Protokoll der Sitzung vom 11.12.2003

(Anke Spoorendonk)

Die schon seit drei Jahren anhaltende wirtschaftliche Stagnation, der Anstieg der Arbeitslosigkeit und der damit verbundene massive Einbruch der Steuereinnahmen sowie die erhöhten Kosten für soziale Leistungen und die erschreckend hohe Nettokreditaufnahme setzen auch für den Doppelhaushalt 2004/2005 den bedenklichen Rahmen. Dass das so ist, wissen wir alle.

Wie schwer wir uns als Politikerinnen und Politiker damit tun, die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen zu verbessern, zeigen die Eckdaten des vorliegenden Haushaltsentwurfs. Die Investitionsquote ist auf gleich bleibend niedrigem Niveau, die Kredite übersteigen erstmals in der Geschichte des Landes bei der Aufstellung eines Haushaltes sogar die Investitionshöhe und die Ausgaben des Landes sind unverändert hoch.

Natürlich sind wir uns alle im Klaren darüber, dass der vorliegende Entwurf die Folgen eines möglichen Ergebnisses aus dem Vermittlungsausschuss nicht berücksichtigt. Unsicherheiten bestehen insbesondere bei der Höhe der Steuereinnahmen - wegen des möglichen Vorziehens der Steuerreform -, bei der Höhe des Subventionsabbaus, über die Folgen einer Gemeindefinanzreform für das Land sowie über die möglichen Konsequenzen aus den noch ausstehenden Hartz-Reformen. Und darum haben wir vom SSW gesagt, es sei für das Parlament sinnvoller, die Haushaltsberatungen auf den Januar zu verschieben.

(Beifall bei SSW, CDU und FDP)

Noch nie gab es so viele offene Fragen und so viele Entscheidungen aus der Bundespolitik, die Einfluss auf den Haushalt des Landes haben.

Auch die Konjunkturerwartungen sind für das nächste Jahr weiterhin unsicher. Erfreulich ist, dass das Wirtschaftswachstum laut einer Prognose des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung im vierten Quartal um 0,5 % und im nächsten Jahr sogar um 1,8 % steigt. Interessant ist aber auch, dass dieses Wachstum bisher nur durch Impulse aus dem Ausland unterstützt wird; die Binnennachfrage ist weiterhin schwach.

Obwohl das Vorziehen der Steuerreform eine große Belastung für die Länderhaushalte darstellt, erscheint dieses Vorhaben aber gerechtfertigt, um den Aufschwung in Gang zu bringen. Auf jeden Fall ist das Vorziehen der Steuerreform finanzpolitisch besser, als weitere Kürzungen durchzuführen, wie es von der CDU gefordert wird.

Auch die Forderungen aus Brüssel nach weiteren Kürzungen des Bundes, um den Stabilitätspakt ein

zuhalten, sind in dieser wirtschaftlichen Lage völlig unrealistisch. Es wäre schön, wenn sich die EUKommission verstärkt auf den Wachstumsteil des Paktes konzentrieren würde, um die Wirtschaft in ganz Europa wieder in Gang zu bringen.

Dazu brauchen wir in einer wirtschaftlichen Schwächephase neue Investitionen und keine weiteren Sparmaßnahmen. Das sollten sich die so genannten Wächter des Stabilitätspaktes einmal hinter die Ohren schreiben.

(Beifall beim SSW)

Schleswig-Holstein trägt mit dem „ZIP“-Programm seinen bescheidenen Beitrag dazu bei, dass wir im nächsten Jahr einen Investitionsschub bekommen können. Ich finde, liebe Kolleginnen und Kollegen, es besteht überhaupt kein Grund dafür, dieses Programm lächerlich zu machen.

(Dr. Heiner Garg [FDP]: Weil es schon lä- cherlich ist!)

Denn immerhin soll das Programm mit der Werftenhilfe und den EU-Zuschüssen insgesamt Investitionen von fast 800 Millionen € auslösen.

(Dr. Heiner Garg [FDP]: Es „soll“!)

- Das wird auch so kommen.

(Dr. Heiner Garg [FDP]: Die Ministerpräsi- dentin spricht von 350 Millionen € und Herr Harms spricht von 800 Millionen €!)

- Ich will auf jeden Fall deutlich machen, lieber Kollege Garg, dass der SSW diese Initiative der Landesregierung ausdrücklich begrüßt.

(Beifall beim SSW)

Denn aus unserer Sicht ist das der richtige Weg. Leider ist auch die erhöhte Kreditaufnahme und die Erklärung der Störung des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichtes nötig, damit wir im nächsten Jahr wirtschaftliche Impulse setzen und vernünftig haushalten können.

Fast noch schwerer als die aktuelle Krise der öffentlichen Haushalte oder der Sozialkassen wiegt die schlechte Situation unseres Bildungswesens. Denn ein gutes Bildungssystem ist ja eine Investition für die Zukunft.

Die PISA-Studie hat die verantwortlichen Politikerinnen und Politiker scheinbar immer noch nicht genügend aufgerüttelt. Denn vor einigen Wochen hat schon wieder eine OECD-Studie dem deutschen Schulsystem ein ganz schlechtes Zeugnis ausgestellt.

(Anke Spoorendonk)

Vor allem sieht die OECD eine zentrale Schwäche darin, dass nur wir in der Bundesrepublik so rigoros zwischen Hauptschule, Realschule und Gymnasium trennen.

Dabei ist es wirklich bemerkenswert - ich weiß, ich erzähle Ihnen da nichts Neues -, dass diese frühe Trennung von Heranwachsenden hierzulande kaum kritisch diskutiert wird. Die Grünen diskutieren das. Der SSW diskutiert es schon immer. Aber ich vermisse - das muss ich sagen - eine Diskussion bei den Sozialdemokraten. CDU und FDP wollen das sowieso nicht.

