Protokoll der Sitzung vom 15.09.2011

In Berlin heißt es bei Schwarz-Gelb: Arbeit um jeden Preis. – Aber selbst diese Maxime funktioniert nicht.

Ich möchte Ihnen noch eine Zahl nennen. Die Initiative „Neue Soziale Marktwirtschaft“, die nun wirklich kein neokommunistisches Institut ist, hat ausgerechnet, dass drei Viertel aller Geringverdiener in ihrem Erwerbsleben niemals in die Klasse der Normal- oder Gutverdienenden aufsteigen. Das heißt, ein niedriger Lohn bedeutet nicht nur eine schwierige wirtschaftliche Situation für die Betroffenen jetzt, sondern er bedeutet auch eine soziale Blockade in der Zukunft. Es ist ein Aufstiegshemmnis. Das heißt, Ihre Maxime „Arbeit um jeden Preis“, damit man überhaupt einmal arbeitet und einen Einstieg hat, funktioniert auch nicht; denn die Menschen werden sozial blockiert, und ein Aufstieg ist nicht möglich. Auch deswegen ist ein Mindestlohn ein ganz wesentlicher Beitrag für mehr soziale Gerechtigkeit und für mehr Aufstiegschancen für sehr viele Menschen in diesem Land, die es wirklich auch verdient hätten, diese Chancen zu bekommen, meine Damen und Herren.

Lassen Sie mich noch einen Punkt nennen. Frau Anklam-Trapp hat es angesprochen: Frauen sind in einer besonderen Situation. Sie sind verstärkt im Niedriglohnsektor angestellt, und sie sind mehr davon betroffen, dass sie weniger als 8,50 Euro in der Stunde verdienen. Frauen sind häufiger von Armut betroffen, und – wir haben es heute im Laufe des Tages schon einmal gehört – Frauen werden demzufolge auch häufiger von Altersarmut betroffen sein.

Deswegen wundere ich mich, dass in der Debatte, die Sie in der CDU führen – das haben wir zur Kenntnis genommen –, die Frauen bisher noch überhaupt nicht zur Kenntnis genommen worden sind. Sie haben sich dazu überhaupt noch nicht geäußert, mit Ausnahme im „Trierischen Volksfreund“. Die Bundeskanzlerin persönlich hat den Kollegen Michael Billen bei seiner Initiative 2008 für einen Mindestlohn in der CDU persönlich angerufen und ihm die Initiative untersagt.

(Frau Klöckner, CDU: Ich stand auch im „Trierischen Volksfreund“, jüngst sogar! Ganz aktuell! Das hat er nicht gelesen!)

Herr Billen, aber wir kennen Sie. Sie sind ein Freigeist, und auch Sie können heute mit Ihrem Abstimmungsverhalten für einen Mindestlohn Ihrer Überzeugung und Ihrem Gewissen folgen. Sie sind dazu herzlich eingeladen.

Ich möchte noch darauf hinweisen, die schwarz-gelbe Bundesregierung hat vor allem die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, die in der Wirtschaftskrise einen ganz entscheidenden Beitrag dazu geleistet haben, dass wir einigermaßen gut darüber hinweggekommen sind, völlig aus dem Blick verloren. Die Banken sind sofort gerettet worden.

(Licht, CDU: Das ist doch Quatsch! – Frau Klöckner, CDU: Das ist doch Quatsch! Es mag ja vieles stimmen, aber das nicht! – Weitere Zurufe von der CDU)

Über Steuererleichterungen wird debattiert, aber den Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern und auch den Gewerkschaften, die mit Kurzarbeit, mit Nullrunden und vielen anderen Einschnitten dazu beigetragen haben, dass wir diese Krise überwunden haben, versperrt man nun die lange und berechtigte Forderung nach einem flächendeckenden Mindestlohn. Dies sagt auch einiges aus über die soziale Kälte, die in der Bundesregierung herrscht.

(Licht, CDU: So ein Unsinn, den Sie erzählen!)

Frau Bundessozialministerin von der Leyen ist eine weitere CDU-Politikerin, die in dieser Debatte bisher doch weitgehend ein Ausfall ist, meine Damen und Herren.

