Protocol of the Session on January 27, 2005

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Bericht und Beschlussempfehlung des Sozialausschusses

Drucksache 15/3867

b) OECD-Länderbericht zur frühkindlichen Betreuung, Bildung und Erziehung

Landtagsbeschluss vom 17. Dezember 2004

Drucksache 15/3856

Bericht der Landesregierung

Ich erteile dem Berichterstatter des Sozialausschusses, Herrn Abgeordneten Beran, das Wort.

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Der Landtag hat den Antrag der Fraktion der FDP zum Hochschulstudium im Bereich Elementarpädagogik mit Plenarbeschluss vom 27. Mai 2004 federführend an den Sozialausschuss und zur Mitberatung an den Bildungsausschuss überwiesen. Der federführende Sozialausschuss hat den Antrag in drei Sitzungen, zuletzt am 9. Dezember 2004, beraten. Der beteiligte Bildungsausschuss empfahl mit den Stimmen von SPD, FDP und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, den Antrag in geänderter Fassung anzunehmen.

Sowohl dem beteiligten Bildungsausschuss als auch dem federführenden Sozialausschuss lagen zwei Änderungsanträge vor, über die in alternativer Abstimmung befunden wurde. Für den Änderungsantrag der Fraktion der CDU, Umdruck 15/5248, stimmte die Fraktion der CDU. Die Fraktionen von SPD, FDP und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sprachen sich für die Annahme der von SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN vorgelegten Formulierung aus. Im Einvernehmen mit dem beteiligten Bildungsausschuss empfiehlt der Sozialausschuss daher die Fassung in der Drucksache 15/3867 zur Annahme.

Ich danke dem Herrn Berichterstatter. Gibt es Wortmeldungen zum Bericht? - Das ist nicht der Fall. Dann gebe ich zum Bericht der Landesregierung Frau Ministerin Erdsiek-Rave das Wort.

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ende des vergangenen Jahres hat die OECD einen Länderbericht zur frühkindlichen Betreuung, Bildung und Erziehung in Deutschland vorgelegt. Er liefert so etwas wie eine Rückmeldung über das deutsche KitaSystem, über die Struktur und die Praxis. Er gibt auch Impulse vor, wie es weitergehen könnte und sollte. Er bestätigt eine grundlegende Maxime der Bildungspolitik, die unabhängig von anderen Debatten gilt. Ich glaube, da sind wir uns absolut einig. Das muss man gar nicht besonders herausheben. Das wird der einzige Weg sein. Es ist völlig klar: Auf den Anfang im Bildungsweg kommt es an.

Die Daten für den OECD-Länderbericht wurden in fünf Bundesländern erhoben. Schleswig-Holstein war in dieser Stichprobe nicht vertreten. Als positive Merkmale für Deutschland wurden unter anderem herausgehoben: die lange deutsche Kita-Tradition mit reichhaltigen integrativen, sozialpädagogisch orientierten Konzepten, der ganzheitliche Ansatz von Betreuen, Bilden und Erziehen, das Gleichheitsprinzip, wonach alle Kinder gefördert und gefordert werden, die guten räumlichen Bedingungen, Ausstattung auch im Außenbereich, überzeugende Einbindung von Eltern, die neuen Konzepte zum Übergang Kita/Grundschule, der Verzicht auf Gewinnorientierung, das hohe Bewusstsein für Veränderungsbedarf aufgrund der dezentralen Organisation.

All das gilt bundesweit. Es gilt auch für SchleswigHolstein. Unsere Kindertageseinrichtungen verstehen sich als lernende Organisationen. Sie arbeiten an sich selbst. Wenn Sie einmal eine Kita, die modernen Standards entspricht, besuchen, werden Sie feststellen: Was dort an Struktur, an Konzepten und Fortbildungswillen da ist, kann sich mit jedem Schulprogramm einer guten Grundschule heute messen. Es ist wirklich erstaunlich.

(Beifall bei SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN und SSW)

Sie arbeiten also an sich selbst und werden dadurch den veränderten Erwartungen von Eltern und dem, was moderne Bildungspolitik heute fordert, gerecht.

Wir haben in Schleswig-Holstein unter der Devise „erfolgreich starten“ zusammen mit den Partnern vor Ort den Kitas ein Profil gegeben, das von den Trägern und Fachkräften sehr engagiert aufgenommen wird. Wir haben seit 1996, lange vor PISA, in einem sehr konsequenten Verfahren 3.000 Erzieherinnen und Erzieher in dem integrativen Sprachförderkonzept fortgebildet. Es wird von vielen anderen Bundes

ländern als absolut vorbildlich erkannt. Das Stichwort heißt phonologische Bewusstheit. Den Erzieherinnen wird beigebracht, wie sie Sprachdefizite erkennen und beheben können.

