Protokoll der Sitzung vom 28.04.2004

(Vereinzelter Beifall bei der CDU)

Ich bewundere den großen Sachverstand, Herr Finanzminister, mit dem die deutsche Politik - diesmal sogar einschließlich der Bundesregierung -, die wirtschaftswissenschaftlichen Institute und die Medien in Deutschland Ihr Konzept einvernehmlich ignorieren, weil es offensichtlich völlig ungeeignet ist,

(Beifall bei CDU und FDP)

einen Beitrag zur Überwindung der wirtschaftlichen Probleme in unserem Land, zur Vereinfachung der administrativen Abwicklung der Steuerverwaltung und auch zur Steuergerechtigkeit zu leisten. Es hat

schon kleinere, unbedeutendere unsinnige Vorschläge gegeben - der Herr Innenminister ist nicht da -, die mehrwöchige mediale Aufmerksamkeit erregt haben.

(Beifall bei CDU und FDP)

Aber für Ihr Papier interessiert sich niemand. Manchmal habe ich das Gefühl, Sie könnten von Herrn Buß den Verkehrskasper übernehmen und gleich den Steuerkasper machen. Das käme der Sache etwas näher. Es ist bemerkenswert, mit welchem Aufwand Sie versuchen, Ihr Papierchen überhaupt in die Diskussion zu bringen. Sie müssen jetzt schon die Auszubildenden der Steuerverwaltung zusammenrufen, damit Sie denen etwas erklären dürfen. Es gibt ja dieses schöne Lied: „Kein Schwein ruft mich an“.

(Heiterkeit und Beifall bei CDU und FDP)

Das alles hat sehr triftige Gründe.

Meine Damen und Herren, 60 % der Weltsteuerliteratur ist in deutscher Sprache verfasst. Aber der deutschsprachige Anteil am Welteinkommen liegt unter 10 % und der Anteil an der Weltbevölkerung unter 5 %. Das ist das Verhältnis, in dem wir uns befinden. Das ist ein Missverhältnis. 205 Steuergesetze und 96.000 Verordnungen versuchen, Einzelfallgerechtigkeit zu bewirken. Sie schaffen meistens genau das Gegenteil. Sind wir uns in dem Punkt noch einig, Herr Minister? Das wäre sehr schön. Wir brauchen in Schleswig-Holstein 4.500 Beamte in der Steuerverwaltung und dazu noch einige Hundert in kommunalen Verwaltungen, die sich dort auch noch mit Steuerfragen befassen, und das in diesem kleinen Land. Das ist eines der Probleme, die wir zu bewältigen haben. Ich kann nicht erkennen, dass Ihr Vorschlag einen nennenswerten Beitrag dazu leistet, das abzubauen.

(Beifall bei CDU und FDP)

Was ist denn darüber hinaus unser Problem? Die deutsche Volkswirtschaft befindet sich in einer schweren Krise. Auch die Steuerpolitik hat ihren Beitrag dazu zu leisten, das Wirtschaftswachstum wieder zu fördern - die Zahl der Beschäftigen und der produzierenden Unternehmen zu steigern, die Arbeitslosigkeit, die auf hohem Stand verharrt oder sogar steigt, abzubauen und die zunehmende Überregulierung und Bürokratisierung abzuschaffen. Die Last von Steuern und Abgaben überfordert Unternehmen und Bürger.

(Vereinzelter Beifall bei der CDU)

Sie sagen, Sie hätten keinen Spielraum für Steuererleichterungen. Die Menschen haben nicht nur das

(Rainer Wiegard)

Gefühl, sondern Sie sind effektiv von dem Maß an Steuern und Abgaben überfordert, was hier ansteht.

(Beifall bei CDU und FDP)

Was dabei vor allem nicht vergessen werden darf, ist Folgendes: Die ausufernde schuldenfinanzierte Haushaltspolitik ist eine schwere Hypothek für nachfolgende Generationen.

Für alles das brauchen wir ein Sanierungskonzept, das uns aus der Krise herausführt. Nur ein Teil davon ist eine neue Steuerpolitik, eine radikale Steuerreform. Ich sage dies, damit wir das einmal in die Handlungsnotwendigkeiten einordnen, die bestehen.

