Protokoll der Sitzung vom 06.10.2015

(Heiterkeit bei der SPD – Carsten Pörksen, SPD: Mir auch! – Julia Klöckner, CDU: Weil Sie ein Mann sind?)

Nein, weil ich ein GRÜNER bin. Ich kann mich darüber beschweren und sagen, dass mir das nicht passt. Das ist völlig in Ordnung. Ich finde aber, man kann nicht einfordern, dass die Menschen per Gesetz gezwungen werden, der CDU-Oppositionsführerin die Hand zu geben. Das ist kein Beitrag zu einer Willkommenskultur; denn Sie versuchen damit wieder einmal, pauschal islamfeindliche Ressentiments zu bedienen.

(Katrin Anklam-Trapp, SPD: Bilder zu erwecken!)

Sie geben die Stichworte für diejenigen, die diese Menschen nicht bei uns wollen, die sich nicht zu einer offenen Gesellschaft bekennen, für AfD, für andere, die schon am rechten Rand zündeln. Sie sehen es auch in Umfragen: Sie geben die Stichworte für das Original.

(Vereinzelt Beifall bei der SPD)

Am Ende wird davon das Original profitieren.

(Katrin Anklam-Trapp, SPD: Ganz bewusst!)

Davor warne ich. Ich will nicht, dass wir wieder zu den Zuständen der 90er-Jahre kommen, als Asylbewerberheime bei uns gebrannt haben. Spielen Sie nicht den Brandbeschleuniger, sondern helfen Sie mit uns, dass die große Mehrheit der Gesellschaft obsiegt, die sagt: Wir sind vernünftig, wir gehen praktisch, aber mit offenen Armen mit diesen Menschen um, und wir bedienen nicht Ressentiments und zündeln am rechten Rand. Das hat in diesem Haus nichts verloren.

(Beifall des BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)

Frau Klöckner, wenn man jeden Tag betont, es ist schön, wie die Menschen mit der Flüchtlingssituation umgehen, aber es könnte die Stimmung kippen, wenn den Menschen erst einmal klar wird, wie viele es sind, es könnte die Stimmung kippen, wenn sie merken, dass noch nicht jeder Deutsch kann, es könnte die Stimmung kippen, wenn sie mitbekommen, dass die Menschen vielleicht einen anderen Glauben oder gar keinen Glauben haben, und es könnte die Stimmung kippen, wenn die Menschen erst einmal merken, was es wirklich bedeutet, dann kippt die Stimmung auch irgendwann. Das ist die berühmte selbsterfüllende Prophezeiung.

(Zuruf von der SPD: Ja!)

Deswegen ist es nicht nur etwas, das man auch einmal sagen kann,

(Alexander Licht, CDU: Mit diesem Thema kennen sich die Grünen aber aus!)

oder irgendein Vorschlag, sondern es ist in einer Zeit, in der wir sehr sensibel mit diesen Fragen umgehen, eine brandgefährliche Richtung, wie ich finde.

Ich glaube, Sie wissen, dass ich nicht mit Kritik an der Kanzlerin spare. Ich finde aber – nachdem sie gemerkt hat, wie groß die Herausforderung ist –, dass Frau Merkel vieles richtig macht,

(Julia Klöckner, CDU: Natürlich!)

sie vor allem mit einer klaren Haltung an die Sache herangeht und sagt, wir schaffen das. In diesem Sinne unterstützen wir GRÜNE auch die Kanzlerin: Ich wäre froh, wenn die CDU und auch die Stellvertreterin von Frau Merkel, Frau Klöckner, endlich den Kurs der Kanzlerin in dieser zentralen gesellschaftspolitischen Auseinandersetzung stützen und nicht hintertreiben würden.

(Unruhe bei der CDU)

Diese Aufgabe ist viel zu groß für das kleine Karo dieses Wahlkampfgetöses und Ihres parteipolitischen Gezänks, Frau Klöckner.

(Zuruf der Abg. Marlies Kohnle-Gros, CDU)

Lassen Sie uns gemeinsam diese Herausforderung annehmen. Lassen Sie die Landesregierung, Rot-Grün und Frau Merkel in dieser verantwortlichen Frage nicht weiter im Regen stehen, Frau Klöckner.

