Protokoll der Sitzung vom 23.09.2015

(Beifall der CDU)

Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich bin mir sicher, das ist gesellschaftlicher Konsens aller demokratischen Parteien bei uns hier im Plenarsaal, aber auch außerhalb, dass ebenso gegen Hass, Hetze und Menschenverachtung entschieden Stellung bezogen wird.

Wir wollen und müssen Gewalt verhindern; denn hier geht es um die Temperatur in unserer Gesellschaft.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, Europa befindet sich in einer Bewährungsprobe, und auch unser Land, in dem wir leben, für das wir Verantwortung tragen und das wir gestalten dürfen, befindet sich in einer Bewährungsprobe. Im vergangenen Jahr kamen 200.000 Menschen nach Deutschland, in diesem Jahr werden es mehr als 1 Million Menschen sein. Auch die Rheinland-Pfälzerinnen und Rheinland-Pfälzer fragen: Wie viele werden noch kommen? Wie viele davon werden bleiben? Wie können wir das dann auf Dauer mit den vielen Ehrenamtlichen auch strukturell schaffen?

Frau Ministerpräsidentin Dreyer hat Beispiele genannt, und jeder von uns kann Beispiele nennen: Überall in diesem Land gibt es Menschen, die bis in die Nacht hinein Kleider sortieren, überall in diesem Land gibt es Menschen, die bis in die Nacht hinein Essen austeilen. Wenn wir uns das Rote Kreuz vor Ort anschauen, gibt es viele, die seit Wochen sieben Tage die Woche drei Mahlzeiten am Tag ehrenamtlich austeilen. – Irgendwann kommen auch diese Menschen selbst beim besten Willen an ihre Grenzen, und wir müssen an dieser Stelle darüber reden, was danach passiert, wenn auch diese Grenzen erreicht sind.

(Beifall der CDU)

Herz, Hand und Verstand gehören zusammen, und ich möchte für meine Fraktion – aber ich bin mir sicher, eigentlich auch im Namen aller – sagen, wir möchten all denjenigen danken, die nicht im Mittelpunkt stehen, die die Helden des Alltags sind, die nicht lange gefragt, sondern angepackt haben. Herzlichen Dank ihnen allen, sei es ehrenamtlich oder hauptamtlich!

(Beifall der CDU)

Ich danke aber genauso den vielen Kommunen. Das ist eben nicht selbstverständlich, und heute kamen mir die Kommunen leider in Ihrer Regierungserklärung etwas zu kurz, Frau Ministerpräsidentin. Die Kommunen, das sind die Landkreise, die Städte, die Gemeinden; das sind die hauptamtlichen, aber es sind auch die ganz vielen ehrenamtlichen Bürgermeister, die einer anderen Erwerbstätigkeit nachgehen und die, wenn sie abends nach Hause kommen, bis in die frühen Morgenstunden hinein versuchen, Unterkünfte zu eruieren, die sich ihren Jahresurlaub nehmen und die das Wochenende durcharbeiten. Das sind die Kommunalen, und deshalb möchte ich an dieser Stelle auch einen ganz herzlichen Dank an die Kommunen sagen; denn ohne die Kommunen, glaube ich, hätten Sie

auch keine Regierungserklärung halten können und von Zuversicht sprechen können. Das, was an Umsetzung zu leisten war, noch bevor eine Landesregierung koordiniert handeln konnte, haben die Kommunen geleistet, und dafür herzlichen Dank!

(Beifall der CDU)

Ich bin vor Ort gewesen, sei es in Ingelheim, am Hahn, in Trier, in Idar-Oberstein, sei es in Bitburg oder in Bad Kreuznach. Viele packen an, damit Kinder etwas zum Spielen haben, damit sie an etwas anderes denken, damit Menschen ein Dach über dem Kopf haben, und das alles hat mich zutiefst berührt. Wenn man über diese Schicksale etwas liest, ist es das eine. Wenn man aber auf eine Familie trifft, auf eine syrische Frau, auf einen Mann, der erzählt, dass er auf seine Frau und seine Kinder noch wartet, wenn eine Familie einem ganz offen erzählt, was sie alles hergeben musste, um die Schleuser zu bezahlen, und wenn sie dann immer noch sagen, natürlich wollen wir aus unserem Land hinaus, weil unsere Kinder sonst Schaden nehmen, dann lässt einen das nicht kalt. Ich sage noch einmal, auch die Menschen, die ihnen helfen, kommen irgendwann an Belastungsgrenzen. Wir fordern, wir fördern, aber wir dürfen nicht überfordern. Wir müssen die jetzige Herausforderung bewältigen, aber nach dem Willkommen geht es ja weiter. Dann fängt es erst richtig an.