(Beifall des BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der SPD – Licht, CDU: Die Luxemburger haben einen Mindest- lohn und haben mit die höchste Jugend- arbeitslosigkeit! Reden Sie da von sozialer Kälte?)

Die Gewerkschaften sind für einen Mindestlohn, und viele Mittelständler haben einen Mindestlohn.

(Zuruf des Abg. Dr. Rosenbauer, CDU)

Immer mehr Ökonomen sowie auch viele Experten fordern den Mindestlohn, und unsere Nachbarn in Europa können weitestgehend überhaupt nicht verstehen, dass eine entwickelte Ökonomie, eine Soziale Marktwirtschaft wie die Bundesrepublik Deutschland keinen Mindestlohn hat. Die Kirchen sind für den Mindestlohn. Fast alle sind für den Mindestlohn, aber die CDU diskutiert noch. Die CDU in Rheinland-Pfalz hat wie immer keine klare Position.

(Licht, CDU: Sprücheklopfer!)

Meine Damen und Herren, es ist auch eine Frage von christlichen Werten. Es hat etwas mit gesellschaftlichem Zusammenhalt zu tun, und es hat etwas mit Armutsbekämpfung zu tun.

(Baldauf, CDU: Das ist richtig, genau!)

Es hat etwas mit Chancen für alle und mit Chancengerechtigkeit zu tun. Es hat etwas mit der Würde des Menschen zu tun, dass seine Arbeit auch angemessen entlohnt wird.

(Baldauf, CDU: Sehr gut!)

Die meisten Menschen in unserem Bundesland und in der Bundesrepublik wollen arbeiten, aber sie wünschen sich Arbeit, von deren Lohn sie auch leben können. Sie möchten kein subventioniertes Einkommen durch das Arbeitslosengeld II. Nein, sie möchten nichts anderes, als mit ihrer Arbeit sich und ihre Familien ernähren und ein gutes Leben mit gesellschaftlichen Teilhabechancen führen zu können.

(Zuruf von der CDU: Wissen Sie, wie hoch ein Mindestlohn sein müsste, wenn es um eine Familie geht?)

Die Mehrheit der Bevölkerung in der Bundesrepublik Deutschland spricht sich für einen allgemeinen Mindestlohn aus, sogar Teile in Ihrer Partei – Herr Schmitt, Herr Reichel oder Herr Billen – sprechen sich für einen gesetzlichen Mindestlohn aus.

(Zuruf der Abg. Frau Klöckner, CDU)

Frau Klöckner, hören Sie zu. Hören Sie die Signale!

(Heiterkeit bei der CDU – Frau Klöckner, CDU: Zur Sonne, zur Freiheit!)

Diejenigen, die dies aufgrund ihrer Überzeugung und aufgrund ihres sozialen Gewissens geäußert haben, kann ich nur auffordern, stimmen Sie heute gemeinsam mit uns dafür, dass wir uns als Land Rheinland-Pfalz weiterhin auf Bundesebene für einen flächendeckenden gesetzlichen Mindestlohn einsetzen.

Vielen Dank.

(Beifall des BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der SPD)

Für die SPD-Fraktion hat Herr Kollege Hendrik Hering das Wort.

Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen und Herren! Es gibt in Deutschland nach wie vor über fünf Millionen Menschen, die tagtäglich aufstehen, zur Arbeit gehen und für ihre Arbeit einen Stundenlohn von unter 8,50 Euro erhalten, und es gibt eine Million Menschen, die Löhne zwischen 5 Euro und 6 Euro erhalten, die häufig nicht nur 40 Stunden, sondern 50 oder 60 Stunden pro Woche arbeiten und dennoch einen Lohn erhalten, von dem Sie nicht leben können, und die darauf angewiesen sind, von Sozialkassen Unterstützung zu erhalten. Es sind immerhin 11 Milliarden Euro, die aus staatlichen Mitteln aufgewandt werden, um solche Löhne aufzustocken.

