Über Ihren Vorschlag - damit will ich schließen -, dass man den Bereich der Kernfächer zeitlich etwas erweitert und die bisherigen Leistungskurse nicht mehr fünfstündig macht, sondern sie durch zwei Kursangebote ersetzt, die vierstündig sind, kann man diskutieren. Es spricht vieles dafür, dass man in diesem Sinne eine verbreiterte Allgemeinbildung verbindlich bis zum Abitur im Bereich der Oberstufe der Gymnasien klarer verankert. Weil meine Redezeit - wegen der langen Unterbrechung ist sie kürzer - abgelaufen ist, werde ich mich noch mit einem Kurzbeitrag melden und einige Punkte ergänzend darlegen.
Das Wort für die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN erteile ich jetzt der Frau Abgeordneten Angelika Birk.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die OECD-Fachleute haben jüngst dem bundesdeutschen hierarchisch gegliederten Schulsystem verheerende Noten ausgestellt. Lesen Sie diese Analysen, meine Damen und Herren von der Opposition, und ziehen Sie Ihren Antrag zurück!
Ich möchte auf zwei Argumentationsstränge eingehen, die hier in der Debatte mehr als in der Antragsformulierung eine Rolle gespielt haben. Das eine ist das Thema Mathematik und Naturwissenschaften, das andere ist die Organisation der Oberstufe.
Mathematik hat in der bundesdeutschen Schullandschaft deshalb einen so schlechten Stand, weil die Didaktik der Mathematik etwas sehr Besonderes und nicht Einfaches ist und weil gerade die miserable didaktische Ausbildung von Mathematikern und auch Naturwissenschaftlern dazu beiträgt, dass sich nur diejenigen durchsetzen, die entweder sowieso besonders begabt sind oder von anderswo Unterstützung bekommen. Hinzu kommen geschlechtsspezifische Vorurteile, etwa dass Mädchen nicht rechnen können. Diese überwinden wir glücklicherweise langsam. Auf diese Weise wird besonders deutlich, dass wir ein bildungsbürgerlich geprägtes Schulwesen haben.
- Das hat sehr viel damit zu tun. Denn Sie haben beklagt, dass die naturwissenschaftliche Leistung besonders schlecht ist. Das war Ihr Redebeitrag. Das
war Ihr Hauptargument für diesen Antrag. Naturwissenschaftliche und mathematische Leistungen, haben Sie gesagt, seien schlecht. Dem widerspreche ich nicht. Hier haben wir in Deutschland einen Nachholbedarf. Wenn ich mich recht erinnere, soll in den PISA-Ergebnissen eine besondere Abneigung der schleswig-holsteinischen Schüler gegen Mathematik festgestellt worden sein. Ich habe das nicht mehr so genau im Kopf. Aber ich will das einräumen. Nur hilft dagegen Ihr Antrag überhaupt nicht. Denn Sie müssen damit umgehen, dass die Fremdsprachen und eine philosophische Grundbildung, die bildungsbürgerlich erzogene Kinder mitbringen, ihnen den Vorteil einräumen, aber genau dort die Schule didaktisch wirken muss, sogar bei denjenigen, die an sich bildungsprivilegiert sind. Genau dieses Argument können Sie nicht entkräften, indem Sie sagen: Wir wollen zurück zur Schule der 60er-Jahre. Sie holen ein Oberstufenmodell aus der Mottenkiste, das aus gutem Grund abgeschafft wurde.
Die skandinavischen Schulen beeindrucken durch Abiturientenzahlen, von denen Deutschland nur träumen kann. 50 % Hochschulberechtigte pro Jahrgang sind dort überhaupt keine Sache. Wie ist dies möglich? Nachdem alle Schülerinnen und Schüler gemeinsam die ersten neun oder zehn Jahre in heterogenen Lerngruppen früh gelernt haben, selbstständig und gemeinsam zu arbeiten, beginnt die Mehrheit in einer interessanten gymnasialen Oberstufe. In finnischen Oberstufenzentren werden die jungen Leute eine sehr große Palette von Fächern kennen lernen, die sie innerhalb von zwei bis vier Jahren zum Abitur führen, je nach Lerntempo des oder der Einzelnen.
