, deswegen schrauben wir unser Engagement zurück.

Meine Damen und Herren, ich glaube, dass wir, was die Strukturfonds angeht, in diesem Parlament ein gemeinsames Interesse haben, auch was die konversionsbe

dingten Strukturfördermaßnahmen angeht, insbesondere in der Westpfalz, in und um Kaiserslautern oder Pirmasens herum. Da haben wir ein Interesse daran, dass es mit Strukturförderung weitergeht. Es kann nicht darum gehen, die Strukturförderung ab dem Jahr 2010 komplett auslaufen zu lassen. Es muss zumindest einen geregelten Übergangsmodus geben. Das ist das, was wir uns wünschen. Das können wir auch gemeinsam form ulieren.

(Beifall des BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Meine Damen und Herren, letztlich müssen wir in diese Positionierung auch die Förderung der grenzüberschreitenden Kooperation mit einbeziehen. Der PAMINA-Raum ist schon angesprochen worden. Im PAMINARaum wird erstklassige Arbeit geleistet. Wir müssen gemeinsam versuchen, dafür zu sorgen, dass diese Arbeit fortgeführt werden kann.

Ich danke Ihnen.

(Beifall des BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Meine Damen und Herren, es liegen keine weiteren Wortmeldungen vor. Ich schließe die Aussprache zum ersten Thema der Aktuellen Stunde.

Bevor ich das zweite Thema der Aktuellen Stunde aufrufe, möchte ich gern Herrn Kollegen Dr. Braun zur Vollendung seines 46. Geburtstags gratulieren.