Meine Herren und Damen, eine Verständigung ohne die Anerkennung unserer Grundfreiheiten kann es nicht geben!
Es kann aber auch keine Verständigung geben, wenn wir Deutschen ohne Migrationsgeschichte nur von oben herab argumentieren; denn auch wir haben uns zum
Beispiel mit Fragen der Gewalt, zum Beispiel der Gewalt gegen Frauen, auseinanderzusetzen. Denn auch wir haben zu lernen! Mit Gewinn ließe sich sicherlich über die Notwendigkeit von Integrationsangeboten auch an Menschen ohne Migrationserfahrung diskutieren, damit wir alle endlich Lebensart, Herkunft, Geschichte und Religion von Migrantinnen und Migranten in unserer Gesellschaft besser verstehen lernen.
Es war wichtig und richtig, dass die Landesregierung gemeinsam mit den Partnerinnen und Partnern sehr schnell auf diese neue Situation reagiert hat, damit die langjährige gute Zusammenarbeit zwischen den verschiedenen religiösen Gruppen und das einvernehmliche Miteinander von Einheimischen und Zugewanderten in unserem Land keinen Schaden nehmen.
Ich erinnere nur an die Ad-hoc-Konferenz unmittelbar nach dem Terroranschlag, an die christlich-islamischen Begegnungen auf kommunaler Ebene, die Veranstaltungen zum interreligiösen Dialog, den „Tag der offenen Moschee“, das Islamforum Rheinland-Pfalz oder auch die Erprobung eines islamischen Religionsunterrichts an einer Ludwigshafener Grundschule. Nicht zuletzt wird auch der neu gebildete Landesbeirat für Migration und Integration seinen Beitrag zur Versachlichung der Diskussion über den Islam leisten.
Meine sehr geehrten Herren und Damen, Johannes Rau hat einmal so schön gesagt, dass zu einer gelingenden Integration auch eine gewisse emotionale Gemeinsamkeit, eine Verbundenheit, auch Freude aneinander gehört. Nur so könne der Gegensatz zwischen "wir sind hier" und "ihr seid dort" überbrückt werden. Das war nicht nur ein kluger Appell, sondern auch eine realisierbare Forderung; denn beide Gruppen, Menschen mit und Menschen ohne Migrationsgeschichte, sind in unserer globalisierten Welt mehr denn je aufeinander angewiesen, brauchen einander, haben einander mehr denn je zu geben.
Migration und Integration sind heute mit Chancen verbunden, die weder die Zugewanderten noch die sogenannte Aufnahmegesellschaft sich leisten können auszuschlagen. Das gilt vor allem auch für die Betriebe und Unternehmen unseres Landes, für die die Potenziale der Menschen mit Migrationsgeschichte gerade aufgrund unserer Exportquote von rund 47 % immer wichtiger werden. In einer zunehmend international agierenden Wirtschaft mit Geschäftskontakten oder Unternehmensanteilen im Ausland können und müssen wir die Sprach- und interkulturelle Kompetenz von Migrantinnen und Migranten sowie von Führungs- und Fachkräften in Zukunft deutlich stärker nutzen.
Ein gutes Beispiel ist hier die BASF in Ludwigshafen, die als weltweit führendes Chemieunternehmen mit 95.000 Beschäftigten aus 170 Ländern kürzlich die "Charta der Vielfalt" unterschrieben hat, um die Bedeutung des Diversity Managements für die Kultur des Unternehmens, aber auch für dessen Erfolg zu unterstreichen.
Meine sehr geehrten Herren und Damen, darüber hinaus kommt es in Zukunft darauf an, die interkulturelle Kompetenz der Auszubildenden mit Migrationshintergrund auch für die internationale Kompetenzentwicklung aller Auszubildenden zu nutzen. Ein guter Anfang ist das Ludwigshafener Modellprojekt zur Ausbildungsvorbereitung von Jugendlichen auf eine qualifizierte Berufsausbildung in der Pflege, das die Kompetenzen von Jugendlichen mit Migrationshintergrund für alle anderen Jugendlichen nutzbar macht.
Meine sehr geehrten Herrn und Damen, Migrantinnen und Migranten – das ist ein Fakt – tragen dazu bei, die Leistungsfähigkeit unserer Wirtschaft zu steigern. Das war vor 50 Jahren schon so und ist es heute noch. Integration ist Gewinn.
Was sind die Hauptaufgaben der Integrationspolitik heute? Welche Aufgaben müssen wir in der gegenwärtigen Situation verstärkt in Angriff nehmen, um Integration erfolgreich zu gestalten? Ich meine, es sind im Wesentlichen zwei.
Zum einen geht es um den Dialog, den wir Bürgerinnen und Bürger mit und ohne Migrationsgeschichte heute in unserem Land verstärkt zu führen haben. Menschen mit unterschiedlichem kulturellem Hintergrund können ihr Zusammenleben nur dann gut gestalten, wenn sie ständig miteinander kommunizieren, auf allen Ebenen, auch in einem institutionalisierten Dialog.