Wichtig waren dabei immer klare Konzepte und der Mut zu Entscheidungen, wenn Deutschland vor großen Herausforderungen stand und sie dann gemeistert hat. Ich sage, klare Konzepte, Mut zu frühen, zu zeitnahen Entscheidungen. Humanitäre Hilfe ist jetzt eine Sofortmaßnahme, dazu gehört aber auch eine gestaltende Politik. Eine Willkommenskultur allein ist noch kein politisches Konzept.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir können vielen Schutz bieten, aber nicht allen eine Heimat. Wir halten das Asylrecht hoch, aber nicht jeder hat Anspruch darauf, in Deutschland zu bleiben. Deshalb fordere ich die konsequente Anwendung des Rechts und eine klare Konzentration auf Menschen mit Bleibeperspektive, und das von Anfang an und nicht nur dann, wenn man politisch nicht mehr anders kann.

(Beifall der CDU)

Das haben meine Fraktion und ich bereits Anfang des Jahres gefordert, und das sage ich auch jetzt ganz klar, Frau Ministerpräsidentin. Ich hätte gedacht, Sie hätten heute die Souveränität

(Zurufe von der SPD)

und wären auf einen der drei Flüchtlingsgipfel der CDU eingegangen.

(Weitere Zurufe von SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Ich hätte gedacht, Sie hätten diese Souverenität gehabt. Warum? Weil Sie es damals waren und auch die GRÜNEN es damals waren, die uns menschliche Kälte, die uns Panikmache vorgeworfen haben und uns vorgeworfen haben, dass wir in Menschen erster und zweiter Klasse

unterscheiden,

(Daniel Köbler, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Das tut ihr doch!)

Als wir in den Mund nahmen, dass man unterscheiden muss zwischen Menschen mit und ohne Bleibeperspektive, haben Sie damals gesagt, dass in Rheinland-Pfalz jeder einen Platz findet. Heute sind Sie es, die das sagt, was wir damals gesagt haben. Eine Entschuldigung hätte gut getan; denn verletzt hat uns das auch.

(Beifall der CDU – Zurufe von SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Oh!)

Liebe Kolleginnen und Kollegen, so richtig die Entscheidung unserer Bundeskanzlerin in einer humanitären Notsituation war, die Grenzen zu öffnen, um die Lage zu entschärfen, so richtig war es ebenso, genau im Anschluss daran die Grenzkontrollen wieder einzuführen und die verstärkte Koordination mit den EU-Mitgliedstaaten zu suchen; denn Tausende Menschen ohne Registrierung und ohne Ausweis unkoordiniert quer durch Europa irren zu lassen, das ist nicht nur heute ein Problem, das wird dauerhaft ein Problem sein.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, die Regierungserklärung, die wir soeben gehört haben, hat sehr viel zu dem gesagt, was andere angeblich in der Masse und Vielzahl falsch machen, aber wenig zu dem, wofür Sie unmittelbar in Rheinland-Pfalz Verantwortung tragen und was unter rot-grüner Verantwortung eben nicht richtig, sondern schiefgelaufen ist.

(Beifall der CDU)

Frau Ministerpräsidentin, es hätte auch dazu gehört zu beschreiben, wie die Landesregierung selbst am Anfang getastet hat und sich auch auf falsche Wege begeben hat; denn wenn Sie heute das beschreiben, was Sie für richtig erachten, und wenn Sie vor Augen haben, was Sie am Anfang des Jahres nicht machen wollten, dann müssen Sie doch eingestehen, dass Sie in Ihrer Landesregierung nicht von Anfang an den richtigen, sondern genau den umgekehrten Weg gegangen sind. Auch das hätte zu einer langen, sehr langen Regierungserklärung heute dazugehört.

(Beifall der CDU)

Sie haben heute mehrfach den Satz betont: „Wir haben Anfang des Jahres beschlossen, (...)“. – Diesen Satz habe ich mehrfach von Ihnen gehört. Aber, nur beschließen ist noch kein Umsetzen. Man hätte vieles von dem, was man heute beschlossen hat – Ausbildungsplätze im Handwerk –, im Januar schon haben können, so wie wir es zum Beispiel mit dem Verband DEHOGA oder mit anderen angegangen sind.

