Protokoll der Sitzung vom 10.12.2003

Doch zeigt die gesellschaftliche Wirklichkeit leider auch: Trotz aller Bemühungen ist das Problem des Konsums illegaler wie legaler Drogen in den letzten Jahren weiter angewachsen. Eine Lösung - so muss man wohl einigermaßen ernüchtert feststellen - ist überhaupt nicht in Sicht. Vielmehr ist es so, dass Drogenkonsum - illegal oder legal, wenn diese Trennung überhaupt sinnvoll ist - ein Phänomen in unserer Gesellschaft ist, auf das wir uns auf lange Zeit einstellen müssen.

Wir wissen: Drogenabhängigkeit ist in ihren Ursachen vielfältig und differenziert. Oftmals beginnt die Geschichte der Sucht bereits in der frühen Kindheit. Deshalb ist Prävention eine so wichtige Säule der Drogenpolitik. Deshalb legt die Landesregierung in ihrem Bericht auch völlig zu Recht einen so großen Wert auf diesen Bereich.

(Beifall bei SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Denn erstens ist Vorbeugen besser als Heilen. Es können viele Schäden für den Einzelnen und die Gesellschaft als Ganzes von vornherein abgewendet werden, wenn ein gesundheitsschädigender Konsum von Suchtmitteln - seien sie nun legal oder illegal - erst gar nicht eintritt. Je früher die Prävention den Menschen erreicht, desto nachhaltiger sind die Effekte. Eine besondere Zielgruppe für die Prävention sind deshalb junge Menschen.

Dass die Landesregierung in diesem Bereich einen deutlichen Schwerpunkt setzt und auch die häufig verharmlosende Trennung von illegalen und legalen Drogen infrage stellt, begrüßen wir außerordentlich.

(Beifall bei der SPD)

Dazu gehört auch die von der Landesregierung eingeleitete Präventionsinitiative „NICHT RAUCHEN. TIEF DURCHATMEN“ und der „Aktionsplan Alkohol in Schleswig-Holstein“.

(Peter Eichstädt)

Zweitens. Suchtkranke haben Anspruch auf eine qualifizierte Behandlung. Die Behandlung von Suchtkranken bildet die zweite Säule der Drogen- und Suchtpolitik nicht nur hier in Schleswig-Holstein, sondern seit 1990 überall im Bundesgebiet. Dringend erforderlich ist es - das zeigt der Bericht wie die Anhörung -, dass sich die Krankenkassen je mehr in die Pflicht nehmen lassen und zu einer erweiterten Kostenübernahme zum Beispiel bei der psychosozialen Betreuung im Rahmen von Substitutionsprogramm kommen.

(Beifall bei der SPD)

Drittens. Ich will dies ganz einfach formulieren: Nur wer seine Sucht überlebt, kann aus ihr aussteigen. Das Angebot von Überlebenshilfen bildet eine eigenständige Säule der Drogen- und Suchtpolitik. Es richtet sich an schwerstabhängige Menschen, deren Überleben es zunächst zu sichern gilt. Diese Suchtkranken sind oftmals erst dann in der Lage, den Weg einer Therapie überhaupt einzuschlagen. Erfreulich ist, dass sich bundesweit, aber auch in Schleswig-Holstein der rückläufige Trend bei den Todesfällen infolge des Konsums illegaler Drogen fortgesetzt hat.

Viertens. Folgendes sei hier ausdrücklich herausgestellt: Die Verfügbarkeit von Suchtmitteln muss eingeschränkt werden. Strafrechtliche Maßnahmen und polizeiliche Aktivitäten gegenüber den organisierten Anbietern illegaler Drogen müssen greifen, denn das Ausmaß der Suchterkrankungen hängt auch von der Verfügbarkeit der Suchtmittel ab.

Kurz gesagt: Drogenkranke gehören in die Behandlung, Drogendealer gehören hinter Schloss und Riegel.

(Beifall bei SPD, CDU und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Hier sei von dieser Stelle aus einmal ausdrücklich der Polizei und den Strafverfolgungsbehörden gedankt, die in der Vergangenheit einen wichtigen Beitrag geleistet haben und in vielen Bereichen der Drogenarbeit im Rahmen von vernetzten Systemen beteiligt sind.

