Protokoll der Sitzung vom 15.12.2004

Herr Abgeordneter Kerssenbrock, das mit dem Herrn Minister Oxford war ja wohl unter der Überschrift „Misslungene Resozialisierung“ abzubuchen, wenn er denn noch einen zweiten Versuch machen durfte.

(Dr. Ekkehard Klug [FDP]: So dümmlich können Sie doch gar nicht sein, Frau Simo- nis!)

- Ich muss Ihnen ehrlich sagen, wie Sie die Beispiele hin- und herschieben, der eine darf es gleich zweimal versuchen, und es misslingt, und beim anderen sind Sie, bevor Sie wissen, wie es überhaupt ausgeht, sicher, dass - -

(Unruhe)

- Sind wir hier in der Tanzstunde oder in einem politischen Plenum?

Ich darf um ein bisschen mehr Aufmerksamkeit bitten.

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Der Fall Christian Bogner hat uns alle sehr getroffen. Deshalb ist es auch gut, dass wir uns in der Öffentlichkeit darüber unterhalten, damit die Menschen, die Bürgerinnen und Bürger die Möglichkeit haben, sich Informationen darüber zu beschaffen. Seit dem 1. Dezember, als dieser Schwerstkriminelle die Tötung von Engelbert Daniels gestanden hat, hat der Fall eine tragische Dimension angenommen. Ich jedenfalls - und ich glaube, alle hier im Haus - bin entsetzt über die Brutalität und die Kaltblütigkeit, mit der der entflohene Häftling und vermutlich auch sein Bruder vor und nach seinem Ausbruch vorgegangen sind, denn sie müssen sich Engelbert Daniels richtig bewusst ausgesucht haben. Das kommt einer Exekution gleich, was da passiert ist, wenn es denn so abgelaufen ist, wie wir es heute wissen.

Vermutlich stehen am Anfang einer Kette verhängnisvoller Ereignisse Fehleinschätzungen in der Justizvollzugsanstalt Lübeck, falsche Reflexe, vielleicht auch falsche Einschätzungen, was da wirklich passiert ist. So jedenfalls kommt mir das vor, wenn zwei Beamte, die eigentlich Schulung und Erfahrung genug haben, plötzlich schockartig gefrieren und sich nicht mehr bewegen und die einfachsten Pflichten und Handgriffe nicht mehr machen, indem sie auf einen Alarmknopf drücken und hinter einem herlaufen oder das Handy heraussuchen, anstatt dazustehen, oder sich zu erkundigen, ob es möglich sein könnte, dass man gerade Herrn Bogner draußen gesehen hat, ja oder nein. Das kann man sich fast nicht vorstellen.

Ich glaube nicht, dass Sie hätten durchgehen lassen, wenn die Ministerin an der Stelle keine personellen Konsequenzen gezogen hätte, sondern gesagt hätte, die bleiben jetzt alle dort, bis wir wissen, was da passiert ist. Dann hätten wir hier auch eine große Diskussion gehabt. Ich glaube auch nicht, dass sich einer der Verantwortlichen vor Ort wohl fühlt in dem Sinne, dass er da mit heiler Haut heraus kommt, sondern die müssen sich in der Zwischenzeit darüber im Klaren sein, dass sie Fehler gemacht haben und dass es vielleicht sogar unverzeihliche Fehler sind. Das aber werden wir am Ende der disziplinarischen Untersuchungen wissen.

(Ministerpräsidentin Heide Simonis)

Ich finde es allerdings aus eigener Erfahrung unerträglich, wie jetzt versucht wird, Frau Lütkes aus dem richtigen Satz „Wenn wir es gewusst hätten,“ - so wird sie ja zitiert - „dann hätten wir es unterbunden“, sozusagen subkutan eine Mitschuld, vielleicht sogar eine Quasi-Mitbeteiligung, -Mittäterschaft an dem schrecklichen Mord zu konstruieren.

(Zurufe von der CDU)

- Haben Sie das nicht gemacht? Ich will Ihnen einmal etwas erzählen. Dies reizt mich jetzt, Herr Oppositionsführer. Ich weiß an der Stelle, wovon ich rede. Ich weiß, wie betroffen die Ministerin ist. Haben Sie nicht während der Arbeit des parlamentarischen Untersuchungsausschusses versucht, mir drei Leichen als Mord in die Schuhe zu schieben?

(Beifall bei SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN und SSW - Widerspruch bei der CDU)

Haben Sie sich nicht die Ermittlungsakten für den PUA zukommen lassen, weil Sie nachweisen wollten, dass ich drei Menschen umgebracht habe?

