Protocol of the Session on December 15, 2004

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Die derzeitigen Konsequenzen sind in den Berichten der Ministerin im Innen- und Rechtsausschuss aufgezeigt worden. Die Schlosserei und insbesondere das Außenlager sind geschlossen worden. Es sind Disziplinarverfahren gegen Mitarbeiter der JVA einschließlich des Anstaltsleiters wegen Fehlverhaltens eingeleitet worden. Es sind sämtliche Strafvollzugsplanungen für als gefährlich einzustufende Gefangene überprüft worden. Auf der Grundlage der jetzigen Erkenntnisse sind die Erhebungsbögen für die Vollzugsplanung geändert worden. Es werden weitere bauliche Veränderungen überlegt.

Darüber hinaus will die Ministerin die Fachaufsicht bundesweit einmalig verschärfen und eine unabhängige Expertenkommission zur Überprüfung des Justizvollzugs in Schleswig-Holstein einsetzen.

Alle diese Maßnahmen unterstützt der SSW. Die entscheidende Frage bleibt aber, ob sich aus der politischen Verantwortung, die die Justizministerin natürlich für alle Vorgänge in ihrem Bereich hat, persönliche Konsequenzen ergeben sollen. Denn es ist unbestritten, dass die Justizministerin die Fach- und Rechtsaufsicht über die JVA Lübeck hat. Die Frage ist, ob diese ordnungsgemäß ausgeübt wurde und ob sich aus Sicht des Parlaments schwerwiegende Fehler der Ministerin nachweisen lassen.

Wie sich aus dem Bericht ergibt, ist die Hausspitze im April 2002 über den Gefangenen Bogner besonders unterrichtet worden. Anlass war die nachträgliche Überprüfung des offenen Vollzuges. Das ist die Verurteilung, aus der sich ergab, dass im Rahmen des offenen Vollzuges Banküberfälle verübt wurden. Die Konsequenz aus den Straftaten des Gefangenen während des offenen Vollzuges war allein, die Kontrollmechanismen des offenen Vollzuges zu überprüfen. Weitere Überprüfungen und Änderungen, weitere Konsequenzen aus diesem Vorgang wurden nicht gezogen.

Ausweislich des Berichtes konzentriert sich die Fachaufsicht des Ministeriums auf die Qualifizierung des geschlossenen Vollzuges, während die Anstaltsleiter zuständig für alle Maßnahmen zur Regelung des Einzelfalles sind. Dies ist eine Praxis, die sich seit den 80er-Jahren in allen Bundesländern bisher bewährt hatte. Denn professionelles Handeln im Strafvollzug setzt auch eine Kenntnis der jeweiligen Person voraus und somit eine dezentrale Verantwortung der Anstaltsleitung.

Der Gefangene Bogner war der Anstalt bekannt, da er dort bereits eingesessen hatte, und insbesondere der Vorgang, dass er aus dem offenen Vollzug Straftaten begangen hatte, war bekannt und auch, dass er schon einmal verdächtigt wurde, jemanden getötet zu haben. Wie sich weiter aus dem Bericht ergibt, war dem Ministerium dieser Sachverhalt ebenfalls bekannt. Nur es ist und war eben Praxis, es der Anstaltsleitung zu überlassen, welche Konsequenzen diese Sachverhalte für die Vollzugsplanung von Bogner haben sollten.

Dies war auch aus unserer Sicht bisher ein korrektes Verfahren seitens des Ministeriums. Denn die Frage ist doch, ob wir wirklich Minister haben wollen, die alles und jeden in ihrem Bereich kontrollieren, oder

(Silke Hinrichsen)

ob wir eine moderne Verwaltung mit Eigenverantwortung der einzelnen Mitarbeiter haben wollen.

(Vereinzelter Beifall bei SSW, SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Schrecklich ist natürlich, dass in diesem Fall durch den Gefangenen Bogner ein Mensch gestorben ist, der heute vielleicht noch leben könnte.