Es ist nicht nur zu beklagen, dass diese 11 Milliarden Euro aufgewandt werden müssen, es hat auch sehr viel mit Würde zu tun; denn man geht nicht nur zur Arbeit, um seinen Lebensunterhalt zu verdienen, sondern damit ist auch Werterfüllung verbunden, in der Lage zu sein, mit seiner eigenen Arbeit dafür zu sorgen, seinen Lebensunterhalt zu verdienen. Wir muten Millionen von Menschen zu, dass ihnen diese Würde genommen wird, dass sie keine Löhne erhalten, von denen sie ausreichend leben können.

Herr Dr. Rosenbauer, Sie müssen mir schon einmal erklären, weshalb Politik so grausam ist, dass es nur für einige Bereiche zu regeln ist. Sie haben es für zehn Bereiche geregelt. Dort ist Ihnen die Würde der Menschen und vernünftige Arbeitsbedingungen wichtig, bei anderen ist es Ihnen im Grunde genommen egal. Dort akzeptieren Sie solche Dumping-Arbeitsverhältnis- se – – –

(Dr. Rosenbauer, CDU: Nein; das akzeptieren wir nicht! – Zuruf des Abg. Licht, CDU)

Doch, Sie akzeptieren das!

(Licht, CDU: Dann regeln wir es doch! Tun wir doch alles dafür, es zu regeln!)

Sie akzeptieren solche Dumping-Arbeitsverhältnisse.

Sie haben von der Sozialen Marktwirtschaft gesprochen. Ich bin der festen Überzeugung, wenn die CDU das Glück hätte, noch einen Ludwig Erhard zu haben, der ein Buch mit dem Titel „Wohlstand für alle“ veröffentlicht hat, dann würde er es als Skandal empfinden, dass nach über 60 Jahren Sozialer Marktwirtschaft die CDU es nicht erreicht hat, dass alle vom Wohlstand zumindest

insoweit profitieren, dass sie einen akzeptablen Mindestlohn in Deutschland erhalten.

(Beifall der SPD und des BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Zurufe der Abg. Dr. Weiland und Billen, CDU – Licht, CDU: Was haben Sie eigentlich in Ihrer Regie- rungszeit dazu getan? Warum haben Sie es nicht geregelt? Warum?)

Sie müssen sich schon die Frage gefallen lassen, weshalb es in 20 der 27 Länder der Europäischen Union einen Mindestlohn gibt und weitere fünf Länder allgemeinverbindliche – – –

(Zurufe von der CDU – Glocke des Präsidenten)

Herr Licht, mir ist vollkommen klar, weshalb Sie so nervös reagieren. Es ist für Sie ein schwieriges Thema.

(Baldauf, CDU: Sie sind doch falsch! Sie haben doch alles mitgemacht!)

Herr Baldauf, es ist schon interessant, dass Frau Klöckner dazu schweigt. Ich glaube, bei einer solch zentralen Frage, über die in Deutschland seit mehreren Jahren gerungen wird, Mindestlohn ja oder nein, was ist die richtige Antwort, kann man doch einmal von jemandem, der eine Spitzenposition anstrebt, verlangen, sich in solchen Fragen klar zu positionieren und klar zu bekennen: Ich habe eine Position, aus diesen Gründen und mit diesen Argumenten. –

(Beifall der SPD und des BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)

Wer sich in dieser Frage wegduckt, der ist nicht führungsfähig, der ist nicht in der Lage, eine schwierige Situation zu überstehen. Wer sich in einer solchen Frage wegduckt, ist nicht in der Lage, gesellschaftliche Prozesse zu gestalten und eine Gesellschaft zu führen.

(Bracht, CDU: Woher wissen Sie das eigentlich?)

Wir wissen, dass sich Herr Dr. Weiland für den gesetzlichen Mindestlohn ausgesprochen hat.

(Dr. Weiland, CDU: Aber nicht für den á la SPD!)

Herr Billen hat sich für den Mindestlohn ausgesprochen. Herr Billen hat sich eben zu einer Kurzintervention gemeldet. Frau Klöckner hat ihn offensichtlich abgehalten, hier zu sprechen.