Dieses Projekt werden wir fortsetzen. Jede Kindertagesstätte verfügt inzwischen über eine Erzieherin, die dies kann, und das muss auch so sein, meine Damen und Herren.

(Beifall bei SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Wir setzen darüber hinaus einen neuen Akzent. Im Jahre 2004 haben wir den Anstoß für eine bessere naturwissenschaftliche Grundbildung in den Kindertageseinrichtungen gegeben. In diesem Jahr wollen wir intensive Fortbildung in Sachen naturwissenschaftliche Grundbildung geben. Das ist auch dringend notwendig, genauso wichtig wie die Sprachförderung. Und wir haben die Ausbildung von Erzieherinnen und Erziehern - das ist der zweite Punkt, über den heute zu reden ist - den aktuellen Anforderungen angepasst.

Seit 2004 gibt es für die Fachschulen einen neuen modernen Lehrplan, der jetzt auch die integrative Sprachförderung mit einschließt. Der OECDBericht bestätigt uns, dass wir damit auf dem richtigen Weg sind, aber er formuliert eben auch Anforderungen und auch Ausbauperspektiven. Das betrifft vor allem das mangelnde Angebot in Deutschland für Kinder unter drei Jahren, das durch das Tagesbetreuungsausbaugesetz, das seit dem 1. Januar in Kraft ist, stärkere Verbindlichkeit bekommen hat, und das bezieht sich auch auf die Forderung, dass in Deutschland eine nachhaltigere Förderung von Kindern mit Risikohintergrund erfolgen muss. Außerdem betrifft es das Personal.

Die OECD empfiehlt mehr männliche Erzieher. Wohl wahr, kann man da nur sagen.

(Beifall bei SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Aber wir können - auch in den Grundschulen - nur um junge Männer werben und versuchen, sie davon zu überzeugen, dass es sich um ein interessantes Berufsfeld handelt. Oftmals sind die einzigen jungen Männer in den Kindertageseinrichtungen die Zivildienstleistenden. Das ist sehr positiv und es gibt wirklich nicht wenige, die sich aufgrund dieses Zivildienstes hinterher mindestens für einen sozialen Beruf, manchmal auch für den Beruf des Sozialpädagogen, entscheiden. Diese Art von Integration junger Männer in die Kindertageseinrichtungen darf nicht

(Ministerin Ute Erdsiek-Rave)

verloren gehen, auch wenn irgendwann bei Wehrdienst und Zivildienst neue Bedingungen herrschen.

(Beifall bei SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN und FDP)

Wir dürften uns auch darüber einig sein, dass KitaFachkräfte an den Fachschulen Schleswig-Holsteins gut ausgebildet werden. Die Eingangsvoraussetzungen haben wir angehoben. Die Mitarbeiter sind überaus motiviert, an Fortbildung teilzunehmen. Eine grundständige Ausbildung für diesen Beruf ist im Rahmen der Anhörung überwiegend abgelehnt worden.

Wir wollen zum einen - ich hoffe, wir sind uns darüber weitgehend einig - die Ausbildungsstandards an den Fachschulen kontinuierlich anheben und verbessern, auch durch Kooperation mit der Fachhochschule und mit der Universität, und wir wollen zum anderen die Möglichkeit zu einem Hochschulstudium im Elementarbereich eröffnen und dieses Personal mittelfristig dann auch in den Kindertagesstätten einsetzen, entsprechend dem Standard der meisten Mitgliedsstaaten der EU.

(Beifall der SPD)

Meine Damen und Herren, der OECD-Bericht bestätigt unseren Kurs im Grundsatz. Wir möchten ihn mit Anstrengungen in der nächsten Wahlperiode fortsetzen.

(Beifall bei SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Für die antragstellende Fraktion erteile ich jetzt der Frau Abgeordneten Höfs das Wort.