Was ist nun der Beitrag Ihres Konzeptes zu diesen Handlungsnotwendigkeiten? Sie sagen, die Steuerreform soll gerecht sein und sie soll niedrige Einkommen entlasten. Dann sorgen Sie einfach dafür! Sie sind ja schon auf einem guten Weg. 10 % Steuern auf niedrige Einkommen ist ja schon nicht schlecht. Aber keine Steuer auf niedrige Einkommen ist besser. Ein hoher Grundfreibetrag ist deshalb einfach besser. Und das ist unser Vorschlag.

(Beifall bei CDU und FDP)

Der Staat muss dafür sorgen, dass das, was die Menschen zum Leben brauchen, um sich und ihre Familie zu ernähren, ausreicht und dass sie aus eigener Kraft Vorsorge leisten können. Deshalb macht es überhaupt keinen Sinn, erst Steuern einzunehmen und dann möglichst viele Antragsformulare an die Menschen zu verteilen, damit sie sich von allen möglichen Behörden einen Teil davon wiederholen können, und der Rest verschwindet dann in der Bürokratie. Das ist der wesentliche Unterschied.

(Beifall bei der CDU)

Ich erinnere mich noch an das rote Heftchen. Als das von einigen Genossen, unter anderem von Oskar Lafontaine, geschrieben worden ist, gingen Sie wahrscheinlich noch zur Schule. Das war der ökonomische Orientierungsrahmen 85 der SPD, in dem immer von Planung, Lenkung, Steuerung und Kontrolle die Rede gewesen ist. Mit dem, was Sie wollen, sind Sie nicht weit davon entfernt. Sie verfahren ein bisschen nach dem Motto, dass die Unternehmen die Löhne und Gehälter Ihrer Mitarbeiter am besten an das Finanzamt abführen und Sie den Bürgern ein Taschengeld zuteilen. Das ist in etwa das, wohin Sie wollen. Das wird deutlich, wenn man sich mit dem befasst, was Sie an Spitzensteuersatz einführen wollen. Sie wollen eine Spreizung von - dies sagte ich schon - 10 % als Eingangssteuersatz bis hin zu 47 %.

Ich empfehle Ihnen, sich einfach einmal mit Wirtschaftswissenschaftlern - einen haben Sie ja, aber der liest andere Sachen - zu unterhalten. Es ist ein Irrglaube, immer wieder anzunehmen, dass Sie mit höheren Steuern zu höheren Steuereinnahmen kommen. Sie kommen mit niedrigeren Steuersätzen zu höheren Steuereinnahmen, aber nicht mit höheren. Die Geschichte beweist dies.

(Zurufe)

Sie sind immer dabei, Steuern weiter anzuheben. Wenn Sie sich diese Spitzensteuersätze und die Spreizung ansehen. Haben Sie eigentlich nicht bemerkt, dass es in der Welt und in Europa Veränderungen gibt, dass mehr Völker, mehr Nationen, mehr Menschen die Chance auf Freiheit für Informationen, Meinungen, Waren, Dienstleistungen und Finanzverkehr in Anspruch nehmen können, dass der Markt und der Wettbewerb darum größer geworden ist, dass uns nicht mehr im Westen das große Wasser und im Osten die hohe Mauer vor diesem Wettbewerb schützen, sondern dass wir uns ihm stellen müssen? Zu hohe Steuersätze - das ist in diesem Bereich der Fall; deshalb stehen wir in dieser Frage auch in einem erheblichen Gegensatz - fördern Steuerflucht, fördern Schwarzarbeit, zwingen zu Ausnahmeregelungen, wirken leistungshemmend und führen damit im Ergebnis zu weniger staatlichen Einnahmen. Das ist das Ergebnis dieser Politik.

(Beifall bei CDU und FDP)

Wir unterscheiden uns nicht nur beim Grundfreibetrag, nicht nur beim Spitzensteuersatz, wir unterscheiden uns auch beim Tarifverlauf. Sie haben sich entschieden, nach wie vor den linear-progressiven Tarifverlauf zu wählen. Sie haben sogar einen linearprogressiven Stufentarif daraus gemacht.

(Zuruf von der SPD: Wie die CSU!)

