Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Am 1. Mai 2004 erleben wir mit der Aufnahme von zehn neuen Mitgliedern in die Europäische Union ein historisches Ereignis der modernen Geschichte, wie es sich kaum noch einmal wiederholen wird. Der Prozess der Ost- und Südosterweiterung wird in der Geschichte Europas beispiellos bleiben. Staaten, die kulturell immer zu Europa gehörten, die aber getrennt waren, erhalten endlich die Chance, am Projekt der europäischen Wiedervereinigung teilzunehmen. Wir
Der Prozess der europäischen Wiedervereinigung ist eine ungeheure Herausforderung für alle Mitgliedsländer, für die alten und für die neuen. Die Zustimmung in Deutschland mit aktuell etwas über 50 % ist nicht gerade ein Zeichen des großen Vertrauens und der großen Sehnsucht nach dem neuen Europa. Haben wir es vielleicht nicht verstanden, den Menschen mehr Zustimmung für den europäischen Prozess zu vermitteln? Der gesamte Prozess ist noch nicht ungefährdet. Das beginnt mit der noch ausstehenden Zustimmung zur endgültigen Verabschiedung der europäischen Verfassung und endet nicht mit der Regelung der Arbeitsmärkte.
Wir dürfen aber nicht aufhören, die Bedeutung der Europäischen Union mit all seinen Kerninhalten immer wieder nach draußen zu den Menschen zu bringen. Diese sind: die Friedenssicherung mit politischer Stabilität; die Zugehörigkeit zu einer Wertegemeinschaft, die Menschenrechte und Minderheitenschutz als hohe Aufgaben akzeptiert; die Stärkung der Völkerfreundschaft zwischen demokratischen Staaten und die Steigerung des wirtschaftlichen Wohlstandes, der unausweichlich auf der Grundlage der Solidarität beruht, wie auch der umfassende Einfluss auf bestimmte länderübergreifende Politikfelder. Das sind die Ziele, für die wir uns einsetzen sollten.
Es kommt aber auch entscheidend darauf an, die Ängste und Sorgen der Menschen - sowohl in den alten als auch in den neuen Mitgliedstaaten - ernst zu nehmen. Hier ist besonders auf Besorgnis erregende Globalisierungsentscheidungen hinzuweisen, die im eigenen Land und in der Region Arbeitsplätze gefährden oder auch vernichten können. Sofern die Politik - leider ist das so - durch falsche oder überzogene ordnungspolitische Rahmenbedingungen das Wirtschaften erschwert, also Motive für Arbeitsplatzgefährdung schafft, müssen wir diese Motive durch eine Veränderung der politischen Rahmenbedingungen minimieren. Immer neue Belastungen, Zwänge und Regulierungen sind keine Wegbereiter für die Zukunftsgestaltung mit den neuen Partnern.
ben müssen, in allen 25 Regierungshauptstädten, in allen 25 Ländern, Europa bei dem Prozess der Wiedervereinigung zu begleiten. Die neuen Länder bringen viele Schätze, aber auch Eigenheiten mit, die unser soziales, kulturelles und auch wirtschaftliches Zusammenleben bereichern und herausfordern werden. Nur einige seien erwähnt:
Ein großer Nationalstolz zeichnet die neuen Länder aus, der im Falle Zyperns leider bisher durch die Übertreibung und daraus resultierende Ansprüche eine Einheit der Insel verhinderte.
Polens Selbstbewusstsein, aber auch seine Ansprüche, besonders im Agrarbereich, lassen keinen einfachen Partner erwarten. Die Religiosität der Bevölkerung wird hoffentlich nicht auf dem EU-Altar geopfert. Polen ist erwachsen geworden. Das werden wir merken und das haben wir auf unserer letzten Besuchsfahrt in Danzig gemerkt.
Der Löwe will nach Westen springen, so heißt es von der Slowakei. Sorgen und Hoffnungen bestimmen die Menschen. Die Integrationsprobleme der Roma wird die Europäische Union mit lösen müssen. Sechs Millionen Roma leben dann in dem Europa, das ab dem 1. Mai 2004 für alle da ist.
