Protokoll der Sitzung vom 23.09.2015

während sich andere Länder pragmatisch auf die neuen Realitäten eingestellt haben.

Da möchte ich jemanden zitieren, nämlich den grünen Oberbürgermeister Boris Palmer aus Tübingen. Er hat am Montag in einem „taz“-Interview gesagt, die GRÜNEN stünden mal wieder vor einem Realitätstest. Sie würden zu einer pragmatischen Sicht kommen müssen.

(Christian Baldauf, CDU: Wie Joschka Fischer!)

Frau Ministerpräsidentin, in Ihrem Kabinett sind Zuständigkeiten zusammengewürfelt, die Ihnen heute die Probleme bereiten. Wir Christdemokraten halten es für den systematisch falschen Ansatz – das haben wir damals schon Ihrem Vorgänger gesagt, und wir haben es nochmals erwähnt, als Sie Ihr Amt antraten und die Chance für eine Neustrukturierung gehabt haben –, die Flüchtlingsaufnahme in einem gesellschaftspolitisch ausgerichteten Ministerium zu bündeln. Wenn man Zuwanderungsbewegungen nur unter einer verengten und ausschließlich sozialpolitischen Sichtweise betrachtet, bleiben nämlich wichtige Aspekte außen vor. Beispielhaft hierfür war die Regierungserklärung von Frau Ministerin Alt „Willkommen in Rheinland-Pfalz“ zu Beginn des Jahres.

(Christian Baldauf, CDU: So ist es!)

Wenn man wie die Integration nur einseitig betrachtet, dann wird man blind für Probleme. Dann kommen Begriffe wie „Herausforderung“ oder „ohne Bleibeperspektive“ eher selten vor. Dass im Integrationsministerium alle Zuständigkeiten gebündelt sind und das Innenministerium außen vor ist, haben wir bereits zu Beginn der Legislaturperiode kritisch angemerkt. Es hat sich bewahrheitet. Integration und Abschiebung in einer Hand, da ringen Bauch und Kopf miteinander. Man merkt bis heute an der Regierungspolitik, dass hier viel Kraft verloren gegangen ist, die eigentlich in klaren und schnellen Entscheidungen und guter Führung

hätte stecken müssen.

(Beifall der CDU)

Frau Ministerin Alt, Sie hätten uns eines Besseren belehren können. Sie hätten beweisen können, dass Sie mit einem eigenen Ministerium gerade besonders gut auf diese Situation vorbereitet sind.

(Daniel Köbler, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Das tut sie jeden Tag!)

Aber stattdessen sitzt die rheinland-pfälzische Integrationsministerin bei wichtigen Entscheidungen auf der Bundesebene erst gar nicht mit am Tisch. Wenn andere ihre Integrationsminister aus dem Land mitbringen, ist Frau Alt nicht dabei. Sie haben also ein Integrationsministerium geschaffen, damit die Ministerin bei wichtigen Treffen mit Länderkollegen daheim bleibt.

Stattdessen nahm dort ab und zu Herr Lewentz Platz. Der wiederum war operativ im Land nicht federführend zuständig und musste dann der Integrationsministerin berichten. Das ist eine missliche Situation, wenn der Vorsitzende der Innenministerkonferenz im Bund ein Thema koordinieren soll, für das er im eigenen Land gar keine Verantwortung trägt. Was soll denn dabei herauskommen?

(Beifall der CDU)

Wie falsch diese Aufteilung war, hat sich gerade in der aktuellen Krisensituation mehrfach gezeigt. Die Güte von Regierungen zeigt sich gerade in Krisensituationen und nicht in Sonnenscheintagen.

(Beifall der CDU)

Wenn die vielen rot-grünen Beteuerungen dem Praxistest ausgesetzt sind, dann zeigt sich ein ganz anderes Bild. Hunderte Asylsuchende sind auf eigene Faust in die Erstaufnahme des Saarlandes nach Lebach zurückgekehrt, weil in der Erstaufnahme in Trier – Frau Dreyer, in Ihrer Heimatstadt – katastrophale Zustände herrschen. Trotz gegenteiliger Beteuerungen werden in diesem Winter Zelte benutzt.

Vor einiger Zeit wurde beteuert, in Rheinland-Pfalz werden im Winter und im Herbst keine Zelte stehen. Wir machen es Ihnen übrigens nicht zum Vorwurf, wenn Zelte stehen. Wir machen Ihnen nur zum Vorwurf, dass Sie unserer Bevölkerung irgendwelche Beruhigungspillen verabreichen, obwohl Sie schon absehen konnten, dass das wahrscheinlich nicht funktionieren würde.