(Beifall bei der SPD)

Mit Blick auf die Uhr überspringe ich einen Teil meine Rede. Zum Schluss möchte ich auf das Thema des geschlechtsspezifischen Suchtverhaltens, das bisher leider ausgeklammert worden ist, und eine darauf abgestimmte Drogenpolitik eingehen. Die Anhörung hat deutlich gemacht, dass bei der Inanspruchnahme von Angeboten der Suchtkrankenhilfe zum Teil erhebliche Unterschiede zwischen Männern und Frauen bestehen. Das wissen Sie auch.

Die im Bericht von der Landesregierung hierzu erläuterten Ansätze bestätigen, dass diesem Aspekt bereits in der Vergangenheit entsprechende Aufmerksamkeit geschenkt wurde und dass die LSSH und natürlich vor allem donna klara als spezielle Frauensuchtberatungs- und -behandlungsstelle an eine Verbesserung der Beratungsangebote und -bedingungen arbeiten.

(Beifall bei SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Trotzdem sind wir der Auffassung, dass dieser Bereich auch in Zukunft noch mehr Aufmerksamkeit benötigt.

Es fehlt noch ein ausreichend entwickelter, die geschlechtsspezifischen Bedingungen einbeziehender Ansatz in der Drogenpolitik. Die von der Landesarbeitsgemeinschaft „Frau und Sucht“ bei donna klara in Arbeit befindlicher Auswertung der Erhebung zur Umsetzung der Leitlinien und Bestandsaufnahme der aktuellen Situation geschlechtsspezifischer Angebote kann eine Grundlage für die weitere Beratung sein.

(Glocke der Präsidentin)

Herr Abgeordneter, bitte kommen Sie zum Schluss.

Ich formuliere meinen letzten Satz, Frau Präsidentin: Hiermit sollten wir uns im Sozialausschuss weiter beschäftigen.

(Beifall bei SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN und SSW)

Ich erteile der Frau Abgeordneten Kolb das Wort.

(Zuruf des Abgeordneten Dr. Heiner Garg [FDP])

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Zunächst einmal möchte ich Sie, lieber Kollege Eichstädt, ansprechen. Ihre Annahme, dass Sie nicht wüssten, ob die Kollegin Tengler an der zweitätigen Anhörung teilgenommen hat, glauben wir Ihnen sehr gern. Wie uns berichtet wurde, wurden Sie in diesem Ausschuss während dieser Anhörung zwei Tage lang nicht gesehen.

(Beifall und Heiterkeit bei FDP und CDU)

Liebe Kolleginnen und Kollegen, sehr verehrte Frau Ministerin, ich gebe Ihnen Recht: Es gibt keine dro

(Veronika Kolb)

genfreie Gesellschaft. Auch ich danke der Landesregierung für den Bericht. Ich bin auch weit davon entfernt, gute Ansätze in diesem Bericht zerreden zu wollen. Es drängt sich aber ein ganz klein wenig der Eindruck auf, dass im Verlauf von 15 Jahren das Ziel aus den Augen verloren wurde.

Schleswig-Holstein hat in der Vergangenheit immer wieder versucht, jenseits der ausgetretenen Pfade pragmatische Lösungen beim Thema Drogenpolitik zu erzielen. Stets standen dabei die betroffenen Menschen im Vordergrund und die Hoffnung auf eine Chance, diese erfolgreich gesundheitlich und sozial zu stabilisieren.

(Beifall bei der FDP)

Immer wieder wurde deshalb in der Vergangenheit nach Wegen gesucht, gerade denjenigen zu helfen, die bisher von herkömmlichen Hilfsprogrammen nicht erreicht werden konnten. Umso mehr war es für uns ein ganz besonderes Anliegen, jetzt über Konzeption und Weiterentwicklung in der Drogenpolitik durch die Landesregierung berichten zu lassen.

Der vorgelegte Bericht zeigt, dass viele gute Ansätze vorhanden, diese aber leider in letzter Konsequenz nicht umgesetzt worden sind. Vielmehr wird für mich deutlich, dass der Elan der Landesregierung, bestimmte Ziele in der Sucht- und Drogenpolitik erreichen zu wollen, schlichtweg - ich sagte es bereits - verloren gegangen ist.