(Werner Kalinka [CDU]: Das ist ungeheuer- lich! - Anhaltende Zurufe von der CDU)

Haben Sie nicht in der Öffentlichkeit darüber sinniert, Sie vermöchten sich überhaupt nicht vorzustellen, ob ich das unter Umständen - -

(Werner Kalinka [CDU]: Das ist ungeheuer- lich! - Weitere Zurufe von der CDU)

- Das ist ungeheuerlich, da haben Sie Recht, Herr Kalinka!

(Beifall bei SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN und SSW)

Ich fand es damals auch ungeheuerlich, dass einige von Ihnen gesagt haben, ich wäre in das Haus von Herrn Stritzl eingebrochen, um Akten zu entfernen, die mich belasten könnten. Das ist bei Ihnen Reflex geworden. Deswegen fällt es einem so schwer, sich mit Ihnen über Sachen zu unterhalten, über die man sich unterhalten muss, denn was da in Lübeck passiert ist, darf nicht wieder vorkommen. Sie haben aber schon die Schuld zugeschoben, Sie haben schon den Mordtatbestand oder die Mitbeteiligung oder die Mitschuld formuliert, ehe Sie überhaupt wissen, wie es am Ende ausgeht.

(Beifall bei SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN und SSW)

Das ist Ihnen peinlich. Ich fand es damals schrecklich und ich finde es auch peinlich, was Sie sich damals geleistet haben.

Meine Damen und Herren, wo Menschen handeln, geschehen leider Fehler. Es gibt, so jedenfalls bis jetzt auch der Vorsitzende der FDP, keinen hundertprozentigen Schutz, auch nicht in Gefängnissen, vor menschlicher Unzulänglichkeit. Das hat beispielsweise die Tatsache bewiesen, dass acht Tage nach dem, was bei uns vorgefallen war, in Mannheim einer ausgebrochen ist mit einem Bagger quer durch die Wand. Es gibt Hinweise, dass in Sachsen in einem Krankenhaus von Gefangenen ein Mord an einem anderen Gefangenen begangen wurde. Das gibt es nicht nur in SPD- oder rot-grün-regierten Ländern, sondern leider Gottes gibt es Unzulänglichkeiten, Sachen, auf die man keinen Einfluss hat, unabhängig von der Parteizugehörigkeit der Regierung, gibt es Menschen, die leider Gottes nicht nach den normalen Kategorien einzusortieren sind. Ich glaube, deshalb verbietet dieser tragische Verlauf eine wahltaktische oder parteipolitische Instrumentalisierung, weil das das Mordopfer auch nicht verdient hat, dass wir das parteipolitisch abarbeiten. Wir müssen das unter dem Gesichtspunkt abarbeiten, dass das möglichst nie wieder passieren kann.

(Beifall bei SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN und SSW)

Wir müssen den gesamten Fall sorgfältig prüfen und uns vor vorschnellen Bewertungen hüten und dann die richtigen Antworten finden. Natürlich gehört zu den richtigen Antworten, dass wir prüfen, ob der Personalrat seiner Pflicht nachgekommen ist. Alle Personalräte sagen - ich kenne das aus meiner Zeit als Finanzministerin -, sie hätten zu wenig Mitarbeiter. Vielleicht haben sie auch tatsächlich - vielleicht auch nicht - in ausreichendem Maße darauf hingewiesen, welche Gefahren damit verbunden sein könnten. Das werden wir am Ende wissen.

(Anhaltend Zurufe von CDU und FDP)

Ich darf um etwas mehr Aufmerksamkeit bitten. Zwischenfragen können gestellt werden, wenn die Ministerpräsidentin sie zulässt.

Es ist bei Herrn Kalinka immer außerordentlich schwierig, bis der ausgeredet hat. Vielleicht sollte man ihn einfach reden lassen, dann hört er von allein auf.

Zu Beginn des Monats November hat die Justizministerin sofortige Maßnahmen zur Verbesserung der Sicherheit ergriffen. Dienstrechtliche Maßnahmen

(Ministerpräsidentin Heide Simonis)

wurden ebenso geprüft wie die Sicherheitskonzepte aller Vollzugsanstalten.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich stehe voll und ganz zu meiner Justizministerin, weil sie sachgerecht, besonnen und schnell gehandelt hat. Sie hat den Fall nicht beschönigt, die hat nichts vertuscht, sie hat nichts Unwahres dargestellt, sie hat sich unangenehmen Fragen gestellt und sie hat Antworten nicht taktisch gegeben, sondern so, wie sie richtig sind, auch wenn die Gefahr besteht, dass sie von Ihnen taktisch benutzt werden.