Zum anderen geht es darum, Integration in den Alltag zu übersetzen, das heißt, die gleichberechtigte Teilhabe von Migrantinnen und Migranten am gesellschaftlichen Leben zu verwirklichen.
Wer sein Leben dauerhaft in Deutschland führt, wer hier geboren ist, arbeitet und auch bleiben will, kann auf Dauer nicht Ausländer bleiben, nicht ausgeschlossen sein von Chancengleichheit und von gleichberechtigter Teilhabe.
Den Kommunen fällt bei der Integration eine ganz besondere Rolle zu; denn vor Ort muss das Zusammenleben, die Integration gelingen, und damit lässt die Landesregierung die Kommunen auch in Zukunft nicht allein.
Es gibt viele gute Beispiele gelungener Integration in unserem Land. Gemeinsam mit meinem Kollegen, Innenminister Karl Peter Bruch, werde ich künftig regelmäßig zu einem Gipfelgespräch einladen, das den Kommunen sowie den Interessenvertreterinnen und Interessenvertretern der Zugewanderten Gelegenheit gibt, die wesentlichen Integrationsthemen, Fortschritte und Schwierigkeiten in den einzelnen Handlungsfeldern – Gesundheit, Jugend- und Sozialarbeit, Bildung, Sprachförderung oder Stadtplanung – gemeinsam zu beraten und sich vor allem über eine gelungene Praxis stärker auszutauschen.
Wir werden die Kommunen weiter dabei unterstützen, insbesondere in Städten und Landkreisen mit einem hohen Anteil von Zugewanderten, eigene kommunale Integrationskonzepte zu erarbeiten und Strukturen zu schaffen, z. B. durch die Berufung von Integrationsbeauftragten, sodass alle Angebote und Prozesse zielgerichtet fortentwickelt werden können.
Meine sehr geehrten Herren und Damen, im Dialog mit den Kommunen wollen wir auch die politischen Teilhabechancen von Migrantinnen und Migranten an den Entscheidungs- und Gestaltungsprozessen vor Ort verbessern und ausbauen.
Wir werden die kommunalen Ausländerbeiräte zu Beiräten für Migration und Integration weiterentwickeln. Das heißt, es ist unser Ziel, die Partizipationsmöglichkeiten auf alle Menschen mit Migrationshintergrund auszuweiten. (Beifall der SPD)
Migranten und Migrantinnen werden nicht allein durch eine gute Migrationspolitik integriert, sondern sie müssen sich auch einbringen können. Wir brauchen mehr Politik mit Migrantinnen und Migranten als Politik für sie.
Meine sehr geehrten Herren und Damen, die Landesregierung bekennt sich nachdrücklich zur Politik des offenen Dialogs mit allen am Integrationsprozess Beteiligten und wird diese Politik auch in Zukunft aktiv fortsetzen. Dabei sind alle Vereine, Organisationen, Initiativen und Einzelpersonen, die Migranten und Migrantinnen tagtäglich und zum großen Teil ehrenamtlich zur Seite stehen, wichtige und unverzichtbare Partnerinnen und Partner der Landesregierung. Herzlichen Dank an sie alle an dieser Stelle! (Beifall der SPD)
Ich kann Ihnen versichern, dass die Landesregierung den bereichernden Dialog mit ihnen auch in Zukunft pflegen und weiter intensivieren wird, nämlich im jährlich stattfindenden Treffen der kommunalen und kirchlichen Beauftragten, im jährlichen Integrationsforum, im Islamforum und vor allem auch im neu gebildeten Landesbeirat für Migration und Integration.
Auch um ihrer aller verdienstvolle Arbeit in Zukunft öffentlich deutlicher wertschätzen und anerkennen zu können, wird die Landesregierung von 2008 an jährlich einen Preis für vorbildliches interkulturelles Miteinander ausloben. Es ist uns wichtig, vorbildliche, nichtkommerzielle und innovative interkulturelle Projekte auszuzeichnen und öffentlich bekannt zu machen.
Meine sehr geehrten Herren und Damen, gute Deutschkenntnisse sind als Grundlage für einen erfolgreichen Bildungsweg und für gelingende Integration entscheidend.
Die Landesregierung will daher gerade auch Kindern aus Migrantenfamilien zu guten Startbedingungen verhelfen. Auch dafür steht das von meiner Kollegin Ministerin Ahnen verantwortete Programm "Zukunftschance Kinder – Bildung von Anfang an".
Im Rahmen dieses Programms werden gerade auch Migrantenkinder durch die Sprachförderung, durch die bestehende und weiter auszubauende Beitragsfreiheit für die Kindertagesstätten, das Ausbauprogramm für die Kleinkinderbetreuung und die Förderung einer ganzheitlichen Persönlichkeitsentwicklung und Interkulturalität in den Kindertagesstätten unterstützt. Meine sehr geehrten Herren und Damen, Bildungspolitik genießt in unserem Land höchste Priorität.