Slowenien, ein kleines Land mit 1,9 Millionen Einwohnern, zeichnet sich durch seine homogene Bevölkerung aus. Fast 90 % der Einwohner sind slowenischer Abstammung. 90 % der wahlberechtigten Bevölkerung stimmten im März 2004 für den Beitritt zur Europäischen Union.
Auch in Ungarn gab es eine Zustimmung von fast 84 %, aber nur knapp 46 % der Bevölkerung gingen dort zur Wahl. Ungarn lebt und pflegt seine alten historischen Traditionen und Kulturen. Das kommt besonders in der stark gelebten Familientradition zum Ausdruck. Auch deshalb verlassen die Ungarn nicht gern ihr Zehn-Millionen-Einwohnerland. Interessant ist, dass die meisten Deutschen mit mehr als zwei Dritteln der Befragten sich auf den Beitritt Ungarns freuen.
Das kleine Malta ist zu klein für große Sünden - so sagt man. Es wird mit 400.000 Einwohnern das kleinste Mitgliedsland sein, aber mit unvergleichlichen Schätzen. 20.000 Menschen pro Quadratmeter schaffen allerdings auch Probleme.
Mit der Tschechischen Republik kommt ein neues EU-Mitglied dazu, das noch Problemlösungen für Folgen aus dem unseligen Zweiten Weltkrieg fordert.
Ich komme zu meinem Schlusssatz. - Unsere drei baltischen Staaten Estland, Lettland und Litauen, überzeugen durch ihr Selbstbewusstsein, ihren Nationalstolz und den unbedingten Willen, ein hohes wirtschaftliches Niveau in kürzester Zeit zu erreichen. Sie sind uns alle schon sehr nah.
Wir werden uns auf den Ostseeraum konzentrieren, aber wir heißen alle zehn neuen Mitgliedstaaten herzlich willkommen in der Europäischen Union!
Herr Präsident! Meine Damen, meine Herren! Als Estland vor drei Jahren überraschend im Traditionswettbewerb Grand Prix d’Eurovision triumphierte, war die Wiedervereinigung Europas greifbar, zumindest musikalisch. Zum 1. Mai diesen Jahres werden zehn neue Mitgliedstaaten in die Europäische Union eintreten, darunter natürlich auch Estland.
Die historische Bedeutung der EU-Erweiterung - und darin sind sich alte und neue Mitglieder einig - lässt sich dabei nicht in erster Linie mit Zahlen beschreiben. Entscheidend ist, dass die Union jetzt die nach dem Zweiten Weltkrieg geschaffene Ost-WestTeilung in Europa vollständig überwinden wird.
Ein erster, aber nicht vergleichbarer Schritt dazu war die Einbeziehung des ehemaligen DDR-Gebietes in die EU nach der Wiedervereinigung Deutschlands. Was erstmals im Westen schaurig als Eiserner Vorhang bezeichnet wurde, nämlich die Trennung zum Osten, wird nunmehr Binnengrenze genannt werden. Deutschland, das lange Zeit die längste EUAußengrenze zu bewachen hatte, liegt jetzt im Herzen der Union. Gleichzeitig wächst die EU-Bevölkerung mit der Erweiterung am 1. Mai 2004 um fast 20 % auf über 450 Millionen Menschen. Damit erhöhen die beitretenden Staaten das Bruttosozialprodukt der EU um knapp 5 %.
Diese Zahlen zeigen allerdings auch die Probleme, die auf eine gemeinsame Union zukommen werden und die es gemeinsam zu lösen gilt. Zwar wächst die
Allein die Zahl der Beitragskandidaten und das damit verbundene wirtschaftliche und soziale Gefälle stellen die EU vor eine noch nie da gewesene politische und institutionelle Herausforderung. Der Union stehen dabei harte Interessenkonflikte und Auseinandersetzungen bevor, über die künftige Politik des wirtschaftlichen und sozialen Zusammenhalts, die Definition von Fördergebieten und Förderschwerpunkten und nicht zuletzt über die erforderlichen Mittel - zumal Bulgarien und Rumänien voraussichtlich im Jahr 2007 der Union ebenfalls beitreten werden.
