Wenn es um die Gesundheitskarte geht– das wissen Sie doch, Frau Dreyer –, dann sagen Sie das doch bitte auch hier im Land, warum das Gesetzespaket noch nicht früher verabschiedet worden ist. Das wissen wir doch beide. Ich rede mit der Kanzlerin. Sie sind im Bundesvorstand. Das wissen wir doch beide. Wir haben doch alle ein Recht darauf, das zu erfahren. Das liegt daran, dass die sicheren Herkunftsländer die Bedingung von Herrn Kretschmann waren, dass er dann verhandlungsbereit ist, wenn ihm die Gesundheitskarte zugestanden wird. Sie reden hier groß und breit über die Gesundheitskarte, aber sagen nicht, was es mit den sicheren Herkunftsländern auf sich hat.
(Ministerpräsidentin Malu Dreyer: Das sind die, die wir schon beschlossen haben! – Daniel Köbler, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Die Kanzlerin hat ihr Versprechen gebrochen!)
Frau Ministerpräsidentin, da muss ich schon deutlich sagen, das ist Ihnen auch gestern oder vorgestern so gegangen. Da muss man schon sagen, richtige Verantwortung in diesen stürmischen Zeiten heißt auch, die Kinder beim Namen zu nennen und nicht abzuducken.
Uns das dann vorzuwerfen – die GRÜNEN sind immer ganz schnell dabei –, das ist schon so eine repressive Toleranz, die man hier hat. Das heißt, wenn man nicht 100 % der Meinung ist wie Sie bei den GRÜNEN, dann ist man entweder ausländerfeindlich, hat es nicht verstanden oder würde in Schulklassen Ghettos bilden, weil man Deutsch-Vorlaufklassen will. Diese Art der Sprache, diese Art des Moralisierens, dass es auf der einen Seite Bessermenschen gebe und die anderen haben das C in dem Namen nicht verdient, führt dazu, dass in unserem Land irgendwann die Stimmung kippen wird, weil Sie über alles so drüberpflügen.
Das ist nicht in Ordnung. Da muss ich nicht mich zitieren, da kann ich Ihren ehemaligen oder unser aller ehemaligen Bundesaußenminister, Herrn Fischer, zitieren, der deutlich sagt, die Länder, die sich in EU-Beitrittsverhandlungen befinden, können keine politische Verfolgung haben, oder wir müssen über den Beitrittsstatus reden. Sie sagen nichts dazu.
Jetzt sage ich aber einmal etwas anderes, was Herr Palmer sagte. Die GRÜNEN müssen im Realitätscheck sein, und wir dürfen auf keinen Fall blockieren. Deutschland braucht jetzt passende Lösungen, um mit dieser riesigen Zahl umgehen zu können.
Jetzt sagt er weiter, deshalb müssen wir unsere Verantwortung im Bundesrat bei den sicheren Herkunftsländern
Er kommt zu folgendem Ergebnis, lieber Herr Wiechmann: Natürlich müssen wir zustimmen, dass das sichere Herkunftsländer sind. Mag sein, dass Sie in Ihrer Intelligenz weiter sind als ein Herr Palmer und ein Herr Fischer – das mag sein –,
aber es gehört zum Spektrum der Meinungsvielfalt, so etwas sagen zu dürfen und einen nicht gleich abzutun, als seien wir menschenunfreundlich und hätten das C in unserem Namen nicht verdient. Ich glaube, hier muss eine andere Kultur her; denn ansonsten können wir draußen nicht vormachen, was die Kultur unseres Landes bedeutet und warum wir soweit sind, wie wir sind, nämlich sehr stark sind.
Sehr geehrte Frau Ministerpräsidentin, wir hätten auch gern gewusst, wie Sie es mit dem Vorschlag der Stichtagsregelung halten. Auch das interessiert uns. Ich meine, Sie sind hier in einer Koalition. Wenn es unterschiedliche Botschaften gibt, ist es spätestens Aufgabe, innerhalb einer Regierungserklärung zu sagen, für was man als Richtlinienkompetenzgeberin steht. Das sind Sie. Sind Sie für eine Stichtagsregelung, wenn bis zu einem gewissen Zeitpunkt Asylanträge nicht bearbeitet worden sind – ganz gleich, ob man eine Bleibeperspektive hat oder nicht –, dass man dann bleiben darf?
