Protokoll der Sitzung vom 11.11.2010

Meine sehr geehrten Damen und Herren, das Verwaltungsgericht Koblenz und das Oberverwaltungsgericht Rheinland-Pfalz wiesen auch die Klage im Hauptsacheverfahren ab. Das Verwaltungsgericht hat geurteilt, die Entscheidung, die ausgeschriebene Stelle mit Herrn Bartz zu besetzen, begegne keinen rechtlichen Bedenken.

Die der Auswahlentscheidung zugrunde gelegten Beurteilungen hielten der gerichtlichen Überprüfung stand. Die Beurteilung über Herrn Bartz beruhe auf gesicherten Erkenntnisquellen. Es sei zu berücksichtigen, dass eine Beurteilungssituation, wie sie sonst in der Regel gegeben sei, hier nicht vorgelegen habe. Durch die Ernennung von Herrn Bartz zum Präsidenten des Oberlandesgerichts könne die Rechtmäßigkeit der Auswahlentscheidung nicht nachträglich infrage gestellt werden.

Das Oberverwaltungsgericht unseres Landes hat die Berufung von Herrn Graefen zurückgewiesen und seine Klage als unzulässig abgewiesen. Der Aufhebung der Ernennung von Herrn Bartz zum Präsidenten des Oberlandesgerichts Koblenz stehe der Grundsatz der Ämterstabilität entgegen, an dem auch das Bundesverwaltungsgericht bis zuletzt festgehalten habe.

Nunmehr hat das Bundesverwaltungsgericht entschieden, dass in den Fällen, in denen der Dienstherr den ausgewählten Bewerber ernennt, bevor der unterlegene Bewerber die Möglichkeiten des gerichtlichen Rechtsschutzes ausgeschöpft hat, das Grundrecht auf wirkungsvollen Rechtsschutz verletzt wird. In einer solchen Situation – so sagt das Bundesverwaltungsgericht – könnten die Rechte unterlegener Bewerber auf gerichtliche Nachprüfung der Bewerberauswahl nur durch eine Klage gegen die Ernennung gewahrt werden.

Meine sehr geehrten Damen und Herren, diese Rechtsprechung ist neu.

(Licht, CDU: Sie haben doch gerade belegt, dass sie nicht neu ist!)

Sie schafft eine neue dritte Instanz im Eilverfahren.

(Bracht, CDU: Ist das alles falsch, was Herr Mertin gesagt hat?)

Herr Bracht, jetzt hören Sie doch einmal zu.

(Unruhe bei der CDU)

Ich lege Ihnen das noch dar. Hören Sie doch bitte einmal zu.

Sie macht die Verfassungsbeschwerde zu einem ordentlichen Rechtsbehelf. Ich will das gar nicht kritisieren, aber das ist jetzt so, und das ist jetzt klar und unzweideutig so.

Meine Damen und Herren, aber am Tag der Aushändigung der Ernennungsurkunde an Herrn Bartz bestand diese feste, klare Rechtsprechung nicht. Ich sage, sie war auch nicht vorhersehbar, weder für das Justizministerium

(Eymael, FDP: Das stimmt doch alles nicht!)

noch für das Verwaltungsgericht Koblenz oder für das Oberverwaltungsgericht Rheinland-Pfalz, die jeweils zweimal in dem Verfahren entschieden haben.

Meine Damen und Herren, nach dem heutigen Stand der Rechtsprechung hätte ich selbstverständlich die Urkunde nicht ausgehändigt.

(Unruhe bei der CDU)

Damals war aber die Rechtslage anders.

Ich darf erläutern – das ist jetzt etwas juristisch –, wie sich das uns damals dargestellt hat, Herr Mertin. Sie haben selbst gesagt, es war ständige Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts und des Bundesverwaltungsgerichts, dass der unterlegene Mitbewerber ausreichend Rechtsschutz durch die Möglichkeit erhält, vor Aushändigung der Ernennungsurkunde Eilantrag und gegebenenfalls Beschwerde vor den Verwaltungsgerichten zu stellen. Die Verwaltung ihrerseits darf durch ihr Verhalten diesen vorläufigen Rechtsschutz – also Eilantrag und sofortige Beschwerde – weder verhindern, etwa indem sie den Mitbewerber von der bevorstehenden Aushändigung nicht unterrichtet, noch eine einstweilige Anordnung übergehen. Das war die Rechtsprechung, und das war die ständige Spruchpraxis des Bundesverwaltungsgerichts.