(Thomas Stritzl [CDU]: Wie bitte?)

- Sie wollen keine Strukturveränderungen im Bildungssystem.

(Sylvia Eisenberg [CDU]: Wir wollen keine Einheitsschule!)

- In jeder Bildungsdebatte treten Sie hier ans Rednerpult und sagen das.

(Beifall beim SSW)

Mit anderen Worten: Obwohl viele Initiativen der Landesregierung im Bereich der Schulen in die richtige Richtung gehen - als Beispiele seien die Qualitätsentwicklung in den Schulen, die verlässliche Grundschule, eine bessere Lehrerausbildung, die Sicherung der Unterrichtsversorgung und auch die Einführung von Vergleichsarbeiten genannt -, so bleibt dennoch unser Fazit, dass wir erst einen entscheidenden Schritt nach vorne kommen, wenn wir die Schulstrukturen verändern und letztlich - das ist meine Überzeugung - das gegliederte Schulsystem abschaffen.

(Beifall beim SSW)

Für dieses Ziel wird sich der SSW weiterhin ganz hartnäckig einsetzen.

(Beifall bei SSW und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Allerdings möchte ich die Landesregierung dafür loben, dass sie endlich Initiativen ergriffen und zusätzliche Mittel im Haushalt bereitgestellt hat, um den Unterrichtsausfall zu bekämpfen.

Nichts ist demotivierender für alle Beteiligten, als dass nicht mal der normierte Unterricht erteilt werden kann. Der SSW hofft, dass die Vorschläge der Landesregierung ausreichen, um dieses Problem in den Griff zu bekommen.

(Zuruf der Abgeordneten Sylvia Eisenberg [CDU])

- Aber es gibt positive Rückmeldungen. Ich freue mich darüber, dass letztens im „Flensburger Tageblatt“ zu lesen war, dass dieses Programm zu greifen beginnt. Das ist eine positive Mitteilung. Darüber kann man sich richtig freuen.

(Dr. Heiner Garg [FDP]: Da bist du guter Hoffnung!)

Das wird nicht reichen. Wir müssen insgesamt mehr Ressourcen für die allgemein bildenden Schulen bereitstellen. Dafür haben wir uns seit Jahren ausgesprochen. Gerade auch die Grundschulen bekommen im internationalen Vergleich zu wenig Mittel pro Schülerin und Schüler zugeteilt. Neben der Schulorganisation und den Inhalten des Unterrichts ist aber die Erhöhung der Mittelzuweisung für die Schulen ein wesentlicher Faktor, um die Ausbildung unserer Kinder zu verbessern. Das muss wirklich der zweite Schritt sein.

Das Gleiche gilt für unsere Hochschulen. Die Umsetzung der Vorschläge der Erichsen-Kommission und nun die Unterzeichnung der zukunftsweisenden Zielvereinbarungen mit den Hochschulen sind aus unserer Sicht richtige Ansätze. Dennoch bleiben wir dabei, dass die regionale Komponente bei der Hochschulentwicklung nicht aus den Augen verloren werden darf. So hat beispielsweise der Beschluss, die Fachhochschule in Eckernförde zu schließen, zu großer Enttäuschung in dieser Stadt geführt. Wir bekommen immer noch Briefe von Betroffenen. Wir dürfen nicht vergessen, dass Eckernförde schon durch den Bundeswehrabbau stark belastet ist.

Durch gemeinsame Anstrengungen gelang es dagegen - das ist gut und begrüßenswert -, einen Kompromiss zu finden, um die grenzüberschreitenden Studiengänge der Universität Flensburg und der Syddansk Universitet zu erhalten. Es bleibt aber eine Tatsache, dass die Universität Flensburg weiterhin pro Studierenden weitaus weniger Zuschüsse erhält als andere Hochschulen des Landes. Damit der Hochschulstandort Flensburg auch in Zukunft überlebensfähig bleibt, brauchen wir weitere Anstrengungen seitens der Landesregierung. Die werden wir auch einfordern. Wir bleiben als SSW bei unserer Forderung, dass längerfristig die gesamte Lehrerausbildung in Flensburg angesiedelt werden muss. Alles andere macht aus unserer Sicht keinen Sinn.

(Beifall bei SSW und SPD)

Auch in der Frage der Gleichberechtigung von Frauen und Männern hinkt die Bundesrepublik gesellschaftspolitisch seinen Nachbarn in Nord- und Westeuropa weiter hinterher. Kinder oder Karriere ist auch anno 2003 eine Frage, vor der viele Frauen stehen. Im

(Anke Spoorendonk)

Gegensatz zu den skandinavischen Ländern gibt es in Schleswig-Holstein weiterhin kaum Krippenplätze oder Betreuungsmöglichkeiten für unter dreijährige Kinder. Dabei ist die Kinderbetreuung das A und O eines modernen Sozialstaates.

(Beifall bei SSW, SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Anstatt kinderlosen Paaren, die ja aus ganz unterschiedlichen Gründen kinderlos sind, mit der Kürzung von Renten zu drohen, sollten wir uns lieber darum bemühen, die Kinderbetreuung flächendeckend auszubauen. Dann würden sich mit Sicherheit mehr Familien als heute für mehr Kinder entscheiden.

(Beifall bei SSW und SPD)

Der Kollege Harms macht es uns vor. - Ich weiß von meinen Kindern nördlich der Grenze, dass dort allmählich gesagt wird: Erst das dritte Kind bringt Ansehen. So weit sind wir in Schleswig-Holstein noch nicht.