Das ist eine Einladung, auch ohne Asylgrund erst recht zu kommen, weil man dann auf Zeit setzen darf. Sagen Sie uns, ob Sie dafür sind oder nicht dafür sind. Ihr grüner Koalitionspartner ist es. Aber dazu ist schön, dass Sie sich mit den Vorschlägen der Union auseinandergesetzt haben. Das finde ich gut. Ich wünsche mir aber auch, dass Sie sich mit Vorschlägen Ihres Koalitionspartners auseinandersetzen; denn Sie regieren zumindest auf dem Papier mit ihnen zusammen.
Ich sage es jetzt einmal so: Gegenüber der Presse haben Sie, Frau Ministerpräsidentin, geäußert, dass es Ihnen einerlei sei, auf welche Weise die Altfälle bearbeitet werden. Ihnen ist es also einerlei, ob 12.000 Menschen in Rheinland-Pfalz bleiben oder gehen müssen? Haben Sie schon einmal mit den Kommunen darüber geredet, die das bezahlen und organisieren? Auch das gehört dazu. Das erwarte ich von einer Ministerpräsidentin.
Liebe Kolleginnen und Kollegen: „Alle große politische Aktion besteht in dem Aussprechen dessen, was ist, und beginnt damit. Alle politische Kleingeisterei besteht in dem Verschweigen und dem Bemänteln dessen, was ist.“ Diese Worte stammen von Ferdinand Lasalle. Sie wurden vor 150 Jahren gesprochen, und sie sind noch immer richtig.
Sagen was ist, das ist der Ausgangspunkt auch des politischen Handelns. Es geht um verantwortliches politisches Handeln. Wir erleben eine öffentliche Diskussion – ich habe es heute öfter erwähnt –, in der der gute Wille und das Herz den Ton angeben. Wir brauchen diesen guten Willen. Wir brauchen die überwältigende Hilfsbereitschaft. Deshalb habe ich damit auch bewusst meine Rede begonnen. Aber als gewählte Volksvertreter dürfen wir nicht der Verlockung unterliegen, uns öffentlich darin zu überbieten, welch guter Gesinnung wir sind, uns immer darin zu überbieten, wer eine bessere Gesinnung hat, die zur Schau tragen, wer die besseren Menschen sind.
Der Soziologe Heinz Bude nennt es die Phase – ich zitiere – des Flüchtlingsidealismus. Er sagt dann weiter, wir werden zu einer pragmatischeren Sicht kommen müssen.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, die Wahrheit ist immer konkret. Auch die Sorgen der Menschen sind es. Wir müssen viel stärker deren Fragen zulassen. Noch vor einem halben Jahr hätte man Fragen hier gar nicht stellen dürfen, ohne dass man niedergebrüllt worden wäre. Wie können wir für alle Flüchtlinge den nötigen Wohnraum finden, wenn es bereits jetzt in vielen Städten nicht genügend Wohnraum gibt? Wie kann es gelingen, Hunderttausende Menschen in den deutschen Arbeitsmarkt zu integrieren, wohl wissend, dass nicht jeder ein syrischer Arzt ist, wohl wissend, dass in Schweden eine Studie ergeben hat, dass Flüchtlinge, die dauerhaft bleiben, im Schnitt acht Jahre brauchen, bis sie im Arbeitsmarkt Fuß fassen können, dass wir eine hohe Analphabetisierungsrate haben. Das ist genau der Grund, warum wir sagen, wir sind für DeutschVorlaufklassen. Das hat doch nichts mit Ghettoklassen zu tun. Das schlägt sogar die Bundesintegrationsministerin im Kanzleramt – SPD-Parteimitglied – vor. Wenn wir es vorschlagen, sind es Ghettoklassen. Ich finde es diffamierend und verletzend, uns so etwas vorzuwerfen.