Herr Mertin, nur das sagt auch die immer wieder von Ihnen zitierte Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts von 2003. Dort hatte der Dienstherr eine bestehende einstweilige Anordnung des Verwaltungsgerichts missachtet. Ich bitte um Verständnis, aber das ist doch

eine grundlegend andere Fallgestaltung als in unserem Verfahren.

(Beifall der SPD)

Meine Damen und Herren, es war angesichts dieser ständigen Rechtsprechung auch gängige Verwaltungspraxis – nicht allein in Rheinland-Pfalz –, die Ernennungsurkunde auszuhändigen, sobald das Oberverwaltungsgericht die Beschwerde zurückgewiesen hatte. Anlass, noch eine weitere Frist etwa im Hinblick auf die Ankündigung einer Verfassungsbeschwerde abzuwarten, bestand nicht.

Die Verfassungsbeschwerde ist kein ordentlicher Rechtsbehelf. Besser gesagt: Heute ist sie es, aber sie war damals kein ordentlicher Rechtsbehelf. – Sie hatte, wie man sagt, keine aufschiebende Wirkung, und sie unterfiel auch nicht der Rechtsschutzgarantie des Artikels 19 Abs. 4 Grundgesetz.

Meine Damen und Herren, das war damals die allgemeine Meinung. Nicht nur bei uns, sondern auch in anderen Ländern wurde so verfahren.

Ich will es noch einmal sagen: Selbstverständlich haben wir vor der Aushändigung der Ernennungsurkunde am 22. Juni geprüft, ob ein weiteres Zuwarten geboten war. Wir haben das damals angesichts dieser klaren Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts und des Bundesverwaltungsgerichts anders gesehen.

Ich darf noch sagen, dass diese Rechtsprechung auch vom Bundesverfassungsgericht mehrfach bestätigt worden ist. So hat beispielsweise der Erste Senat diese Rechtsprechung noch einmal in einem Beschluss vom 17. Januar 2006 bestätigt. An dieser Rechtsprechung haben wir uns orientiert, hat sich das Verwaltungsgericht Koblenz orientiert und hat sich das Oberverwaltungsgericht Rheinland-Pfalz orientiert.

Herr Mertin, Sie haben eine Entscheidung zitiert, die ein Notariat betraf. Wir haben diese Entscheidung damals anders interpretiert. Ich will das auch erläutern. Das ist eine Kammerentscheidung und keine Senatsentscheidung gewesen. Wir haben sie damals für nicht einschlägig erachtet. Sie betraf eine andere Fallgestaltung. Sie betraf das Notarrecht. Sie betraf die Besetzung einer Notarstelle und nicht die Besetzung eines hohen Richteramtes.

(Unruhe bei der CDU)

Meine Damen und Herren, vor allem aber stellte sich diese Entscheidung für uns als vereinzelt gebliebene Rechtsprechung einer Kammer des Bundesverfassungsgerichts dar. Die Rechtsprechung beider Senate des Bundesverfassungsgerichts war eine andere. Nach dieser Rechtsprechung kam der Verfassungsbeschwerde eben nicht die Funktion eines zusätzlichen Rechtsbehelfs zum fachgerichtlichen Verfahren zu. So haben wir das – und nicht nur wir – gesehen,

(Zuruf des Abg. Baldauf, CDU)

und so wurde auch die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, des Bundesverwaltungsgerichts und der Verwaltungsgerichte über Jahrzehnte gesehen.

