Liebe Kolleginnen und Kollegen, bevor ich das Wort weitergebe, darf ich als Gäste Mitglieder des SPDVerbandes Alzey-Land und Mitglieder des SPDOrtsvereins Mendig begrüßen. Seien Sie herzlich willkommen!
Herr Präsident, meine sehr geehrten Damen und Herren! Frau Kollegin, um zunächst auf Sie einzugehen, richtig ist – das lässt sich nicht bestreiten –, dass wir es hier mit einem tatsächlich sehr problematischen Feld von sogenannten Arbeitsverhältnissen zu tun haben, wobei es in der Regel Scheinselbstständigkeiten sind. Das ist gar keine Frage. Das gibt es im Übrigen auch noch bei Schwertransportbegleitungen und vielen anderen Bereichen, die wir jetzt alle noch im Einzelnen aufdeklinieren könnten. Das ist schlimm genug. Das, was zu tun ist, sehen auch wir. Das ist richtig.
Die Frage ist nur, was Politik wo wie leisten kann. Wir sind hier im Landtag von Rheinland-Pfalz. Da sollten wir es auch so handhaben, dass wir uns vor allem auf diese Möglichkeiten konzentrieren, die wir hier haben.
Ich weiß von Frau Kollegin Thelen aus der Anhörung, dass dort sehr viele interessante und wirklich auch wichtige und neue Dinge hervorgekommen sind, weshalb auch wir einen Änderungsantrag aufgesetzt haben, aus dem sich noch das eine oder andere ergibt. Aber, werte Frau Kollegin, Sie haben aus der Anhörung heraus jetzt auch Änderungen vorgenommen. Nur, wenn wir die im Einzelnen durchgehen, so wie Sie die aufschreiben, bleibt es für uns leider dabei, dass wir Ihrem Antrag nicht zustimmen werden können.
Ich beginne mit dem, was Sie nicht verändert haben. Sie fordern weiterhin einen gesetzlichen Mindestlohn.
Sie wissen ganz genau, dass wir diesen Mindestlohn für nicht adäquat halten, erst recht nicht für diese Beschäftigungsverhältnisse; denn wir haben es hier mit sehr vielen ungelernten oder wenig qualifizierten Arbeitnehmerinnen oder Arbeitnehmern, die dann auch noch in die Selbstständigkeit gedrängt werden, zu tun.
Wir sind der festen Überzeugung – dafür gibt es auch belastbare Grundlagen, beispielsweise Studien, die belegen, dass ein Aufstocker unter dem Strich, auch wenn es schlimm genug ist, dass er Aufstocker ist, glücklicher ist als jemand, der nur Transferleistungen bezieht –, dass durch einen flächendeckenden gesetzlichen Mindestlohn in Deutschland Arbeitsplätze gerade in diesem Bereich vernichtet werden, es noch häufiger zur Schwarzarbeit kommt, als es jetzt schon der Fall ist, und wir diesen Menschen damit nicht helfen können. Deshalb werden wir den Antrag auch weiterhin ablehnen.
Meine sehr geehrten Damen und Herren, Frau Kollegin, wenn wir auf Seite 2 Ihres Antrags weiterlesen, stellen wir fest, dass unter Abschnitt IV fünf Spiegelstriche aufgeführt werden, die ich kurz aufgreifen möchte.
Hinter dem ersten Spiegelstrich schreiben Sie, die Landesregierung möge „den Handlungsdruck auf die Entscheidungsträger in der jeweiligen Branche erhöhen“. Wie wollen Sie das erreichen?
Zweiter Spiegelstrich: Der Landtag fordert die Landesregierung auf, „sich gegen weitere Bestrebungen der Bundesregierung zu wenden, die eine Ausweitung vorsehen von nationalen Ausnahmen für Paketzustelldienste (…)“ usw. – Das ist falsch.
Dritter Spiegelstrich: Der Landtag fordert die Landesregierung auf, „weiter der zunehmenden Prekarisierung von Beschäftigungsverhältnissen, unter anderem der Scheinselbstständigkeit, entgegenzuwirken;“. – Das ist okay.
Vierter Spiegelstrich: Der Landtag fordert die Landesregierung auf, „sich auch in Zukunft für humane und gesundheitsförderliche Arbeitsbedingungen, im Sinne von guter Arbeit, für Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer einzusetzen (…)“. – Das ist okay.
Hinter dem fünften Spiegelstrich kommt die Forderung, „die Gewährleistung der Einhaltung von Arbeitnehmerschutzrechten, insbesondere die Regelungen des Bundesurlaubsgesetzes, des Entgeltfortzahlungsgesetzes und des Arbeitszeitrechts sicherzustellen“.
Es ändert sich nichts. Wir sind dafür nicht zuständig. Wir können das nicht, und auch die Landesregierung kann es nicht. Deshalb werden wir diesem Antrag so nicht zustimmen können.