Der Bericht erweckt in vielen Bereichen den Eindruck, dass ein Flickenteppich von einzelnen Maßnahmen und Modellprojekten nach dem Willen der Landesregierung mit dem Anspruch an ein umfassendes Konzept zur Gesundheitsförderung und zur Sekundärprävention „vernetzt“ werden soll.

(Wolfgang Kubicki [FDP]: Sehr gut!)

Von einer wirklichen Weiterentwicklung in der Sucht- und Drogenpolitik kann da leider nicht die Rede sein.

(Beifall bei der FDP sowie der Abgeordneten Frauke Tengler [CDU] und Silke Hinrichsen [SSW])

Um dies zu verdeutlichen, sage ich: Es war für die FDP ein wichtiges Anliegen, dass für eine Weiterentwicklung und Vernetzung die durch das Dokumentationssystem „HORIZONT“ erhobenen Daten nicht nur erhoben, sondern auch entsprechend evaluiert werden sollen. Aufgrund dieser Daten sollten entsprechende Entscheidungen für eine Sucht- und Drogenpolitik des Landes getroffen werden können. Aufgrund einer nachvollziehbaren Dokumentation sollte

eine Ausgangsbasis geschaffen werden, die eine Angebotsvernetzung verschiedener Träger überhaupt erst möglich machen würde.

Leider schlagen sich diese Anforderungen an ein solches Dokumentationssystem viel zu wenig in diesem Bericht nieder. So wird in dem Bericht ausdrücklich betont, dass Präventionsmaßnahmen konzeptionell und strukturell verankert und vernetzt durchgeführt werden sollen. So weit ist das ein sehr guter und auch ein sehr richtiger Ansatz. Ich frage mich aber, wie dieses Konzept nach jahrelanger Schwerpunktarbeit tatsächlich umgesetzt worden ist, wenn zum Beispiel bei der geschlechtsspezifischen Suchtarbeit einheitliche Standards zur Qualitätssicherung noch immer nicht gefunden worden sind. Wer tatsächlich eine Vernetzung von Drogen- und Jugendhilfe will, sollte nach 15 Jahren Schwerpunktarbeit in der Sucht- und Drogenpolitik nicht nur Anforderungen an Drogen- und Jugendhilfe definiert haben, sondern hierfür auch gemeinsame Grundlagen für eine Vernetzung gefunden haben.

(Beifall bei der FDP und des Abgeordneten Werner Kalinka [CDU])

Dazu gehört für mich aber auch die Antwort auf die Frage, weshalb erst jetzt die Verabschiedung eines einheitlichen Dokumentationskataloges für Schleswig-Holstein vor dem Abschluss steht, wenn allen bewusst sein sollte, dass dieser als Grundlage für eine konzentrierte Sucht- und Drogenpolitik dienen soll.

(Wolfgang Kubicki [FDP]: Das wird uns Frau Birk gleich sagen!)

- Ich denke. - Erst dann lassen sich Schwerpunkte für einzelne Gruppen, regionale Besonderheiten und geschlechterspezifische Schwerpunkte finden. Es reicht deshalb nicht aus, sucht- und drogenpolitische Themen durch wechselnde Schwerpunkte am Köcheln zu halten, wie sie der Bericht beispielsweise zur Alkoholthematik herausstellt.

Ich vermisse eine konkrete Aussage darüber, wie die Präventionskonzepte überprüft und evaluiert werden und welche Zielsetzungen und tatsächlichen Schwerpunkte daraus abgeleitet werden.

(Beifall der Abgeordneten Frauke Tengler [CDU])

Der vorgelegte Bericht zeigt, dass es vieler Schritte bedarf, um etwas zur Verbesserung der Situation der Drogenabhängigen erreichen zu können. Umso mehr erwarte ich nicht nur einen langen Atem, sondern eine landesweit konsequente Schwerpunktsetzung in der Sucht- und Drogenpolitik. Dazu gehört für mich,

(Veronika Kolb)