(Beifall des BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der SPD – Hans-Josef Bracht, CDU: Haben Sie gemerkt, dass dieser Einwand ein bisschen lächerlich war?)

Statt dieser Schwarzmalerei und dem Bedienen von Ressentiments am rechten Rand unterstützen wir in RheinlandPfalz, unterstützt Rot-Grün die Kommunen und die Ehrenamtlichen bei den vielfältigen Herausforderungen.

(Zuruf der Abg. Marlies Kohnle-Gros, CDU)

Frau Klöckner, Sie haben recht. Sie haben in einem Punkt recht, und ich bin froh, dass Sie das bereits erkannt haben. Ein großer Teil dieser Menschen wird nicht nur kurz hierherkommen und dann wieder gehen – das lässt die weltpolitische Lage nicht zu –, sondern sie werden hier bleiben. Deswegen geht es darum, alle Anstrengungen auf das Thema Integration dieser Menschen in unsere Gesellschaft zu legen.

Deswegen bin ich sehr froh, dass die Landesregierung, dass Ministerin Irene Alt gemeinsam mit der Ministerpräsidentin schon jetzt angekündigt haben, dass es noch in diesem Jahr eine Integrationskonferenz geben wird, auf der mit allen Beteiligten der Verbände, Kommunen, Migrantenorganisationen, aber auch der Bildungsinstitutionen und vielen anderen gemeinsam über diese Herausforderungen gesprochen wird und die Konzepte, die wir mit dem Landesintegrationskonzept und dem Maßnahmenplan bereits haben, was die Flüchtlinge angeht, weiter zu verfeinern und auszubauen. Das zeigt, dass die Politik von Rot-Grün in dieser Frage sehr vorausschauend ist.

Vorausschauend sind wir auch bei der Frage des Aufbaus der Erstaufnahmekapazitäten. Als wir GRÜNE 2011 in die Regierung eingetreten sind, hatten wir unter 900 Erstaufnahmeplätze für Asylsuchende. Wir sind jetzt schon bei über 10.000.

(Zuruf der Abg. Marlies Kohnle-Gros, CDU)

Wir brauchen noch wesentlich mehr. Ich sage Ihnen auch: Bei aller verständlichen Diskussion vor Ort – ob das in Langenlonsheim, Daaden, Hermeskeil oder woanders ist –, es ist am Ende entscheidend wichtig, dass wir garantieren können – und das werden wir garantieren –, dass all diese Menschen, die zu uns kommen, im Winter ein Dach über dem Kopf haben und wir nicht riskieren werden, dass die Menschen am Bahnhof ankommen und draußen schlafen müssen.

(Julia Klöckner, CDU: So wie in Trier!)

Das werden wir nicht riskieren. Bei uns steht zunächst einmal der Mensch mit seinem Leib und Leben im Mittelpunkt, der bei uns Schutz und Obdach sucht. Deswegen werden wir Schutz und Obdach auch gewährleisten, an den Standorten, an denen es am besten möglich ist, manchmal auch an den Standorten, an denen es dann ganz schnell möglich sein muss. Das ist aber unsere allererste humanitäre Herausforderung, dass wir den Flüchtlingen, die zu uns kommen, Gesundheit, ein Dach über dem Kopf und Schutz für Leib und Leben bieten. Dafür stehen wir auch, meine Damen und Herren.

(Beifall des BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)

Liebe CDU-Opposition, man kann nicht auf der einen Seite kritisieren, dass die Landesregierung angeblich beim Aufbau der Kapazitäten für die Unterbringung zu langsam ist, aber dann überall, wo es vor Ort diskutiert wird, sagen, hier geht es aber gerade nicht, hier sind es zu viele, und hier können wir es aber gerade nicht machen, und die Dinge zu hintertreiben.