Frau Kollegin, wir haben uns andere Gedanken gemacht. Ich werbe jetzt einmal für unseren Antrag. Wir haben nämlich zunächst einmal festgestellt – das war eine Frage des Kollegen Schmitt im Ausschuss –, um wie viele selbstständige Arbeitsverhältnisse es in Rheinland-Pfalz überhaupt geht. Die Frage ist bis heute nicht beantwortet. Es werden einige sein, aber wie viele es sind, über wen wir reden und in welchem Umfang das geschieht, wissen wir nicht. Deswegen möchten wir einen Bericht der Landesregierung haben. Das kann die Landesregierung leisten. Die Vorlage, die wir bekommen haben, hat einen bundesweiten Bezug. Sie hilft uns nicht weiter.
Dann haben wir – ich meine schon, dass das ein wichtiger Ansatz ist – klar und deutlich zum Ausdruck gebracht, wir sind der Meinung, es hängt auch sehr stark davon ab, wie Menschen gebildet, ausgebildet, weitergebildet sind und über alle möglichen unterschiedlichen Rechtsverhältnisse informiert werden, die ihnen in der Scheinselbstständigkeit eher zum Schaden gereichen als nutzen. Frau Kollegin, da ist der elementare Unterschied zu dem gesetzlichen Mindestlohn, den Sie fordern: Wir sind, auch aufgrund der Historie, die wir in den letzten Tagen erlebt haben, der festen Überzeugung, dass das, was wir auf Bundesebene mit den Lohnuntergrenzen verabschiedet haben, dort, wo keine Tarifbindung besteht, aber regional und auch in den einzelnen Branchen Löhne ausgehandelt werden, der richtige Weg ist.
Ich kann Ihnen deshalb nur dringend empfehlen, sich unserem Antrag anzuschließen – er ist nämlich derjenige, der auf der Landesebene umsetzbar ist –; denn das und auch die Forderung nach mehr Kontrollen, die Forderung, die Bundesagentur mehr einzubinden, und die Forderung, dass ein Arbeitgeber mal an der einen oder
anderen Stelle erklärt, was er bezahlt und was nicht, kann die Landesregierung umsetzen. Wir werben für mehr Kontrolle, branchen- und regionalspezifische Löhne, um keine Arbeitsplätze zu vernichten, mehr Aufklärung für diejenigen, die solche Jobs annehmen, aber bitte auch mehr Aufklärung für alle Verbraucherinnen und Verbraucher – das steht hier ebenfalls drin –; denn machen wir uns nichts vor: Wenn wir uns billig Pakete liefern lassen, brauchen wir uns unter dem Strich nicht zu wundern, wenn jemand hinten in der Kette kein Geld damit verdient.
Dann müssen wir so ehrlich sein und sagen: Wir müssen auch dafür sorgen, dass sich die Paketzustellung in einem Preissegment bewegt, das gewährleistet, dass jemand davon leben kann. Das sind Dinge, die umsetzbar sind. Die fordern wir hier ein. Wir werben für unseren Antrag. Folgen Sie in dieser Sache ausnahmsweise einmal uns, weil wir in dieser Sache richtig liegen, was Sie im Übrigen wissen.
(Beifall der CDU – Ministerpräsident Beck: Sie liegen so grundfalsch, wie man nur falsch liegen kann!)
Herr Präsident, meine Damen und Herren, liebe Gäste! Herr Kollege Baldauf, ich habe mich bei Ihrem Redebeitrag gefragt – ich bin mir da nicht sicher –, ob Sie bei der Anhörung im Sozialausschuss dabei waren.
Aber Sie haben anschließend das Protokoll gelesen, gut. Okay, das erklärt vielleicht auch das eine oder andere, was Sie hier gesagt haben.
Bei der Anhörung im Ausschuss waren wir nämlich schon längst weiter. Die Expertinnen und Experten, auch die, die von Ihrer Fraktion benannt worden sind, waren sich in sehr vielen Punkten einig. Auch wir im Sozialpolitischen Ausschuss waren uns eigentlich einig.
Es geht um die Arbeitsbedingungen in dieser Branche. Wir reden immerhin – zumindest ist diese Zahl gefallen – von bundesweit einer halben Million Menschen, von denen nach Schätzungen bis zu einem Drittel geringfügig, also prekär beschäftigt sind, und davon, dass die ganze Welt der Selbstständigkeit bzw. der Scheinselbst
ständigkeit gar nicht sicher kalkulierbar ist. Das ist kein Randphänomen, sondern ein Massenphänomen, und jeder bzw. jede von uns weiß doch, worum es geht. Wenn wir im Internet oder bei einem Versandhaus etwas bestellen, haben wir es mit den Menschen zu tun, über die wir hier reden. Wir alle haben die Arbeitsbedingungen beklagt, und wir alle haben auch gesagt, der erste Schritt muss sein, die entsprechenden gesetzlichen Regelungen konsequent umzusetzen bzw. den Bund und die EU davon abzubringen, weitere Ausnahmen für das entsprechende Gewerbe zuzulassen, sei es beim Arbeitsrecht, sei es bei den Verkehrsfragen.