Gerade für den Spracherwerb ist eine frühzeitige Förderung ausschlaggebend. Mehrsprachigkeit ist deshalb bewusster Bestandteil des Kindergartenalltags und der schulischen Bildung. Dabei bleibt die Anerkennung der Herkunftssprache als Kompetenzmerkmal ein wichtiges Ziel.
Meine sehr geehrten Herren und Damen, ich weiß, es gibt viel beispielhafte Praxis in den Kindertagesstätten und Schulen unseres Landes. Gerade diese Beispiele brauchen unsere Unterstützung und Anerkennung.
Die Vielfalt, die den Alltag heute in den meisten Kindergärten und Schulen prägt, ist nicht zusätzliche Beschwernis, sondern Chance. Dementsprechend müssen interkulturelles Lernen und interkulturelle Erziehung verstärkt zu einem integralen Bestandteil der Aus- und Weiterbildung von Erziehern und Erzieherinnen und Lehrerinnen und Lehrern werden. Mit der veränderten Lehrerausbildung und den zertifizierten Modulen für die Weiterbildung der Erzieher und Erzieherinnen sind jetzt schon Wegmarken gesetzt.
Die Landesregierung hat eine neue Verwaltungsvorschrift für Schülerinnen und Schüler mit Migrationshintergrund in Kraft gesetzt, die einen individuellen Förderpass für diese Schülerinnen und Schüler ab 2007 enthält. Darüber hinaus hat sie einen neuen Rahmenplan „Deutsch als Zweitsprache“ für die Klassen 1 bis 10 vorgelegt.
Bundesweit führend sind wir bereits jetzt mit unserem Ganztagsschulprogramm. In den bisher 360 Schulen, denen in dieser Legislaturperiode 200 weitere folgen werden, haben insbesondere Schüler und Schülerinnen mit Migrationshintergrund erweiterte Fördermöglichkeiten.
Der längere Unterrichtstag dient der sozialen Integration und Interkulturalität der ganzen Schulgemeinschaft.
Begleitet werden diese Vorhaben durch Unterstützungsangebote im Lernumfeld, z.B. die Hausaufgabenhilfe für die Grundschulkinder mit Migrationshintergrund in den ersten beiden Jahren. Dazu gehören auch mehrsprachige Informationen für Eltern und ihre stärkere Einbindung sowie auch die Einbindung von Vertrauenspersonen oder Vertretungen von Migrationsorganisationen.
Da eine Reihe von Migranten und Migrantinnen, die schon länger bei uns leben, noch nicht über ausreichende deutsche Sprachkenntnisse verfügen, fördert die
Landesregierung ergänzend zu den Integrationskursen des Bundes auch entsprechende nachholende Weiterbildungsangebote, wie zum Beispiel die „Mama lernt Deutsch“-Kurse.
Schulen in benachteiligten Milieus werden darüber hinaus mit zusätzlichen Ressourcen, zum Beispiel in der Schulsozialarbeit, ausgestattet. Es geht uns hier um die stärkere Einbeziehung qualifizierter Fachkräfte mit Migrationshintergrund in die Lehrerkollegien und das Fachpersonal in Bildungseinrichtungen. Nicht zuletzt sollen Bildungspaten gewonnen werden, die Kinder aus Migrantenfamilien während der Schul- und Ausbildungszeit begleiten.
Meine sehr geehrten Herren und Damen Abgeordnete, die Bildungschancen von Kindern aus Migrationsfamilien zu verbessern, ist ein wichtiges Anliegen der Landesregierung.
Genauso wie die Verbesserung der Bildungschancen zählen auch die Verbesserung der Ausbildungschancen von Jugendlichen mit Migrationsgeschichte und die Förderung der Ausbildungsbereitschaft ausländischer Betriebe zu den zentralen Anliegen der Landesregierung; denn auch die Ausbildungssituation von jungen Migranten und Migrantinnen ist nach wie vor schlechter als die ihrer deutschen Altersgenossen.
Auch in unserem Land geht die Beteiligung ausländischer Jugendlicher an der dualen Ausbildung zurück. Während sie 1999 noch 39,4 % betrug, lag sie 2003 bei 32 %. Demgegenüber belief sich die Ausbildungsbeteiligung der deutschen Jugendlichen in 2003 in unserem Land auf 50,5 %.
In der rheinland-pfälzischen Arbeitsmarktinitiative „Neue Chancen: 6000 plus für Jung und Alt“ wurde die Zielgruppe der Jugendlichen mit Migrationshintergrund deshalb als eigenständiges Aktionsfeld verankert.
Hier werden Maßnahmen zum Nachholen von Schulabschlüssen oder zur Vorbereitung auf die Ausbildung angeboten. Darüber hinaus werden wir wie schon beim erfolgreichen Projekt „JOBSTARTER“ in der Region Mainz Betriebe, auch ausländische Betriebe, verstärkt dafür gewinnen, mehr bzw. erstmalig auszubilden.