Wie ist das finanzierbar? - Das Finanzargument wurde ja auch von Herrn Höppner genannt. - Es ist mit großen Oberstufenzentren finanzierbar. Gerade ein Flächenland wie Finnland zeigt uns, wie dies gehen kann. Wenn Schülerinnen und Schüler gelernt haben, selbstständig zu arbeiten, dann können sie auch mit großen Kursen und auch mit einer großen Vielfalt umgehen und machen dennoch ein sehr anspruchsvolles Abitur.
Sie wollen hingegen, da Sie merken, dass die Kurse in einzelnen Oberstufen zu klein werden, wieder zurück zur gymnasialen Oberstufe der 60er-Jahre mit festem Fächerkanon und argumentieren mit den schlechten naturwissenschaftlichen Leistungen. Ich glaube nicht, dass das die Lösung ist, sondern ich denke, wir müssen uns die Kritik der OECD zu Herzen nehmen, wir müssen zu einer völlig neuen didaktischen Konzeption kommen, gerade auch in den Naturwissenschaften, und wir brauchen tatsäch
lich eine Oberstufe, die sowohl die Begabungsreserven ausschöpft - die gibt es ja - als auch ein Grundlagenwissen zur Verfügung stellt und insbesondere selbstständiges Arbeiten ermöglicht, was dann auch zu einem erfolgreichen Abitur führt.
Ich denke an dieser Stelle auch an die Kooperation der Gymnasien, Gesamtschulen und der Oberstufenangebote der Berufsschulen, die zum Abitur führen. Wenn wir diese Kompetenzen zusammennehmen - die Neuordnung der Schulentwicklung gibt uns hierzu eine Chance und fordert auch, dass wir planvoll vorgehen -, dann haben wir für die Zukunft der naturwissenschaftlichen Bildung mehr getan, als in Ihrem Antrag vorgeschlagen wird.
Wir haben als Bündnisgrüne vor wenigen Wochen unser Schulsystem der Zukunft öffentlich vorgestellt und viel positive Resonanz erhalten. Die Perspektive dieses Schulsystems wäre ein Oberstufenzentrum nach finnischem Vorbild. Ich weiß, dass man so etwas nicht über Nacht erreichen kann, dass hierzu eine lange Vorarbeit benötigt wird dass es Übergänge, viel Überzeugungsarbeit und Organisation braucht. Aber mit Ihrem Weg zurück entfernen wir uns von dem Ziel, das wir dringend erreichen müssen.
Für den SSW im Schleswig-holsteinischen Landtag erteile ich jetzt seiner Sprecherin Anke Spoorendonk das Wort.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Im Frühjahr 2003 sagte die damalige GEW-Vorsitzende Wittmaack zu den Vorschlägen der CDU zur zukünftigen Schulpolitik - ich zitiere -:
„Mit Rezepten aus der Mitte des vergangenen Jahrhunderts lassen sich nicht die Probleme von heute lösen.“
Dieser Satz gilt in gewisser Weise auch für die Vorschläge zur Neuordnung der gymnasialen Oberstufe, die wir heute diskutieren. Es sieht so aus, als hätte sich die CDU-Landtagsfraktion bei ihren Vorschlägen von CDU-geführten Bundesländern wie beispielsweise Hessen leiten lassen. In Hessen hat man bereits eine Neuordnung der gymnasialen Oberstufe durchgeführt. Kernpunkt ist dort die weitreichende Hierarchisierung der traditionellen Hauptfächer wie
Natürlich ist es nach PISA angebracht, über die Stärkung von Kernkompetenzen nachzudenken. Aber genauso wichtig ist aus unserer Sicht die Frage, auf wessen Kosten dies zu geschehen hat. Geht man von dem vorliegenden Vorschlag aus, so lautet die Antwort: auf Kosten der kreativen Fächer.
