Protokoll der Sitzung vom 27.06.2007

Ich möchte noch einmal sagen, ich wehre mich gegen die Unterstellung, dass wir die Menschen in irgendeiner Form ausbeuten wollten oder nicht ernst nehmen. Ich

möchte, dass jeder mit vollschichtiger Arbeit sein Geld verdient.

(Beifall der CDU)

Es ist doch nur die Frage, ob ich dabei Arbeitsplätze vernichten möchte oder ob es eine Lösung gibt, bei der ich Arbeitsplätze erhalte, bei der ich Geringqualifizierten weiterhin eine Möglichkeit gebe.

Schauen Sie sich einmal die Jugendarbeitslosigkeit in Frankreich an. Wenn man immer wieder das Thema des Vergleichs mit anderen Ländern bringt, dann muss ich sagen, das ist Äpfel mit Birnen verglichen.

(Pörksen, SPD: Das haben Sie gerade eben gemacht!)

In England und in Frankreich kann man arbeitsrechtlich ganz anders gekündigt werden als dies hier der Fall ist. Ich möchte noch einmal sagen, so schlecht kann der Kompromiss gar nicht gewesen sein, als dass der Herr Ministerpräsident ihn nicht eingegangen wäre.

(Zurufe von der SPD)

So viel halte ich noch von unserem Ministerpräsidenten, dass er nur Kompromisse macht, die in der Sache auch richtig sind. Herr Ministerpräsident, ich finde aber, Sie sollten sich dann auch weiterhin im Interesse der Menschen und nicht im Interesse der Politik daran halten.

(Beifall bei der CDU – Glocke des Präsidenten)

Die Linken werden Ihnen dieses Thema wegnehmen. Das prophezeie ich Ihnen. Das bringt Ihnen gar nichts.

Vielen Dank.

(Beifall der CDU)

Ich erteile dem Herrn Ministerpräsidenten das Wort.

Sehr geehrter Herr Präsident, meine sehr geehrten Damen und Herren! Vielen Dank für die Prophezeiung, Herr Kollege. „Schauen wir einmal“, sagt der große bayerische Philosoph.

Ich möchte zunächst einmal darauf hinweisen, dass die Landesregierung von Rheinland-Pfalz und auch dieses Parlament an das gebunden sind, was uns die Verfassung vorgibt.

Ich will noch einmal in Erinnerung rufen, was in Artikel 51 der Landesverfassung von Rheinland-Pfalz zu solchen Fragen steht. Da steht dort unter dem Überbegriff „Wirtschaftsordnung“: „Die soziale Marktwirtschaft ist die Grundlage der Wirtschaftsordnung. Sie trägt zur Sicherung und Verbesserung der Lebens- und Beschäfti

gungsbedingungen der Menschen bei, indem sie wirtschaftliche Freiheiten mit sozialem Ausgleich, sozialer Absicherung und dem Schutz der Umwelt verbindet.“

Meine sehr geehrte Damen und Herren, ab und zu müssen wir darüber nachdenken, was das bedeutet. Vorhin ist das Mindestarbeitsbedingungengesetz von 1952 zitiert worden. Das ist unmittelbar nach der Verfassung der Bundesrepublik Deutschland, die eine ähnliche Formulierung enthält, entstanden. Zu diesem Zeitpunkt war eine Situation vorhanden, in der es nicht ausreichende Organisationsgrundlagen und Voraussetzungen für das volle Greifen der Tarifautonomie gab, und zwar weder auf Arbeitgeber- noch auf Arbeitnehmerseite. Man kann in der Begründung nachlesen, dass dieses Gesetz aus diesem Grund entstanden ist.

Wir haben dann eine deutliche Veränderung in Deutschland gehabt, die landläufig als „Wirtschaftswunder“ bezeichnet wird. Andere Strukturen sind dabei entstanden. Wir haben Veränderungen erlebt, die sich in den 80er-, aber insbesondere in den 90er-Jahren am Arbeitsmarkt und mit der neuen Situation ergeben haben, die im Osten der Bundesrepublik Deutschland nach der Wiedervereinigung vorgefunden wurde bzw. sich entwickelt hatte, weil dort andere Traditionen wie im Westen vorhanden waren, also eine veränderte Herausforderungslage.

Dazu kam das, was wir alle Globalisierung nennen, also einen deutlich höheren internationalen Wettbewerb. Die Folge ist, dass in immer weiteren Bereichen keine Tarifvertragsgeltung vorhanden ist. In manchen Bereichen wird zwar über Tarifverträge geredet, aber sie sind in Teilen schon gekündigt und nur noch in der Nachwirkung für einige Arbeitnehmer gültig.