Ich darf noch einmal sagen: Auch die Verwaltungen anderer Länder haben die Ernennungsurkunden nach bestandskräftigem Abschluss eines verwaltungsgerichtlichen Eilverfahrens selbstverständlich unmittelbar an die ausgewählten Bewerberinnen und Bewerber ausgehändigt.

Meine Damen und Herren, erst mit seinen Beschlüssen vom 9. Juli und unser Verfahren betreffend vom 24. September 2007, also zeitlich nach der Aushändigung der Urkunde an Herrn Bartz am 22. Juni 2007, hat das Bundesverfassungsgericht in einem Fall der Ernennung eines Richters in Hessen formuliert, dass vor Aushändigung der Urkunde ein ausreichender Zeitraum abgewartet werden müsse, um dem Mitbewerber oder der Mitbewerberin Gelegenheit zu geben, Verfassungsbeschwerde zu erheben. Diese jetzt klare Rechtsprechung war neu, und sie war für uns auch überraschend.

Meine sehr geehrten Damen und Herren, ich wiederhole noch einmal: Selbstredend hätte ich die Ernennungsurkunde nicht ausgehändigt – das ist ganz klar –, wenn uns die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 9. Juli 2007 mit ihrem klaren Tenor und erst recht, wenn uns die neue Rechtsprechung durch das Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 4. November 2010 bekannt gewesen wäre.

Am 22. Juni 2007 war aber die Rechtslage, jedenfalls wie wir sie damals nach bestem Wissen und Gewissen sorgfältig geprüft haben, anders. Mit dieser damals von uns so gesehenen Rechtsprechung im Einklang habe ich gehandelt, um eine schon lange vakante – darauf ich darf hinweisen – Richterstelle, eine der bedeutendsten Ämter der Justiz unseres Landes, zu besetzen.

Herr Präsident, meine sehr geehrten Damen und Herren, mit den Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts vom 9. Juli 2007 und des Bundesverwaltungsgerichts vom 4. November 2010 sind eine Änderung in der über Jahrzehnte geltenden Rechtsprechung und eine neue Rechtslage eingetreten.

Allgemeine Folge dieser neuen Rechtsprechung ist – ich habe es gesagt –, dass heute die Verfassungsbeschwerde eine vollwertige dritte Instanz im gerichtlichen Eilverfahren bildet. Allgemeine Folge dieser neuen Rechtsprechung ist auch, dass sich die Dauer der Vakanz öffentlicher Ämter verlängern kann.

Konkret hat das Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 4. November zur Folge, dass die Ernennung des Präsidenten des Oberlandesgerichts Koblenz, Bartz, mit dem Tag der Zustellung der Entscheidung aufgehoben ist. Herr Bartz wird danach eine wichtige, seinem Amt und seinem Können entsprechende Aufgabe im Justizministerium wahrnehmen.

Nach Eingang der schriftlichen Entscheidungsgründe des Bundesverwaltungsgerichts werden wir die Stelle des Präsidenten oder der Präsidentin des Oberlandes

gerichts Koblenz mit einem sich anschließenden Auswahlverfahren neu ausschreiben.

Ich danke Ihnen.

(Anhaltend Beifall der SPD)

Gibt es weitere Wortmeldungen? – Herr Kollege Baldauf.

Herr Präsident, meine sehr geehrten Damen und Herren! Herr Justizminister, diese Rede hat nur gezeigt, dass Sie völlig uneinsichtig sind.

(Zurufe von der SPD – Frau Brede-Hoffmann, SPD: Sprechen Sie von sich selbst, Herr Kollege?)

Sie sind mit keinem Wort auf die Auswahlentscheidung eingegangen.

(Beifall der CDU)

Sie haben etwas versucht zu begründen, was Ihres Amtes offengestanden, vor allem nach dem, was Ihr Vorgänger hier vorgetragen hat, nicht würdig ist, Herr Justizminister.

(Beifall der CDU und bei der FDP – Zuruf des Abg. Licht, CDU)

Sie waren – ich sage es etwas zugespitzt – so gnädig, die Entscheidung des höchsten Verwaltungsgerichts akzeptieren und respektieren zu wollen