Gleichzeitig muss man wissen, dass dadurch das bisherige Wahlgymnasium qasi abgeschafft wird. Hinzu kommt, dass uns die Stärkung der im Antrag genannten Kernfächer als Stärkung der Allgemeinbildung verkauft wird. Doch was ist, frage ich, mit der Sozialkompetenz, die immer wieder von der Wirtschaft eingefordert wird, und was ist mit den kreativen Fächern? Des Weiteren wird unterschlagen, dass die für ein Studium notwendigen Kenntnisse, Fähigkeiten und Arbeitstechniken grundsätzlich in allen Fächern des Gymnasiums vermittelt werden. Für ein erfolgreiches Studium sollten die Schülerinnen und Schüler vor allem gelernt haben, selbstorganisiert zu arbeiten und sich selbst zu motivieren. Dies kann am ehesten erreicht werden, wenn sie ihrer Begabung entsprechende Schwerpunkte setzen können. Eine gymnasiale Oberstufe nach den vorgeschlagenen Eckpunkten der CDU mit ihrer Konzentration auf die traditionellen Hauptfächer läuft daher Gefahr, die Chancengleichheit zurückzuschrauben und damit wieder zu dem zu führen, was Kritikpunkt der GEW-Vorsitzenden war.
Damit meine ich auch, liebe Kollegin Eisenberg, dass ich mir eine Debatte darüber gewünscht hätte, was eigentlich in einer Schule der Zukunft die Rolle des Gymnasiums sein soll. Aus unserer Sicht ist es zu einfach zu sagen, das Gymnasium bereite auf das Studium vor. Denn wir wissen alle, dass das mit der Wirklichkeit wenig zu tun hat.
- Ja, aber der Anspruch muss auch darauf achten, dass heutzutage junge Menschen mit Abitur in ganz vielen Bereichen gefragt sind.
Nur von Studienvorbereitung und von Hochschulreife zu sprechen, greift aus meiner Sicht heute viel zu kurz. Unbeantwortet bleibt damit auch die Frage, wie es in einem solchen Gymnasium mit der Profilbildung weitergehen soll.
Sicherlich ist es nicht von der Hand zu weisen, dass wir auch die Arbeits- und Unterrichtsweise in den
Gymnasien überdenken und modernisieren müssen. Daher kann der SSW zumindest dem Punkt 5 der CDU-Vorschläge einiges abgewinnen. Denn in der Tat ist es wichtig, dass wir endlich neue Arbeits-, Lern- und Prüfungsformen wie selbstständiges und projektbezogenes Arbeiten, fächerübergreifenden Unterricht oder besondere Lernleistungen in Form von Seminararbeiten und die Teilnahme an Wettbewerben in den Schulalltag integrieren.
Diesen Teilaspekt der CDU-Vorschläge können wir also unterstützen, wobei ich der festen Überzeugung bin, dass der Kollege Klug Recht hat. Wenn es darum geht, dies als Teil der Abiturprüfung anzurechnen, müssen wir daran denken, dass es nur eine mündliche Abiturprüfung gibt. Dies ist aus meiner Erfahrung viel zu wenig. Heute können zum Beispiel schon Facharbeiten in die Abiturprüfung eingebracht werden und es besteht auch die Forderung, fächerübergreifend zu arbeiten.
Der SSW bleibt bei seiner Auffassung, dass unsere Kinder viel zu früh, nämlich schon ab der fünften Klasse, auf das Gymnasium geschickt werden. Des Weiteren führt das jetzige System dazu, dass eigentlich immer noch zu wenige Schülerinnen und Schüler in Schleswig-Holstein Abitur machen. Wir plädieren wie jetzt auch die Grünen für die Abschaffung des gegliederten Schulsystems. Das wissen Sie.
Interessanterweise gibt es eine Studie des anerkannten Schweizer Analyse-Instituts Prognos mit dem Titel „Bildung neu denken! Das Zukunftsprojekt!“, in der die Abschaffung des dreigliedrigen Schulsystems und des Sitzenbleibens gefordert wird.
Lassen Sie uns also bei der Neugestaltung unserer Schulen einschließlich der Gymnasien neue, zukunftsweisende Wege gehen und nicht immer wieder zu den ollen Kamellen zurückkehren.