Nach unserer Ansicht handelt es sich bisher um vorläufige Berichte des Ministeriums zu der Flucht Bogners. Die Ermittlungen sind ebenfalls noch nicht abgeschlossen, sodass wir die heutige Entscheidung zum Antrag von CDU und FDP über eine Entlassung der Ministerin nach dem jetzigen Kenntnisstand fällen müssen.

Wir haben uns die Entscheidung nicht leicht gemacht, weil der SSW den Begriff der politischen Verantwortung ernst nimmt. Allerdings möchte ich auch klarstellen, dass der oft genannte Vergleich mit dem ehrenhaften Rücktritt von Bundesinnenminister Seiters aus dem Jahr 1991 nicht statthaft ist. Zum einen war der Fall 1991 völlig anders gelagert, zum anderen haben wir seit 1991 sehr viele Skandale gehabt, wo ein Rücktritt seitens der politisch Verantwortlichen sehr viel angemessener gewesen wäre, aber nicht erfolgte. Der hessische Ministerpräsident Koch hat hier stellvertretend für viele neue Maßstäbe gesetzt.

(Beifall bei SSW, SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN - Wolfgang Kubicki [FDP]: Es ist ja schön zu wissen, dass sich der SSW daran orientiert! - Weitere Zurufe von CDU und FDP)

Wir sind zu dem Schluss gekommen, dass die derzeitige Aufarbeitung des Sachverhaltes, die Berichte und die Konsequenzen, die bereits gezogen worden sind, richtig sind und dass die Ministerin dem Landtag - dafür möchte ich sie hier ausdrücklich loben - mit ihren Berichten, aber auch in den Sitzungen des Innen- und Rechtsausschusses für alles Rede und Antwort gestanden hat.

(Zurufe)

- Das will ich hier ausdrücklich sagen. Ich finde es schon ungewöhnlich, dass eine Ministerin nicht versucht, irgendwelche Tatbestände unter den Tisch fallen zu lassen. Ich verweise auf das Protokoll.

(Anhaltende Zurufe von CDU und FDP)

- Sie können hier noch so viel herumschreien, das nützt nichts. - Die Ministerin hat zugegeben, wo die Fehler sind. Das habe ich von anderen selten so offensiv gehört. Daher sehen wir zurzeit keinen Grund, die Ministerin zu entlassen.

(Veronika Kolb [FDP]: Wir haben nichts an- deres erwartet!)

Wir werden die Sache weiterverfolgen. Sollte es in der nächsten Legislaturperiode tatsächlich einen Untersuchungsausschuss geben, sind wir sehr gespannt. Wir gehen davon aus, dass dort kaum andere Erkenntnisse gewonnen werden können.

(Beifall bei SSW, SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Das Wort zu einem Dreiminutenbeitrag erteile ich jetzt Herrn Abgeordneten Wolfgang Kubicki.

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Man muss bestimmten Dingen sofort entgegentreten, weil sie sich sonst verselbstständigen, insbesondere bei den Grünen. Den Grünen dürfte genauso wenig wie den anderen Fraktionen dieses Hauses entgangen sein, wie häufig sich bereits der Personalrat der Justizvollzugsbediensteten über die Situation in den Haftanstalten beklagt hat, über die personelle Ausstattung. Ich will das hier nicht zitieren. Ich habe ein Protokoll davon hier. Ich könnte das zitieren und der deutschen Öffentlichkeit einen Beleg dafür bieten, wie die Worte hier mit dem, was vor Ort faktisch passiert, auseinander fallen.