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die thematische Untersuchung der OECD über die frühkindliche Betreuung, Bildung und Erziehung wurde in den unterschiedlichsten Ländern durchgeführt. Diese Länder sind hinsichtlich der Bedingungen im sozialen, ökonomischen und politischen Kontext unterschiedlich und sehen auch in ihrem politischen Ansatz die Betreuung, Bildung und Erziehung kleiner Kinder völlig anders. Das Expertenteam beschränkte sich, wie wir schon gehört haben, nur auf wenige Bundesländer. Schleswig-Holstein war leider nicht dabei. Wäre dies der Fall gewesen, so wäre dies, denke ich, für uns noch interessanter.

Die kontextuellen Aspekte haben einen wesentlichen Einfluss auf die Leistungsfähigkeit der deutschen

Betreuungsangebote. Dazu zählen zum Beispiel auch die Demographie, der Arbeitsmarkt, die Beschäftigungsanalyse, das Konzept der Sozialpädagogik. Auch Mutterschutz und die Elternzeit, die Angebotsstruktur in Ost und West sowie auch die Finanzierung der Leistungen, die berufliche Bildung und die Aufrechterhaltung der Qualität fließen in den Bereich der aktuellen Politik ein.

Die Untersuchungsgruppe kam zu dem Ergebnis, dass die frühkindliche Bildung, Betreuung und Erziehung in Deutschland wirklich viele Stärken und Ressourcen hat. Das muss man auch einmal hervorheben.

(Vereinzelter Beifall bei der SPD)

Deutschland besitzt eine lange Tradition mit gehaltvollen Konzepten einschließlich des sozialpädagogischen Ansatzes mit seinem Verständnis für Bildung, Betreuung und Erziehung als miteinander verbundenen Merkmalen einer frühkindlicher Förderung. Der Bericht sagt, der englische Sprachraum könne eigentlich eine ganze Menge von uns, von diesem ganzheitlichen Ansatz, lernen.

Das deutsche System ist vor allen Dingen in den neuen Bundesländern sehr gut ausgebaut. Bei uns ist es zwar noch nicht so, aber die neuen Bundesländern sind in diesem Bereich wirklich führend und liegen unter den OECD-Ländern an der Spitze. Ein progressiver Ausbau ist allerdings auch in den alten Bundesländern zu beobachten.

Die Kindertagesstätten bieten vielfältige Angebote für Eltern. Gemischtaltrige Kindergruppen liegen offensichtlich im Trend. Die deutschen Kindertagesstätten sind landesweit gut ausgestattet. Die Frau Ministerin hat bereits darauf hingewiesen. Sie sind nicht auf Gewinn ausgelegt, und vor allem bieten sie ein Angebot für Kinder nicht nach Herkunft und Familieneinkommen.

Die große Offenheit für Veränderungen einschließlich eines quantitativen und qualitativen Ausbaus der Leistungen für die frühkindliche Betreuung, Bildung und Erziehung und einer Versorgung, die das Wohl der Kinder ebenso im Zentrum sieht wie die Vereinbarkeit von Familie und Beruf, wird ebenfalls herausgestellt. Zudem wird festgestellt, dass ein solides Fundament für den weiteren Ausbau vorhanden ist, und es wird ein Bedarf an nationaler Planung gesehen, um ein System zu entwickeln, das den Bedürfnissen aller Kinder sowie den sich ändernden Bedürfnissen der Gesellschaft entspricht.

(Beifall bei der SPD)

Es müssen neue Lösungen gefunden werden, die die Interessen der kleinen Kinder und gleichzeitig die

(Astrid Höfs)

Chancengleichheit für Frauen in der Gesellschaft berücksichtigen.

Es wird festgestellt, dass den Eltern geholfen wäre, wenn der Bund in Abstimmung mit den Ländern eine langfristige Strategie erarbeitete, um den Rechtsanspruch auf einen Kindergartenplatz ab drei Jahren sukzessive herabzusetzen, bis zu einem Kindergartenanspruch ab dem Alter von 12 Monaten.

(Vereinzelter Beifall bei der SPD)

Das ist in den neuen Bundesländern bereits erfüllt. In Schleswig-Holstein können nur wenige Kinder einen Krippenplatz finden. Insgesamt haben die neuen Bundesländer einen Bedarf für diese Altersgruppe von 37 %, die EU-Empfehlung von Barcelona sieht bis 2010 eine Versorgung von 33 % vor. Das müssen wir jedenfalls noch erarbeiten.

Wir müssen den jungen Eltern einfach bessere Möglichkeiten bieten, um Familie und Beruf zu vereinbaren. Es ist ja schon länger bekannt, dass die Geburtenzahlen zurückgehen. Wir müssen Anreize bieten, damit sich junge Menschen wieder für Kinder entscheiden.