Das ist eine besondere Kunst, ist Ihnen aber durchaus gelungen. Wir wollen den Stufentarif. Die Bayern sind ein bisschen klüger als Sie: Die haben das schneller verstanden, als Sie das je verstehen werden. Deshalb sind wir uns da auch einig. Das Ziel ist ein Stufentarif. Das hat seinen guten Grund: weil Sie mit dem bisher angewendeten linear-progressiven Tarif leistungshemmend wirken.

Jeder zusätzlich verdiente Euro wird höher besteuert als der bisher verdiente Euro. Herr Minister, meine Damen und Herren, wir kennen aus vielen Gesprächen mit ganz normalen Menschen, dass sie sagen: Ich habe keine Lust, Überstunden zu machen, weil am Ende nichts dabei herauskommt; ich habe keine Lust, mich am Wochenende hinzusetzen, mich weiterzubil

(Rainer Wiegard)

den, um eine nächste Stufe zu erklimmen; das ist nur für Steuern und Abgaben.

Über eine gewisse Spanne hinweg muss die Steuerbelastung, muss der Steuersatz gleich bleiben und darf der Verdienende nicht noch mehr bestraft werden.

Wenn Sie sagen, es gebe keinen Spielraum für Steuersenkungen, sage ich Ihnen: Wenn Sie Steuerentlastungen, bisherige Steuervergünstigungen - da sind wir in einigen Teilen ja durchaus auf einer Linie - abschaffen wollen, dann erhöht das zwingend flächendeckend die Steuern, die von einigen zu bezahlen sind, wenn Sie nicht gleichzeitig die Steuersätze senken. Deshalb müssen Sie zu Steuersenkungen kommen.

(Günter Neugebauer [SPD]: Nun machen Sie mal Vorschläge!)

Das Institut für Weltwirtschaft in Kiel hat sich damit befasst, im Übrigen mit den Konzepten, die Sie hier immer bezweifeln, als gäbe es die gar nicht; nur mit Ihrem Konzept hat sich das Institut nicht befasst. Es kommt zu dem Ergebnis:

„Eine radikale Steuerreform muss nicht daran scheitern, dass sie das Budgetdefizit des Staates erhöht. Würde einer der drei Reformtarife eingeführt,“

- gemeint sind Merz, Kirchhof oder Solms -

„würden alle Steuervergünstigungen in diesem Zusammenhang wie vorgesehen gestrichen, so wären nennenswerte Effizienzgewinne zu erwarten. Berücksichtigt man dann positive Wirkungen auf das wirtschaftliche Wachstum,“

- das ist die eigentliche Problemlage -

„die mit jedem der drei Reformkonzepte einhergingen, so würde sich die finanzielle Lage der öffentlichen Haushalte nicht verschlechtern, sondern verbessern.“

Das ist das, was das Institut für Weltwirtschaft in Kiel dazu sagt.

(Zuruf des Abgeordneten Günter Neugebauer [SPD])

Auch zur Familienpolitik haben Sie sich ja neu eingelassen. Unsere Familienpolitik im Steuerrecht ist eindeutig und für jeden einsichtig. Wir sagen - wie eingangs schon einmal erwähnt -: Die beste Steuer für eine Familie ist die, die erst gar nicht bezahlt werden muss. Deshalb sagen wir: Grundfreibetrag von 8.000 € für jede lebende Person, auch für das soeben erst geborene Kind.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Das bedeutet nun einmal, dass ein durchschnittlich Verdienender mit etwa 33.000 € heute, 2004, wenn er zwei Kinder hat, 2.436 € Steuern bezahlt und bei uns keinen einzigen Cent Steuern bezahlt, gar nicht erst Steuern bezahlt und deshalb auch gar nicht erst Anträge stellen muss, um für die Kinder oder so etwas wiederzubekommen.

(Beifall bei CDU und FDP - Holger Astrup [SPD]: Ein bisschen redlicher!)

Nun komme ich bei der Familienpolitik zu einer Formulierung - Sie haben das eben ja auch angesprochen, zu der ich sage: Bei aller Auseinandersetzung über Sachfragen ist der liederliche Umgang dieser Landesregierung mit der Verfassung nicht mehr zu ertragen.

(Beifall bei CDU und FDP)