Umso wichtiger ist es deshalb, die Ängste der Menschen vor einer gemeinsamen Union ernst zu nehmen. Diese Ängste können nur dann genommen werden, wenn die ökonomischen Erwartungen an die neue Europäische Union erfüllt werden. Die Neuen befürchten, von reichen Alt-Europäern ökonomisch überrollt oder gar aufgekauft zu werden, und die etablierten Mitglieder fürchten zu Zeiten schlechter wirtschaftlicher Entwicklung den Abbau von Arbeitsplätzen und die Verlagerung von Standorten. Die Umfragen hierzu sprechen eine deutliche Sprache.
Je näher die Osterweiterung der Europäischen Union rückt, desto skeptischer reagieren auch viele Mitbürger bei uns. Dabei spielt das Gefühl der Mehrheit der Deutschen, nicht ausreichend über die Europäische Union informiert zu sein, eine große Rolle. Deshalb muss es unser primäres Ziel sein, den Europäern diese Ängste durch Information und Aufklärung über die Vorteile der Union zu nehmen. Das Abstimmungsergebnis in Zypern hat gezeigt, dass die Ängste der Europäer vor einem fernen Brüssel, das die Verhältnisse vor Ort ohne große Rücksicht auf regionale und nationale Besonderheiten regelt, ernst genommen werden müssen. Dazu gehört, dass die neue EUVerfassung, die ursprünglich ebenfalls bis zum 1. Mai unter Dach und Fach sein sollte, baldmöglichst als ein verbindendes Element geschaffen wird.
Damit bin ich bei meinen letzten Gedanken. Eine solche Verfassung kann den Bürgern das Gefühl vermitteln, dass die Institution der Gemeinschaft die große Erweiterung auch verkraften kann. Allerdings stelle ich mir die Frage, warum nicht eine Abstimmung der Bürger über die EU-Verfassung ein guter Einstieg in ein neues europäisches Bewusstsein sein kann.
Eine solche Abstimmung hätte auch zur Folge, dass sich alle Europäer intensiver mit der Institution Europa auseinander setzen müssten.
Meine Damen, meine Herren, wir Europäer wollen uns gemeinsam den künftigen Herausforderungen stellen - für eine friedvolle Zukunft. Das ist der Kern unserer Vision für Europa.
Für die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN erteile ich jetzt dem Herrn Abgeordneten Detlef Matthiessen das Wort.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen! Am 1. Mai bekommt die europäische Familie Zuwachs. Wir freuen uns über die zehn neuen Beitrittsländer. Meine Fraktion freut sich, dass die politische Einheit der EU weiter voranschreitet.
Die europäische Integration ist die Antwort auf eine lange Periode eines schwierigen Gleichgewichts der Völker auf unserem Kontinent. In der Geschichte kam es immer wieder zu verheerenden Hegemonialkriegen und schließlich zu den beiden Weltkriegen von 1914 bis 1918 und 1939 bis 1945.
Mit dem europäischen Einheitsgedanken soll das Prinzip der Balance of Power oder das Hegemonialstreben einzelner Länder überwunden werden. Dazu gehört aber auch, dass es zur Übertragung nationalstaatlicher Souveränitätsrechte an die supranationale europäische Institution kommt.
Schon Churchill hatte schon im Jahre 1946 in einer Rede die Vision eines einheitlichen Europas. Um dies zu erreichen, wurden seit 1951 viele Schritte eingeleitet. Der Grundgedanke, der hinter einem einheitlichen Europa steht, war und ist der Gedanke eines Europas der Bürger. Wir haben sehr viel geschafft. Aus einem begrenzten Kerneuropa im Westen des Kontinents, der Wirtschaftsgemeinschaft für Kohle und Stahl, ist nunmehr nach über 40 Jahren eine Staatengemeinschaft von 25 Mitgliedstaaten entstanden.
Dennoch gibt es in der Bevölkerung Ängste gegenüber der Osterweiterung. Der Gedanke, dass mit der Osterweiterung auch Arbeitsplätze aus Deutschland abgezogen werden, um im billigeren EU-Ausland zu produzieren, ist vorhanden. Allerdings widerspricht die Deutsche Wirtschaft selber dieser These. Sie sieht in der Osterweiterung einen guten Entwicklungs