Nach wie vor ist die Situation so, dass die angebliche 5-prozentige Steigerung im Justizvollzugsdienst bei den Vollzugsbeschäftigten deshalb nicht angekommen ist - Herr Kollege Hentschel, dem können sie jetzt gern entgegentreten -, weil bis zu 27 Mitarbeiter aus dem Justizvollzugsdienst an das Ministerium abgeordnet waren oder noch sind, weil beispielsweise Mitarbeiter, die dem Justizvollzugsdienst zugeteilt sind, allgemeine Verwaltungsaufgaben erledigen müssen, insbesondere im IT-Bereich, und weil wir Situationen haben, in denen ganze Justizvollzugsanstalten an Wochenenden nur einen einzigen Bediensteten oder eine einzige Bedienstete haben und sich die Vollzugsbeschäftigten darüber beklagen und beschweren, dass für den Fall, dass etwas passiert, die Vorgesetzten sich weigern, auch die Polizei zu Hilfe zu rufen. - Ich bin gern bereit, das alles auszubreiten.

Frau Ministerin, eine Erklärung lasse ich nicht zu. Dass sich daran nun auch die Freunde vom Südschleswigschen Wählerverband beteiligen, wobei ich feststelle, dass ihre moralischen Kategorien auf die von ihr beklagte Stufe des Roland Koch abgesunken sind, finde ich sehr bemerkenswert.

(Wolfgang Kubicki)

Die spannende Frage ist die Behauptung, es sei bundesweit nicht üblich, dass sich die Justizministerien danach erkundigten, wie mehrfache Serienausbrecher in ihrem Hoheitsbereich untergebracht worden sind. Meine Abfrage bei den Justizministern, die meiner Partei angehören, und darüber hinaus hat ergeben, dass es als eine Selbstverständlichkeit betrachtet wird, sich zwar nicht in eine Vollzugsplanung einzumischen, sich aber als Ministerium bei erfolgreichen Mehrfachausbrechern zu erkundigen, wie in der jeweiligen JVA der bekannte Mehrfachausbrecher untergebracht worden ist.

Dass Ihre Abteilung - das habe ich vorhin schon einmal gesagt - genau an dem Punkt versagt hat, nicht einmal zum Telefonhörer gegriffen und gefragt hat: „Lieber Herr Brandewiede, wie bringt ihr den eigentlich unter, der siebenmal erfolgreich ausgebrochen ist?“, ist das, was ich Ihnen vorwerfe. Hätten Sie das getan - das haben Sie selbst gesagt; mit „Sie“ meine ich das Ministerium und dafür tragen Sie die persönliche Verantwortung -, hätten Dr. Maelicke oder Herr Bublies dort angerufen, wäre der Junge - so haben Sie selbst gesagt - nicht in der Schlosserei gewesen, wäre er nicht ausgebrochen, hätten wir keinen Toten. Deshalb tragen Sie dafür die Verantwortung.

(Beifall bei FDP und CDU)

Das Wort zu einem Kurzbeitrag nach § 56 Abs. 4 der Geschäftsordnung erteile ich jetzt Herrn Abgeordneten Dr. Graf Kerssenbrock.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Frau Ministerin, wenn ich meinen Mandanten, die gelegentlich auch einmal in U-Haft oder Strafhaft einsitzen, erklären müsste oder auch erklären muss, was im Knast in Lübeck alles möglich war, was ihnen aber alles vorenthalten wird, bleibt eigentlich nur noch Fassungslosigkeit. Plastiktüte, Telefon, Strickleiter, Schlosserei mit minderem Sicherheitsstandard bei wirklich gefährlichen Leuten - das können Sie überhaupt nicht erklären. Und da sagt Herr Hentschel, das sollen alles keine Fehler sein, die verantwortet werden? Da soll niemand vorgewarnt haben, da soll niemand berichtet haben, da hat es keinen Personalrat gegeben, der Mitteilung gemacht hat, da hat es keine Vermerke an das Ministerium gegeben, das ist alles nicht der Fall gewesen? - Wir werden ja sehen, was die Akteneinsicht zutage bringt. Es macht wirklich sprachlos, dass Sie sich hier hinstellen und behaupten, es habe keine Fehler gegeben. Herr Hentschel hat ausdrücklich gesagt: Es hat keine Fehler gegeben.