(Beifall der CDU)

Wir machen Ihnen auch zum Vorwurf, dass Frau Dreyer als Ministerpräsidentin in der Frage nach den Zelten im Winter zeitgleich vor laufender Kamera Frau Gottstein widerspricht, der zuständigen Integrationsstaatssekretärin.

Ich komme zu einem weiteren Punkt. Die finanzielle Ausstattung der Kommunen durch das Land ist deutschlandweit im unteren Drittel. Dazu haben wir heute nichts gehört. Hessen hat nach gestrigen Angaben des Ministerpräsidenten Bouffier, der eine Regierungserklärung hielt, die

pauschalen Erstattungen bereits rückwirkend zum 1. Januar 2015 um mindestens 15 % angehoben.

Frau Ministerpräsidentin, Sie sind unterwegs und wollen mit dem Motto „Land von morgen“ punkten. Sie wollen damit wahrgenommen werden, „Land von morgen“. Aber Sie kämpfen mit der Gegenwart, und die scheint Sie schon zu überfordern.

(Beifall der CDU)

Ich werde es konkretisieren. Als die steigenden Flüchtlingszahlen die Kommunen in erste Schwierigkeiten brachten – das habe ich noch ganz genau vor Augen, es ist fast ein Jahr her, das spitzte sich vor den Weihnachtsferien zu, als die ersten Schwierigkeiten nicht nur zu erahnen waren, sondern als sich die Kommunen meldeten –, haben Sie zunächst einmal jegliche Kritik abgeblockt und haben in der Sache richtige Forderungen aus ideologischen Gründen zurückgewiesen. Sie haben eben nicht perspektivisch gehandelt.

Ich erinnere nur an die Situation zu Beginn des Jahres, nämlich am 15. Januar 2015. Da gab es den ersten Flüchtlingsgipfel Rheinland-Pfalz der CDU-Landtagsfraktion. Da war der Ruf der Kommunen nach einem Flüchtlingsgipfel so laut wie nie zuvor. Die Landesregierung hat ihn damals zurückgewiesen. Die CDU-Fraktion war offen dafür. Die Ergebnisse unseres Flüchtlingsgipfel sind richtungsweisend.

Sie aber waren abweisend. Das ist nicht souverän, das ist nicht mutig. Es war vor allen Dingen nicht verbindend, dass Sie auch nahegelegt hatten, dass SPD-Bürgermeister nicht teilnehmen sollten. So etwas rächt sich heute.

(Beifall der CDU)

Ich zitiere einen Auszug aus der Landespresse: „Noch während im Landtag auf Einladung der CDU über Probleme und bessere Konzepte zur Aufnahme und Unterbringung von Flüchtlingen gerungen wird, spucken Vertreter von SPD und Grünen Gift und Galle.“(...)

„Es darf einfach in einer Demokratie nicht diskreditiert werden, wenn sachlich fundiert über Schwierigkeiten diskutiert wird. Die Staatskanzlei, allen voran Ministerpräsidentin Maly Dreyer, hat offenkundig die Dimension der Probleme in Städten und Gemeinden völlig verkannt. Das offenbart einen bedenklichen Mangel an politischem Gespür.

(Unruhe bei der SPD)

Dreyers Vorgänger Kurt Beck wäre so etwas nicht passiert.“ – Das sage nicht ich, sondern das ist ein Zitat aus den Medien.

Wissen Sie, das Hauptproblem in diesem Land ist, dass die Größe fehlt, Dinge anzuerkennen, die gut von anderen sind. Wir haben das heute gehört, als es um die Bildungspolitik ging.

Wissen Sie, Rot-Grün handelt immer nach dem Motto „Gute Ansichten sind wertlos, es kommt nur darauf an, wer sie hat“. Wer so eine Überzeugung hat, der handelt nicht fürs Land, sondern der handelt nur für die eigene Macht.

(Beifall der CDU)

Frau Ministerpräsidentin, damals haben Sie das Problem nicht erkannt, werfen aber das Gleiche jetzt dem Bund vor. Das nennen wir Ablenkung.

Ich kann Ihnen Beispiele nennen: Im Land wollten Sie keinen Flüchtlingsgipfel, aber Sie fordern ihm im Bund. Im Land wollten Sie den Kommunen nicht mehr Geld geben, aber Sie fordern das vom Bund. Sie haben mit zu wenig Personal auf den Ansturm reagiert, aber Sie fordern das Personal vom Bund. Sie haben nicht ausreichend Sprachkurse vorgesehen, aber Sie fordern sie vom Bund. Sie haben sichere Herkunftsstaaten im Bundesrat abgelehnt, aber Sie fordern jetzt vom Bund schnellere Entscheidungen bei den Verfahren für Menschen ohne Bleibeperspektive. Sie sagen heute, Menschen ohne Bleibeperspektive müssen schneller zurück, aber gleichzeitig bleibt der sogenannte Winterabschiebestopp faktisch bestehen. Frau Ministerpräsidentin, Sie wollen für das Gefühl zuständig sein, aber der Bund soll die politischen Konsequenzen übernehmen. Diese Arbeitsteilung funktioniert nicht.