Ich finde das nicht in Ordnung. Das will ich wirklich noch einmal sagen, weil es ein konstruktiver Vorschlag ist. Man kann anderer Meinung sein, aber wenn Sie Kinder haben, von denen Sie gar nicht wissen, welche Schulleistungsfähigkeit sie haben, ob sie alphabetisiert sind oder nicht, die traumatisiert sind – mir erzählte eine Freundin, die Lehrerin ist, dass mitten in der Schulstunde ein Kind aufsprang und schrie, ein traumatisiertes Kind, keiner konnte mehr etwas machen –, ist es wichtig, dass wir in DeutschVorlaufklassen Zeit für diese Kinder haben und herausfinden, wer auf welche Schule passt, und dann auch schauen, wer erst einmal eine Alphabetisierung braucht. Das ist unser Vorschlag von Deutsch-Vorlaufklassen. Das ist unser Vorschlag für eine gelingende Integration.
Natürlich werden auch viele Fragen gestellt. Wie verändert sich unser Land? Natürlich verändert sich unser Land. Ja, das ist aber nicht der Untergang des Abendlandes. Wir werden auch einen Kreativitätsschub in einer sich verändernden Gesellschaft bekommen, zweitältestes Land der Welt nach Japan. Wir können einen Kreativitätsschub bekommen. Das hat es bei Zuwanderung auch immer gegeben. Wir müssen aber auch sehen, dass sich die Welt
ändert, dass Akteure, dass Täter aus Krisengebieten nicht immer in den Krisengebieten bleiben wollen. Das Thema Innere Sicherheit wird eine entscheidende Rolle spielen, aber auch die Frage danach, wer unser Bild vom Menschen teilt und wie das auch eingefordert wird. Auch das spielt eine große Rolle.
Ich denke, deshalb ist es ganz wichtig, dass wir nicht reflexhaft auf sorgenvolle Fragen von Bürgern antworten. Wir haben unglaublich viele Briefe – ich glaube, Ihnen allen geht es so – zu dem Thema Flüchtlinge bekommen. Ich habe noch nie so viel Post innerhalb kürzester Zeit zu einem solchen Thema von Menschen unterschiedlicher Couleur, unterschiedlicher Bevölkerungsschichten, Menschen mit und auch ohne oder umgekehrt ohne und auch mit Migrationshintergrund, Jungen, Alten, Alleinstehenden, Familien bekommen. Sie haben nichts zu tun mit kriminellen Extremisten, die Flüchtlingsunterkünfte anzünden oder Hass verbreiten. Sie haben aber Fragen, und sie sind skeptisch bei einigen Punkten, bei denen Sie sagen, Frau Ministerpräsidentin, es wird keinen in diesem Land etwas kosten.
Sie haben diese Passage genannt. Ich glaube schon – so offen muss man sein –, dass keiner weniger haben wird. Das haben Sie gesagt. Ich glaube ganz offen und ehrlich, dass Sie diese Versprechung nicht halten können. Das glaube ich nicht. Es gehört aber dazu, das offen zu sagen.
Wir sind in einem Zielkonflikt zwischen offenen Armen, was uns ein sympathisches und herzliches Gesicht in der Welt gegeben hat, was gut ist, aber auch der Frage, wann die Grenzen der Belastbarkeit und die Integrationsfähigkeit einer Gesellschaft und von Rheinland-Pfalz erreicht sind.
Wir sind der Meinung – auch das gehört dazu –, das deutlich zu machen. Ich bitte Sie, dass Sie morgen in Ihren Gesprächen auch Wert darauf legen. Wir können es nicht mehr gewährleisten, dass jeder Flüchtling ein Recht auf eine freie Wohnortwahl hat. Das wird nicht funktionieren. Wir müssen registrieren und verteilen. Dann muss es akzeptiert werden. Deutschland wird diese Aufgabe nicht allein bewältigen können. Wir werden auch mit dem Asylrecht nicht die Armut dieser Welt bekämpfen können. Es ist wichtig, dass wir keine falschen Anreize setzen.