Wir haben eine Situation, dass sich schleichend eine Mentalität bei manchen eingestellt hat – ich differenziere sehr bewusst –, dass über Niedrigpreise und mit Hintanstellungen von Qualitätsmerkmalen versucht wird, sich Marktvorteile zu erobern. Dies ist durch Niedriglöhne finanziert worden. Wir bleiben bei dem Beispiel, das Frau Kollegin Dreyer angesprochen hat, nämlich dem Friseurgewerbe, andere Branchen könnte man genauso nennen.

Folgendes ist völlig klar: Wenn Sie eine Situation haben, dass in einem Unternehmen in einer kleinen Stadt, in der vielleicht vier bis fünf Betriebe sind, die miteinander konkurrieren, Löhne gezahlt werden, die zwischen 3 und 4 Euro pro Stunde liegen, dann werden die anderen Betriebe überhaupt keine Alternative haben als diesen Weg mitzugehen, weil in diesem Sektor die Personalkosten dominant sind. Das ist bei allen persönlichen Dienstleistungen der Fall. Deshalb erleben wir einen Zug nach unten.

Wir erleben ein Zweites. Es wird unter dem Deckmantel der betriebswirtschaftlichen Vernunft eine Diskussion geführt, die ich für nicht redlich halte. Man betrachtet jede einzelne Tätigkeit, die zu einem Betriebsergebnis führt, für sich allein und leitet daraus die Schlussfolgerung ab, wir schauen, welche dieser Tätigkeiten unter betriebswirtschaftlichen Gesichtspunkten ihren Gegenwert, den Lohn, selber erwirtschaftet. Ich will ein Beispiel

nennen, wie das ist, wenn Sie mit einem solchen Bild darangehen. Wenn Sie eine Werkzeugmaschine bauen, dann werden Sie Bereiche des Auspackens von zugelieferten Ersatzteilen, des Einpackens der Maschinen, des Sauberhaltens der Hallen, des Kehrens des Hofes usw. für sich betrachtet nie betriebswirtschaftlich erfolgreich einstufen können, dass daraus Löhne entstehen, von denen man anständig leben kann.

Ich finde, wir müssen bei dem bleiben, was in der Bundesrepublik eigentlich immer einvernehmlich war, dass das Ein- und Auspacken usw. Teil der Kosten der Produktion dieser Maschine sind und sich die Lohnstufungen aus den Qualitätsmerkmalen innerhalb einer Bandbreite ergeben, wie sie in Lohnstufen festgelegt sind. Das ist die Spielregel.

Wenn ich aber zulasse, dass immer mehr Einzeltätigkeiten herausgenommen, ausgelagert und mit solchen Billiglohnbedingungen erfüllt werden, dann habe ich einen permanenten Sog des Lohnes nach unten. Genau diese Entwicklung erleben wir in der Bundesrepublik Deutschland.

Jetzt bin ich wieder bei Artikel 51 unserer Verfassung. Eine Regierung, die das einfach hinnimmt, ist, glaube ich, nicht auf dem Boden des Gebots, wie es vorgegeben ist.

Ich mache eine zweite Bemerkung. Es ist darüber diskutiert worden, ob wir einen Mindestlohn als Ziel wollen, weil ich allen in diesem Hause abnehme, dass Sie nicht die Verelendung von Menschen wollen. Das unterstelle ich nicht. Es ist folgende Frage zu stellen: Wollen wir Mindestlöhne oder Mindesteinkommen? Mindestlohn bedeutet, dass jede vollschichtige Arbeit, die ordentlich gemacht wird, die nicht zur Eingliederung oder zur Rehabilitation, bei denen besondere Bedingungen zu beachten sind, gemacht wird, ihres Lohnes wert ist.

Dieser Lohn muss so sein, dass er mindestens so hoch wie das ist – ich sage plus X –, was man ohne Arbeit über staatliche Transfers bekommen kann. Woher sollte sonst ein Gemeinwesen den Anreiz ziehen, dass man arbeiten geht? Es ist nicht für alle vergnügungssteuerpflichtig, morgens um 5:00 Uhr zur Schicht zu gehen und um 15:30 Uhr oder 16:00 Uhr nach Hause zu kommen, eventuell noch 30 bis 40 Kilometer Fahrweg morgens und abends zurückzulegen.