Nach § 56 Abs. 4 unserer Geschäftsordnung erteile ich jetzt dem Abgeordneten Dr. Ekkehard Klug das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich möchte zunächst einmal mit der Legende aufräumen, der Vorschlag zu einer stärkeren Konzentration auf höher gewichtete Kernfächer in der Oberstufe sei sozusa
gen ausschließlich auf dem fruchtbaren Boden der baden-württembergischen Schulpolitik gewachsen und insoweit ein Fall von Schawanismus. Nein, das ist nicht der Fall. Das Land Mecklenburg-Vorpommern zum Beispiel hat gerade im September verkündet, dass man vom nächsten Jahr an das Kurssystem praktisch völlig abschaffen werde und - ich zitiere aus der Berichterstattung - sechs Hauptfächer mit jeweils vier Wochenstunden weitgehend im Klassenverband führen lasse. Das ist immerhin ein SPD-regiertes Bundesland. Es gibt ja nicht mehr viele; aber Mecklenburg-Vorpommern gehört mit seiner SPD/PDSRegierung jedenfalls dazu.
Meine Damen und Herren, es wurde vorgeschlagen, in Anlehnung an das baden-württembergische Modell statt der fünfstündigen Leistungskurse in der Oberstufe zunächst vierstündige Kurse in jeweils einem Wahlpflicht- und einem Neigungsfach zu schaffen, was durchaus die Möglichkeit offen lässt, diese so genannten kreativen Fächer unterzubringen. Ich nehme an, Anke Spoorendonk meint Fächer wie Musik oder Kunst, wobei ich vor der Unterstellung warne, dass andere Fächer nicht kreativ seien. Aber die andere Gewichtung vom Stundenumfang her gibt dann eben die Möglichkeit, die Kernfächer Deutsch, Mathematik und eine Fremdsprache durchgehend vierstündig weiterzuführen. Das ist sehr erwägenswert.
Ich will Ihnen nur einmal eine Zahl nennen: Vor der Einführung der reformierten Oberstufe hatten alle Gymnasiasten - ob im naturwissenschaftlichen Zweig oder im sprachlichen Zweig - 42 Jahreswochenstunden Deutsch bis zum Abitur - so nach dem Curriculum damals. Das ist eine Zahl, die die Vorsitzende des Germanistenverbandes in Schleswig-Holstein kürzlich in einem Aufsatz publiziert hat.
Heute ist es so, dass jedenfalls für die Schüler, die im Fach Deutsch nur einen Grundkurs in der Oberstufe belegen - das sind immerhin etwa 85 % aller Oberstufenschüler -, gilt, dass sie bis zum Abitur nur 33 Jahreswochenstunden Deutsch haben. Früher waren es generell - auch für die Leute aus dem mathematischnaturwissenschaftlichen Zweig der Gymnasien - 42. Hier ist praktisch für einen Großteil der Gymnasiasten eine Reduzierung um ein Fünftel des früher üblichen Deutschpensums eingetreten.
Wenn wir uns unter dem Stichwort „Lesefähigkeit“ nach PISA Gedanken machen, dann muss man auch über diesen Zusammenhang, über diesen Sachverhalt reden. Deswegen - noch einmal gesagt - halte ich es für sehr erwägenswert, diesen Weg zu beschreiten, der ja durchaus über Neigungsfächer und Wahlpflichtfächer eben auch die entsprechende Gewich
tung für andere Dinge offen lässt. Das ist nicht dieser radikale Weg, der in Mecklenburg-Vorpommern gegangen wird, sondern ein Modell, das ich für nachdenkenswert halte.
Übrigens sagt die FDP auch noch: Wir möchten sicherstellen, dass die Naturwissenschaften in größerem Zeitumfang erteilt werden. Deshalb, Frau Eisenberg, kann man die generelle Vierstündigkeit aller weitergeführten Fremdsprachen nicht garantieren. Es gibt sprachbegabte Schüler, die bis zu vier Fremdsprachen in der Oberstufe belegt haben. Dann müssen Sie das einfach einmal zusammenrechnen, was da an Anforderungen für andere Fächer an Stunden zusammenkommt. Darüber muss man also noch einmal nachdenken. Es muss ja irgendwo in sich stimmig sein.