Herr Hentschel, haben Sie wirklich die Vorstellung, dass wir darüber hergefallen wären, wenn die Staatssekretärin vor diesem wirklich brandgefährlichen Mann gewarnt hätte, der siebenmal ausgebrochen war und unter Verdacht des Mordes gestanden hat? Was haben Sie für eine seltsame Vorstellung von der Opposition, was haben Sie für eine seltsame Vorstellung von uns? Es ist ein unglaublicher Vorgang, dass Sie diesen Vorwurf überhaupt zu erheben wagen.

(Beifall bei CDU und FDP)

Es ist nun einmal eine unheimliche Aneinanderkettung von Vorfällen, die Sie alle zu verantworten haben, die Sie hätten abstellen können und die Ihre Abteilungsleiter mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit gewusst haben. Das wird die Akteneinsicht ergeben, Frau Ministerin. Was Sie hier an Luschigkeit, an Wegsehen, aber auch an falsch verstandenem Liberalismus - um nicht zu sagen, Libertinage - zu verantworten haben, das spottet jeder Beschreibung.

(Beifall bei CDU und FDP)

Ich sage es ganz deutlich, Landesjustizminister haben nur ganz wenig persönlich wirklich zu verantworten und haben nur ganz wenige Chancen, wirkliche Fehler zu machen. Aber die Aufsicht über den Strafvollzug gehört zu den ganz wenigen, kleinen Bereichen, bei denen Landesjustizminister auch krasse Fehler machen können.

Es hat einen Justizsenator in Berlin gegeben - Wolfgang Kubicki wird ihn noch kennen -, der hieß Oxford und kam von der FDP. Er musste als Justizsenator zweimal wegen Ausbrüchen aus der JVA zurücktreten.

(Lachen bei SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN und SSW)

- Ja, der musste zweimal zurücktreten.

(Anhaltendes Lachen bei SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und SSW)

- Er war später wieder ins Amt gekommen, falls Sie das nicht mehr erinnern. So viel zur politischen Geschichte und Nachhilfe in politischer Geschichte. Sie wissen es ja offensichtlich nicht mehr.

Frau Ministerin, wenn es an dieser Stelle einen Grund für Rücktritt gibt - und es hat selten einen Fall gegeben, bei dem eine Justizministerin einen derartigen Mist zu verantworten hatte -, dann gibt es hier diesen Anlass. Ich kann nur sagen: Treten Sie um der politischen Hygiene willen, treten Sie aber auch um der

(Dr. Trutz Graf Kerssenbrock)

Aufrechterhaltung der justiziellen Liberalität willen zurück!

(Beifall bei CDU und FDP)

Das Wort zu einem Kurzbeitrag nach § 56 Abs. 4 der Geschäftsordnung erteile ich dem Herrn Abgeordneten Karl-Martin Hentschel.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ein Argument ist heute gekommen, das neu war, nämlich das Argument von Herrn Kubicki zur Personalsituation. Ich habe den Bericht an den Ausschuss sehr ausführlich studiert. Laut Bericht ist natürlich die Situation in den Haftanstalten nicht einfach; das wissen wir alle. Ich habe gesagt, die Situation hat sich in den letzten Jahren verbessert. Das schlägt sich in den Überstundenzahlen deutlich nieder. Die Zahl der Überstunden, die jährlich geleistet worden sind, ist in den letzten fünf Jahren um die Hälfte zurückgegangen. Das wollte ich nur feststellen. Das heißt, es hat eine Verbesserung der Situation stattgefunden durch Personalmaßnahmen, die durchgeführt worden sind. Trotzdem bestreitet niemand, dass es eine angespannte Situation ist. Deswegen haben wir uns auch immer für eine Verbesserung der Situation eingesetzt.

(Dr. Heiner Garg [FDP]: Was sollte der Bei- trag?)

Das Wort für die Landesregierung erteile ich jetzt der Frau Ministerpräsidentin Simonis.