Frau Ministerpräsidentin, wir erwarten, dass Sie morgen überall dort, wo es verfassungsrechtlich möglich ist, dafür kämpfen, dass Bargeldleistungen durch Sachleistungen ersetzt werden. Auch das erwarte ich von Ihnen.
Ich erwarte von Ihnen, dass Sie dem Bund zusagen, dass Menschen ohne Bleibeperspektive nicht mehr in die Kommunen geschickt werden. Natürlich müssen Asylverfahren deutlich schneller bearbeitet werden. Es kann aber auch kein Dauerzustand sein, dass Asylentscheidungen tagelang, wochenlang oder monatelang folgenlos bleiben. Wenn jemand aus wirtschaftlichen Motiven zu uns kommt, ist das verständlich. Es ist aber kein Asylgrund. Deshalb ist es unerlässlich, alle falschen Anreize zu unterlassen, die in unseren Augen vielleicht keine falschen Anreize sind, aber
in deren Augen, wenn man noch nicht einmal einen Bruchteil in einem Jahr von dem verdient oder in der Tasche hat, was man hier vielleicht durch Vorauszahlungen – in Berlin waren es drei Monate Vorauszahlungen – bekommt.
Deshalb bin ich der Meinung, dass wir diese gesellschaftspolitische Debatte nicht scheuen dürfen. Ich weiß, vor einem halben Jahr hätte ich das, was ich eben gesagt habe, an dieser Stelle nicht sagen können.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich will auch deutlich sagen, dass es Drehtüreffekte gibt. Diese haben Sie immer abgelehnt. Wir plädieren auch dafür, dass Menschen, die keine Bleibeperspektive haben und zurückgegangen sind, dann, wenn sie wiederkommen und wieder einreisen, nicht in die Kommunen, sondern wieder in die Erstaufnahmeeinrichtung kommen. Wir plädieren dafür, dass die Kommunen ihre Ausgaben vollständig erstattet bekommen, damit die Kräfte vor Ort einen Motivationsschub erhalten. Es darf vor Ort nicht zu weiteren Verschuldungen kommen, sodass die Bürgermeister „angeschmiert“ sind.
Wir erwarten von Ihnen morgen eine Zustimmung zu den sicheren Herkunftsstaaten und zur weiteren Erweiterung. Wir erwarten, dass es eine zentrale landesweite Rückführung aus den Erstaufnahmeeinrichtungen gibt. Wir erwarten auch – ich glaube, hier sind wir nah beieinander –, dass vieles beim Vergaberecht pragmatischer gestaltet werden muss. Ich habe das Thema energetische Standards genannt.
Wir brauchen aber auch Menschen für Menschen, die hierbleiben und die unsere Nachbarn, unsere Arbeitskolleginnen und -kollegen und Vereinskameradinnen und kameraden werden. Für diese brauchen wir eine koordinierte und keine zufällige soziale Begleitung. Ich bin auch der Meinung, dass das Leiharbeitsverbot für Asylbewerberinnen und -bewerber und Geduldete nach drei Monaten entfallen muss.
Ich will noch einen letzten Punkt nennen. Wir haben viel mehr Punkte zusammengestellt, um Ihnen deutlich zu machen, was uns wichtig ist. Das erhöht auch die Akzeptanz vor Ort. Wir plädieren für eine Berufszulassung für geflüchtete Ärztinnen und Ärzte zur Mitwirkung an der ärztlichen Versorgung von Asylbewerberinnen und -bewerbern und Flüchtlingen.
Herr Köbler, es ist nicht so, dass wir nicht lesen können. Ich habe weder kognitiv noch organisatorisch ein Problem, die Meldung der Ärztekammer wahrzunehmen. Wenn Sie all das, was Sie lesen, auch umsetzen würden, dann hätten wir in diesem Land weniger Probleme.