(Beifall der CDU – Zurufe von SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Man hatte schon zu Beginn den Eindruck, dass Sie mit guten Worten auf Zeit gespielt haben. Sehen wir uns ein

mal das Saarland an, oder blicken wir nach Bayern. Dort wird vieles anders gemacht, strukturierter, koordinierter und verbindlicher. Dort werden überhaupt Dinge gemacht, die Rheinland-Pfalz noch gar nicht angepackt hat.

Eines merkt man heute auch. Frau Ministerpräsidentin Dreyer hat ihre Regierungserklärung gehalten. Es gab viele Stellen darin, die wir anders sehen. Wir haben 50 Minuten lang zugehört, Sie schaffen es noch nicht einmal, die ersten zehn Minuten zu ertragen, dass man eine andere Meinung haben kann, und das ist ein Problem in diesem Land.

(Beifall der CDU)

Das ist ein Problem bei Rot-Grün, dass Sie das nicht ertragen können.

(Daniel Köbler, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Tut mir leid, Frau Lehrerin!)

Sehen Sie, das ist der Punkt. Herr Köbler ruft nun dazwischen: „Tut mir leid, Frau Lehrerin!“ – Es war wahrscheinlich witzig gemeint, aber Herr Köbler, es gibt ein paar Grundspielarten, wie man miteinander umgeht. Ich finde, das gehört sich in einer solchen Plenardebatte, wenn wir über Flüchtlinge reden, wenn wir darüber reden, was wir gemeinsam schaffen können, nicht. Wir reden über eine Regierungserklärung, die für 20 Minuten angekündigt war und die 50 Minuten geworden ist. Dazu sagen wir nichts, das ist in Ordnung. Aber wir haben zugehört; denn ich finde, das gehört zum Respekt und zu mitteleuropäischen Gepflogenheiten dazu, und wenn Sie diese nicht vorleben, wie sollen es denn andere tun, die zu uns kommen?

(Beifall der CDU)

Ich will es noch einmal ansprechen. Schauen wir in das Saarland, schauen wir nach Bayern. Dort erhalten die Kommunen spitz abgerechnet die Kosten für Asylsuchende, sogar zeitnah und eben nicht gestreckt auf ein halbes Jahr, in dem die Kommunen das alles vorfinanzieren müssen.

Sie leisten Unglaubliches, das dem ganzen Land dient. Die Kommunen im Saarland oder in Bayern müssen sich dafür nicht so verschulden wie die Kommunen hier in diesem Land. Auch dazu hätten Sie heute bitte etwas sagen können.

(Beifall der CDU)

Liebe Kolleginnen und Kollegen, Asylsuchende ohne Bleibeperspektive werden im Saarland direkt aus der Erstaufnahme zurückgeschickt. In Bayern gibt es bereits eigene Erstaufnahmen für diese Gruppen. Dazu haben sich übrigens alle Regierungschefs in Absprache mit dem Bund verpflichtet. So viel zum Thema Absprache. Der Bund hat deshalb einiges nicht umgesetzt, weil es eine Verabredung mit den Ländern für ein gesamtes Paket gab. Eine Einbahnstraße, dass der Bund Dinge tut, die Länder sie aber nicht umsetzen, Frau Ministerpräsidentin, würden Sie selbst auch nicht mit Ihren Kommunen machen.

(Beifall der CDU)

Ich komme zu einem weiteren Punkt. Die Erstaufnahmen wurden im Gegensatz zu Rheinland-Pfalz zügig und vor allen Dingen frühzeitig ausgeweitet. Das verhindert eine unwürdige Überbelegung wie zum Beispiel in RheinlandPfalz. In Bayern waren in den Erstaufnahmeeinrichtungen noch Kapazitäten frei, als in Rheinland-Pfalz Asylsuchende bereits auf den Gängen, im Freien oder in Garagen übernachten mussten.

Warum waren andere Länder besser? Warum waren sie besser auf diese Herausforderungen vorbereitet? Ist das nur reiner Zufall, oder ist wieder der Bund daran schuld?

Rot-Grün hat in Rheinland-Pfalz die Weichen von Anfang an nicht richtig gestellt, weil die klare Linie und auch klare Zuständigkeiten gefehlt haben, weil Rot-Grün noch mit den eigenen politischen Botschaften beschäftigt war,

(Christian Baldauf, CDU: So ist es!)

mit Winterabschiebestopp, mit Ablehnung sicherer Herkunftsländer,

(Ministerpräsidentin Malu Dreyer: Wir hatten keinen Winterabschiebestopp!)

während sich andere Länder pragmatisch auf die neuen Realitäten eingestellt haben.