Ich verstehe ja noch, wenn Sie das aus parteipolitischem Kalkül machen. Ich verstehe es aber nicht mehr, auch weil Sie sich Christdemokraten nennen, wenn es um die humanitäre Verantwortung für den blanken Schutz von Gesundheit und Leben der Menschen geht, die zu uns kommen. Da hört mein Verständnis für parteipolitische Spielchen auf, liebe Frau Klöckner.

Meine Damen und Herren, deswegen haben wir die entsprechende Weichenstellung getroffen. Wir haben feste Ansprechpartner für die Kommunen beim Management der Unterkünfte benannt, wenn es um freie Liegenschaften des Bundes und des Landes geht. Landeseigene Immobilien werden den Kommunen für Flüchtlingsunterkünfte mietfrei zur Verfügung gestellt. Wir haben ein zinsfreies Darlehensprogramm für die Kommunen aufgelegt und die entsprechenden Unterkunftskapazitäten geschaffen, was ein ganz, ganz großer Erfolg ist.

Wir haben, wo immer es auf Landesebene geht, Verwaltungsverfahren und Vergabebestimmungen gelockert und vereinfacht, auch um diese Unterbringungsmöglichkeiten möglichst zügig beim Land und bei den Kommunen zu unterstützen. Wir haben auch bauplanungsrechtliche und sogar umweltrechtliche Vorgaben befristet ausgesetzt, und wir haben jetzt in diesem Haushalt die Möglichkeit – das werden wir als Fraktion mit einem Deckblatt noch einmal deutlich machen –, dass wir unser Förderprogramm für den sozialen Wohnraum massiv aufstocken, und zwar auf ein Fördervolumen von über 200 Millionen Euro.

Ich finde, das ist schon ein Wort. Hier sage ich auch ganz klar, hier zeigt sich ganz deutlich, dass unsere Politik in der aktuellen Situation Antworten auf die Herausforderungen in Bezug auf die Flüchtlinge gibt, aber gleichzeitig die Menschen bei uns, die schon jetzt auf sozialen Wohnraum angewiesen sind, im Blick hat. Und mit diesen über 4.000 Wohnungen, die wir zusätzlich schaffen wollen, wollen wir genau auch für diese Menschen ein Angebot machen. Es wäre nämlich fatal, wenn die Kassiererin um die Ecke, die

jetzt vielleicht, weil sie gerade den Mindestlohn bekommt, den Rot-Grün immer gefordert und jetzt endlich gegen die CDU durchgesetzt hat, eine neue Wohnung sucht, und das schon lange tut, die Wohnung, die sie gerne hätte, nicht bekommt, weil die Verwaltung sagt, wir brauchen diese Unterkunft für eine Flüchtlingsfamilie. Wir brauchen diese Unterkünfte für Flüchtlingsfamilien, aber auch für die alleinerziehende Kassiererin, und deswegen ist es so wichtig, dass wir hier einen massiven Schwerpunkt setzen, meine Damen und Herren.

(Beifall des BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der SPD – Kathrin Anklam-Trapp, SPD: Sehr richtig!)

Es ist gut, dass wir so viel ehrenamtliches Engagement haben. Wir haben teilweise so viel ehrenamtliches Engagement, dass die Lagerkapazitäten für Spenden bei den Flüchtlingsinitiativen, bei den sozialen Trägern gar nicht mehr ausreichen. Es ist wirklich ein Wahnsinn. Ein ganz, ganz großes Dankeschön hier auch einfach einmal an die Menschen, die mit Zeit, Tatkraft, Ressourcen, Geschenken immer zur Stelle sind. Da kann man wirklich stolz sein auf Rheinland-Pfalz.

(Beifall des BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der SPD)

Aber wir wissen eben auch, dass es nicht nur warme Worte der Anerkennung für dieses ehrenamtliche Engagement braucht, sondern dass wir es auch strukturell unterstützen müssen, und deswegen ist es gut, dass die Projektfördermittel in diesem Landeshaushalt für den ehrenamtlichen Bereich, die aufgestockt worden sind, und die Koordinierungsstelle ehrenamtliche Aktivitäten im Flüchtlingsbereich – über 70 ehrenamtliche Projekte im ganzen Land zu den unterschiedlichsten Themenfeldern – unterstützt. Wir unterstützen also ganz, ganz konkret dieses Ehrenamt, und wir verstärken und verstetigen uns damit.