(Beifall der CDU)

Wer aber selbst im eigenen Land nicht konsequent handelt, setzt eine leistungsfähige, dauerhafte Humanität aufs Spiel. Sie haben lange die Augen vor den Problemen verschlossen. Wichtige Zeit ist verloren gegangen, weil Sie auf falsche Maßnahmen gesetzt haben, unkoordiniert gehandelt haben und keiner so richtig wusste, wer wem in diesem Land etwas zu sagen hatte.

Eine Vielzahl der Forderungen unseres Flüchtlingsgipfels – wir haben drei Flüchtlingsgipfel veranstaltet – sind jetzt teilweise auch zu Ihren Themen geworden. Erst viele Monate danach und halbherzig wurden sie umgesetzt. Wir haben zum Beispiel die koordinierte Unterstützung von Ehrenamtlichen gefordert, die Flüchtlinge begleiten. Wir haben das systematische Abfragen der Berufsqualifikationen in der Erstaufnahme gefordert. Wir haben eine zentrale Koordinierung und Erfassung der Wohnraumbestände gefordert. Wir haben auch die Ausweitung der Sprachförderung gefordert. Noch im Januar dieses Jahres ließ sich Bildungsministerin Reiß zum Thema Sprachförderung mit den Worten zitieren, die Frage nach mehr Personal und zusätzlichen Mitteln stelle sich erst einmal nicht.

Wenn Sie sagen, Sie haben von Anfang an beherzt gehandelt, dann weiß ich nicht, was Sie als Anfang definieren.

(Beifall der CDU)

Ich erinnere noch an ein Weiteres, nämlich an das Thema Standardüberprüfung. Als ich gefordert hatte, die Standards zu überprüfen, Standards praktikabel anzupassen, dass wir nicht eine europaweite Ausschreibung für Unterkünfte haben wollen und können für Menschen, die heute Nacht noch ein Dach über dem Kopf brauchen. Eine europaweite Ausschreibung bei denen, die gar nicht bereit, sich überhaupt um Flüchtlinge zu kümmern!

Als ich gefordert habe, die Energieeinsparverordnung auszusetzen und auf Bestand zu setzen, gab es die abgestimmte Pressemitteilung der Generalsekretäre der SPD

und der GRÜNEN – das war vor den Ferien –, in der mir vorgeworfen wurde, Klöckner würde hetzen, Klöckner würde die Menschen in erste und zweite Klasse unterteilen, und Klöckner hätte das Christliche nicht verdient. Das wahr ehrabschneidend, das war verletzend, aber vor allen Dingen fordern Sie das und behaupten heute, Sie hätten es bei der Kanzlerin durchgesetzt. Das ist unanständig!

(Anhaltend starker Beifall der CDU)

So kann man Tatsachen verdrehen, wenn man von Anfang an nicht offen war.

(Carsten Pörksen, SPD: Sind Sie da vorsichtig!)

Es fehlt an Führung. Es fehlt auch an der Bereitschaft, Verantwortung zu übernehmen. Was ist die Ursache dafür? Es fehlt deshalb von Anfang an an Führung, weil der Sinn für das operative Geschäft fehlt. Führung bedeutet nämlich nicht, dass man beizeiten unbequem gewordenen Ministern den Stuhl vor die Tür setzt, sondern das bedeutet, den Blick fürs Ganze zu haben und auch den Kurs vorzugeben.

(Beifall der CDU)

Was aber passierte in Rheinland-Pfalz? Da wurde eine sogenannte Taskforce mit der Aufgabe eingerichtet, regierungsinterne Koordinationen hinsichtlich der Unterbringung, Betreuung und Versorgung von Flüchtlingen und Asylsuchenden vorzunehmen. Gebracht hat diese Taskforce wenig.

Deshalb wurde das Nächste eingeführt. Sie haben dann einen sogenannten Führungsstab Flüchtlinge eingerichtet. Sein Leiter erklärte die Aufgabe des neuen Gremiums so: Wir im Führungsstab versuchen, das Thema Flüchtlinge über die verschiedenen Ministerien hinweg zu koordinieren. – Wir sind gespannt, welcher neue Arbeitskreis, welcher nächste runde Tisch noch kommen wird. Das Gründen von ständig neuen Arbeitskreisen ist aber kein Regieren, sondern das ist eher das Simulieren von Regieren und das Abwälzen von Verantwortung. Regieren bedeutet auch Mut zu Entscheidungen, und zwar beizeiten.