Ich nenne ein Beispiel von 4 Euro Stundenlohn. Um über die Sozialtransfers zu kommen, muss man derzeit einen Schnitt von ungefähr 6,50 Euro anlegen, wenn ich die 40-Stunden-Woche als Maßstab nehme. Die fehlenden 2,50 Euro holt man sich egal bei wem, bei der Arbeitslosenbehörde, bei der Sozialbehörde oder bei wem auch immer. Ich frage Sie: Was für ein Bild von Arbeit steht dahinter?

(Beifall der SPD)

Erlauben Sie mir, ordnungspolitisch zu fragen: Ist das das, was unsere Verfassung, was das Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland und was der vorhin zitierte Ludwig Erhard mit sozialer Marktwirtschaft gemeint hat? Ich bin überzeugt, nein, das ist es nicht. In jedem Fall ist

es nicht unsere Vorstellung, die von Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten, und wird es nie werden.

(Beifall der SPD)

Ich frage Sie auch Folgendes: Wollen wir eine solche Verflechtung von Staat oder staatlich eingesetzten Transferkassen und Betrieb? Wollen wir eine solche Verflechtung mit dem betrieblichen Erfolg?

Das ist eine Form – in Juso-Zeiten haben wir über Staatsmonopolismus geredet –, die dieser Geschichte sehr nahekommt. Sie können doch Löhne relativ frei gestalten, und der Staat muss immer zuzahlen. Da stellt sich die Frage: Wo ist der Anfang, und wo ist das Ende?

Dann frage ich Sie auch einmal, ich habe die Redner bisher immer so verstanden, dass niemand dabei ist, der ein unbedingtes Mindesteinkommen für alle Bürger – Bürgergeld – will. Das gibt es auch. Diese Diskussion gibt es in der Republik. Ich halte dies für eine geradezu verheerende Fehlentwicklung, die damit verbunden wäre. Wie wollen wir Menschen dann noch sagen – – –

(Creutzmann, FDP: Das haben wir doch zurzeit!)

Wo haben wir denn Bürgergeld?

(Zuruf des Abg. Creutzmann, FDP)

Das ist doch aber kein Bürgergeld für alle, sondern ein Bürgergeld für alle heißt, für jede Frau und für jeden Mann gibt es einen bestimmten Betrag – Sie wissen, dass es solche Modelle in Deutschland gibt –, von dem man anständig leben kann. Das ist die Vorstellung derjenigen, die dies vertreten. Jetzt erklären Sie mir einmal, wie eine Familie dann zum Anreiz gebracht werden soll, dass man arbeiten geht, wenn man genauso gut 1.400 Euro oder 1.600 Euro durch ein Bürgergeld erwerben könnte.

Das kann doch nicht sein. Ich sage nicht, dass es Ihr Ziel oder das Ziel der FDP ist: Aber dass es das in der Wissenschaft und solche Vorschläge auch in Teilen der Politik gibt, ist die Wahrheit. Ich frage doch nur vor dem Hintergrund unserer Diskussion. Wenn ich zulasse, dass man für bestimmte Bereiche der Arbeit immer größere Teile in eine staatliche Zufinanzierung hineindrückt, wie soll denn das zu dieser letztendlich für mich völlig falschen Entscheidung abgegrenzt werden?

Meine Damen und Herren, dann frage ich Sie auch einmal: Wie ist denn das mit der Staatsquote? – Ich höre doch ständig „Ordnungspolitik“. Wie ist denn das mit der Staatsquote? Wie soll denn die Staatsquote herunterkommen, wenn wir jetzt für das Verpacken und für das Reinigen von Fabrikhallen und für das Bewachen von Einrichtungen usw. überall staatliche Knete obendrauf zahlen?

Lieber Herr Baldauf, das verlangen Sie gerade hier. Ich sage, das ist ein kapitaler Fehler, eine ordnungspolitische Katastrophe.

(Beifall der FDP – Zuruf des Abg. Dr. Rosenbauer, CDU)

Lieber Herr Dr. Rosenbauer, Sie sind nicht auf dem Laufenden.

(Dr. Rosenbauer, CDU: Ich bin auf dem Laufenden!)

Genau das ist die Position Ihrer Partei.

(Dr. Rosenbauer, CDU: Nein, nein!)

Ich gebe zu, das ist nicht die Position von allen. Sie sagen: „Nein, nein“. Exakt das ist die Position Ihrer Partei. Bestreiten Sie doch nicht, was wahr ist, nur weil es hier nicht passt.