Unser Schwerpunkt liegt auch jetzt schon in der Integration dieser Menschen. Und ja, die Sprache, das Erlernen der deutschen Sprache ist der Schlüssel für die gesellschaftliche Integration. Deswegen ist es ein gutes Zeichen, dass die Sprach- und Orientierungskurse gerade für die Flüchtlinge im Jahr 2015 bereits verdoppelt worden sind und es eine landesweite Koordinierungsstelle für die Sprachförderung gibt.

Die Sprachförderung an den Schulen wird durch den 10Punkte-Plan des Bildungsministeriums noch einmal zusätzlich verstärkt, und wir stehen auch dazu, dass wir die Zahl der Deutsch-Intensivkurse massiv angehoben haben. Aber wir wollen eben auch diese Deutsch-Intensivkurse. Wir stehen zur Inklusion im Bildungsbereich und das allumfänglich, eben auch für Kinder von Flüchtlingen.

(Zuruf der Abg. Marlies Kohnle-Gros, CDU)

Wir wollen, dass diese intensiv die deutsche Sprache in den Kursen vor Ort lernen. Aber wir wollen auch, dass die Kinder, wenn es um Sportunterricht geht, wenn es um Musikunterricht geht, wenn es um Kunstunterricht geht, gemeinsam mit ihren Altersgenossinnen und Altersgenossen, die hier schon länger leben, auch leben können. Das

ist gelebte Integration, und nicht die Separierung in Flüchtlingsklassen außerhalb der Schule. Es ist auch ein Beitrag, der jetzt wirken kann, wenn die Kinder der Flüchtlinge gemeinsam mit ihren Kindern auch im Unterricht sind, dann ist es nicht nur ein Beitrag zur gesellschaftlichen Integration. Jeder, der Kinder hat, Frau Klöckner, weiß, die Kinder lernen die Sprache und lernen unsere Kultur am besten, wenn sie mit anderen Kindern ihres Alters zusammen unterwegs sind, weil die Kultur miteinander geschaffen und erlebt und immer weiterentwickelt wird. So funktioniert Integration, nicht durch Pflichtenheft, sondern durch gelebtes Miteinander von Anfang an.

(Beifall des BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der SPD)

Ich erzählte da immer gerne die Geschichte von unserem Grundschullehrer, der mir erzählt hat, wie bereits im vergangenen Jahr ein Mädchen aus Syrien in die 2. Klasse kam und dann in einem Deutsch-Intensivkurs so erfolgreich war, dass sie schon früher als vorgesehen in den Regelunterricht gehen konnte. Nach einem Schuljahr, nach der 2. Klasse, war es das Kind mit den besten Leistungen in allen Fächern. Das erzählt er gerne, und das erzählt er stolz, um zu zeigen, es kommt immer auf die Talente jedes einzelnen Kindes an, das heißt, die intensive Förderung der Sprache ist wichtig, aber die Talente der Flüchtlingskinder können wir in unserer Gesellschaft verdammt gut brauchen, genauso wie die Talente jedes anderen Kindes auch.

(Beifall des BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der SPD – Carsten Pörksen, SPD: Sehr richtig!)

Jeder, der sich damit auskennt, weiß, Frau Klöckner, Kinder, die eine andere Muttersprache haben als die deutsche, die lernen Deutsch dann als Fremdsprache viel, viel schneller, wenn sie ihre Muttersprache beherrschen. Ich weiß nicht, warum Sie trotz allen, allen anderen gegenteiligen Erkenntnissen – mit bildungspolitischer Fachkenntnis oder pädagogischem Verständnis hat das wenig zu tun, ich glaube auch, dass Sie die Expertisen lesen – hier immer noch erzählen, wir sollten den muttersprachlichen Unterricht streichen und mehr in die Deutschkurse stecken, wenn alle doch sagen und alle wissen, dass der muttersprachliche Unterricht die Grundvoraussetzung ist, um die deutsche Sprache in Wort, Schrift, Bild, Grammatik auch richtig zu lernen.