Wir waren uns auch darin einig, dass die Verbraucherinnen und Verbraucher ein verstärktes Bewusstsein dafür an den Tag legen, dass es aufgrund öffentlicher Aktionen, wie zuletzt von Herrn Wallraff, ein Bewusstsein bei den Verbraucherinnen und Verbrauchern gibt. Die Verbraucherinnen und Verbraucher sind gern bereit, etwas mehr – es ist nicht viel mehr – pro Päckchen oder pro Paket zu bezahlen, wenn sie wissen, dass die Ware sicher ankommt, im Straßenverkehr keine Gefährdungen aufgrund des Zeitdrucks auftreten und die Menschen, die Ihnen die Pakete bringen, ordentlich entlohnt werden und unter ordentlichen Bedingungen arbeiten. Auch darin waren wir uns einig. Sie haben es angesprochen bzw. in Ihrem Antrag formuliert, dass man die Einführung einer gewissen Zertifizierung oder eines Gütesiegels vorantreiben sollte.
Wir waren uns auch darin einig, dass wir die Scheinselbstständigkeit eindämmen müssen. Über ein gutes Instrument sollten wir weiter diskutieren. Ein Experte schlug vor, dass Selbstständige rentenversicherungspflichtig werden. Ich finde, diesen Vorschlag sollten wir aufgreifen; denn zum einen macht das die Scheinselbstständigkeit weniger lohnenswert, und zum anderen wird bei Selbstständigen Altersarmut verhindert, weil sie eine entsprechende Vorsorge treffen müssen, und zwar müssen sie paritätisch in die Sozialversicherung einzahlen.
Wir haben das aber gar nicht in unseren Antrag geschrieben, weil wir wissen, das ist ein Punkt, über den wir alle auf den verschiedenen Ebenen noch diskutieren müssen. Daran wollten wir es, wie bei vielen anderen Punkten auch, gar nicht scheitern lassen. Ich hätte mir gewünscht, dass wir bei so viel Einigkeit im Ausschuss und unter den Experten in der Anhörung zu einem gemeinsamen Punkt gekommen wären.
Das scheitert im Grunde genommen an zwei Dingen. Der erste Punkt ist, dass sie bei der Anhörung wohl nicht dabei waren, und der zweite ist der Mindestlohn.
Ich habe eben noch einmal ein Interview Ihrer Partei- und Fraktionsvorsitzenden aus dem November gelesen, in dem sie sagt, sie streite in der CDU für Mindestlöhne. Gut, es waren nur regionale Mindestlöhne gemeint, aber immerhin kam das Wort „Mindestlohn“ vor. Darüber hätten wir reden können. Aber jetzt nehmen Sie nicht einmal das Wort „Mindestlohn“ in den Mund, sondern
sprechen stattdessen von Lohnuntergrenzen und dem Verbot sittenwidriger Löhne, das wir doch schon heute haben.
Das alles ist ein großes Placebo der rheinlandpfälzischen CDU. Sie wollen keine ordentliche Bezahlung. Sie wollen nicht, dass die Menschen von Ihrer Arbeit leben können. Sie wollen gar keine Mindestlöhne. Herr Baldauf, immerhin haben Sie heute zur Klarheit in diesem Punkt beigetragen.
Herr Präsident, meine sehr geehrten Herren und Damen Abgeordneten! Die Landesregierung befasst sich seit der Einbringung des Antrags der Fraktionen der SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN auch umfänglich mit dieser Thematik. Ich möchte mich zu Beginn meiner kleinen Ausführungen bei den Fraktionen herzlich bedanken, dass sie dieses Thema aufgegriffen und uns alle im Land noch einmal sehr stark sensibilisiert haben. Ich glaube, das war eine sehr gute Sache.
Es ist auch in der Anhörung deutlich geworden, dass der Druck in den Unternehmen und alles das, was bereits in der ersten Plenardebatte schon beschrieben wurde, tatsächlich überall so erlebt wird. Der Druck ist immens. Die Arbeitssituationen sind schrecklich. Viele Sachverständige haben gesagt, es herrschen zum Teil menschenunwürdige Umstände, unter denen vor allem die Fahrer und Fahrerinnen auch aufgrund der Tendenz zu Subunternehmen arbeiten müssen.
Wenn Sachverständige das Wort „menschenunwürdige Zustände“ in den Mund nehmen, soll das schon etwas bedeuten. Dann geht das weit über diese Thematik von „es läuft nicht so gut im Betrieb“ hinaus. Es sind dann tatsächlich verachtenswerte Zustände.