Mit gutem Grund sind für den Strafvollzug die Beamten vor Ort zuständig. Mögliche Fehleinschätzungen werden dann juristisch überprüft, wenn es darauf ankommt. Daneben gibt es vorsorglich weitere Untersuchungen. Mit gutem Grund ist die politische von der vollzugsamtlichen Ebene getrennt. Ich halte das für richtig und bin der Meinung, das sollten wir auch beibehalten. Es soll keine politisch motivierten Durchgriffe in Gefängnisse geben. Die politische Verantwortung muss sich auf die volle Aufklärung des Falles für den Fall konzentrieren, dass etwas schief gelaufen ist.

Nun haben die Oppositionsparteien über ihre Landtagsfraktionen, ob mit oder ohne Wahlkampf in der Nähe, einen Antrag gestellt, die Ministerpräsidentin des Landes Schleswig-Holstein solle die Justizministerin entlassen, anderenfalls würde uns ein PUA, ein parlamentarischer Untersuchungsausschuss, ins Haus zu stehen.

(Wolfgang Kubicki [FDP]: Völlig unabhän- gig davon!)

- Ich gehe davon aus, die FDP geht nicht von einem Wahlsieg aus, denn sonst würden Sie gesagt haben, dass ein Minister, der von Ihnen gestellt würde, das Ganze klären müsse.

(Beifall bei SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Meine sehr verehrte Damen und Herren bei der Opposition, ich werde die Justizministerin nicht entlassen. Ich werde mich von Ihrer Hektik nicht beeinflussen lassen und schon gar nicht etwas tun, was, wie Sie selber wissen, rechtswidrig ist. Es wäre vielleicht besser gewesen, Sie hätten in den einschlägigen juristischen Schriften einmal nachgesehen. Hätten Sie das gemacht, hätten Sie sich eine Peinlichkeit erspart, denn ein solcher Antrag, den schon die Herren Juristen Uwe Barschel, Volkram Gebel in ihrem Kommentar zur Landessatzung als nicht mit dem Grundgesetz zu vereinbarendes Entlassungsvotum bezeichnet haben, ist schlicht und ergreifend politischer Theater

donner und soll nach außen etwas darstellen, was Sie gar nicht fordern können.

(Wolfgang Kubicki [FDP]: Wir fordern Sie nur auf! Das ist eine politische Absichtser- klärung!)

Der Landtag kann weder die Entlassung noch den Rücktritt eines Ministers oder einer Ministerin erzwingen.

(Wolfgang Kubicki [FDP]: Wir dürfen Sie nicht auffordern?)

- Sie dürfen auffordern, wozu Sie wollen, aber ich darf an dieser Stelle nicht reagieren. Von mir aus können Sie aufschreiben, dass im Himmel Jahrmarkt ist; ich kann Sie nicht daran hindern, aber ich kann es auch nicht verbieten.

(Wolfgang Kubicki [FDP]: Eine politische Willenserklärung darf das Parlament nicht abgeben?)

- Sie dürfen jederzeit eine Willenserklärung abgeben. Aber entweder ist es ein Antrag oder eine politische Willenserklärung; die hätten Sie dann auch in der Zeitung abgeben können. Wenn wir uns hier seriös damit beschäftigen, dann ist es ein Antrag und den kann ich nicht befolgen, weil es nicht mit der Verfassung vereinbar ist. Auch der Herr Professor von Mutius teilt diese Auffassung; das Bundesverfassungsgericht beziehungsweise Stimmen aus der Wissenschaft haben das bestätigt.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, was ich von Ihnen allerdings erwartet hätte, wäre nach einem Mindestmaß von Anstand, dass Sie erst einmal abgewartet hätten, was bei den Untersuchungen herauskommt,

(Widerspruch bei der CDU)

und hätten sich dann ein Urteil erlaubt. - Mein Gott, was sind Sie nervös! Sie sind wirklich merkwürdig. Eine solche Unruhe bei Ihnen. Ich glaube, Sie merken selber, dass Sie mit dem, was Sie hier eingereicht haben, nicht gerade das gelbe vom Ei getroffen haben.

Es wäre jedenfalls fair gewesen, wenn Sie die Untersuchung abgewartet hätten und dann am Ende eine Beurteilung des gesamten Falles einschließlich möglicher Fehler von Mitarbeitern von uns erwartet hätten. Sie haben jedenfalls meiner Meinung nach noch nicht begriffen, dass Ihnen etwas nicht gelingt: Das Herabwürdigen von handelnden Personen, Vorurteile zu streuen, Gerüchte in die Welt zu setzen und Fakten so lange zu verdrehen, bis niemand mehr weiß, wer eigentlich was wann wo gesagt hat. Allerdings, meine

(Ministerpräsidentin Heide Simonis)